Protokoll der Sitzung vom 19.06.2014

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Sie müssen sich einmal entscheiden, was Sie sein wollen, der Minister der Willkommenskultur oder der Minister der CDU.

(Heiterkeit bei der LINKEN - Herr Lange, DIE LINKE: Sie müssen entscheiden, was Sie wollen!)

Sie verweisen auf Recht und Gesetz. Sie verweisen darauf, dass weitergehende Änderungen nicht möglich sind. Sie verweisen darauf, dass das alles in einem anderen und viel größeren Kontext als im Kontext mit Sachsen-Anhalt zu sehen ist.

Jawohl, Sie haben Recht. Wir kommen dem auch nach. Deswegen der Vergleich zu anderen Staaten innerhalb der EU. Es wäre nur gerecht, den Vergleich in Bezug auf Flüchtlingsströme weltweit zu ziehen. Dabei ist die EU ganz weit hinten, und es sind Entwicklungsländer, die den allergrößten Beitrag zum Flüchtlingsschutz leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie verweisen stringent auf Recht und Gesetz und die Gebundenheit auch des Ministers daran. Selbstverständlich sind Minister an Recht und Gesetz gebunden; das ist eine große Errungenschaft.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Aber nur, wenn sie lustig sind!)

Aber ich frage Sie: Warum gibt es Instrumente wie Gnadenrecht, wie Ermessenspielraum und Verordnungsermächtigungen, wenn all das nicht genutzt werden kann und nicht genutzt werden soll? Hierbei ist es nicht eine Frage der Möglichkeit, sondern eine Frage des politischen Willens.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch einmal zur der Frage der Prüfung der Zuständigkeit und der Bedingungen im zuständigen EU-Land. - Ja, das BAMF ist für die Prüfung zuständig. Und ja, natürlich sind die Ausländerbehörden allein personell nicht in der Lage, das komplett eigenständig zu tun. Keine Frage.

Aber weil Sie auf Urteile und Rechtsrahmen verwiesen haben, will auch ich das tun. Das Prinzip der normativen Vergewisserung ist laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes unionsrechtswidrig. Sie können nicht nur, weil ein Land Unionsmitglied ist, davon ausgehen, dass es keinerlei Mängel im Asylverfahren aufweist. Auch dafür trägt jedes einzelne Mitgliedsland die Verantwortung. Genau an dieser Stelle muss die Einzelfallprüfung ansetzen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Noch eine letzte Bemerkung zu dem, was Herr Hövelmann vorgetragen hat. Ja, selbstverständlich muss man in der Politik, insbesondere in der Asylpolitik, die Menschen mitnehmen; so weit sind wir uns einig. Man muss die Menschen auch vorbereiten.

Aber meinen Sie nicht, dass es der erste Schritt wäre, das politische Signal zu setzen, dass der Wille da ist, hierbei einen anderen Weg zu gehen und nicht länger auf Abschottung, auf das Vonuns-Weisen von Verantwortung und auf Abgrenzung zu setzen, und dies erst dann überhaupt möglich wäre, wenn die Politik fraktions- und parteiübergreifend das Signal sendet, dass es hierfür einer Neuregelung bedarf und wir hierbei mit Menschen und nicht mit Dingen, die wir von uns schieben wollen, umgehen?

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Fraktion ist überzeugt davon, dass wir dann die Menschen überzeugen, vorbereiten und mitnehmen können. Deswegen sind wir auf die Ausschussberatungen sehr gespannt. - Vielen Dank für die Debatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Quade. - Damit ist die Debatte beendet und wir stimmen über den Antrag in der Drs. 6/3182 ab. Für mich war unstrittig, dass der Antrag in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen wird. - Ich höre keine Widerworte. Es ist so beschlossen.

Es ist jetzt noch beantragt worden, dass sich der Sozialausschuss mitberatend mit dem Antrag beschäftigt. Darüber lasse ich jetzt abstimmen. Wer für eine weitere Überweisung in den Sozialausschuss stimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. - Damit wird der Antrag nicht in den Sozialausschuss, sondern lediglich in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen. Der Tagesordnungspunkt 24 ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung

Wahrung der Netzneutralität

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/3183

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/3210

Den Antrag wird der Kollege Wagner für die Fraktion DIE LINKE einbringen. Bitte sehr.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im April 2013 hat die Fraktion DIE LINKE schon einmal einen Antrag zum Thema Netzneutralität in das Hohe Haus eingebracht. Vor einem Jahr wollten wir eine Bundesratsinitiative anstoßen, die das Telekommunikationsgesetz des Bundes dahingehend ändert, dass die Netzneutralität nicht nur mit einer Verordnungsermächtigung für den Bundeswirtschaftsminister, sondern prinzipiell gesetzlich abgebildet wird.

Damals gab es auch einen Alternativantrag der Koalitionsfraktionen, der angenommen wurde, der nicht ganz so weit ging. In der Debatte hat sich deutlich gezeigt, dass die Positionen zum Thema Netzneutralität in diesem Hohen Haus tatsächlich sehr weit reichen: von einer starken Netzneutralität hin bis zu einer sehr starken Aufweichung der Definition von Netzneutralität.

Seit einem Jahr ist auch sehr viel passiert. Nur eine Verordnung des Bundeswirtschaftsministers, nein beider Bundeswirtschaftsminister haben wir nicht gesehen. Ich habe gedacht, dass sich, wenn das Ressort von der FDP zur SPD wandert, in diesem Punkt etwas ändern würde; bislang ist das noch nicht der Fall.

Die Universität St. Gallen hat im September des letzten Jahres ein Papier veröffentlicht. Sie nannte es „Blick auf die Debatte der Netzneutralität“ und hat analysiert, wie das Thema in einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union diskutiert wird. Sie stellte gleich zu Beginn zwei Sachen für Deutschland fest.

Erstens. Die Debatte ist relativ konstruktiv. - Das nehme ich auch wahr. - Zweitens. Die Debatte ist sehr stark am Bereich Wettbewerb orientiert; der Wettbewerb ist das dominante Thema. - Auch das nehme ich so wahr. Ich nehme es aber nicht nur so wahr, sondern habe das bereits vor einem Jahr hier in dieses Hohe Haus eingebracht, dezidiert auch mit dem Verweis auf Eco, den Bundesverband der deutschen Internetwirtschaft, der sich ebenfalls für eine starke Netzneutralität ausspricht.

Nach der Bundestagswahl benötigten CDU, CSU und SPD ein wenig Zeit, um einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten. Die Elemente, die die Netzpolitik berühren, haben in diesem Prozess verschiedene Änderungen erfahren.

Am Ende ist die Netzneutralität auch im Koalitionsvertrag auf der Bundesebene gelandet nach dem Motto „Netzneutralität ja, aber definieren müssen wir das Ganze noch mal neu“. Damit wird ein bestimmter Drive aus der Debatte herausgenommen.

Was steht weiterhin drin? - Es soll Ausnahmen im Mobilbereich geben. Die Positionierung auf der Bundesebene geht nicht darauf ein, wie es in den

Ländern aussieht, wo Länder den Netzausbau so subventionieren, dass die Grundversorgung, allerdings mit mobilem Internet, bewerkstelligen werden soll.

Darüber hinaus gibt es auf der Bundesebene erhebliche Zweifel an der Positionierung der Koalitionspartner im Bund, dass sie tatsächlich eine starke Netzneutralität wollen, weil in den Kommentierungen zum Koalitionsvertrag auch seitens der Koalitionäre gleich wieder verwaschen und verschwommen wurde. Man kann auch fragen: Warum gibt es das Bekenntnis im Koalitionsvertrag, aber noch keine neue Verordnung?

Besondere Dienstleistungen, sagt der Koalitionsvertrag des Bundes, die sogenannten Granted Services, sollen analog zu den medienrechtlich bereits bekannten Must-carry-Services allerdings möglich sein.

Was das ist, wird hier ausgespart, und auch ich habe bislang keine Liste von Dienstleistungen gesehen, die darunter fallen können. Ich weiß auch nicht, ob Telemedien, lineare Streams über das Netz, Voice-over-IP allein bereits besondere Dienstleistungen sind. Für mich ist es ein unsicherer Rechtsbegriff, ein nicht bestimmter Rechtsbegriff. Vielleicht können uns heute die Koalitionäre hier auf der Landesebene erklären, was sich ihre Kolleginnen und Kollegen im Bund bei einer solchen Formulierung gedacht haben.

Im April 2014 stimmte das Europäische Parlament für eine starke Netzneutralität. Die Debatte im Vorfeld war sehr angespannt dadurch, dass, ich sage einmal, Lobbyarbeit betrieben wurde, Lobbyarbeit gar nicht einmal so stark im Hinterzimmer, sondern schon sehr offen. Verschiedene Verbände haben ihre Positionierungen präsentiert. Viele Verbände, insbesondere Wirtschaftsverbände, haben sich auf die Seite der Befürworter der Netzneutralität gestellt, weil Netzneutralität als Thema an sich ein Garant für die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen im Internet ist. Auch das habe ich vor einem Jahr bereits deutlich gemacht.

Ich sehe überhaupt keinen Grund, mit der Wettbewerbsfähigkeit zu argumentieren, wenn es darum geht, die Netzneutralität aufzuheben. In den USA ist die Debatte ebenfalls neu - ich will mal sagen - eskaliert. Die FCC, die Regulierungsbehörde der Vereinigten Staaten, das Analogon der Bundesnetzagentur, wie wir sie hier in der Bundesrepublik Deutschland kennen, hat die Netzneutralität aufgehoben. Und die Debatte dort verlief ein wenig anderes. Verständlicherweise waren die Treiber der Debatte in den USA doch sehr starke Medienunternehmen, wie wir sie in Europa zumindest in der Form nicht haben. Insofern besteht die Möglichkeit, in Europa, in den Mitgliedstaaten, im Staat, aber auch im Land tatsächlich selbst noch tätig zu werden.

Nun hätte der Fall eintreten können, dass sich die Situation bezüglich der Durchleitung von Daten im letzten Jahr deutlich verschärft hat. Um herauszufinden, ob dies so war, hat der neue Bundestagsausschuss Digitale Agenda vor zwei Wochen eine Anhörung durchgeführt.

Da ist im Grunde genommen herausgekommen, dass es Klagen seitens der Netzausbauer und Internetserviceprovider gibt, dass sie nicht mehr so viel Geld mit den Flatrates verdienen. Das wussten wir schon vorher. Interessant ist, dass es auch im Jahr 2014 keinen Nachweis dafür gibt, dass es zu Engpässen kommt, die mit der Aufhebung der Netzneutralität tatsächlich entfernt werden können.

Diese Woche gab es eine weitere Entwicklung innerhalb von Europa, aber nicht der EU. Der Schweizer Nationalrat stimmt gesetzlich für die Netzneutralität, macht das, was wir hier im letzten Jahr bereits gefordert hatten.

Außer Debatten passierte in Deutschland im letzten Jahr nicht sehr viel. Das ärgert mich. Was mich aber noch mehr ärgert, ist der Umstand, dass in dieser Debatte, bevor wir zu der Frage kommen, wie wir es tatsächlich realisieren, erst einmal von interessierter Seite die Frage gestellt wird, ob man im Jahr 2014 den Begriff der Netzneutralität in Deutschland nicht tatsächlich neu definieren könne, also klarstellen könne, was das eigentlich ist, obwohl es andernorts längst gesetzlich festgehalten und umgesetzt wird.

Ich bin der Meinung, dass der Begriff der Netzneutralität hinreichend definiert wurde. Es gibt hier erst seit drei, vier Jahren wieder Bestrebungen, über eine Neudefinition eine Aufweichung des Begriffes zu erreichen. Tatsächlich geht es um die unabhängige Transferierung von Daten im Netz, unabhängig von Dienst, Inhalt, Anbieter, Herkunft oder Ziel. - Das ist von der Definition her nicht so schwer.

Das heißt eben nicht, wie fälschlicherweise häufig übersetzt, dass alle Daten gleich schnell, gleich berechtigt etc. im Netz unterwegs sind. Nein, die Frage der Netzneutralität hat gerade nichts mit Peering, hat gerade nichts mit Netzwerkmanagement zu tun. Hier vermengen sich Sachen, die an und für sich nichts miteinander zu tun haben. Einige Unternehmen, die Netzausbau betreiben, planen, einen Inhalte diskriminierenden Netztransfer zu realisieren, um dafür Entgelte verlangen zu können.

Wir wollen allerdings die Trennung von Internetserviceprovidern und den Inhalteanbietern wahren; auch das ist nichts Neues. Es bleibt damit auch bei der Definition, wie ich sie gerade zitiert habe.

Übrigens - wo wir gerade bei nicht klar bestimmten Rechtsbegriffen sind - auch wenn ich meine, dass die Netzneutralität hinreichend gut definiert ist -: In

den Debatten selbst wird neben dem Begriff des Internets häufig der Begriff der Telemedien verwendet.

Den Begriff der Telemedien - der kommt mir wirklich sehr häufig unter - halte ich ebenfalls für einen überhaupt nicht bestimmten Rechtsbegriff. Ich weiß nicht, was damit konkret gemeint ist. Sind es alle Internetdienste? Ist es jedes einzelne Datum, was von A nach B über das Netz geschickt wird? Sind es nur lineare Angebote über das Internet? Obwohl dieser Begriff noch viel unbestimmter als der Begriff der Netzneutralität ist, findet er Eingang in Gesetzesvorlagen und in Verordnungen. - Nein, die Definition von Netzneutralität ist nicht das Problem.

Was ich in der Diskussion auch vermisse, ist, dass über das Grundrechtsproblem geredet wird, welches über die Technologie der Deep Packet Inspection zustande kommt, also dadurch, dass Daten automatisiert gelesen werden müssen, um sie zu klassifizieren, um zu schauen, welche Daten in welcher Güteklasse tatsächlich transferiert werden können.