Protokoll der Sitzung vom 05.06.2015

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister. - Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte ein. Ich würde darum bitten, die fünf Minuten Redezeit einzuhalten, auch wenn der Minister die Redezeit bei diesem wichtigen Thema verdoppelt hat. Wir versuchen, die fünf Minuten Redezeit einzuhalten. - Als Erster hat Herr Jantos für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle stehen vor großen Herausforderungen bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen. Ein besonderes Augenmerk müssen wir auf allein einreisende Kinder und Jugendliche legen.

Man muss sich diesbezüglich auch einmal vor Augen führen, wie groß die Not sein muss, wenn Eltern ihre Kinder allein in die Welt schicken in der Hoffnung, dass sie dort ein besseres Leben haben. Es ist aber auch möglich - der Minister sagte es -, dass sie keine Eltern mehr haben und unter Mühen und unsäglichen Umständen den Weg in unser Land finden. Diesen Kindern muss unsere besondere Aufmerksamkeit und unsere besondere Fürsorge gelten.

Wenn diese Jugendlichen - das bewegt mich - irgendwann lesen können und diese Debatten, die wir von rechts haben, in unseren Tageszeitungen und Journalen verfolgen, dann muss ihnen das auch sehr nahe gehen; denn die meisten - ich kenne einige - kommen hierher und denken, Deutschland ist ein Land, in dem Ordnung und Sicherheit herrschen und eine Schulpflicht besteht, und in dem sie ihr Leben gut aufbauen können.

(Frau Niestädt, SPD: Das ist auch wahr!)

Kinder geben sich auch oft als Erwachsene aus, um in Ruhe gelassen zu werden. Ältere suchen Schutz im Jungsein. Dies ist alles schon gesagt worden. Dies hängt sicherlich mit den unterschiedlichen Traumata zusammen. Viele der minderjährigen Flüchtlinge haben Dinge erlebt, die wir uns kaum vorstellen wollen und können.

Der uns vorliegende Antrag zielt auf eine schnelle und individuelle Hilfe ab. Das ist auch gut so. Aber wenn wir Kinder bis 18 Jahre in Einrichtungen der Jugendhilfe unterbringen wollen, dann brauchen wir Plätze, und wir brauchen vermutlich mehr Plätze, als aktuell zur Verfügung stehen. Die Frage ist also, was brauchen wir und wo schaffen wir erforderlichenfalls neue Einrichtungen oder Unterbringungsmöglichkeiten.

Außerdem wäre zu klären, ob es besser ist, Einrichtungen der Jugendhilfe nur für Flüchtlingskinder zu schaffen - wegen der unterschiedlichen Traumata scheint mir dies zumindest eine Überlegung wert zu sein -, oder ob wir wegen der Sprachförderung und Integration eher eine Einrichtung, in der deutsche Kinder und Flüchtlingskinder gemeinsam untergebracht werden, favorisieren.

Da die Zahl der Flüchtlingskinder schneller steigen wird, weil wir sie demnächst - das haben wir auch gerade gehört - nach dem Königsteiner Schlüssel zugewiesen bekommen, brauchen wir schnelle Antworten.

Es müssen auch die folgenden Fragen geklärt werden: Wie schnell wird ein Vormund bestellt? Wie viele Personen stehen dafür zur Verfügung? Wie werden die Kinder beschult und ausgebildet?

Meine Damen und Herren! Nach der Einbringungsrede und dem Redebeitrag der Landesregierung bin ich hin- und hergerissen, welcher Darstellung ich eher glauben sollte. Selbstverständlich wird in

unserem Land viel gemacht. Dies hat die Rede des Ministers auch deutlich gezeigt. Wir müssen uns aber diesem neuen Bedarf, der auf uns zukommen wird, anpassen.

Um sich mit diesem Antrag vertieft im Ausschuss für Arbeit und Soziales befassen zu können und im Interesse der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge Antworten und Lösungen für diese Aufgaben zu suchen, neigen wir dazu, diesen Antrag an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen.

Ich würde mich mit der Bitte an die Vorsitzende wenden - ich sehe sie gerade nicht -, dass wir dieses Thema nicht irgendwann behandeln, sondern es auf unserer Liste ganz weit nach oben setzen. Wir beantragen die Überweisung des Antrages an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Kollege Jantos. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Lüddemann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Ich freue mich, dass es Konsens in diesem Hohen Hause ist, dass das Kindeswohl bei jedem Kind - das gilt eben auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - Vorrang haben muss. Dies sagen nicht nur wir, sondern zuallererst die UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 3 Abs. 1. Dies muss auch das Ziel unseres Handelns sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass wir das Thema heute aus der jugendpolitischen Perspektive und eben nicht - ich will keinem Kollegen zu nahe treten - aus der innenpolitischen Perspektive diskutieren; denn - das hat Kollege Rotter auch dargestellt - die Kinder haben wirklich Schreckliches erlebt.

(Herr Rotter, CDU: Kollege Jantos!)

- Sie sind im Bereich Soziales so präsent bei mir. - Kollege Jantos, entschuldigen Sie, dass ich Sie eben verwechselt habe.

Als ich mit einigen dieser Kinder und Jugendlichen sprechen konnte, war ich sehr beeindruckt. Es ist unvorstellbar - manche Deutsche wissen nicht, wie sie nach Prag einreisen können -, was diese Kinder und Jugendlichen wirklich alles geschafft haben, was sie erreicht haben, wie sie diese Traumata hintenan stellen und wie sie die weiten Wege hierher bewältigen konnten. Dieses Potenzial - deswegen ist mir das wichtig; das will ich an

dieser Stelle deutlich sagen - sollten wir auch nutzen.

Diese Kinder und Jugendliche sind hoch motiviert, die deutsche Sprache zu erlernen. Sie sind hoch motiviert, sich hier zu integrieren, Schulabschlüsse zu erreichen, Ausbildungen zu absolvieren und Studienabschlüsse zu erreichen. Das sollten wir für unser Land nutzen.

Aber zuallererst - das ist, glaube ich, der Kern der Debatte - geht es um ein Gebot der Menschlichkeit, nämlich diese Kinder und Jugendlichen entsprechend zu empfangen, willkommen zu heißen und ihnen ein Ankommen zu ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen - das will ich an der Stelle auch sagen - ist es gut und richtig, dass das Land die Mittel für die Clearingstelle und für den Verein Refugium aufgestockt hat. Das sind erste Schritte, um diesem Gebot gerecht zu werden. Aber das kann und darf nicht alles sein. Es ist schon mehrfach angesprochen worden, dass sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die allein und unbegleitet in Sachsen-Anhalt aufschlagen werden, drastisch erhöhen wird.

Im Landesjugendhilfeausschuss kam auch zur Sprache - das Bundesgesetz ist immer noch in Arbeit; es befindet sich derzeit wohl in der Mitzeichnung -, dass sich die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge von 55 im Jahr 2014 auf 818 und möglicherweise sogar noch mehr erhöhen könnte, wenn der Königsteiner Schlüssel auch auf diese Flüchtlinge angewendet wird. Das ist exorbitant. Darauf müssen wir uns vorbereiten.

Deswegen stimmt meine Fraktion inhaltlich voll und ganz dem zu, was die LINKE hier vorgeschlagen hat. Die Standards der Unterbringung müssen klar sein. Die nötigen jugendadäquaten Sozialräume müssen gegeben sein. Der schnelle Zugang zu Deutschunterricht und zum Ausbildungsmarkt ist entscheidend für das Ankommen der jugendlichen Flüchtlinge. Ich will jetzt nicht alle Punkte wiederholen, die die DIE LINKE und die Kollegin Hohmann in ihrem Antrag dargestellt haben.

Einen Punkt - das will ich auch noch ausführen; dankenswerterweise ist es übernommen worden - wollen wir präzisieren. Wir haben einen Änderungsantrag gestellt, in dem wir gesagt, wir müssen das Kinder- und Jugendhilferecht, das natürlich die Grundlage unseres Handelns ist, auch ein bisschen flexibel handhaben. Wir glauben, dass es nicht sinnvoll ist, für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bei allen örtlichen Trägern der Jugendhilfe entsprechende Kompetenzen aufzubauen. Diese sollten konzentriert werden. Wir halten also eine zweite Clearingstelle in Halle für adäquat.

Ich habe die Kollegin Hohmann anders als der Minister so verstanden, dass es dort insgesamt gute Strukturen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gibt. Natürlich kann es im ganzen Land nirgendwo Strukturen für den Umgang mit UMF, also mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, geben. Ich habe eben die Zahl genannt. Das kann schlicht und ergreifend nicht der Fall sein.

Zum bundesweiten Verteilungsschlüssel habe ich eben schon etwas ausgeführt. Deswegen ist es, glaube ich, richtig, sich an ein Jugendamt oder an mehrere Jugendämter zu wenden, die diese Kompetenzen dann bündeln und aufbauen. Es würde natürlich nahe liegen, wenn wir eine Clearingstelle in Magdeburg und eine Clearingstelle in Halle haben, dass diese beiden Jugendämter diese Aufgaben dann wahrnehmen.

Vielleicht sollte man das Jugendamt - wenn ich das anregen darf - im Harz noch mit einbeziehen, weil dort - auch das hat die Kollegin Hohmann ausgeführt - die Inaugenscheinnahme zur Altersfeststellung angesiedelt ist. Das wäre vielleicht noch eine Sache, die man mit bedenken sollte.

Wir haben als Politik das Ziel klar auszugeben, wie wir vorgehen wollen. Das ist die Konzentration in Kompetenzregionen. Ich bin froh, dass dieser Antrag übernommen wird, und würde mich auch der Überweisung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales, die der Kollege Jantos angeregt hat, anschließen, damit wir darüber dann dort entsprechend inhaltlich und natürlich auch schnell beraten können.

Denn es wurde signalisiert, dass das Bundesgesetz noch vor dem Sommer oder am Anfang des Sommers kommen soll. Dann wird es aufgrund der Notwendigkeit und des Drängens der betroffenen Länder wie zum Beispiel Hamburg, die inzwischen gar nicht mehr wissen, wie sie das alles händeln sollen, sicherlich auch sehr schnell zum Zuge kommen.

Ich glaube, da sind wir eher schon zu spät als zu früh dran. Deswegen müssen wir das auch im Ausschuss schnell behandeln. Ich hoffe, dass der Konsens, der sich heute hier in diesem Hause doch abzeichnet, dann auch dort zu einem schnellen Umsetzen der in Rede stehenden inhaltlichen Paradigmen führt. In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die zügige Debatte im Ausschuss. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Danke sehr, Kollegin Lüddemann. - Für die SPDFraktion spricht der Abgeordnete Herr Wanzek.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal ein paar Sachen. Herr Jantos, Sie fühlten sich vorhin hin- und hergerissen zwischen den Ausführungen von Frau Hohmann und denen des Ministers. Sie können beiden glauben. Einmal sind wir schon auf dem Weg und machen auch viel in dem Bereich, und auch Gutes. Aber - Frau Hohmann hat es schon festgestellt - wir werden eine steigende Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen haben, auf die wir uns einstellen müssen. Deshalb sind beide Ausführungen eigentlich treffend. Wir müssen dann bloß im Ausschuss für uns zusammenfassen, was wir machen wollen.

Frau Lüddemann, weil Sie so betont haben, dass es schön ist, dass die Sozialpolitiker sprechen und nicht die Innenpolitiker. Für meine Fraktion kann ich auf jeden Fall sagen - ich glaube, das ist auch bei der CDU so -, auch für unsere Innenpolitiker steht das Kindswohl mit an erster Stelle und ist ein wichtiger Punkt. Das wollte ich bloß noch einmal erwähnen.

(Beifall bei der SPD - Frau Lüddemann, GRÜNE: Sehr gut!)

Inhaltlich wurde schon ganz viel gesagt. Deswegen werde ich mich da kurz fassen. Es ist nicht so, dass wir jetzt warten, bis das Gesetz da ist. Ich weiß, dass sich auch schon die interministerielle Arbeitsgruppe Asyl um das Thema gekümmert und geguckt hat, was sie machen könnten. Auch da ist die Diskussion über eine zweite Clearingstelle aufgekommen.

Wir wissen nicht, wie viele Kinder kommen werden. Wir müssen schauen; vielleicht brauchen wir noch eine mehr. Das werden wir dann sehen. Es stimmt, das Gesetz auf der Bundesebene soll noch von der Sommerpause kommen. Dann werden wir mehr wissen. Dann können wir auch gezielt für uns entscheiden, was wir machen können und wie.

Aber auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir es schaffen, für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ein Verfahren zu finden, in dem sie ein Gefühl von Geborgenheit bekommen, mit dem ihnen Zeit gegeben wird, anzukommen, in dem ihnen die Möglichkeit gegeben wird, ihr Erlebtes in Einzelgesprächen und in Gruppengesprächen zu verarbeiten, und in dem man ihnen von Anfang an Deutsch beibringt oder - das wurde noch nicht erwähnt - Lesen und Schreiben. Viele können gar nicht lesen. Wir müssen ihnen auch erst einmal Lesen und Schreiben beibringen - das gehört dann auch dazu - und sie dann bei der Entwicklung ihrer eigenen neuen Perspektive unterstützen. Da ist die Clearingstelle in Magdeburg ein gutes Beispiel. Das müssten wir quasi kopieren und im Land verteilen.

Zum Thema Vormundschaft hat der Minister schon Genaues angeführt. Im Bereich Beschulung und Sprachunterricht hat in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses das MK schon die groben Skizzen des Programms dargestellt. Auch da warten wir jetzt noch auf das Genauere, weil auch noch der Nachtragshaushalt kommt. Das muss alles auch berücksichtigt werden, damit es umgesetzt werden kann. Auch da sind wir auf die Debatten im Ausschuss gespannt.

Hinsichtlich der Handreichung hat der Minister auch schon gesagt, dass man die nach fünf Jahren einmal evaluieren und erneuern könnte, damit sie passend für die aktuelle Zeit ist.

Dabei will ich es bewenden lassen. Ich möchte noch sagen, dass wir den Antrag zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung in den Ausschuss für Inneres und Sport überweisen möchten und um Zustimmung zur Überweisung bitten. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wanzek, Sie haben jetzt den Ausschuss für Inneres und Sport als mitberatenden Ausschuss vorgeschlagen? Das ist hier akustisch nicht ganz angekommen.

(Herr Wanzek, SPD, nickt)