Protokoll der Sitzung vom 25.11.2016

Bürokratieabbau selber aber muss auch mit Augenmaß und unter Berücksichtigung aller Fakten erfolgen. Man muss übrigens auch einmal klarstellen, dass staatlich vorgegebene Regelungen natürlich auch schützenswerten Zielen dienen. In der Tat finden sich im Antrag der Koalition ein paar Punkte, die Bürokratieabbau in kleinen Schritten ermöglichen. Aber es gibt natürlich eine Menge an Fragen und aus unserer Sicht auch eine Menge an Problemstellen.

Die Punkte Verwaltungsmodernisierung, Bürgerfreundlichkeit und den Bürokratieabbau für zivilgesellschaftliche Träger teilen wir ausdrücklich. Allerdings lehnen wir die Vorstöße der CDU ab, vor allem wenn sie in Richtung von Aufweichung von Dokumentationspflichten beim Mindestlohngesetz gehen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Ulrich Tho- mas, CDU: Schade!)

- Das finde ich nicht, Herr Thomas, denn das hat seinen guten Zweck.

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode wurde immer das Mantra vor sich hergetragen, keine Standards für Unternehmen zu erhöhen. Unter anderem gab es auch einen Antrag zu einem Moratorium für Standards. Es bleibt aber immer offen, was damit eigentlich gemeint ist. Im Antrag selber heißt es unter anderem: „Bestehende und neue europäische Standards, Gesetze, Verordnungen sowie Rechtsvorschriften grundsätzlich nur eins zu eins umsetzen.“

Damit würde man die Landesregierung letztendlich auffordern, jeglichen Ermessensspielraum zugunsten zum Beispiel von Verbraucherschutz oder strukturellen regionalen Besonderheiten bei der Umsetzung von Bundesgesetzen oder europäischen Richtlinien zu unterlassen.

(Ulrich Thomas, CDU: Richtig!)

EU-Verordnungen müssen übrigens - das wissen Sie sicherlich - ohnehin eins zu eins umgesetzt werden.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Sie können noch was draufsatteln, wenn Sie wollen!)

Wenn wir nur noch Bundes- und Europarecht eins zu eins umsetzen sollen oder müssen, könnten wir im Übrigen den Landtag an sich gleich auflösen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Prüfauftrag legt allerdings auch nahe, dass zum Beispiel das Vergabegesetz von der Koalition nicht unbedingt verbessert werden soll, sondern die eh schon sehr vagen sozialen und ökologischen Kriterien, die dort vorhanden sind, wieder abgeschafft werden sollen.

(Zuruf von Ulrich Thomas, CDU)

Übrigens hätte die Landesregierung doch schon längst handeln und den Bürokratieabbau vorantreiben können. Man hat aber eher das Gefühl, unterhält man sich mit Fördermittelempfängern bei EU-Maßnahmen oder auch zivilgesellschaftlichen Trägern in Sachsen-Anhalt, dass die Bürokratie noch zugenommen hat.

Wir halten, wie in dem Antrag gefordert, eine Evaluierung der Antragsverfahren in allen Bereichen, nicht nur in der Wirtschaftsförderung, für sinnvoll. Auch feste und transparente Fristen und die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen und Antragsverfahren sind zielführend.

Allerdings fordern wir auch von der Verwaltung, Hemmnisse und unnötige bürokratische Verfahren zu benennen bzw. diese zu ermitteln, und das Ganze bitte ohne externe Gutachter.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Aber das sind alles keine neuen Sachen. One-inone-out soll nun die große Erleichterung sein oder werden.

(Ulrich Thomas, CDU: Ein Teil davon, nicht d i e ! Nur ein Teil!)

- Da sind wir aber eher skeptisch, Herr Thomas.

(Ulrich Thomas, CDU: Schade!)

Es muss dennoch in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine Richtlinie oder ein Gesetz veraltet ist und ersetzt oder gar außer Kraft gesetzt werden kann. Das Problem wird eher sein, das Personal in den Ministerien für diese Aufgabe abzustellen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Sie machen es lieber gar nicht!)

Da sind wir wieder bei der Krux, dass ausreichend Personal es erst gar nicht zu langen Antragsbescheidungsfristen kommen lassen würde. Herr Hövelmann hat es auch erwähnt.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Alles klar!)

Auch den Übergang vom Antrags- zum reinen Anzeigeverfahren sehen wir eher verhalten. Hier gilt es immer, den Nutzen der Allgemeinheit mit dem Aufwand des Antragstellers abzuwägen. Verbraucherschutz und Kontrollmechanismen, die vor Betrug usw. schützen, sollten nicht geschwächt werden.

Letztendlich würden wir es begrüßen, wenn wir über die Einzelpunkte in den Ausschüssen beraten würden. Sie haben schon gesagt: federführend im Ausschuss für Wirtschaft Wissenschaft und Digitalisierung. Das begrüßen wir. Wir würden aber gerne noch den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung damit beauftragen, wenn das möglich ist.

Sollten Sie aber trotzdem auf die Idee kommen, über den Antrag jetzt abstimmen zu lassen, beantrage ich hiermit schon einmal die Einzelabstimmung der genannten elf Punkte. - Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Höppner, ich habe Sie richtig verstanden: Sie beantragen die Überweisung des Antrags in den Wirtschafts- und in den Rechtsausschuss?

Okay. Danke. - Dazu gibt es keine Nachfragen mehr. - Jetzt hat Herr Meister von der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bürokratie wird häufig als eine Geißel unserer Zeit beschrieben. Wer schon einmal versuchen

musste, den behördlichen Wissensdurst mittels eines Formulars zu stillen oder gar neugierigen Statistikern in die Hände gefallen ist, kommt um eine gewisse kritische Würdigung des Phänomens nicht umhin. Aber natürlich ist das zu kurz gedacht.

Als transparentes und geordnetes Verfahren zur Abwicklung betrachtet, soll die Bürokratie einerseits Verwaltungsvorgänge vereinfachen und andererseits die einheitliche Einhaltung bestehender Anforderungen und Regeln sicherstellen. Die Erstellung eines Erfassungsbogens wird so zu Recht an den Hochschulen für Verwaltung wissenschaftlich bearbeitet.

Die praktische Umsetzung der Verwaltungstätigkeit erfolgt nicht beliebig oder willkürlich, sondern anhand von Vorschriften, Vorgaben und verbindlichen Formen. Willkommen im funktionierenden Rechtsstaat, willkommen damit aber auch in der Bürokratie.

Dass das Ganze eine Gratwanderung ist, hat gerade das Beispiel des Kollegen Thomas mit der Schnullerkette gezeigt. Auf 54 Seiten kann man das nachvollziehen, das sieht sehr bürokratisch aus. Es muss einem natürlich klar sein, so eine Schnullerkette ist lebensgefährlich, wenn damit etwas nicht stimmt. Insofern kann man sich vorstellen, dass es vielleicht

(Ulrich Thomas, CDU: Auf 40 Seiten!)

die Anforderung an den Schnullerkettenhersteller wäre, sich die 54 Seiten durchzulesen, bevor er so etwas macht. Da ist vielleicht etwas dran. Das ist eine Gratwanderung, das kann ins Absurde umschlagen, kann aber auch sinnvoll sein, weil aus jedem tragischen Fall natürlich Erfahrungen erwachsen, die so in eine Form gegossen werden.

Den Mehrwert dieses bürokratischen Systems aber zu schärfen hat sich der Antrag der Koalitionsfraktionen zum Ziel gesetzt. Im Dialog Schwächen aufzuspüren und Berichtspflichten zu straffen, Fristen für Bearbeitungen, Fristen bei der Geltungsdauer von Regelungen zu setzen und die Verwaltung ins E-Government überzuleiten, ist richtig.

Der Antrag gibt dazu den Anstoß, die Verfahren kritisch zu betrachten und zu prüfen. Ich will an die Adresse der LINKEN sagen: Es ist ein Prüfauftrag. Zur Setzung neuer Vorschriften haben wir uns zur Prüfung einer grundsätzlichen Herangehensweise entschlossen, wonach wir im Grundsatz in Sachsen-Anhalt auf europäische Regelungen nicht noch aufsatteln wollen.

Es bleibt aber auch weiterhin die Möglichkeit - das sagt das Wort „grundsätzlich“ aus -, in speziell gelagerten Fällen auch spezielle Regelungen für Sachsen-Anhalt zu schaffen. Wo ein Bedarf festgestellt wird, kann und muss auch zukünftig gehandelt werden.

Mit der One-in-one-out-Regel haben wir uns aber selbst das Ziel gesetzt, die Summe der Regeln nicht zu erhöhen. Wir setzen damit einen Deckel auf die Regelungsdichte. Das stärkt die Bürokratie als geordnetes Verfahren und hoffentlich auch das Vertrauen in diese Art der legalen Herrschaft rationalen Verwaltungshandelns, wie es Max Weber sagen würde.

Für uns Bündnisgrüne möchte ich insbesondere die letzten beiden Punkte des Antrags betonen. Der digitale Wandel kann auch der Verwaltung zu einem neuen Aufbruch verhelfen, wenn wir ihn offensiv dafür nutzen. Mit E-Government muss das Aufeinandertreffen von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen mit der Verwaltung zum Gegenteil des Ziehens einer Wartenummer werden.

Der Online-Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen ist nicht nur in ländlichen Regionen für die Nutzenden komfortabler, da ortsungebunden, sondern auch unabhängig von Öffnungszeiten. Er trägt darüber hinaus auch noch dazu bei, die Kosten öffentlicher Verwaltung zu senken.

In Sachsen-Anhalt müssen wir dafür zügig die zwölf von der EU-Kommission definierten öffentlichen Basisdienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger online verfügbar machen. Von der Beantragung von Personaldokumenten bis zur Einschreibung an einer Sekundarschule brauchen wir durchgehend online-gestützte Verwaltungsverfahren.

Der Bürger- und Unternehmensservice auf den Seiten des Landesportals gibt leider noch viel zu oft nur eine Auskunft über Adresse und Öffnungszeit des zuständigen Amts. Ebenso verhält es sich leider bei den acht von der EU definierten öffentlichen Online-Dienstleistungen für Unternehmen.

Während dieser Antragspunkt die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen fokussiert, stellt der letzte Punkt des Antrags, nämlich die Evaluierung der Antragsformalitäten zur Nutzung der Förderprogramme in Sachsen-Anhalt als Prüfauftrag, noch einen weiteren Bereich fest. Bei den Antragsformalitäten zur Nutzung von Förderprogrammen des Landes sehen wir Handlungsbedarf. Dieser zieht sich durch die auf die Wirtschaft ausgerichteten Programme ebenso wie durch die Förderprogramme im sozialen und kulturellen Bereich.

Eine Antragstellung darf keine so hohe Schwelle sein, dass sie die potenzielle Zielgruppe von einer

Antragstellung abschreckt. Es wird aber leider noch zu häufig berichtet, dass die Antragstellenden sich bei Beantragung und Abwicklung von Förderprogrammen einem zu erbringenden Aufwand gegenübersehen, der in keinem sinnvollen Verhältnis zur Fördersumme steht. Manchmal habe ich den Eindruck, es ist gerade umgekehrt: Je geringer die Summe ist, umso aufwendiger wird es.