Protokoll der Sitzung vom 21.06.2017

Dann können wir die Debatte abschließen mit dem Redebeitrag der Eva von Angern für die Fraktion DIE LINKE.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte nur auf ein paar Dinge eingehen, die in der Debatte gesagt worden sind. Zunächst, Herr Willingmann, das ist immer das Schöne mit Zahlen - das tun wir auch als Opposition -, je nachdem, wie es passt, so werden sie verwendet.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Was? - Sebas- tian Striegel, GRÜNE: Den Spruch merken wir uns!)

Natürlich kann man eine relative Absenkung erkennen. Aber das entscheidende Moment ist: Die absoluten Zahlen sind eben stetig gleich geblieben, und das seit vielen Jahren. Wir reden hierbei über 74 560 Kinder und Jugendliche. Das sind, um sich das vorzustellen, mehr Kinder und Jugendliche, als in Magdeburg leben; das ist eine Kleinstadt. Das ist ein Riesenproblem für Sachsen-Anhalt. Ich habe aber wahrgenommen, dass die Fraktionen dieses Problem hier aufgenommen haben.

Ich möchte diese 74 560 einmal auf einen individuellen Fall herunterbrechen. Das ist etwas, was mich jedes Jahr wieder bewegt. Ich durfte für meine Fraktion viele Jahre in der Verteilerkommission für den Soli-Fonds sitzen - Sie alle kennen den -, wo wir unsere Diäten hineinspenden,

(Siegfried Borgwardt, CDU: Teile!)

- Teile der Diäten - und sehr viele soziale Projekte, aber auch individuelle Unterstützungen realisieren. In jedem Frühjahr kam die Anfrage einer alleinerziehenden Mutter mit der Bitte, ihr finanzielle Unterstützung für die Ferienfreizeit ihrer Tochter zu gewähren.

Jetzt kommt das entscheidende und aus meiner Sicht menschenunwürdige Moment: Sie bat uns, dieses Geld direkt an den Träger, der die Ferienfreizeit durchgeführt hat, zu überweisen; denn wenn wir es ihr direkt überwiesen hätten - Sie alle wissen, was dann passiert -, wäre es angerechnet

worden und das Mädchen hätte nicht in die Ferienfreizeit fahren können.

(Birke Bull-Bischoff, DIE LINKE: Das ist ab- surd!)

Ganz ehrlich, meine Damen und Herren, das geht gar nicht, das ist indiskutabel, das ist menschunwürdig und es hat nichts mit Kindeswohl zu tun.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Se- bastian Striegel, GRÜNE und von Tobias Krull, CDU)

Herr Krull, Sie sagten, immer mehr Geld sei auch nicht das Allheilmittel. Darin gebe ich Ihnen absolut recht. Aber genau deshalb haben wir einen solchen Armutscheck angeregt.

Ich nehme nur ein Beispiel, die Erhöhung des Kindergeldes; das ist hier auch angesprochen worden. Wo kommt denn dieses viele Geld - es ist sehr viel, was der Bund zur Verfügung gestellt hat, um das Kindergeld zu erhöhen - an? - Bei Ihren Kindern und bei meinen Kindern. Aber nicht bei den Kindern und Jugendlichen, über die wir hier reden. Das ist ein Problem.

Deshalb muss man schauen, wohin welches Geld fließt und wo vermeintlich gut Gewolltes tatsächlich auch Gutes bringt. In dem Fall hat es das nicht getan. Also, vieles, was in die Familienförderung hineinfließt, kommt bei diesen Kindern und Jugendlichen nicht an.

Frau Lüddemann, wenn ich es einmal kurz fasse, bedeutet das: Eine gute Sache wird zur schlechten Sache, wenn Zeiten des Wahlkampfes sind. - Wir haben immer überall irgendwelche Wahlen. Das Netzwerk gegen Kinderarmut wird sich mit Kommunalpolitik, mit landespolitischen, mit bundespolitischen Themen befassen. Insofern finde ich es gut, dass es viele nicht so gesehen haben.

Ich finde es auch gut, dass Ihre Partei das nicht allumfänglich so sieht und dass wir uns gemeinsam dieses Themas annehmen. Das macht auch Sinn, weil wir daran tatsächlich gemeinsam arbeiten müssen.

Im Übrigen, Herr Steppuhn, haben Sie Ihre Kollegin falsch verstanden. Das kann ich noch einmal richtigstellen.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ich habe nur das Bündnis bewertet!)

In dem Fall verwende ich auch an dieser Stelle den Begriff des Armutszeugnisses. Ihr Spitzenkandidat ist in den Wahlkampf unter dem Siegel der sozialen Gerechtigkeit eingetreten. Das kann man unterschiedlich bewerten.

(Zuruf von der AfD)

Aber was, wenn nicht das Thema Kinderarmut, gehört zu dem Thema soziale Gerechtigkeit?

(Beifall bei der LINKEN)

Wann, wenn nicht in Zeiten des Wahlkampfes, muss man dieses Thema auch bearbeiten? Die Menschen müssen sich doch auch entscheiden können, wen sie wählen. Daran wird sich das festmachen.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Ganz zum Schluss. Zum Redebeitrag der AfD fiel mir ein Post ein, den ich mal bei Facebook gesehen habe und den ich ganz entzückend fand, weil er in seiner Aussage so ganz eindeutig war. Da wurde ein Kind gefragt: Wie viele Ausländer gab es an deiner ehemaligen Schule?

(Oliver Kirchner, AfD: 90 %!)

Das Kind guckte verblüfft und sagte: Gar keine; alles nur Kinder.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau von Angern, ich habe zwei Wortmeldungen vorliegen, zum einen von Herrn Farle und zum anderen von Herrn Philipp. - Herr Farle, Sie haben das Wort.

Es handelt sich nur um eine Kurzintervention. - Ich kann Ihrer Auffassung vollständig folgen; die Kinderarmut muss ein Thema im Wahlkampf sein. Denn Wahlkämpfe sind dazu da, die Probleme und Sorgen, die die Menschen haben, sichtbar zu machen und Konzepte vorzustellen, die dazu beitragen, dass es vorwärts geht und besser wird in unserem Land. Dabei muss es dann den Wettbewerb um die besten Ideen geben und darum gehen, wie man diese auch realisiert.

Dazu fällt mir auch die Tatsache ein, dass die AfD eine Partei ist, die neu in diesem Parlament ist. Wahrscheinlich hatten alle diejenigen, die die Situation in unseren Städten und Gemeinden mit zu verantworten haben, die schon seit zehn oder 20 Jahren in diesem Parlament sitzen, sehr viele Möglichkeiten und Gelegenheiten, das zu verhindern, was wir jetzt beklagenswerterweise in den Kommunen und überall feststellen, nämlich die Kinderarmut. Hinzu kommt auch noch die Altersarmut.

Ich frage mich, wie es möglich ist, dass einerseits ab und zu mal bei einer solchen Diskussion alle sagen, wir wollen etwas für die Kinder tun, und wir andererseits feststellen, dass seit vielen Jahren eigentlich gar nichts passiert.

(Zuruf von Silke Schindler, SPD)

Denn das, was passiert, hat die Zunahme der Armut nicht verhindert. Vielmehr ist die Kinderarmut in den letzten Jahren immer weiter angestiegen.

(Andreas Steppuhn, SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Dann fällt mir noch ein, dass das Land SachsenAnhalt in der Wirtschaftspolitik Schlusslicht ist und dass wir in der Vernichtung von Arbeitsplätzen sehr forsch vorgehen wollen, indem die Braunkohle irgendwann ganz abgehängt wird, und zwar sehr schnell. Davon werden 10 000 Arbeitsplätze betroffen sein.

(Zuruf von Bernhard Bönisch, CDU)

An vielen Punkten haben wir eine negative Entwicklung in diesem Land eingeschlagen - Sie können rummosern, wie Sie wollen - -

Herr Farle, zwei Minuten sind vorbei.

- Genau, ich bin auch am Ende. - Ich will nur darauf hinweisen, dass die Schuld an der ganzen Entwicklung, meine Damen und Herren, die etablierten Parteien tragen und sonst niemand.

(Beifall bei der AfD - Zurufe von der AfD: Jawohl! - Zuruf von Bernhard Bönisch, CDU)

Frau von Angern, Sie können, aber Sie müssen nicht antworten. - Dann könnte der Kollege Philipp sprechen. Bitte.

Zunächst einmal vielen Dank dafür, Frau von Angern, dass Sie das Thema so sachlich und emotionslos herübergebracht haben. Das dient manchmal der sachlichen Debatte zu einem solchen Thema.

Nun kann man Statistiken teilweise so interpretieren, wie man das möchte. Ein Mittelwert ist dadurch charakterisiert, dass tendenziell jeweils 50 % der Werte darüber und darunter liegen. Wenn man sich den Medianwert, der diese Mitte signalisiert, anschaut, interpretiere ich es so, dass 20 % der Kinder in Familien leben, die weniger als 60 % des medianen Einkommens zur Verfügung haben. Es zieht sozusagen in die Richtung des Medians, wenn man die Verteilung betrachtet.

Es ist natürlich immer noch schlimm, dass 20 % der Kinder von Armut betroffen sind. Aber die Tendenz, wenn man es so interpretiert, geht zumindest in die richtige Richtung, sozusagen in die Mitte. - Das zur Statistik.

Sie reden in diesem Zusammenhang immer viel von Umverteilung. Sie haben angesprochen, dass das Geld die Kinder nicht erreicht. Sie machen in einem zweiten Satz auch immer das Thema Reichensteuer auf und ziehen auch dabei eine soziale Linie - die Reichen und die Armen. Wie kann das denn sein?

Erklären Sie mir einmal, wie Sie nur durch Umverteilung oder durch das Wegnehmen auf der einen Seite den Kindern, die in sozial schwachen Familien leben und die von Armut bedroht sind, helfen wollen, wenn das Geld, das wir jetzt ausgeben, bereits jetzt schon nicht dort ankommt. Und wir geben eine Menge Geld dafür aus.

Ich kann noch einmal das Thema Kindergeld aufgreifen. Ich glaube, ich habe das in meinem Redebeitrag ziemlich deutlich gemacht. Bei mir in der Familie kommen Kindergelderhöhungen an, weil bei mir nichts angerechnet wird. Aber bei Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem SGB II erhalten, wird es komplett angerechnet. Das heißt, es kommt bei dem Kind nicht an. Daran wird es deutlich, dass die höhere Förderung, die der Bundesstaat - -

(Markus Kurze, CDU: Auch versteuern!)

- Herr Kurze, etwas zu versteuern ist doch etwas anderes, als wenn es komplett angerechnet wird. Das ist doch nicht im Verhältnis 1 : 1 zu vergleichen.