Protokoll der Sitzung vom 19.06.2014

(Zustimmung von Frau Bull, DIE LINKE)

Diese Regelung ist unzeitgemäß, sie ist ungerecht, sie beschreibt nur eine und funktioniert nur in einer Parallelwelt von Technokraten. Aber diese Parallelwelt gibt es so nicht in der Realität.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Die Dublin-Regelung bedeutet das Verlagern von Verantwortung, das Abschieben von Menschen, aber auch das Abschieben von Verantwortung. Wir entziehen uns als Bundesrepublik Deutschland ein Stück weit, ein großes Stück weit der Verantwortung und belasten die ärmeren Länder der Europäischen Union mit einem Mehr an Verantwortung.

Die Länder, von denen wir genau wissen, dass sie weit weniger als Deutschland in der Lage sind, rechtsstaatliche Asylverfahren durchzuführen, die wirklich in der Lage sind, die wahren Asylgründe der Menschen zu eruieren; darum muss es doch gehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Dublin-Regelung setzt auch wichtige Grundrechte außer Kraft. Wenn ich höre, dass diese Familie Haji, über die heute schon mehrfach gesprochen wurde, ohne Reisepässe abgeschoben wurde - die Reisepässe von vier Personen befinden sich noch in Magdeburg -, was ist denn das für ein Zustand? Wo kommen wir denn hin, wenn Menschen Grenzen ohne Reisepässe überschreiten? Das sind wichtige Grund- und Menschenrechte, die für so eine Verordnung außer Kraft gesetzt werden, meine Damen und Herren. Das kann auch nicht sein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das fürchterliche Schicksal dieser Familie bedeutet ein tragisches Zusammentreffen mit der heutigen Debatte. Vielleicht ist es ganz gut, dass man nicht immer versteht, was das in der Realität be

deutet. Dieses Beispiel der Familie zeigt die ganze Irrsinnigkeit dieses Dublin-Systems auf und zeigt auch, dass in vielen Fällen behördliches Versagen die Lage noch verschärft.

Ich gehe davon aus - Herr Minister, wir werden das im Innenausschuss sehr genau prüfen und den Ablauf rekonstruieren -, dass es mindestens an drei, vielleicht an mehr Stellen hierbei zu Rechtsverstößen gekommen ist, die die Ausländerbehörde Magdeburg zu verantworten hat. Das werden wir in der Zukunft aufarbeiten und dann müssen daraus auch Konsequenzen gezogen werden.

Was das Dublin-System völlig ignoriert, ist die Lage in den Ländern, in die abgeschoben wird, diese sicheren Herkunftsländer und Länder, die nach dem Dublin-System verfahren. Natürlich gibt es darüber viele Informationen, auch wie die Lage in Italien ist. NGOs berichten darüber, Medien berichten darüber. Schauen Sie sich doch die Fernsehsendungen und die Nachrichten über die überfüllten Lager an! Es ist doch völlig klar, was die Leute dort erwartet. Nun kann man sich hier nicht hinstellen und sagen, das Bundesamt sagt, es ist alles in Ordnung. Nein, das, was wir jetzt erleben, hätte man vorher wissen müssen, meine Damen und Herren! Und weil das so ist, hätte man vorher sorgfältig prüfen müssen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Natürlich hätte man das BAMF mit einem Verweis auf die Lage in Italien bitten können, die Abschiebung auszusetzen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte das BAMF das auch gemacht. Frau Quade hat es schon gesagt. Das ist der richtige Punkt. Leider fehlt der politische Wille zu solchen Aktivitäten völlig.

Ganz kurz noch zu den anderen Punkten dieses richtigen und wichtigen Antrages der Fraktion DIE LINKE, den wir unterstützen und mit im Ausschuss beraten werden.

Zu den Westbalkanstaaten habe ich in der Frage an den Minister schon einiges ausgeführt. Ich frage mich auch, wie man zu solchen Entscheidungen kommt. Dass wir jetzt diesen Antrag haben, die Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer einzustufen, steht im Koalitionsvertrag. Alle verweisen immer auf den Groko-Vertrag zu dieser Frage.

Ein Koalitionsvertrag kann doch nicht die Maßgabe für solche wichtigen Entscheidungen sein, die auf Maßgaben der Humanität und der wahren Lage dort vor Ort aufbauen sollten. Das ist ein politisches Dokument. Deswegen ist es auch nachvollziehbar und Gott sei Dank ist es so, dass der Bundesrat sich hierzu anders entschieden hat.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss mit einem Appell an die Humanität. Ich

denke, diese müssen wir wieder in das Zentrum rücken, so wie es ursprünglich beim Flüchtlingsschutz seit der Schlacht von Solferino auch gedacht war, die Maßgabe für die Begründung der Genfer Konvention war. Dabei stand die Humanität im Mittelpunkt. Deswegen muss sie es heute auch tun, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollege Herbst. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Mittelmeerraum haben sich in den vergangenen Jahren zu Lande und zu Wasser schreckliche Szenen abgespielt. Insbesondere vor der Küste Italiens sowie auf Lampedusa und in griechischen Flüchtlingslagern herrschen Zustände, die nicht unseren humanitären Standards entsprechen. Überbelegungen in Flüchtlingslagern, unterlassene Hilfeleistung bei Schiffbrüchigen

- dies ist nicht richtig und darf nicht mehr hingenommen werden.

Keine Frage, die Verantwortung für die Flüchtlingsströme liegt vordergründig in den Herkunftsländern. Es ist jedoch auch ein europäisches Thema, denn die europäischen Staaten haben die Pflicht, Asylsuchenden eine menschenwürdige Behandlung durch ein gerechtes Asylsystem zu gewähren.

Lieber Sören Herbst, Betroffenheit und Emotionalität ersetzen eben nicht rechtsstaatliches Handeln.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können mit Stolz sagen, Deutschland wird hierbei seiner Verantwortung gerecht und ist solidarisch. Kein Land der Europäischen Union nimmt so viele Asylbewerber und Flüchtlinge auf wie Deutschland. Im letzten Jahr waren es knapp 110 000 Flüchtlinge und Asylbewerber, die einen Erstantrag in Deutschland gestellt haben. Das bedeutet allein im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 eine Steigerung um über 70 %.

In Deutschland kommen auf eine Million Einwohner 950 Asylbewerber. In Italien sind es gerade einmal 250. Ich gebe Ihnen ja grundsätzlich Recht, dass die Europäische Union einheitliche Standards schaffen muss, was Asylverfahren und was die Bedingungen der Unterkunft anbelangt.

Ich bin aber auch über Ihre Forderung verwundert, dass ein Asylbewerber sich zukünftig aussuchen können soll, in welchem Mitgliedsland er einen Antrag stellen möchte. Was wäre denn die Folge?

Der Anreiz für Länder wie Italien oder Griechenland, sich an europäische Standards zu halten und für ordentliche humanitäre Bedingungen zu sorgen, wäre noch viel geringer.

Auch Ihre Forderung, die Dublin-Verordnung außer Kraft zu setzen, zu missachten oder zu umgehen, halte ich für verantwortungslos. Durch das DublinVerfahren wird der für die Prüfung eines Asylantrages zuständige Staat festgestellt. Damit wird sichergestellt, dass jeder Asylantrag nur von einem Mitgliedstaat inhaltlich geprüft wird.

Der für die Prüfung des Asylantrages zuständige Mitgliedstaat darf diesen Antrag nicht ablehnen und den Asylbewerber etwa in ein anderes Land schicken. Vielmehr ist er verpflichtet, den Asylsuchenden aufzunehmen und den Antrag zu bearbeiten. Diese Regelungen zeigen eindeutig, dass die Europäische Union der Menschenwürde der Asylsuchenden einen hohen Stellenwert beimisst. Die familiäre Zusammenführung hat hierbei Vorrang vor anderen Kriterien. Den einzelnen Mitgliedstaaten ist es verboten, Asylsuchende wie Spielbälle hin und her zu schicken.

Das Dublin-System ist sinnvoll; denn es verpflichtet jeden Mitgliedstaat dazu, die europäischen Standards etwa im Asylverfahren und bei der Durchführung des Verfahrens zu achten. Wir verteidigen diesen europäischen Rechtsstandard. Das Dublin-System hat sich bewährt.

Blicken wir einmal den Tatsachen ins Auge. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Deutschland deutlich mehr Asylbewerber als Italien aufnimmt. Der Eindruck, der in Ihrem Antrag erweckt wird, nämlich dass die südeuropäischen Staaten viel stärker belastet werden als zum Beispiel Deutschland, ist schlichtweg falsch.

Deutschland hat an Brennpunkten immer auch praktische Solidarität geübt. Es kann auch nicht das Ziel sein, dass Deutschland alle Flüchtlinge, die nach Europa kommen, aufnimmt.

(Frau Hampel, SPD: Darum geht es nicht!)

Unsere europäischen Nachbarn haben hierbei auch eine humanitäre Pflicht, die wir einfordern müssen.

Zu Punkt 2 Ihres Antrages nur so viel: Aufgrund der Einstufung der Staaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten können die Asylverfahren von Staatsangehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und ihr Aufenthalt in Deutschland damit schneller beendet werden. Dies ist ein notwendiger Schritt, um den dramatisch gestiegenen Zahlen entgegenzuwirken.

Unter den aktuellen zehn Hauptherkunftsländern befinden sich mit Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina drei Balkanstaaten, deren künftige EU-Mitgliedschaft diskutiert wird.

Rund 25 % der in Deutschland gestellten Asylanträge stammen von Bewerbern aus den genannten drei Ländern. Während die Asylanerkennung und der subsidiäre Schutz für alle Herkunftsländer bei rund 23 % liegt, liegen die Anerkennungsquoten bei den genannten Balkanstaaten nahezu bei null. Davor darf man die Augen nicht verschließen, meine Damen und Herren.

Sicherlich wird infolge der Einstufung dieser drei Balkanländer als sichere Herkunftsländer auch ein Rückgang der Zugangszahlen erreicht. Wir brauchen diese Aufnahmekapazitäten aber auch für Menschen, die tatsächlich schutzbedürftig sind.

Abschließend bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Inneres und Sport. Ich freue mich auf die dortigen Diskussionen und danke Ihren für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Kollege Kolze. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht noch einmal die Abgeordnete Frau Quade.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber - das vorausgeschickt -, dass dieser Antrag nicht abgebügelt wurde, sondern wir im Innenausschuss die Chance haben, uns darüber zu unterhalten.

Ich möchte für meine Fraktion beantragen, so wie wir die Berichtspflicht auch für den Sozialausschuss vorgesehen haben, im Sozialausschuss mitzuberaten; denn die Kernpunkte Einzelfallprüfung und Prüfung von besonderen Härtefällen sind eher soziale Belange, und es wäre mir schon wichtig, das nicht nur unter dem ordnungspolitischen Aspekt zu betrachten. Deswegen beantrage ich namens meiner Fraktion die Überweisung in den Sozialausschuss.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da ich im Rahmen der Einbringung des Antrags durchaus auf alle Punkte, die wir beantragen, eingegangen bin - auch wenn der Minister das nicht so gehört haben will -, will ich jetzt nur kurz auf das reagieren, was in der Debatte gesagt wurde.

Zunächst zu Ihnen, Herr Minister Stahlknecht. Ich denke, irgendwann müssen Sie sich einmal entscheiden. Einerseits sollen in Ihrer Amtszeit kaum Abschiebungen vorgenommen worden sein, was im Übrigen nicht stimmt. Allein im Jahr 2012 waren es 144 und 59 Dublin-Fälle. Wenn Sie andererseits keinen Handlungsspielraum haben und überhaupt nichts machen können, dann können Sie sich auch

nicht diese angeblich kaum vorhandenen Abschiebungen anheften.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)