Protokoll der Sitzung vom 17.10.2014

Dazu gehört zum Beispiel, dass man sich mehr um die Beziehungsarbeit mit den Kindern kümmert, dass die Sprachentwicklung im Vordergrund steht oder dass man besondere Projekte zur Beteiligung von Kindern auf den Weg bringt. Sportförderung ist denkbar; denn wir alle wissen, welcher Zusammenhang zwischen ungesunder Ernährung und den ungünstigen Ergebnissen der Schuleingangsuntersuchungen besteht. Es kann aber auch sein, dass es um Elternarbeit geht, weil die Eltern zuvörderst gestärkt werden müssen.

Das Programm soll helfen, an den Stellen anzusetzen, wo die Erzieherinnen im Alltagsgeschäft die Defizite zwar sehen und erkennen, aber überhaupt keine Ressourcen haben, um sich mit diesen Defiziten auseinanderzusetzen.

Da es eines meiner Herzensthemen ist, lassen Sie mich noch einen konkreten protektiven Faktor benennen, der sich aus gezielter Förderung ergeben kann. Professor Lutz von der Fachhochschule in Erfurt hat im Rahmen des Kinderreports 2012 für das Deutsche Kinderhilfswerk in einer Studie den

Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und Resilienz nachgewiesen.

Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, führt dazu aus - ich zitiere -:

„Für Kinder aus benachteiligten sozialen Lagen ist es also von besonderer Bedeutung, schon im jungen Alter in der Kita entsprechende Erfahrungen machen zu können. Durch frühe Mitbestimmung können die Kinder die Folgen von sozialer Benachteiligung kompensieren.“

Im Sinne eines umfassenden Demokratieverständnisses ist es also prinzipiell nötig, sich für demokratische Kitas und eine umfassende Mitbestimmung der Kinder in diesen einzusetzen. Ich sehe das als sozialpolitische Maßnahme im Sinne von Armutsprävention an; denn ein Kind, das in der Kita lernt, dass Armut nicht gottgegeben ist und nicht über die Generationen vererbt wird, ist gestärkt und kann sich selbst aus diesen Zwängen befreien.

Die Landkreise und die kreisfreien Städte sollen zu Beginn des Projektes Einrichtungen für das Programm vorschlagen. Im besten Falle können sie durch Kita-Planung, Jugendhilfeplanung und Sozialplanung - ich hatte es schon erwähnt - auf gesicherte Daten zurückgreifen und genau identifizieren, welche Einrichtungen in welchen Sozialräumen diese Förderung am meisten nötig haben und am meisten von ihr profitieren können.

Das Land wiederum soll unter der Maßgabe der Beteiligung von mindestens einer kreisfreien Stadt und dreier Flächenkreise sowie einer Deckelung des Budgets von 2,6 Millionen € die Einrichtungen schlussendlich auswählen.

Eine externe Evaluierung - das ist mir besonders wichtig - über die gesamte Laufzeit des Programmes halten wir für relevant. 200 000 € haben wir hierfür vorgesehen. Die Evaluierung soll im Sinne einer Prozessevaluierung Handlungsempfehlungen formulieren, an deren Ende die endgültige Entscheidung steht, ob dieses Programm verstetigt und flächendeckend umgesetzt werden soll.

Mögliche Effekte des gesamten Programms nennt der Antrag sehr deutlich, beispielsweise: Wie entwickelt sich die Rückstellungsquote der jeweils beteiligten Einrichtungen? Wie entwickelt sich die Feststellung des sonderpädagogischen Förderungsbedarfs? Wie schätzen Eltern, Mitarbeitende und Kinder die spezielle Förderung ein?

Ich bin überzeugt davon - das muss ich leider nochmals sagen -, dass wir dieses Programm brauchen, um gezielt fördern zu können. Daher sollten wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits heute darauf verständigen, diese Sonderförderung auf den Weg zu bringen.

Am Ende der Evaluation - wenn wir uns dafür entscheiden - werden wir uns anschauen, wie die Ergebnisse sind. Wenn das Ergebnis zeigt, dass es sich lohnt, dann müssen wir etwas mehr Geld in die Hand nehmen, um das Programm für alle Problemviertel im Land zu öffnen. Abschließend kann ich nur noch um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag bitten.

Selbstverständlich - um dieser Frage vorzubeugen - haben wir Anträge für die Haushaltsberatungen vorbereitet, die entsprechende Deckungsquellen enthalten. Ich werde diese am Mittwoch gegebenenfalls in den Sozialausschuss einbringen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bin gespannt auf Ihre Reaktionen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. - Als Erster darf der Minister für Arbeit und Soziales Herr Bischoff reagieren. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lüddemann, ich habe Verständnis für diesen Antrag. Sie wissen, dass mir dieses Thema wie vielen anderen in diesem Hause ein Herzensanliegen ist. Ich habe festgestellt, dass Sie in den Arbeitsgruppen, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des KiföG ins Leben gerufen worden sind, mitgearbeitet haben.

Einer der wesentlichen Gründe dafür, dass wir einen Betreuungsanspruch von bis zu zehn Stunden täglich geschaffen haben - dieser Anspruch gilt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr und ist bundesweit einmalig -, war, insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien, die bisher nur einen Anspruch auf einen Halbtagsplatz hatten, zu fördern.

(Zustimmung von Herrn Jantos, CDU)

Zudem haben wir im Bundesvergleich eines der besten Bildungsprogramme. Daher sind wir in Sachsen-Anhalt auf dem richtigen Weg, um genau das zu erreichen, was Sie mit Blick auf die Frage, was Kinder brauchen, in Ihrem Antrag beschrieben haben. Deshalb weiß ich nicht, weshalb Sie fordern, dass wir diesbezüglich noch einmal Schwerpunkte setzen sollten.

Wir haben zudem darüber diskutiert - Sie waren ebenfalls dabei; das sagen Sie übrigens in anderen Zusammenhängen auch, dass zuerst die Kommunen zuständig sind; ich könnte jetzt durchaus anführen, wo das in diesem Jahr war -, dass im SGB VIII sehr deutlich verankert ist, dass die Landkreise zuständig sind. Diese legen durch Schulentwicklungsplanung, Sozialplanung und Jugendhilfeplanung - das sind zwei wichtige Krite

rien - fest, welche Maßnahmen sowohl in Schulen als auch in Kitas und auch in Beratungsstellen, also in allen Einrichtungen mit sozialem Schwerpunkt, erforderlich sind. Das ist Aufgabe der kommunalen Ebene. Das Land unterstützt diese mithilfe der vorgebenden Standards. Das, was wir geregelt haben, sind Ministandards. Die Kommunen können darüber hinausgehen, weil sie hierfür zuständig sind.

Über die Frage, warum man in diesem Zusammenhang immer auf das Land zielt, haben wir schon diskutiert. Es handelt sich um eine kommunale Aufgabe, und das Land muss sich beteiligen, wenn es Standards vorgibt. Diese Standards haben wir beschrieben.

Darüber hinaus ist im Programm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ umfänglicher als in anderen Dokumenten festgehalten, was unter Mitbestimmung und Mitbeteiligung zu verstehen ist.

Zu dem Thema Einkommen bzw. zu der Frage, was Armut ist, werden wir Anfang des Jahres den Sozialbericht, der den Armuts- und Reichtumsbericht enthält, in einer etwas anderen Form vorlegen. Kinderarmut ist aber vor allen Dingen Einkommensarmut.

An dieser Stelle sind wir und auch das Ministerium, das ich vertrete, gefordert, gerade Alleinerziehende oder Familien, in denen die Eltern keine Arbeit haben, in Arbeit zu bringen. Das ist eines der wichtigsten Ziele für die nächsten Jahre.

(Zustimmung von Herrn Rotter, CDU)

Frau Lüddemann, Sie waren dabei, als ich zu Beginn den Vorschlag unterbreitet habe, das Geld, das wir zur Verfügung stellen, nicht unmittelbar mit Blick auf die Erzieher-Kind-Relation bereitzustellen, sondern das Geld pauschal zuzuweisen, damit jede Einrichtung selbst entscheiden kann, ob sie beispielsweise den Betreuungsschlüssel verändert oder ob sie eine Vor- und Nachbereitungszeit einräumt und Ähnliches.

Dieser Vorschlag wurde von allen Fraktionen und von den Trägern abgelehnt. Ich bin dem dann gefolgt. Sie kennen diese Diskussion. Sie waren alle dabei. Ich kritisiere Sie nicht. Alle Beteiligten haben gesagt, ihnen wäre es lieber, wenn das Land einen einheitlichen Betreuungsschlüssel festlegt und diese Entscheidung nicht ihnen überlassen wird. Die Landkreise bzw. die Landräte verfahren ja entsprechend. Der Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg hat gesagt, es sei wichtig, dass Kinder, die bisher einen Halbtagsanspruch gehabt haben, nunmehr einen Ganztagsanspruch hätten. Dies führt auch dazu, dass beispielsweise die Kosten für die ambulante Erziehungshilfe sinken.

Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich, dass ich der CDU nach wie vor dafür dankbar bin, dass sie das mitgemacht hat. Ich weiß, dass sie diesbezüg

lich über eine Hürde springen musste und dass es eine Menge Geld gekostet hat, nämlich ca. 50 Millionen €. An dieser Stelle haben wir in SachsenAnhalt viel geleistet.

Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen, wie das Land das machen soll. Soll man das ausschreiben? Soll das Land entscheiden, wo die Grenze liegt? Wer entscheidet das? Sollen sich die Kitas bewerben? Sollen wir mit den Landkreisen darüber verhandeln?

Wenn wir als Land vorgeben, wer eine Förderung erhält, dann besteht die Gefahr - das sind meine Bedenken -, dass sich diese Kitas „diskriminiert“ fühlen, weil sie nach der Meinung des Landes besonders betroffen sind. Eigentlich brauchen diese Unterstützung beinahe alle Einrichtungen, aber es gibt natürlich auch Schwerpunkte.

Die Sprachförderung ist das Wichtigste in der frühkindlichen Bildung - nicht die Sprachstandsfeststellung. Die Wissenschaft hat mittlerweile bestätigt, dass die Länder an dieser Stelle auf dem falschen Dampfer waren, die Sprachförderung von Anfang an aber wichtig ist.

Ich weiß nicht, wie das Land regeln soll, welche Einrichtung eine Unterstützung erhält und welche nicht.

Die Förderung der Einrichtung soll für drei Jahre gesichert werden. Es stellt sich die Frage, welche Fachkräfte, wenn sie wirklich gut sein sollen, Sie für drei Jahre bekommen wollen.

Es muss auch klar sein, dass man diese Förderung weiterführt. Man kann selbstverständlich auch eine Evaluierung vornehmen. Aber niemand würde auf die Idee kommen, Schwerpunkt-Kitas, die auf einmal mehr Geld erhalten - es ist immer gut, wenn man mehr Geld hat -, zu sagen, wir machen wieder Schluss. Es wird immer positive Effekte geben; das weiß jeder.

Ich meine, das sollte eine kommunale Aufgabe bleiben. Wir als Land haben unsere Aufgaben erfüllt.

Es kommt hinzu, dass der Bund vor ca. zwei Jahren - ich weiß es nicht ganz genau -, das Programm zur Integration und Sprachförderung in Kitas aufgelegt hat. Durch dieses Programm werden bundesweit 4 000 Kitas, davon 100 in Sachsen-Anhalt, gefördert. Das sind wesentlich mehr, als Sie in Ihrem Antrag vorschlagen. Damit wird eine halbe Stelle für Fachkräfte gefördert und Sachkosten von insgesamt 25 000 € zur Verfügung gestellt.

Wenn sich Kitas zusammenschließen bzw. wenn es sich um einen Träger handelt, dann bekommen sie das Doppelte von dieser Förderung. Dieses Programm ist bis zum Ende des Jahres 2015 verlängert worden; eigentlich sollte es jetzt auslaufen.

Nach einer Mitteilung des Bundesministeriums wird an einer bundesweiten Regelung für mehr Qualität in den Kindertagesstätten, gerade mit Blick auf die Sprachförderung gearbeitet, sodass ich davon ausgehe, dass dieses Programm nach dem Jahr 2015 fortgeführt wird. Ich finde es richtig und gut, dass der Bund dies macht. Er ergänzt viele Dinge.

Das Land sollte die Förderung des Anspruchs auf eine Ganztagsbetreuung von bis zu zehn Stunden beibehalten; denn mit dem Bildungsansatz, den wir verfolgen, werden wir viel mehr erreichen. Wir sollten der kommunalen Ebene die Entscheidung darüber überlassen, wie sie Schwerpunkte setzt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die vereinbarte Fünfminutendebatte eröffnet jetzt der Kollege Jantos für die CDU-Fraktion. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die wesentlichen Inhalte des vorliegenden Antrages sind bereits von meinen Vorrednern dargestellt bzw. von Minister Bischoff aufgegriffen worden. Daher ist es schwer, hiervon nichts zu wiederholen.

Aus der Sicht meiner Fraktion bedarf es dieses Antrages nicht, da wir bei der Novellierung des Kinderförderungsgesetzes mit den von den Regierungsfraktionen bereits vorgenommenen Veränderungen Vorsorge getroffen haben; Herr Minister Bischoff hat dies gerade ausgeführt. Dass die von der Antragstellerin vorgetragenen möglichen Probleme bereits heute vor Ort gelöst werden könnten, ist nicht gesagt worden. Ein Modellprojekt, das Kosten in Höhe von ca. 2,5 Millionen € bis 2,6 Millionen € verursachen würde, wie es die Antragstellerin fordert, ist nach unserer Auffassung nicht erforderlich.

Im Rahmen der Novellierung des Kinderförderungsgesetzes haben wir in § 10 geregelt, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Vorhaltung einer an den Bedürfnissen von Familien und Kindern orientierten, konzeptionell vielfältigen, leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen Struktur von Tageseinrichtungen verantwortlich sind.

Die Träger haben eine Bedarfsplanung gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch aufzustellen. Mit den kreisangehörigen Gemeinden, Verbandsgemeinden, Verwaltungsgemeinschaften, den Trägern der freien Jugendhilfe und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe ist in allen Phasen der Bedarfsplanung das Benehmen herzustellen.

Das bedeutet, dass im Fall des Bestehens eines Viertels mit besonderem Entwicklungsbedarf dieses Problem vor Ort bekannt ist und in diesem Verfahren entsprechend aufgegriffen und gelöst werden kann.

Des Weiteren können die von der Antragstellerin skizzierten Problemlagen Eingang in die Konzeption des Einrichtungsträgers finden und bei zukünftig zu führenden Entgeltverhandlungen mit berücksichtigt werden.

Schließlich berücksichtigt nach unserer Auffassung auch das veränderte Programm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ das Anliegen der Antragstellerin. Vor diesem Hintergrund bedarf es nach unserer Auffassung keiner Modellprojekte, wie sie die Antragstellerin fordert.