Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

In den Blick genommen werden müssen aus meiner Sicht einerseits diejenigen, die mit ihrer Suchtproblematik in das Alter hineinwachsen, die also als Jugendliche oder als „mittelalterliche“ Menschen

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

- also als Menschen mittleren Alters - in die Sucht hineingerutscht sind. Denn diese Menschen werden auch alt und haben damit vielfältige Probleme. Sie benötigen deshalb unter Umständen auch eine differenzierte Betreuung und Pflege, die sich stark von der Betreuung und Pflege anderer alter Menschen unterscheidet.

Andererseits müssen auch diejenigen in den Blick genommen werden, die durch Lebensumstände - der Minister sagte es schon - wie Einsamkeit und fehlende Zuwendung oder durch Unkenntnis - ich nenne einmal das Stichwort Klosterfrau Melissengeist - eine Suchtproblematik entwickeln, die oftmals nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist.

Die notwendige Fachkenntnis über die Wirkung von Suchtstoffen im Körper älterer Menschen und die Folgen des Missbrauchs muss dringend Ausbildungs- und Weiterbildungsinhalt in allen entsprechenden Berufsfeldern sein. Aus- und Weiterbildungen müssen verantwortlich gestaltet werden.

Jetzt läuft meine Redezeit ab. Frau Dr. Späthe wird den Überweisungswunsch der CDU-Fraktion in ihrem Redebeitrag aufgreifen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Gorr. - Als Nächste spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Zoschke.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In allen in den letzten Jahren zu diesem Thema durchgeführten Studien und Erhebungen sowie in Fachtagungen wird deutlich, dass die Zusammenarbeit vieler gesellschaftlicher Kräfte nötig ist, um das Thema Sucht, auch Sucht im Alter, sinnvoll anzugehen. Ich erspare mir jetzt die Zahlen, Sie können sie nachlesen im Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung.

In ihrer Pressemitteilung schreibt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, dass nach Schätzungen der Pflegekräfte derzeit ca. 14 % der Menschen, die ambulant von Pflegediensten und in stationären Einrichtungen betreut werden, Alkohol- oder Medikamentenprobleme haben. Aus diesem Grund ist der Pflegebereich - das ist Bestandteil unseres Änderungsantrags - in die Überlegungen der Kooperation der einzelnen Beteiligten unbedingt einzubeziehen.

Die Bewältigung des Übergangs aus der Erwerbsarbeitsphase in den Ruhestand oder der Verlust eines Lebenspartners können im Alter Auslöser einer Sucht sein. In nicht seltenen Fällen bestand die Lebensgewohnheit des Substanzmissbrauchs oder die Abhängigkeit bereits vor dem Eintritt in diese Lebensphase.

Die Fakten und Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, sich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ermöglicht es uns, in unserem Land dazu tätig zu werden. Er weist auch auf eine Verfahrensweise hin.

Dazu ist mit Sicherheit zunächst eine Bestandsaufnahme von bestehenden Kooperationen zwischen Suchthilfe, Altenhilfe und Altenpflege notwendig. Ergebnisse bisheriger Untersuchungen weisen nämlich genau diese Kooperation als Schwachstelle aus.

Die bestehenden Strukturen der Hilfe für hochbetagte und pflegebedürftige Menschen und für ältere substanzabhängige Menschen laufen zum Teil nebeneinander her. Sie sind teilweise trägerabhängig miteinander verbunden. Grundsätzlich aber sind sie ausbaufähig.

Eine Richtung, in die dieser Ausbau gehen könnte, kann neben einer stärkeren Vernetzung aller Beteiligten auch die Öffnung verschiedener Einrichtungen für neue Zielgruppen sein. Es muss uns gelingen, die Professionen stärker mit dem jeweils anderen Aufgabengebiet und dem dafür nötigen Wissen auszustatten. Dazu bedarf es gezielter Fort- und Weiterbildungsangebote für die damit

beschäftigten Bereiche wie auch der angesprochenen Kooperation zwischen Suchthilfe, Altenhilfe und Altenpflege. Und es geht um die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte.

Es geht um das Wohnen im Alter. Viele der betroffenen alten und älteren Menschen leben allein. Alternative Wohnformen können hierbei einen stärkeren Nutzen erbringen.

Es geht um ein ausgeklügeltes Versorgungssystem, das von Beratung und Betreuung über finanzielle Hilfen bis hin zur Unterstützung beim Abbau von Schulden reicht. Und es geht um die Vernetzung der Schnittstellen, und zwar trägerübergreifend zwischen Altenhilfe, Altenpflege und Suchthilfe, und auch darum, praktische Hilfe bei den vielfältigen gesundheitlichen Problemen zu ermöglichen.

Eines muss ich an dieser Stelle betonen - das kann ich Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen nicht ersparen -: Es geht auch um einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Drogenabhängige werden zur Gruppe der seelisch Behinderten gezählt. Die Folge des derzeitigen Pflegebedürftigkeitsbegriffes ist eine Pflege im Minutentakt. Damit können die Pflegeleistungen dem Bedarf von substanzabhängigen älteren Menschen gar nicht gerecht werden.

Vom derzeitigen Pflegebedürftigkeitsbegriff werden weder allgemeine Betreuung, Beaufsichtigung und Anleitung noch Kommunikation und soziale Teilhabe ausreichend berücksichtigt. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff könnte mit dem Wechsel vom Ausgleich körperlicher Defizite hin zur gesellschaftlichen Teilhabe auch für suchtkranke ältere Menschen die Lebenswirklichkeit verändern helfen.

Wir kämen zu einem neuen Maßstab, nämlich dem Grad der Selbständigkeit bei der Durchführung der Aktivitäten des täglichen Lebens. Im Fokus gemeinsamer Anstrengungen bleibt auch im Alter die Verbesserung der Lebensqualität. Dem verschließen wir uns nicht. Wir werden dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Änderung, dass der Text unseres Änderungsantrages darin aufgenommen wird, selbstverständlich zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Zoschke. - Es spricht nun für die SPD Frau Abgeordnete Dr. Späthe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der vorliegende Antrag zielt darauf ab, das Suchtverhalten der älteren Generation, sprich der über 60-Jährigen, stärker in den

Fokus der Politik zu rücken. Zu diesem Zweck soll eine Bestandsaufnahme bestehender Kooperationen erfolgen, mit deren Auswertung sich dann eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe im Ministerium für Arbeit und Soziales beschäftigen soll, die auch ein Fachgespräch initiieren soll.

Solche Anträge sind schon ungewöhnlich, da es eigentlich so ist, dass die zuständigen Minister die Arbeitsorganisation in ihren Häusern vorzunehmen und auch zu verantworten haben.

Sucht im Alter und Kooperation zwischen Pflegediensten und Heimen sowie Suchtberatungsstellen - wie sieht das heute in der Praxis aus? - Meine Gespräche bei Pflegediensten in Merseburg und meine Fragen nach dieser Problematik lösten einige Verwunderung aus. Ich fragte nach den Kontakten zur Suchtberatung. Man kenne sich seit Jahren, tausche Informationen aus, benachrichtige sich bei Notlagen von Patienten bzw. Klienten und bei fachlichen Problemen. Gesonderte Kooperationsverträge gebe es nicht.

Die Ausbildung an den Schulen für Gesundheits- und Altenpflege sowie Kinderkrankenpflege sieht bereits jetzt eine hohe Stundenzahl zum Thema Sucht vor. Insbesondere das Thema Menschen höheren Alters und Suchterkrankungen wird behandelt, auch in einschlägigen Weiterbildungsveranstaltungen.

Meine Damen und Herren! Nichtsdestotrotz: Der Umgang mit Suchterkrankungen, gleich welcher Art, darf und wird nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Verständlicherweise fokussiert sich die öffentliche Wahrnehmung auf die Suchtprävention und dort besonders deutlich auf Kinder und Jugendliche; der Minister sagte es bereits.

Die Menschen werden nicht als Suchtkranke geboren. Vielmehr ist es so, dass die Suchterkrankungen im Laufe des Lebens erworben werden. Und wenn wir dies nicht zulassen wollen, ist Prävention immer der beste Ansatz.

(Beifall bei der SPD)

Genau deshalb setzt sich das Land SachsenAnhalt in vielfältiger Weise dafür ein und fördert finanziell die Fachkräfte auf diesem Gebiet. Die Landesstelle für Suchtfragen als Fachausschuss der Liga ist ein ganz stabiler Faktor in diesem System. Die Suchtberatungsstellen, in allen Landkreisen vertreten, sind, wie bereits erwähnt, ebenfalls Ansprechpartner. Auch sie werden vom Land maßgeblich gefördert.

Zum Personenkreis älterer Menschen. Meine Damen und Herren! Ich sagte es bereits: Suchterkrankungen erwerben die Menschen im Laufe ihres Lebens. Das heißt, dass der Mensch vermutlich schon suchtkrank ist, wenn er pflegebedürftig wird, oder gerade deshalb in die Pflegebedürftigkeit fällt.

In letzterem Falle ist es so, dass die Betroffenen als Menschen mit seelischer Behinderung infolge Sucht in das Hilfesystem der Eingliederungshilfe gelangen und dort durch spezialisierte Hilfsangebote in ambulanter oder stationärer Form betreut werden - wenn sie es denn möchten, was nicht immer der Fall ist.

Aber unsere Menschen werden - der Minister wiederholt es immer wieder - Gott sei Dank immer gesünder immer älter. Dennoch ist Vorsorge zu treffen für den Fall, dass eine Pflegebedürftigkeit eintritt. Deshalb nehmen im seniorenpolitischen Programm des Landes die Abschnitte, die mit der Pflege im Zusammenhang stehen, sehr breiten Raum ein. Es ist richtig, dass in diesen vielen Kapiteln das Problem der Sucht nicht explizit erwähnt wird; nichtsdestotrotz ist es immer zu beachten und wird beachtet.

Meine Damen und Herren! Natürlich habe auch ich gemerkt, dass keiner der Beteiligten bei dem Bundesmodellprojekt „Unabhängigkeit im Alter“, das wohl Auslöser für den Antrag war, aus SachsenAnhalt kommt. Das Projekt ist im Jahr 2013 verlängert worden und läuft, gestützt mit 500 000 €, weiter. Die Ergebnisse werden dann auch in Sachsen-Anhalt Anwendung finden. Selbstverständlich sind notwendige Verbesserungen und Weiterentwicklungen unter Einbeziehung der Landesstelle für Suchtfragen und im Landespflegerat umzusetzen.

Die Landesstelle für Suchtfragen hat erst vor einigen Wochen gemeinsam mit allen Suchtberatungsstellen des Landes Fachveranstaltungen durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit waren bereits Vertreter der Modellprojekte, insbesondere aus Mecklenburg-Vorpommern, in Magdeburg und haben mit unseren Leuten gesprochen und diskutiert. Deshalb beantragen wir, den Antrag in geänderter Fassung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Abgeordnete Dr. Späthe. - Es könnte jetzt noch einmal für die Einbringerin, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gesprochen werden. Frau Abgeordnete Lüddemann, bitte.

Herr Präsident! Herr Minister, natürlich gibt es Drogenmissbrauch in jedem Alter und natürlich muss er in jedem Alter bekämpft werden. Ich glaube, darin sind wir uns einig. Wir nehmen mit unserem Antrag allerdings eine spezielle Altersgruppe in den Blick. Ja, man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Natürlich muss man sich auch um die jungen Menschen kümmern.

Ich glaube aber, bei den älteren Menschen haben wir es mit einer besonderen Situation zu tun. Es geht hierbei nicht um die gesamte Gruppe. Es gibt viele aktive Senioren, die sich auch aktiv in das Leben einbringen, dazu werden wir bei der Aussprache zur Großen Anfrage noch kommen. Es geht hierbei im Wesentlichen um diejenigen, die abhängig von denjenigen sind, die sie pflegen, weil sie in entsprechenden Einrichtungen leben und sich daraus bestimmte Einschränkungen ergeben. Ich glaube, das muss man verstärkt in den Blick nehmen.

Die Auffassung, dass die Pflegeleitungen dies nicht unbedingt ansprechen, teile ich auch. Auch ich habe von diesen Derartiges nicht gehört. Aber nachdem ich mich länger und auf Augenhöhe mit Pflegekräften unterhalten habe, ist das sehr wohl an mich herangetragen worden.

Ich glaube, das, was uns alle eint, ist, dass ein drogen- und suchtfreies Leben in jedem Alter ein Wert ist, den wir gemeinsam anstreben sollten und dem wir uns gemeinsam widmen sollten.

Wenn das in Merseburg gut läuft, dann finde ich das klasse. Aus Dessau habe ich etwas anderes gehört. Ich glaube, es ist gut, sich hierüber einen Überblick zu verschaffen, nichts anderes habe ich vorhin gesagt. Ich glaube, wir sollten als Landespolitiker dafür sorgen, dass es im ganzen Land ähnliche, ähnlich positive Lebensverhältnisse gibt.

Wenn man im Bereich Sucht Einzelbeispiele anführt, stellt sich das immer schwierig dar. Einerseits trifft es zu, dass Sucht im Laufe des Lebens erworben wird. Andererseits - der Minister hat einige Beispiele genannt - gibt es besondere Lebensumstände, die gerade im höheren Alter im wahrsten Sinne des Wortes zuschlagen. Der Verlust eines langjährigen Partners ist das klassische Beispiel für den Auslöser einer Sucht im hohen Alter. Ich glaube, es gibt Beispiele für viele Fallgruppen. Das muss man sich in der Gesamtheit ansehen.

Wir wollen nicht eine Arbeitsgruppe ins Leben rufen, die alle 14 Tage tagt und alles neu erfindet. Wenn man sich Punkt 4 genau ansieht, erkennt man: Diese Arbeitsgruppe soll das Fachgespräch begleiten und soll als Knotenpunkt zur Verfügung stehen. Das bedeutet quasi eine koordinierende Funktion, eine Übernahme von Verantwortlichkeit, das ist aber nichts, was einen regelmäßigen Arbeitsaufwand nach sich zieht.

Insofern kann ich mit einer Überweisung in den Ausschuss gut leben. Ich hätte mir zwar eine Direktabstimmung gewünscht, aber ich kann damit leben. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Abgeordnete Lüddemann. - Die Aussprache können wir abschließen. Wir kommen nun zum Abstimmungsverfahren.

Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/2545 in den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. Damit würde auch der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/2575 in den Ausschuss überwiesen werden. Wer diesem Verfahren zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Zustimmung aus allen Fraktionen. Stimmt jemand dagegen? - Nein. Stimmenthaltungen? - Gibt es ebenfalls nicht. Dann ist der Antrag einstimmig in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen worden. Wir schließen den Tagesordnungspunkt 1 ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: