Protokoll der Sitzung vom 23.06.2020

(Zustimmung)

Die Bewertung der belastbaren Tatsache ist allein Aufgabe des Dienstherrn.

Ich warne auch davor zu behaupten, in unserem Justizvollzug würden massive strukturelle Probleme oder Chaos bestehen. Der Rechtsausschuss hat in der vergangenen Wahlperiode, übrigens auf Initiative der CDU-Fraktion hin, alle

Justizvollzugsanstalten im Land besucht und sich vor Ort ein eingehendes Bild über den Justizvollzug in Sachsen-Anhalt gemacht.

Wir haben gemeinsam mit der damaligen Ministerin, Frau Kollegin Kolb, Gespräche mit Bediensteten geführt und uns den Vollzugsalltag vorstellen lassen. Die Rechtspolitiker der Koalitionsfraktionen haben sogar die JVA Luckau-Duben besucht, bevor der Frauenvollzug von Sachsen nach Brandenburg verlegt worden ist.

Aus dem fernen Magdeburg ins Blaue hinein zu behaupten, an unserem Justizvollzug sei etwas faul, ist ein Schlag ins Gesicht der Vollzugsbediensteten, der Anstaltsleitung und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizministerium. Die Aufgabe des Justizvollzugs wird in Sachsen-Anhalt wie in jedem anderen Bundesland verantwortungsbewusst wahrgenommen.

Es kann auch nicht sein, dass sich Mitglieder dieses Hohen Hauses zu Rechtsexperten aufschwingen und gegenüber den Medien behaupten, dass sich der Justizvollzug in Sachsen-Anhalt im Fall Stephan B. über richterliche Maßgaben des zuständigen Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof hinweggesetzt und eigene Sicherheitsmaßnahmen ohne Absprache mit Karlsruhe verhängt habe. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf gegenüber den Bediensteten der Justiz in Sachsen-Anhalt, der rechtlich nicht haltbar ist.

Seit dem Jahr 2006 ist das Recht des Untersuchungshaftvollzugs ausschließlich eine Sache der Länder. Selbst für den Fall, dass der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof keine Anordnungen für Maßnahmen trifft, die den Zweck der Untersuchungshaft sichern sollen, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass die Anstalt keine eigenen Entscheidungen auf der Grundlage unseres Justizvollzugsgesetzbuches treffen darf, um zum Beispiel die Sicherung und Ordnung der Anstalt zu gewährleisten.

Darüber hinaus möchte ich beiläufig bemerken, dass Karlsruhe keinerlei Beschränkungen angeordnet hat. Wenn man das so übernommen hätte, dann wäre es erst recht zu dem Vorfall gekommen. Wir sollten also sehr vorsichtig sein, wenn wir im Parlament das Handeln anderer vorschnell bewerten. Auch das gebietet der Anstand.

Meine Damen und Herren! Kommen wir nun auf die Verantwortlichkeit am Ende der Verantwortungskette zu sprechen, auf die die heutige Debatte der LINKEN ja vordergründig abzielt. Meine Fraktion dankt Hubert Böning für seinen Dienst in Sachsen-Anhalt, nicht nur als Staatssekretär, sondern auch für seine vorhergehenden Verwendungen.

Herr Böning hat sich besonders in den Aufbaujahren um die Justiz in Sachsen-Anhalt verdient ge

macht. Aus der Sicht meiner Fraktion war die Personalentscheidung der Landesregierung, Herrn Staatssekretär Böning zu entlassen, aber unausweichlich.

Ganz unabhängig von der Frage, was nun der Amtschef über den zuständigen Abteilungsleiter angeordnet und kontrolliert hat und wie die Anstalt in Halle die Vorgaben umgesetzt hat oder hiervon abgewichen worden ist, hätte unserer Auffassung nach der Schwerpunktgefangenen Stephan B. gar nicht erst in die älteste Justizvollzugsanstalt im Land verbracht werden dürfen. Es ist eine Anstalt, die perspektivisch geschlossen werden soll, da sie nicht mehr den Vorgaben eines modernen Justizvollzugs entspricht.

Trotz der Vorgaben im Vollzugsplan und der örtlichen Zuständigkeit hätte dieser Schwerpunktgefangene bereits von vorneherein in der Anstalt in Burg untergebracht werden müssen, wo er jetzt ist. Die Anstalt in Burg ist für diesen Schwerpunktgefangenen aufgrund der hochmodernen baulichen Sicherung am besten geeignet.

Hinzu kommt nunmehr die räumliche Nähe zum Prozessort in Magdeburg. Die Familienbindung und eine örtliche Nähe hätten bei der Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfen. Die Unterbringung des Attentäters lag in der Verantwortung des Staatssekretärs.

Meine Damen und Herren! Man kann Frau Ministerin Keding und der Staatskanzlei zur Personalentscheidung, Herrn Dr. Molkenbur zum neuen Staatssekretär zu ernennen, nur beglückwünschen. Dr. Molkenbur ist ein exzellenter Jurist und bringt als ehemaliger vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht und als Lehrbeauftragter an der Universität Halle die jetzt notwendige Autorität und fachliche Expertise mit. Er genießt großen Rückhalt in meiner Fraktion und großes Ansehen in der Richterschaft.

Die Erwartung meiner Fraktion ist klar. Wir wollen, dass alle Beteiligten hinsichtlich der Unterbringung dieses Schwerpunktgefangenen hinreichend sensibilisiert sind. Darüber hinaus erwarten wir im Rechtsausschuss eine umfassende Ursachenanalyse in Bezug auf die Anstalt „Roter Ochse“ unter Einbeziehung unabhängiger Experten. Zur Wiederholung eines solchen Vorfalls, meine Damen und Herren, darf es nicht kommen. - Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Abg. Kolze. Ich sehe auch zu diesem Beitrag keine Wortmeldungen. - Nun hat das fraktionslose Mitglied Herr Abg. Diederichs die Möglichkeit zu sprechen. Kommen Sie langsam nach vorn. Das Rednerpult muss erst vor

bereitet werden. Ein Hinweis an Sie: Sie haben vier Minuten Redezeit zur Verfügung. Ich muss Sie unterbrechen, wenn Sie es nicht schaffen. Bitte, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schindler, Sie haben danach gefragt, ob die Personalausstattung genügend sei. Wer hatte, bevor Frau Ministerin Keding das Justizressort übernommen hat, die Justiz personell fast an die Wand gefahren? - Das waren Ihr Minister Herr Bullerjahn und Ihre damalige Justizministerin.

Frau Keding ist jetzt bemüht, bei der Einstellung von Personal wieder aufzuholen. Allerdings verlieren wir so viele, wie wir jetzt neu einstellen, durch den Eintritt in die Pension. Die Ursachen liegen also weitaus tiefer.

Die Entscheidung, den verantwortlichen Justizstaatssekretär zu entlassen, ist eine logische und richtige Konsequenz aus dem Desaster rund um die Vorgänge in der JVA „Roter Ochse“ am Pfingstsamstag.

Der Fluchtversuch von Stephan B. hat Schwächen bei der Umsetzung der vorgeschriebenen Sicherheitsvorschriften deutlich gemacht. Etwa eine Stunde nachdem ich von dem Vorfall gehört habe, habe ich mir umfänglich Insiderwissen zugeeignet und wusste was dort abging, um es einmal so zu sagen.

Die Unzulänglichkeiten in der JVA Halle, aber auch im Justizministerium haben ihre Ursache in gekränkten Eitelkeiten, fachlicher Selbstüberschätzung, Gleichgültigkeit, Routine und gewissen Machtspielchen auf der unteren Führungsebene.

Ein Hinweis an den neuen Staatssekretär. Ich würde mir wünschen oder empfehle es Ihnen: Besuchen Sie bitte alle Anstalten, damit Sie, wenn einmal etwas passiert, auch wissen, wo was ist. Das hat Ihr Vorgänger anscheinend nicht richtig gemacht.

Wer jetzt immer noch den Rücktritt der Justizministerin wegen eines gescheiterten Fluchtversuches im Roten Ochsen fordert, sollte dieselbe Messlatte beim Sozialministerium ansetzen, das in den letzten vier Jahren rund ein Dutzend vollendeter Fluchten aus dem Maßregelvollzug zu verantworten hatte.

Ich habe eigene Recherchen angestellt. Seit Juni 2016 waren es so viele, dass ich bei der Zahl Elf aufgehört habe zu zählen. Ich habe, ehrlich gesagt, langsam die Nase voll.

Offenbar hat man sich an diese ständig wiederkehrenden Fluchtnachrichten aus dem Maßregelvollzug inzwischen gewöhnt wie an eine lapidare

Staumeldung aus dem Verkehrsfunk. Sonst hätte es seitens der Parlamentarier oder einzelner Fraktionen des Landtages einmal eine Aktuelle Debatte oder gar Rücktrittsforderungen an die politisch verantwortliche Ministerin gegeben. Das scheint aber im Hohen Haus niemanden wirklich zu interessieren.

Wenn jetzt einige immer noch den Rücktritt von Frau Keding fordern, den ich nicht fordern werde - im Gegenteil, ich werde Frau Keding unterstützen -, fordere ich hiermit den Rücktritt von Frau Grimm-Benne.

Tatsächlich gelang die letzte Flucht aus dem Roten Ochsen im Juni 2004. Seitdem ist kein Gefangener mehr aus dem Roten Ochsen entwichen, nur um es hier einmal festzuhalten. Wenn jetzt jemand sagt, das ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen, dann sage ich: Nein, das ist es nicht. Im Maßregelvollzug sitzen genau solche Schwerstkriminellen wie in einer JVA. Dort sollten dieselben Sicherheitsmaßstäbe gelten wie in einer JVA. - Ich bedanke mich.

(Zustimmung)

Ich sehe auch hierzu keine Wortmeldungen. Zum Schluss hat die Abg. Frau von Angern noch einmal die Möglichkeit, ein paar Worte zu sagen. - Noch nicht! Es ist noch nicht desinfiziert.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ich habe jetzt allen noch einmal gezeigt, wie man es nicht macht!)

Sie können jetzt reden. Bitte, Frau von Angern.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich danke für die sachorientierte Debatte zu dem Vorfall. Ich möchte nur kurz sagen: Allein für die umfassende Selbstverpflichtung, die die Ministerin hier heute abgegeben hat bzw. für die wiederholten Entschuldigungen für das, was geschehen ist, hat sich die Debatte gelohnt, auch angesichts der Tatsache, dass der Ministerpräsident weiterhin zu diesem Thema schweigt. Auch das nehmen wir interessiert zur Kenntnis.

Herr Kolze, Sie haben in Ihrem Redebeitrag einen Schwenk hinbekommen. Zu Beginn haben Sie infrage gestellt, wieso wir hier überhaupt darüber reden müssen. Aber dann haben Sie selbst doch die Punkte genannt, weshalb wir hier darüber reden müssen.

Es ist gut und richtig, dass wir im Fachausschuss darüber diskutieren, wie die Situation im Strafvollzug ist. Es ist aber auch wichtig, das in das Hohe Haus hineinzutragen. Denn das muss man doch ganz klar sagen: Gefangene und der Straf

vollzug haben keine Lobby. Wir mussten anhand der Vorgänge, die wir in den letzten Wochen diskutiert haben, feststellen, dass die Lobby im eigenen Haus, also im Ministerium für Justiz und Gleichstellung, auch nicht sehr groß ist.

Die Ministerin hat tatsächlich - das muss man so sagen - in den Haushaltsberatungen erstmalig - Frau Kolb hat damals davon geträumt - Geschenke in Form von Personalstellen bekommen. Aus meiner Sicht wären die schon viele Jahre vorher erforderlich gewesen, weil viele Probleme, die wir hier haben, hausgemacht sind.

Aber, Frau Ministerin, seit dem Jahr 2016 tragen Sie die Verantwortung. Ich erwarte, dass Sie zu dieser Verantwortung stehen und sie eben nicht nach unten abgeben, sondern ganz selbstbewusst in die Hand nehmen und gemeinsam mit uns als Rechtsausschuss und gern auch gemeinsam mit den demokratischen Fraktionen im Parlament eine Bestandsaufnahme vornehmen: Wie sieht es in unseren Strafvollzuganstalten aus? Wie sieht es mit dem Thema Resozialisierung aus? Wie setzen wir das Justizvollzugsgesetzbuch um?

Das muss eine ehrliche Debatte sein. Am Ende müssen wir gemeinsam die Forderungen an einen modernen Strafvollzug aufstellen, den wir dringend in Sachsen-Anhalt brauchen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau von Angern. Auch hierzu sehe ich keine Wortmeldungen.

Beschlüsse zur Sache werden gemäß § 46 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages nicht gefasst. Damit ist der erste Tagesordnungspunkt beendet und wir nehmen einen Wechsel vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir fahren fort mit dem

Tagesordnungspunkt 2

Beratung

Situation des Rettungsdienstes in SachsenAnhalt