Protokoll der Sitzung vom 08.09.2011

Sie haben ausgeführt, dass Sie das Ortschaftsrecht auf alle Fälle nachjustieren wollen, und dieses Spannungsverhältnis benannt. Können Sie einen konkreten Punkt nennen, der Ihnen vor Augen schwebt, warum man das nachjustieren müsste?

Ich sage einmal, dass man es in ein Gesetz gießen muss und dass das eine Weile dauert, ist klar. Gibt es aber konkrete Erkenntnisse, aufgrund deren man sagt, da muss man herangehen?

Das ist eine Frage, mit der Sie es mir ermöglichen, ein Stück weit über die Stimmungslage zu berichten; das werde ich an dieser Stelle auch tun.

Wir haben in den Ortschaften, die bislang selbständig waren, die Situation, dass diejenigen, die dort als Ortschaftsräte und Ortschaftsbürgermeister kommunalpolitische Verantwortung tragen, mit der jetzigen Situation schlicht und ergreifend nicht zufrieden sind. Die übliche Argumentation lautet: Wir können in diesen Ortschaftsräten am Ende nichts final entscheiden. Es gibt das Argument, was wir länger kennen: Wir können allenfalls entscheiden, ob eine Parkbank grün oder gelb gestrichen wird.

Das ist eine Stimmungslage, die man zur Kenntnis nehmen muss. Dazu sage ich aber zwei Dinge. Der erste Punkt ist - das sage ich ganz offen -, dass wir damals verabredet haben, dass diejenigen, die ehrenamtliche Bürgermeister einer selbständigen Gemeinde waren, ihr Amt fortsetzen dürfen in der Weise, dass sie dann Ortschaftsbürgermeister sind. Für diese hat sich über Nacht mit der Einführung der Gemeindegebietsreform ein Kompetenzverlust vollzogen. Für jeden, der schon einmal Verantwortung getragen hat - in welchem Bereich auch immer -, ist es relativ schwierig, am nächsten Morgen aufzuwachen und in dem glei

chen Aufgabenbereich weniger Kompetenzen zu haben; das ist menschlich.

Das ist eine Situation, mit der wir leben müssen. Wir müssen auch gemeinsam versuchen, mit den Ortschaftsbürgermeistern und Ortschaftsräten über ein anderes Politikmanagement zu reden, nämlich darüber, sich Mehrheiten zu besorgen. Das habe ich in dem Interview mit der Zeitung gesagt.

Aber es gibt schon Anregungen, die uns sagen: Es sollte vielleicht in einem einzelnen Bereich einer Ortschaft auch die Möglichkeit einer Art von Vetorecht geben. Ob man das dann macht? Sie wollten auch ein konkretes Beispiel haben. Wenn man es machen wollte, müsste man es auf einen einzelnen Bereich fokussieren. Aber die Gefahr, die damit auch verbunden ist, ist, dass Sie dann Verzögerungen in dem im Folgenden entscheidenden Einheitsgemeinderat haben.

Darum habe ich gesagt: Ich habe Verständnis für die Kritik und die Anregungen und wir wollen diejenigen, die jetzt Verantwortung tragen, auch mitnehmen. - Insofern werden wir mit den Ortschaftsräten und Ortschaftsbürgermeistern auch Beratungen führen. Aber wir dürfen kein Spannungsverhältnis organisieren, bei dem am Ende eine Einheitsgemeinde nicht mehr lenk- und führbar ist.

Deshalb habe ich in dem Interview auch gesagt: Wir werden nachjustieren. - „Nachjustieren“ ist etwas anderes als zu sagen: Wir führen stärkere Ortschaftsräte ein, die möglicherweise in einem Konkurrenzverhältnis zur Einheitsgemeinde stehen. - Sie müssen mein Interview lesen. Der Rest - das habe ich vorhin gesagt - fällt unter Artikel 5 des Grundgesetzes, Pressefreiheit. Das nehme ich einfach zur Kenntnis.

(Zustimmung bei der CDU)

Es gibt eine zweite Nachfrage, Herr Minister. - Frau Kollegin Edler, bitte.

Herr Minister, ich verstehe schon, dass ein Spannungsverhältnis besteht bzw. aufgebaut wird und dass, wenn die Ortschaftsräte zu stärken sind, doch die Rechte der Gemeinderäte nicht beschnitten werden sollen. Aber wenn Sie sich in der Presse dazu äußern, dass wir eine Novellierung der Gemeindeordnung erwarten können, um die Ortschaftsräte zu stärken und besser auszustatten, dann erwarte ich schon eine konkretere Antwort als die, die Sie gerade gegeben haben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Inwiefern sehen Sie in der Gemeindeordnung Spielraum dafür, einen Paragrafen oder einen Absatz einzufügen, um die Ortschaftsräte zu stärken, aber gleichzeitig die Gemeinderäte in ihrer Kompe

tenz nicht zu beschneiden? - Das würde mich ganz konkret interessieren.

Sie stellen die gleiche Frage wie Ihre Kollegin und ich könnte Ihnen jetzt die gleiche Antwort geben. Ich glaube nur, dass ich dann das Parlament ermüden würde. Insofern verweise ich auf meine Vorantwort.

(Zustimmung bei der CDU)

Liebe Frau Kollegin, ich bitte auch Sie noch einmal - ich kann mich nur wiederholen -, lesen Sie in der „Mitteldeutschen Zeitung“ auf Seite 3, glaube ich, mein Interview. Das ist sehr kurz. Dann hat man etwas auf Seite 1 und einen Kommentar dazu geschrieben. Dafür bin ich nicht verantwortlich. Mein Interview habe ich genehmigt. Wir haben nicht nur vor, in diesem Bereich etwas zu tun, sondern es gibt auch andere Bereiche. Soweit ich das der heutigen Tagesordnung richtig entnommen habe, gibt es schon heute einen Antrag, die Gemeindeordnung an einer ganz bestimmten Stelle zu ändern.

Den Rest der Frage habe ich beantwortet. Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass gewisse Dinge, die ich sage, überinterpretiert werden. Das nehme ich zur Kenntnis, ohne dass ich da jemandem böse bin. Insofern verstehe ich auch Ihre Frage, aber die Antwort bleibt die gleiche.

(Zustimmung bei der CDU)

Damit haben wir die Frage 6 abgeschlossen.

Wir kommen zur letzten Frage in der heutigen Fragestunde, der Frage 7 zum Thema Energetische Nutzung der Braunkohle, gestellt von der Kollegin Dorothea Frederking.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In dem gemeinsamen Positionspapier der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg mit dem Titel „Neuausrichtung der Energiepolitik in Deutschland nur unter Berücksichtigung der Nutzung der Vorteile der heimischen Braunkohle“ vom 12. Mai 2011 wird betont, dass Braunkohlekraftwerks-Neubauten zu einer Verringerung der CO2-Emissionen führen und Braunkohlestrom preiswert erzeugt wird.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viel Tonnen Kohlendioxid würde ein neues Braunkohlekraftwerk mit einer Leistung von 660 MW pro Jahr mehr emittieren, wenn auf der anderen Seite die zurzeit betriebenen Kraftwerke Deuben, Mumsdorf und Wählitz abgeschaltet würden?

2. In welcher Höhe muss der Betreiber des Braunkohlekraftwerkes Schkopau die in den 90erJahren gewährte Investitionsbeihilfe in Höhe von 600 Millionen DM an das Land zurückzahlen?

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Frage wird beantwortet von Ministerin Frau Professor Dr. Birgitta Wolff.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir einige Vorbemerkungen.

Das erwähnte gemeinsame Positionspapier geht bei der Braunkohleverstromung einerseits von einer Nutzung des heimischen Energieträgers Braunkohle als Brückentechnologie aus; andererseits soll der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien als zentrale Säule des Energiesystems betont werden.

Das Land Sachsen-Anhalt nimmt bekanntermaßen mit einem Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von knapp 35 % bereits jetzt einen Spitzenplatz im Vergleich der Bundesländer ein.

Die ambitionierten Klimaschutzziele von Deutschland sollen nicht infrage gestellt werden; die Gesamtmenge der Emissionen wird ja bekanntlich über den Emissionshandel begrenzt. Die ostdeutschen Braunkohleländer - daran sei auch noch einmal erinnert - konnten durch den Neubau von modernen Kraftwerken die CO2-Emissionen in Deutschland gegenüber der Zeit vor der Vereinigung ganz erheblich, nämlich um fast die Hälfte reduzieren.

Nun zur Frage 1, der Frage nach den Gesamtemissionen. Die Kraftwerke Deuben, Mumsdorf und Wählitz erzeugen ca. 210 MW Strom. Dafür werden ca. 2 Millionen t Braunkohle eingesetzt. Dadurch werden Emissionen in Höhe von mindestens 2 Millionen t CO2 freigesetzt. - Das sind die Daten von den drei alten Kraftwerken.

Die Planungen für das in Rede stehende 660-MWBraunkohlekraftwerk in Profen sind seitens der Mibrag noch nicht abgeschlossen. Daher stehen die nachfolgenden Ausführungen unter dem Vorbehalt einer noch nicht getroffenen Entscheidung des Konzerns zur Gesamtinvestition in ein mögliches, aber noch keineswegs konkret vorhandenes Braunkohlekraftwerk Profen. Es geht also nur um Schätzwerte, und bei diesen sind wir bewusst sehr vorsichtig vorgegangen. Das heißt, wir sind von wenig optimistischen Größenrelationen ausgegangen.

Die Höhe der CO2-Emissionen hängt von den konkreten Laststunden und dem Braunkohleeinsatz

ab. Der Betrieb eines neuen Kraftwerks ist einerseits als Grundlastkraftwerk mit sehr hohem Wirkungsgrad möglich. Dann hätten wir niedrige Emissionsmengen. Das Kraftwerk könnte aber auch, abhängig von den künftigen Anforderungen, in einer flexiblen Lastführung betrieben werden. Dann wären die Emissionen und die Kohleverbrauchswerte selbstverständlich ungünstiger.

Weil der konkrete Betriebsmodus noch keineswegs klar ist, gehen wir zunächst einfach kalkulatorisch von einem Braunkohleeinsatz von ca. 4 Millionen t pro Jahr aus. Dann können wir den CO2Ausstoß nach den allgemein anerkannten Schätzungen für die Braunkohleverstromung mit entsprechend ca. 4 Millionen t CO2 annehmen. Pro Megawatt haben wir also erheblich weniger Emissionen. Die Relation ist 6 061 versus 9 524, das heißt zwei Drittel weniger Emissionen pro erzeugte Energieeinheit.

Zur Frage 2, der Frage nach den Verpflichtung zur Rückzahlung der Investitionsbeihilfe seitens des Betreibers des Braunkohlekraftwerks Schkopau. Der als Investitionsbeihilfe genannte Betrag von 600 Millionen DM war der Mehrkostenaufwand für die Errichtung eines Braunkohlekraftwerks gegenüber dem Bau eines Steinkohlekraftwerks, das auf der Basis von Importsteinkohle gebaut werden sollte. Der Betreiber des E.ON-Kraftwerks Schkopau muss die gewährte Investitionshilfe nicht zurückzahlen, es sei denn, dass Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht eingehalten worden sind. Bisher sind solche Vertragsverletzungen nicht bekannt. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Es gibt eine Nachfrage.

Frau Ministerin Wolff, ich hatte gefragt, wie viel mehr emittiert wird. Sie haben Zahlen genannt; die Rechnung obliegt mir jetzt. Ich wollte fragen, ob ich das nach Ihren Zahlen richtig berechnet habe.

Sie haben gesagt: Die drei kleineren Kraftwerke emittieren 2 Millionen t CO2. - Nach dem Stand von Wissenschaft und Technik würde ein neuer Kraftwerksblock des Braunkohlekraftwerks 4 Millionen t emittieren. So rechne ich, vier minus zwei ist gleich zwei. 2 Millionen t CO2 würden in Sachsen-Anhalt mehr emittiert werden. Ich frage an dieser Stelle, ob ich das richtig berechnet habe und ob Sie dem zustimmen, dass Sachsen-Anhalt dann mehr CO2 in die Luft blasen wird als bei dem jetzigen Status.

Ich freue mich, dass Sie nicht nur meine etwas kompliziertere „Dreisatzrechnung“ nachvollzogen

haben, sondern auch die naheliegende, etwas einfachere Subtraktion. Ja, Sie haben Recht, vier minus zwei sind zwei.

(Zustimmung bei der CDU)

Man muss dazu sehen, dass die gesamte Strommenge sich mehr als verdreifacht. Jetzt können Sie natürlich fragen: Warum brauchen wir noch mehr Strom? - Das ist in der Tat eine gute Frage. Darauf habe ich zwei mögliche Antworten.

Die erste Antwort: Wenn Sie mit Unternehmern, aber auch mit Kollegen von Gewerkschaften, zum Beispiel der IGBCE, sprechen, wird sehr schnell deutlich, dass die sichere Energieversorgung im Chemiedreieck im Süden unseres Landes das A und O des Standorts ist. Da ist nicht nur eine verlässliche Grundlastsicherung wichtig, sondern auch eine bezahlbare. Was auch wichtig ist, ist das Potenzial. Wenn wir die Chance haben wollen, dort weitere Investoren hinzulocken, müssen wir diesen Puffer, dieses Potenzial anbieten können. Das ist ein Grund, weshalb ich es für sinnvoll halte, durchaus über 660 MW nachzudenken.

Ein zweites Argument für diese erhöhte Kapazität wäre, dass nichts dagegen spricht, dass vom Standort Sachsen-Anhalt aus auch ein Beitrag zur bezahlbaren Grundlastsicherung im Bund und in Europa angeboten wird.

(Zustimmung bei der CDU)

Last, but not least möchte ich noch einmal daran erinnern, dass die gesamte Emissionsmenge durch den Emissionshandel begrenzt ist. Wenn also in Sachsen-Anhalt 2 Millionen t zusätzlich emittiert werden, müssen diese woanders eingespart werden. Die Logik hinter dem Emissionshandel ist, dass relativ schmutzige Technologien von relativ sauberen verdrängt werden. Insofern bringt die Erhöhung von relativ sauberer Braunkohleenergiekapazität per Saldo immer noch einen Gewinn. - Beantwortet das Ihre Frage?

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Es gibt die Möglichkeit, eine zweite Nachfrage zu stellen.