Bevor Herr Hövelmann für die SPD-Fraktion die Debatte fortsetzt, begrüßen wir ganz herzlich Damen und Herren der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt aus Aschersleben auf der Besuchertribüne.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag für die laufende Wahlperiode haben CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Folgendes vereinbart - Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren -:
„Wir werden für eine mehrheitsfähige Bundesratsinitiative eintreten, die eine Rücknahme der Vorveranlagung der Sozialversicherungsbeiträge zum Ziel hat.“
Die Formulierung geht auf einen Vorschlag der CDU zurück. In Umsetzung des Koalitionsvertrages bringen wir diesen Antrag heute gemeinsam ein, wie sich das in einer Koalition gehört.
Die SPD, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt von einer anderen Position. Für echte Entbürokratisierung haben Sie uns immer an Ihrer Seite. Für uns ist es jedoch genauso wichtig, Liquidität und Rücklagen der gesetzlichen Sozialversicherung nicht zu gefährden. Die Historie wurde angesprochen. Herr Thomas hat deutlich darauf hingewiesen, wie der wirtschaftliche Zusammenhang im Jahr 2005 zur Gesetzesänderung ist.
Ich will daran erinnern, dass der Bundesgesetzgeber gleichzeitig den Zahlungszeitpunkt der Rente an die Rentnerinnen und Rentner nach hinten verschoben hat. Wurde früher die Rente am Ersten des Monats gezahlt, wird sie seitdem am 30. des Monats rückwirkend gezahlt.
Wir erinnern uns auch daran, dass die öffentlichen Haushalte es notwendig gemacht hatten, dass damals die Tarifvertragsparteien vereinbart haben,
auch die Lohn- und Gehaltszahlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund, Ländern und Gemeinden vom 15. des laufenden Monats auf den 30. des laufenden Monats zu verschieben.
Dies alles sollte Liquidität in die gesetzliche Sozialversicherung und in die öffentlichen Kassen bringen. Das hat es auch erreicht. Wir haben damit eine zugegebenermaßen ausgesprochen schwierige wirtschaftliche Situation in Deutschland überstehen können.
Deshalb ist es wichtig, genau abzuwägen, ob es richtig und verantwortbar ist, auf den alten Rechtsstand zurückzugehen.
Herr Minister Willingmann hat deutlich gemacht, dass im Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz bereits Vorschläge enthalten sind, wie die bürokratischen Hemmnisse, die das Gesetz damals für den Mittelstand gebracht hat, minimiert oder möglicherweise auch ganz abgebaut werden können, um damit wieder Liquidität in Handwerk und Gewerbe zu bringen.
Es muss Aufgabe unserer Landesregierung im Bundesrat sein, ein Auge darauf zu haben, darüber zu wachen, dass die Interessen, die wir mit diesem Antrag verfolgen, in dem Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz mit berücksichtigt werden.
Eine Rückverlagerung der Fälligkeit vom Beginn zum Ende des Monats würde keinen relevanten Bürokratieabbau mit sich bringen, würde aber natürlich mehr Liquidität in die Unternehmen bringen. Das ist klar.
Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir eine mehrheitsfähige Bundesratsinitiative unterstützen wollen, damit genau das erfolgt, was mein sehr geehrter, geschätzter Herr Kollege Thomas und Minister Willingmann gesagt haben, nämlich dass wir es schaffen, eine gesetzliche Regelung mit Mehrheit durch den Bundesrat und perspektivisch dann auch durch den Bundestag zu bekommen und nicht etwas Gutes wollen, aber am Ende keine Mehrheit bekommen. Dann haben wir am Ende auch nichts gekonnt.
Insofern ist das der Inhalt unseres Antrages. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag der Koalitionsfraktionen. - Herzlichen Dank.
Wir setzen die Debatte mit dem Abg. Herrn Meister von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. - Nein, Entschuldigung, mit Herrn Höppner. Ich war jetzt ein bisschen zu stark beschleunigt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es schon gehört: Bereits im April 2013 wurde über die Rücknahme der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge hier im Landtag auf Antrag der damaligen Regierungskoalition der CDU und der SPD debattiert. Wie Ihnen dazu sicherlich auch bekannt ist, hatten damals CDU und FDP in der Bundesregierung das Sagen und hätten das sicherlich damals schon irgendwie durchbekommen.
Soweit es mir bekannt ist, regieren seit Ende 2013 bis jetzt CDU und SPD im Bund und auch hier in Sachsen-Anhalt. Auch im Bundesrat gibt es sicherlich eine Mehrheit - na gut: mit leichten grünen Anstrichen -, die der Sache zugestimmt hätte. Ich frage mich schon, was denn in den letzten drei, vier Jahren passiert ist, was Sie wirklich in den letzten Jahren getan haben, um das zu ändern.
Zumindest in dieser Angelegenheit haben Sie nicht viel getan, außer dass das sogenannte erleichterte Beitragsberechnungsverfahren nunmehr auf alle Unternehmen angewendet werden soll bzw. kann. Das verspricht - das haben wir schon gehört - zumindest erst einmal eine Entlastung für die Unternehmen von rund 65 Millionen € jährlich.
Ich möchte aber noch einmal hervorheben: 2013 war Bundestagswahljahr. Jetzt, im Bundestagswahljahr 2017, stellen Sie just und zeitgleich einen ebensolchen Antrag. Dazu sage ich einmal ganz klar: Das riecht schon ein wenig nach Wahlkampf.
Meine Damen und Herren! Der Nationale Normenkontrollrat hat sich sehr lange und sehr intensiv mit der Thematik befasst. Eben jener Bericht, auf den Sie sich auch beziehen, kommt gleich im Vorwort zu folgendem Ergebnis bzw. folgender Feststellung. Ich zitiere:
„Es gibt Themen, die beschäftigen einen länger als andere. Es bedarf einer ordentlichen Portion Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft, um auch solche Themen anzugehen und letztendlich zum Erfolg zu führen. […]
Das Thema Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge ist hierfür ein Beispiel. Kaum ein Thema begleitete den NKR so anhaltend - quasi von seiner Geburtsstunde an. Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft haben sich gelohnt. Die ‚Dauerbaustelle‘ Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge konnte nun geschlossen werden. Zahlen über den tatsächlichen Aufwand liegen auf dem Tisch, Alternativen wurden betrachtet.“
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass natürlich auch wir anerkennen, dass durch die vorfristige Bearbeitung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge den Unternehmen hohe Kosten und ein hoher bürokratischer Aufwand entstehen. Dennoch sind wir der Auffassung, dass wir in einem Sozialstaat leben und jeder seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung desselben zu leisten hat.
Wenn die Unternehmen nach einer eventuellen vollständigen Rücknahme der Vorfristigkeit der Sozialversicherungspflicht um rund 1,46 Milliarden € entlastet werden bzw. mehr Liquidität zurückerhalten, dann kann man auch wieder die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei der Berechnung der Krankenkassenbeiträge beseitigen. In diesem Fall muss endlich wieder Parität hergestellt werden.
Ebenso diskutierten wir heute schon über die längst überfällige Rentenanpassung Ost-West und das Problem der zu hohen Krankenversicherungsbeiträge von Soloselbstständigen. Auch diesbezüglich könnte man zeitgleich handeln und unterstützen. Aber daran ist Ihnen scheinbar nicht gelegen, wie wir heute bedauerlicherweise sehen mussten.
Um das noch einmal zu verdeutlichen: CDU und SPD regieren hier in Sachsen-Anhalt und im Bund. CDU und SPD hätten seit 2013 genügend Zeit gehabt, um dies umzusetzen. Aber scheinbar haben Sie bis heute bei diesem Thema geschlafen. Nun, kurz vor der Bundestagswahl 2017, schrecken Sie aus Ihrem Tiefschlafmodus. Der ganze Vorgang ist somit etwas unglaubwürdig und schadet letztendlich Arbeitnehmern, Arbeitgebern bzw. allen betroffenen Unternehmen. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis 2006 war es grundsätzlich möglich, die Sozialversicherungsbeiträge bis zum 15. des Folgemonats zu entrichten. Im Jahr 2005 kam dann die Neuregelung, mit der seit dem 1. Januar 2006 Unternehmen dazu verpflichtet sind, die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten spätestens zum drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats abzuführen. Wir haben es bereits gehört.
Unternehmen ohne abschließende Abrechnung des laufenden Monats müssen somit die voraussichtlichen SV-Beiträge schätzen und abführen
Dies betrifft rund 1,9 Millionen Unternehmen mit mindestens einem bzw. einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Damit wurde diesen Unternehmen ein erheblicher zusätzlicher bürokratischer Aufwand zugemutet, der berechtigterweise schon damals auf deutliche Kritik traf.
Auf diese Kritik wollte die Bundesregierung schon im September 2006 mit dem Ersten Mittelstandentlastungsgesetz reagieren. Es folgte ein erleichtertes Beitragsberechnungsverfahren für Unternehmen mit starker Fluktuation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder variablen Lohnmodellen. Die weiteren Details möchte ich uns hier jetzt ersparen. Für alle anderen Unternehmen sind jedoch weiterhin Schätzungen nötig.
Interessant für unsere durch kleine und mittelständische Unternehmen geprägte Wirtschaft im Land ist, dass kleinere Unternehmen durch die Berechnung und Meldung der Sozialversicherungsbeiträge stärker belastet sind als größere wirtschaftliche Einheiten. Die Belastung für kleine Betriebe ist mehr als doppelt so hoch.
Vor diesem Hintergrund haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir für eine mehrheitsfähige Bundesratsinitiative eintreten, die eine Rücknahme der Vorveranlagung der Sozialversicherungsbeiträge zum Ziel hat. Wir wollen eine Lösung des Problems. Daran arbeiten wir, wie aktuell auch die Fachausschüsse des Bundesrates. Die genaue Ausgestaltung ist offen.
Was ich vonseiten unserer Fraktion sagen möchte: Eine Erhöhung der Beiträge aufgrund dieser Maßnahme darf es jedoch nicht geben.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die gesetzliche Ausweitung des sogenannten erleichterten Beitragsberechnungsverfahrens auf alle Unternehmen in das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie initiierte Zweite Bürokratieentlastungsgesetz aufnehmen lassen, welches sich gerade in den Ausschüssen des Bundesrates befindet. Es sieht eine Ausweitung des erleichterten Beitragsberechnungsverfahrens auf alle Unternehmen für Staat, Einzugsstellen und Unternehmen vor. Minister Willingmann ist auf diese Initiative eingegangen.
Ob dieses Vorhaben unserem Ziel, das wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hinreichend gerecht wird, bleibt abzuwarten. Minister Willingmann hat, wie ich meine, den Arbeitsauftrag, den wir als Koalitionsfraktionen heute hier mit dem Antrag erteilen möchten, zutreffend zusammengefasst. - Ich bitte in diesem Sinne um Zustimmung zu dem Antrag.