Protokoll der Sitzung vom 08.05.2020

Auch bei all den Lockerungsdebatten kann man quasi leicht zusehen, wie politische Entscheidungsträger Interessen gut gegeneinander abwägen müssen, weil es bei jeder Entscheidung um das Schicksal von Hunderttausenden von Menschen geht. Die Krise macht Politik unter dem Brennglas sichtbar.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind davon überzeugt: Der Staat muss nicht nur in der Krise, sondern auch bei dem Weg aus der Krise eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle spielen. Anders wird es nicht gehen. Für den Weg aus der Krise ist politische Gestaltungsmacht an mindestens drei Stellen gefragt.

Erstens. Ich habe gerade gesagt, die Menschen verlassen sich auf den Staat. Wir müssen sicherstellen, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, insbesondere wenn es um das Thema Gesundheitsschutz und Gesundheitsvorsorge geht. Wir haben schon vor der Coronakrise darauf gedrängt, in unsere Krankenhäuser, ganz speziell in Sachsen-Anhalt, zu investieren, und zwar hier im Landtag bei den Haushaltsverhandlungen und nicht zuletzt auch auf der Straße in den Diskussionen mit den Streikenden von Ameos.

Wir sehen jetzt erst recht, dass wir all denen eine Absage erteilen müssen, die in unserem Krankenhaussystem Einsparpotenziale durch massive Struktureingriffe mobilisieren wollen oder die kleinere Krankenhäuser geschlossen sehen wollen. Ein starkes, solidarisch finanziertes und öffentlich getragenes Gesundheitssystem ist die Voraussetzung dafür, um mit künftigen gesundheitlichen Herausforderungen fertig zu werden.

(Zustimmung)

Zweitens. Wir brauchen den aktiven Staat, der nach dem dramatischen Konjunktureinbruch, den wir gerade erleben, alle seine Möglichkeiten nutzt, um den Wiederaufschwung in Gang zu bringen, und zwar durch eigene Nachfrage in Form von Investitionsprogrammen, durch eine Stabilisierung der Konsumnachfrage - nicht zuletzt auch durch die Umsetzung von Neueinstellungen -, durch weitere Übergangsregelungen - wie ein erhöhtes Kurzarbeitergeld und Anschlussregelungen für die Soforthilfen, soweit sie gebraucht werden -, durch die besondere Unterstützung derjenigen, die nicht mit einem nachholenden Konsum rechnen können - wie Künstlerinnen und Künstler oder Gastronominnen und Gastronomen -

(Zustimmung)

und nicht zuletzt durch eine weitere Ansiedlungspolitik, wie sie in Sachsen-Anhalt in dieser Wahlperiode erfolgreich betrieben wurde.

Auf einen Punkt möchte ich dabei ganz besonders hinweisen. Wirksam wird diese aktive ökonomische Rolle des Staates nur dann, wenn der Wiederaufschwung in den Kommunen angekurbelt wird. - Herr Lange, es geht nicht nur um die Weltrevolution, es geht um die örtliche Nachfragesteigerung.

(Zustimmung)

Wir dürfen die Situation der Landkreise, Städte und Gemeinden nicht aus dem Blick verlieren. Sie ist heute schwierig und sie kann prekär werden. Es gibt fehlende Steuereinnahmen auf der einen Seite und wachsende Verpflichtungen, zum Beispiel durch die Kosten der Unterkunft, auf der anderen Seite. Den Kommunen droht der Coronazangengriff.

Wir haben aus der SPD heraus ein 2-Milliarden-€Programm für zusätzliche Investitionen in den nächsten fünf Jahren vorgelegt. Allein 1,5 Milliarden € davon sind für kommunale Aufgaben bestimmt. Das ist sehr viel Geld - das wissen wir -, aber mehrere Nachbarländer haben längst Nachtragshaushalte in entsprechender Größenordnung auf den Weg gebracht.

(Zustimmung)

Darin sehe ich die größte Herausforderung für die Kenia-Koalition, die wir in dieser Legislaturperiode noch bewältigen müssen. Wir brauchen den Mut, mit staatlichen Mitteln die Wirtschaftskraft zu ersetzen, die durch staatliche Auflagen und die Konsumzurückhaltung verloren gegangen ist.

Drittens. Ich stimme mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich darin überein, dass es bei der Förderung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklungen, gerade auch im kommunalen Bereich, nicht um die Parole „Investieren um jeden Preis“ geht. Aber gerade in diesem Bereich können wir zu einem besseren und sozial gerechten wirtschaftlichen und nachhaltigen Entwicklungsschub in Sachsen-Anhalt viel beitragen. Wir dürfen nicht nur auf die Autokonzerne schauen. Wir müssen darauf schauen, dass unsere Schulen energetisch saniert werden, dass es die richtigen Entscheidungen gibt und dass Geld für diese richtigen Entscheidungen vorhanden ist.

(Zustimmung)

Meine Damen und Herren! Das alles sind Überlegungen für die mittel- und die langfristige Perspektive. Ich glaube, wir sollten noch über eine Aufgabe sprechen, der wir uns ganz aktuell stellen müssen. Das hat auch die Debatte hier im Landtag gezeigt. Ich beobachte mit größter Besorgnis, wie sich abwegigste Verschwörungstheo

rien auch außerhalb der einschlägig bekannten Kreise von Rechtsextremisten und notorischen Aluhutträgern breitmachen.

(Zustimmung)

Ich denke, wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass mit der Lockerung der Beschränkungen diese kruden Ideen von selbst wieder verschwinden werden. Denn interessierte Kreise sind intensiv damit beschäftigt, mit den Ängsten der Menschen ihr politisches Süppchen zu kochen, um sie gegen den demokratischen Staat zu mobilisieren.

Für uns alle gilt: Wir müssen auch an dieser Stelle widersprechen. Wir müssen aufklären. Wir müssen der Wissenschaftsfeindlichkeit ebenso entgegentreten wie den antisemitisch gefärbten Verschwörungstheorien über eine neue Weltordnung und einen tiefen Staat. Denn wenn am Ende der Krise die Wirtschaft wieder laufen würde, aber diese Hirngespinste in den Köpfen vieler Menschen weiterhin spukten, dann hätten wir den Kampf gegen Corona zum Teil doch verloren. Dagegen sollten wir gemeinsam mit dem Geist der Aufklärung und mit der Kraft des demokratischen Dialogs antreten und das Wissenschaftliche verteidigen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Es gibt drei Wortmeldungen. Als Erster hat sich Herr Abg. Lange gemeldet. - Bitte, Herr Abgeordneter.

Diese Debatte ist ja sehr breit angelegt, sodass der Fokus natürlich sehr unterschiedlich gelegt wird. Ich freue mich selbstverständlich darüber, dass Sie ansprechen, dass die Kommunalfinanzen in den Blick genommen werden müssen. Es wäre für mich tatsächlich beinahe revolutionär, wenn die Kommunalfinanzen endlich einmal auskömmlich bemessen würden und dann auch so ausgezahlt würden. Übrigens sind diesbezüglich der Bund und das Land sehr stark in der Verantwortung. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie stehen Sie denn zu einem Entschuldungsprogramm für die Kommunen?

Frau Dr. Pähle.

Herr Abg. Lange, auf die Frage, ob man die Kommunen finanziell besser aufstellen kann und muss, bekommen Sie von mir ein deutliches Ja. Dazu, welche der vielfältigen Instrumente man auswählt, gibt es sicherlich unterschiedliche An

sichten. Ein Entschuldungsprogramm vonseiten des Bundes ist notwendig, ja. Worüber ich aber spreche, ist eine Neuauflage des Konjunkturpaketes II. Wir brauchen in den Kommunen Investitionen mit kleinen Losen für Sachen, für die in den letzten Jahren in den Kommunen kein Geld da war, die aber dem Gemeinwohl der Kommune nutzen. Ich rede an dieser Stelle von nachgeholten Investitionen, damit Handwerksbetriebe vor Ort gestärkt werden können, damit Steuereinnahmen fließen und damit wir über diesen Weg tatsächlich wieder einen wirtschaftlichen Auf

schwung herbeiführen können.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. - Sie haben eine Nachfrage? - Bitte behalten Sie die Zeit im Blick.

Es sind nur zwei Sätze. - Erstens. Ich sehe nicht nur den Bund, sondern auch das Land in der Pflicht, wenn es um eine Entschuldung geht.

(Zuruf)

Zweitens. Bei einem solchen Konjunkturpaket II, wie Sie es beschrieben haben, hätten Sie DIE LINKE an Ihrer Seite.

Frau Dr. Pähle.

Dem kann ich nichts hinzufügen.

Das müssen Sie auch nicht. - Die nächste Wortmeldung war von Herrn Abg. Gallert.

Frau Pähle, Sie haben heute etwas zu dem 2-Milliarden-€-Programm gesagt, das die SPD oder die SPD-Fraktion - das weiß ich jetzt nicht genau - in die Debatte gebracht hat, um aus der Krise herauszukommen. Ich finde das sehr gut. Ich erinnere mich an die Zahlen, die wir gleich am Anfang in unserem Entschließungsantrag genannt haben.

Es gab damals allerdings eine Diskussion zwischen Ihnen und Herrn Lippmann über die Einnahmen. Sie wollen jetzt 2 Milliarden € mehr ausgeben. Damals hat Herr Lippmann einiges zu der Einnahmesituation gesagt. Sie haben damals gesagt, dass Sie zu dem Zeitpunkt nicht darüber reden wollten. Jetzt ist die Frage - ich kenne Ihr 32-seitiges Papier noch nicht vollständig -: Welche Vorstellungen haben Sie denn dazu? Wie soll das refinanziert werden?

Frau Dr. Pähle.

Vielen Dank. - Herr Gallert, ich mache keinen Hehl daraus, dass ich im Laufe meiner politischen Arbeit unterschiedliche Einstellungen zur Schuldenbremse hatte. Als sie eingeführt wurde, habe ich sie für richtig erachtet. Mittlerweile bin ich in diesem Punkt einer anderen Meinung.

Ich glaube, die Coronakrise ist der Moment, in dem man tatsächlich über die schwarze Null nachdenken muss. Wir erleben, wie rings um uns herum - mit Ausnahme Thüringens, wo es genügend Rücklagen gab, um einen Nachtragshaushalt von knapp 1 Milliarde € aufzulegen - andere Bundesländer diesen Weg über die Neuverschuldung gegangen sind.

Ich weiß, dass DIE LINKE an dieser Stelle ein großes Bekenntnis zu einer umfassenden Steuerreform fordert. Ich glaube, über viele Aspekte sind sich Ihre und meine Partei einig, aber für die Bereitstellung dieses Betrages werden wir darauf nicht vertrauen können. Ich glaube, dieses 2-Milliarden-€-Programm muss auch mit einer Neuverschuldung einhergehen, weil es in der kurzen Frist nicht anders zu refinanzieren ist. Diese Finanzmittel sind aber gut verwendet, wenn wir dadurch im kommunalen Bezug über die Verteilung von Aufträgen an kleine und mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe - im Bereich IT oder was man sich alles vorstellen kann - den lokalen Wirtschaftszusammenhang tatsächlich stärken

und dadurch auch wieder Steuereinnahmen generieren.

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Es gab noch eine weitere Wortmeldung, und zwar von Herrn Abg. Farle. - Sie haben das Wort. Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht. Die Kommunen sind weitgehend heruntergewirtschaftet worden. Man muss ganz klar die Ursache benennen. Die Ursache ist die Politik im Bund. Die entsprechenden Mittel, die die Länder brauchen und die die Länder wiederum an die Kommunen weitergeben, und die Mittel, die die Kommunen selbst akquirieren können, haben Ihre SPD und auch die CDU-Spitze in Berlin konsequent in andere Kanäle gelenkt. Es waren aber eben nicht die Kanäle, um die Kommunen ausreichend zu finanzieren. Das heißt, Ihre Partei ist genauso schuld wie die Spitze der CDU in der großen Koalition. Aber auch die Vorgängerregie

rung hat unser Land hinsichtlich dieser Situation vor die Wand gefahren.

(Zustimmung - Zuruf: Jawohl!)

Das muss man erst einmal ganz klar feststellen.

Im Übrigen werde ich in einem späteren Debattenbeitrag deutlich machen, warum dieser Lockdown überhaupt nichts gebracht hat und sinnlos gewesen ist. Sie haben jetzt unsere heimische Wirtschaft weitgehend zerstört, viele Existenzen zerstört und den Mittelstand angegriffen. Außerdem haben Sie die Zukunft unserer jungen Menschen mit diesem Lockdown weitgehend nach unten gebracht. Sie haben diese Krise einfach nur dafür genutzt, um durch die Erzeugung von Angst in der Bevölkerung Verständnis dafür zu bekommen, dass man eine solche Maßnahme, die gar nicht gerechtfertigt war, durchzieht. Darauf werde ich noch in meinem Redebeitrag eingehen, aber nicht jetzt.

Sie können das auch nicht, Ihre Redezeit ist beendet. Zwei Minuten sind um.