Protokoll der Sitzung vom 17.10.2013

Es ist die Überweisung in den Finanzausschuss beantragt worden. Weitere Vorschläge habe ich nicht vernommen. - Dabei bleibt es. Wer der Überweisung in den Finanzausschuss zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Auch nicht. Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig in den Finanzausschuss überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 11 ist erledigt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 12:

Beratung

Jugendförderung sichern - Kompetenzagenturen und „Die 2. Chance“ in Sachsen-Anhalt erhalten und das Bundesprogramm „Jugend stärken plus“ mitgestalten

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2451

Änderungsantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/2500

Für die Einbringerin hat zunächst Frau Abgeordnete Lüddemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Mit unserem Antrag wollen wir einen wichtigen Baustein der Jugendförderung im Land sichern, nämlich die Etablierung eines Übergangsmanagements im Bereich Schule, Ausbildung und Beruf. Dafür wollen wir zuvörderst Strukturen bewahren, in denen bereits erfolgreich in diesem Bereich gearbeitet wird, nämlich die Kompetenzagenturen und das Projekt „2. Chance“, wie im Titel des Antrags genannt. Diese Projekte sind Teil des Bundesprogramms „Jugend stärken“. Dieses Bundesprogramm läuft zum Jahresende aus.

Wir haben mit verschiedenen Kompetenzagenturen gesprochen. Wir haben mit Vertretern des Projekts „2. Chance“ gesprochen. Es sind Gespräche im Gange, wie es ab Januar 2014 weitergehen kann, aber mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten. Ähnlich ist es mit den ansässigen Jobagenturen. Lediglich die Standorte im Harz haben eine gesicherte Perspektive, nämlich über das dortige Jobcenter. Das ist vorbildlich, hilft uns insgesamt aber leider nicht weiter.

Ich will nicht verhehlen, dass es sicherlich nicht überraschend ist, dass die Schließung jetzt ansteht. Das Modellprojekt war zeitlich befristet. Es war immer klar, dass das Modellprojekt nur bis Ende 2013 gefördert wird. Das war allen bekannt. Es liegt in der Natur von Modellprojekten, dass sie einen Anfang und ein Ende haben. Das Auslaufen wichtiger und sinnvoller Projekte muss man aber nicht immer einfach hinnehmen. Im nächsten Jahr läuft beispielsweise das Bundesmodellprojekt zu den Mehrgenerationenhäusern aus. Ich glaube, wir werden uns noch einmal darüber unterhalten müssen, wie wir damit umgehen.

Ich will an dieser Stelle aber keine Grundsatzdiskussion darüber führen, wie sinnvoll oder eben nicht sinnvoll Modellprojekte in ihrer zeitlichen Befristung sind, sei es durch die Bundes- oder Landesebene. Das liegt mir heute völlig fern. Ich will

auch nicht denen das Wort reden, die sagen, wenn in einem Modellprojekt drei Jahre gearbeitet wurde und es sich bewährt hat, dann muss es zwangsläufig vom Land übernommen und gefördert werden. Das ist überhaupt nicht mein Punkt.

Meine Fraktion und ich glauben aber, dass es sich bei den Kompetenzagenturen und bei dem Projekt „2. Chance“ wesentlich anders verhält. Es ist nämlich ein Fortsetzungsprogramm in der Pipeline. Das ist avisiert und beschlossen. Der Arbeitstitel lautet: „Jugend stärken plus“. Es handelt sich um ein Programm für die nächste Strukturfondsperiode. Das impliziert, dass sich das Programm nicht im Januar 2014 anschließen kann, sondern dass wir ein Jahr Pause haben werden.

Man kennt dieses Nachfolgeprogramm. Weiterhin weiß man, dass die Fördermodalitäten geändert werden müssen und sich die Träger bei den Kommunen und nicht mehr beim Bund bewerben sollen. Auch die inhaltliche Ausrichtung soll neu justiert werden. Sie haben in unserem Antrag gesehen, dass wir nicht in Gänze damit einverstanden sind und Änderungsvorschläge gemacht haben. Sie haben als Koalitionsfraktionen einen wichtigen Teil unseres Antrages übernommen. Das freut uns an dieser Stelle natürlich sehr.

Wir gehen davon aus, dass das neue Programm die Weiterfinanzierung der Agenturen sichern würde. Eine Weiterfinanzierung macht natürlich nur dann Sinn, wenn die Agenturen dann noch vorhanden sind, wenn sie die zwölf Monate dazwischen überstehen können. Deshalb muss aus unserer Sicht das Land aktiv werden, weil es gilt, Strukturen zu erhalten, die wertvoll sind und die sich bewährt haben, und weil wir vor allem den Fachkräften, die in diesen Projekten arbeiten, eine Perspektive bieten wollen.

Wir haben mehrfach in unterschiedlichen Kontexten darüber gesprochen, dass auch im Sozialbereich Fachkräfte abwandern. Ich glaube, diejenigen, die sich in den vergangenen drei Jahren große Kompetenzen erworben haben, werden nicht darauf warten, ob es irgendwie weitergehen wird. Was einmal weg ist, das wird auch nicht wieder aufgebaut. Das wissen wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung von Frau Frederking, GRÜNE)

Die von meiner Fraktion entworfene Initiative zielt in erster Linie darauf, Gespräche zu führen, kommunikativ zu sein und sich um alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu kümmern. Nur wenn wirklich alle Stricke reißen, wenn wirklich kein anderer Träger einspringen kann, nur dann soll die Finanzierung durch die Landesebene als eine denkbare Option ins Spiel kommen. Deshalb haben wir die Wörter „begründete Einzelfälle“ gewählt.

Lassen Sie mich noch kurz ausführen, warum das Land aus unserer Sicht aktiv werden soll. In der

letzten Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses wurde der Berufsbildungsbericht vorgestellt. Er wurde vom Ausschuss sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die Initiativen der Landesregierung zur Stärkung und Bündelung der Jugendförderung im Bereich Schulverweigerung, Berufsorientierung und Ausbildungsbegleitung weisen auch aus der Sicht der Grünenfraktion in die richtige Richtung.

Etwa das angestrebte und von der Landesregierung angeführte Ziel, ein regionales, rechtskreisübergreifendes Übergangsmanagement zu etablieren, ist aus unserer Sicht äußerst sinnvoll. In genau diesem konzeptionellen Rahmen arbeiten die Kompetenzagenturen. Wenn ich aus dem Evaluationsbericht zu den Kompetenzagenturen zitieren darf, dann heißt es darin:

„Die Kompetenzagenturen sollen die Förderung Jugendlicher durch die Organisation einer maßgeschneiderten Abfolge von differenzierten Hilfen aus unterschiedlichen Bereichen des regionalen Übergangssystems leisten. Sie sollen die lokale und regionale Angebotsstruktur überprüfen sowie Förderlücken identifizieren und schließen. Sie sollen die Kooperation mit und zwischen den verschiedenen Institutionen und Akteuren der regionalen Übergangssysteme an den Schnittstellen der Sozialgesetzbücher II, III und VIII verbessern.“

Wie gesagt, exakt diese Aufgabe will die Landesregierung forcieren, zu genau dieser Aufgabe bekennt sich die Landesregierung im Berufsbildungsbericht. Die Kompetenzagenturen arbeiten auch jetzt schon mit den erwähnten Jobcentern und auch mit den Jugendämtern in diese Richtung zusammen. Das ist von Standort zu Standort natürlich unterschiedlich ausgeprägt. Wir glauben aber, das geht in die richtige Richtung und muss auch weiterhin unterstützt werden. Deswegen finden wir es richtig, dass die Landesregierung angekündigt hat, das flächendeckend etablieren zu wollen.

Wir meinen, dass man auf das Wissen und auf die Erfahrungen, die in den Kompetenzagenturen erworben wurden, nicht verzichten sollte. Deswegen wollen wir die Weiterfinanzierung unterstützen.

In dem Evaluationsbericht heißt es weiterhin: „Die Qualität der Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern war insgesamt hoch.“ Insbesondere wird betont, dass die Agenturen maßgeblich zur inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung der Zusammenarbeit beigetragen haben. Dadurch hätten sie eine wichtige Schnittstellenfunktion erfüllt und - so heißt es wörtlich - „den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung eines strukturierten regionalen Übergangsmanagements unterstützt“. Das ist 1 : 1 das, was im Berufsbildungsbericht zu lesen ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir sollten ausbauen, was bereits da ist, was die Kompetenzagenturen bereits tun, und diese Aktivitäten nicht sterben lassen. Die Kompetenzagenturen könnten ein Beispiel dafür sein, wie eine individuelle rechtskreisübergreifende Fallbegleitung an den Übergängen jugendlicher Biografien - es zeigt sich ja immer wieder, dass wir gerade auf diesem Gebiet Schwachstellen in Sachsen-Anhalt haben - gut funktionieren kann.

Ich glaube also, Kompetenzagenturen sind im originären Interesse des Landes und - das will ich hier noch einmal zum Ausdruck bringen - es sollte verstärkt an Zwischenfinanzierungen gearbeitet werden; denn es handelt sich wirklich nur um dieses eine Jahr.

Der zweite Punkt unseres Antrages ist inhaltlich übernommen worden. Damit wollen wir eine optimale Anschlussfähigkeit an bestehende Aktivitäten im Land gewährleisten und das Bundesprogramm „Jugend stärken plus“ eben nicht inhaltlich einengen.

Nach unserer Kenntnis besteht bei dem neuen Programm die Absicht, die Zielgruppe einzuschränken und sich einzig auf den Übergang Schule/Ausbildung zu fokussieren. Dies ist vermutlich der europäischen Jugendgarantie geschuldet, die die Ausrichtung und das Ziel hat, junge Menschen in Ausbildung bzw. Arbeit zu bringen. Eine Kleine Anfrage unter dem Titel „Europäische Jugendgarantie umsetzen - Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen“, welche die Bundestagsfraktion der SPD auf den Weg gebracht hat, lässt genau diesen Schluss zu.

Durch eine solche Ausrichtung und konzeptionelle Engführung gegenüber dem, was wir hier in Sachsen-Anhalt praktizieren, würde das Thema Schulverweigerung und insgesamt das Projekt „2. Chance“ aus dem Förderkatalog gestrichen werden. Somit könnten für dieses Programm keine Anträge mehr mit der im Berufsbildungsbericht formulierten Zielrichtung gestellt werden, ausbildungsferne Jugendliche bereits lange vor dem Schulabschluss zu erreichen. Das - ich denke, das sollten wir heute als gemeinsames Ziel formulieren - wollen wir verhindern

Auch die Begleitung der Jugendlichen nach Antritt einer Ausbildung ist ein sinnvolles Unterfangen und durch die Engführung des Bundesprogramms gefährdet. Die hohe Quote der Ausbildungsabbrüche weist leider auch hierbei auf einen besonders großen Handlungsbedarf in Sachsen-Anhalt hin. Im grünen Sinne der Nachhaltigkeit muss die Begleitung der Jugendlichen auch dann fortgeführt werden, wenn ein Ausbildungsplatz gefunden wurde; denn die hohe Quote der Ausbildungsabbrüche zeigt, dass mit der Aufnahme einer Ausbildung weiß Gott noch nicht alles in trockenen Tüchern ist.

Es wird zu hinterfragen sein, ob die im Berufsbildungsbericht formulierte Absicht des Landes, Beratung, Information und Begleitung der Jugendlichen aus einer Hand zu etablieren, auf solch einen nachhaltigen und präventiven Einsatz hinweist. Es wäre wünschenswert, wenn diese Entwicklung aus der Stärkung eigenständiger Jugendpolitik gespeist würde, die wir im Land in Auftrag gegeben haben, wozu wir uns im Ausschuss darauf verständigt haben, in der nächsten Sitzung einen Bericht zu hören.

Ich bin auf diesen Bericht schon gespannt. Die Signale, die mich erreicht haben, stimmen mich nicht so hoffnungsfroh, dass wir auf einem kurzen Weg zu einer eigenständigen Jugendpolitik sind. Darüber werden wir zu gegebener Zeit im Hause debattieren müssen.

Aus unserer Sicht müssen wir als Politik die Rechtskreise und Zuständigkeiten für die Jugendlichen bündeln. Erst dann denkt die Politik und denken wir in der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, die eben nicht danach differenzieren, wer welche Zuständigkeiten hat, welches Gesetzbuch gerade einschlägig ist, die immer nur vom eigenen Erleben her, aus der Perspektive, was für ihre Lebenswirklichkeit eine positive Veränderung bringt, urteilen.

Ich denke, im Sinne unseres Landes und seiner Kinder und Jugendlichen ist eine optimale Flankierung der angeführten Landesinitiative durch das Bundesprogramm absolut sinnvoll und wünschenswert. Meine Fraktion möchte die Landesregierung daher auffordern, sich in den entsprechenden Arbeitszusammenhängen auf Bundesebene für die Beibehaltung der umfassenden Zielgruppe einzusetzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In diesem Sinne finden wir es sinnvoll - das habe ich schon erwähnt -, dass Punkt 2 unseres Antrages in den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen übernommen wurde. Bei der Formulierung, dass die Finanzierung zu prüfen ist, würde ich auch noch mitgehen. Das ist das, was wir vorgeschlagen haben: alle Mittel auszuschöpfen. Es kommt natürlich immer auf die Art und Weise an, wie man das tut.

Was ich aber, ehrlich gesagt, überhaupt nicht verstehe, ist, dass die Koalitionsfraktionen vorschlagen, in der nächsten Sitzung des Ausschusses über die Programmierung der europäischen Strukturfonds zu berichten. Das haben wir gefühlt über die ganze Legislaturperiode, aber tatsächlich wohl nur im letzten Jahr in jeder Ausschusssitzung gemacht. Das können wir gern wieder machen; ich glaube aber, das bringt an dieser Stelle nicht viel.

Wir wollen - deswegen auch nicht in der nächsten Sitzung, sondern Anfang des nächsten Jahres -

einen Bericht, was hat die Landesregierung konkret erreicht, welche Kompetenzagenturen können wie - möglicherweise mit Mitteln aus Rückflüssen aus der jetzigen Strukturfondsperiode - weiterfinanziert werden. Wenn man will, dann gibt es immer verschiedene Möglichkeiten. Daher kann ich mit Punkt 1 in dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, ehrlich gesagt, überhaupt nichts anfangen.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE - Herr Borgwardt, CDU: Das erklären wir Ih- nen gleich!)

Was völlig fehlt, weswegen wir uns als Fraktion mit diesem Änderungsantrag auch nicht einverstanden erklären können, ist das, wozu wir das Land bewegen und wohin wir es tragen wollten, nämlich ein bisschen kommunikativ zu sein, sich ein wenig für das einzusetzen, was man als inhaltliches Ziel im Berufsbildungsbericht formuliert hat - wir nehmen das ernst, was man dort liest -, und die Projekte und die Fachkräfte, die genau mit dieser Zielstellung im Land arbeiten, zu unterstützen.

Wenn wir jetzt etwas Gutes haben, das auch als gut bewertet wird, dies aber abbauen und in eine Talsohle fallen lassen, bevor wir es wieder aufbauen, dann ist das aus unserer Sicht nicht wirklich nachhaltig. Es entspricht, so wie wir den Bericht gelesen haben, auch nicht der Strategie des Landes. Es ist nicht nachvollziehbar. Insofern kann ich mit dem Änderungsantrag nicht wirklich etwas anfangen. Wir werden bei unserem eigenen Antrag bleiben. Ich bitte natürlich auch im Namen meiner Fraktion um Zustimmung und bedanke mich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Abgeordnete Lüddemann, für die Einbringung. - Wir treten in die Debatte ein. Als Erster spricht für die Landesregierung Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleich am Anfang zwei Bemerkungen, die Sie, Frau Lüddemann, auch vorangestellt haben.

Ich habe bei den Fachministerkonferenzen der letzten Jahre jedes Mal gesagt, wenn es Bundesprogramme gibt - die hat jedes Bundesministerium, das ist ihnen auch unbenommen - und die Länder vorher nicht in diese Programme einbezogen werden, wenn der Bund davon gewissermaßen frei ist, dann kann man nicht erwarten, dass die Länder anschließend sagen: Wir finanzieren sofort weiter mit.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich weiß nicht, ob nicht der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich sagen werde: Ich verzichte auf bestimmte Programme. Wenn wir nicht absichern können, dass es weitergeht, weil wir die finanziellen Mittel nicht haben, dann erzeugen wir Frustration. Da wird etwas Tolles aufgebaut und das geht dann nicht weiter.

Die Mehrgenerationenhäuser waren ein gutes Beispiel dafür, dass wir nicht einbezogen waren. Es gibt wieder neue Mehrgenerationenhäuser, in denen man in unterschiedlicher Form wohnt. Ich weiß, dass wir die Mittel zur Weiterfinanzierung nicht haben, nicht für ein einziges Mehrgenerationshaus. Aber vielleicht kriegen wir es in Zukunft hin, dass solche Vorhaben mit den Ländern vorher abgestimmt werden.