Protokoll der Sitzung vom 21.06.2017

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns Sozialdemokraten ist deshalb eines ganz klar: Wer im Dunkeln der Anonymität oder auch unverhohlen unter dem eigenen Namen Straftaten begeht, weil er volksverhetzende Beiträge in sozialen Netzwerken veröffentlicht, zu Gewalt gegen Flüchtlinge aufruft und droht, ihre Unterkünfte in

Brand zu stecken, oder den Holocaust leugnet, der vergiftet nicht nur das gesellschaftliche Klima, der will erreichen, dass die Meinungsfreiheit durch Gewalt und Hetze eingeschränkt wird. Diese Beiträge gehören gelöscht und verboten.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein wahrlich hohes Gut. Genau deshalb muss es besonders geschützt werden. Durch Nichtstun und Wegsehen werden wir das nicht erreichen. Wir brauchen effektive Rahmenbedingungen, um den offenen Diskurs im Netz auch in Zukunft führen zu können.

Die Meinungsfreiheit endet allerdings dort, wo das Strafrecht beginnt. Es geht also nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit oder gar um Zensur, sondern es geht um die Durchsetzung geltenden Rechts. Dabei wird die Durchsetzung des Rechts auch nicht auf Private oder Dritte verlagert. Die Anwendung der bereits jetzt geltenden gesetzlichen Regeln hätte erfordert, dass nach konkreten Hinweisen strafbare Inhalte nicht einfach ignoriert werden dürfen.

§ 10 des Telemediengesetzes und Artikel 14 der E-Commerce-Richtlinie fordern ganz eindeutig die Entfernung und Löschung strafbaren Inhalts von Internetplattformen. Aber da dies ganz offensichtlich in der Realität nicht funktioniert, ist an dieser Stelle die Politik gefordert.

Mit dem vorliegenden Entwurf im Bundestag, zu dem es im parlamentarischen Verfahren - Minister Stahlknecht hat darauf hingewiesen - sicherlich noch weitere Änderungen geben wird, werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Rechtsdurchsetzung in den sozialen Netzwerken endlich zu verbessern.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich will dennoch betonen und auch mit Blick auf das, was wir hier in diesem Hohen Hause oft genug erleben, dass auch wir alle eine Verantwortung dafür tragen, wie wir miteinander diskutieren und wie wir die Meinungsfreiheit des anderen achten, egal, ob es hier im Landtag, im Internet oder auf der Straße ist. Wir werden den Antrag daher ablehnen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Hövelmann. Es gibt mehrere Anfragen. Das sind erst einmal Herr Farle, Herr Poggenburg und Herr Kurze, so habe ich es gesehen. - Sie haben das Wort, Herr Farle.

Das ist eine Zwischenintervention.

Machen Sie bitte das Mikro noch einmal an und aus. - Jetzt geht es.

Also, das ist eine Zwischenintervention. - Sehr geehrter Herr Hövelmann, Sie haben haarscharf an dem Problem vorbei argumentiert. In der Sache - das hat Herr Poggenburg, mein Fraktionskollege, sehr klar und deutlich ausgeführt - geht es darum, dass eben das Netz kein rechtsfreier Raum ist und dass in diesem nicht rechtsfreien Raum auch das Prinzip der Meinungsfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit zu beachten ist.

Wenn eine hoheitliche Aufgabe - die hoheitliche Aufgabe des Strafrechts liegt in Deutschland nun einmal bei Richtern, bei Staatsanwaltschaften usw. - ausgehebelt wird und private Netzanbieter dazu verpflichtet werden sollen, strafrechtlich relevante Sachverhalte zu beurteilen, dann wird ein Stück Rechtsstaat in unserem Staat abgeschafft.

(Beifall bei der AfD - Zurufe von der AfD: Bravo! - Jawohl!)

Vielleicht begreifen Sie das irgendwann einmal. Das ist deswegen so schädlich, weil damit - das ist nämlich ebenfalls Bestandteil der Regelungen - dem Denunziantentum, Zuschriften von irgendwelchen Links-Plattformen oder sonstigen Dingen Tür und Tor geöffnet. Die schreiben dann diese Netzanbieter an und die löschen alles und jedes, weil sie nämlich Bußgelder in Höhe bis zu 5 Millionen € nicht bezahlen wollen. Das ist der Beginn des Marsches in einen autoritären Staat, den wir nicht wollen, weil wir die Demokratie verteidigen.

(Anhaltender Beifall bei der AfD - Zurufe von der AfD: Bravo! - Jawohl!)

Sie können natürlich darauf erwidern, Herr Hövelmann.

Ja, das provoziert natürlich eine Erwiderung. - Sehr geehrter Herr Farle, Lautstärke allein ist noch kein Argument. Das, was Sie vorgetragen haben

(Robert Farle, AfD: Nennen Sie doch mal ein Argument! Sie haben keine!)

und auch der Zwischenruf ist nicht wirklich hilfreich. Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Schauen Sie - ich habe es zitiert - in § 10 des Telemediengesetzes. Dort steht das, was Sie gerade eben als rechtswidrig kritisiert haben. Das ist geltende Rechtslage in Deutschland. So ist das.

(Robert Farle, AfD: Sie liegen völlig neben der Spur!)

Herr Poggenburg.

Sehr geehrter Herr Abg. Hövelmann, Sie haben gerade angeführt, wir brauchen dieses Netzwerkdurchsetzungsgesetz, damit strafbare Inhalte gelöscht werden können, damit man dort keinen rechtsfreien Raum hat; so in dieser Hinsicht.

Sie haben als Beispiel die Holocaust-Leugnung genannt. Wollen Sie mir jetzt also sagen, dass wir bisher nicht die Möglichkeit haben, solche strafrechtlich relevanten Äußerungen im Netz zu verfolgen, dass das erst durch dieses neue Gesetz möglich wird und dass wir bis dato sozusagen einen rechts- und handlungsfreien Raum hatten?

Wollen Sie das wirklich so sagen? Oder ist es nicht so, dass bisher natürlich auch schon solche Dinge ganz klar rechtlich verfolgt, gelöscht und strafrechtlich geahndet werden konnten? - Ihre Antwort bitte!

(Minister Thomas Webel: Oh!)

Das müssen Sie bitte dem Abgeordneten überlassen, Herr Kollege Poggenburg. Er kann entscheiden, ob er antworten möchte oder nicht. Aber ich sehe schon die Reaktion von Abg. Herrn Hövelmann. Er möchte antworten.

Herr Poggenburg, der Ton Ihrer Frage und auch die Schlussbemerkung provoziert mich eigentlich dazu, die Frage unbeantwortet zu lassen. Ich will aber dennoch etwas dazu sagen.

Ich habe in meinen Darlegungen deutlich gemacht, wo die Problemlage ist. Es geht darum, dass die aktuelle Rechtslage nicht in allen Fällen durchsetzbar ist. Sie ist deshalb nicht in allen Fällen durchsetzbar, weil der Adressat der aktuellen Rechtslage die geltende Rechtslage - punktuell jedenfalls - ignoriert, indem er die Löschung, zu der er gesetzlich verpflichtet ist, nicht vornimmt und die gesetzlichen Regelungen - § 10 Telemediengesetz und Artikel 14 E-Commerce-Richtlinie - nicht einhält.

Da ist der Gesetzgeber gefordert. Gesetzgeber sind die Parlamente in dieser Republik. Darüber wird diskutiert und am Ende wird entschieden, wie es besser gehen wird als in der Vergangenheit und in der Gegenwart.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt eine weitere Nachfrage noch von Herrn Kurze. - Bitte, Herr Kurze.

Sehr geehrter Herr Kollege Hövelmann, ich persönlich stehe dem Gesetz aus dem Hause Maas auch sehr skeptisch gegenüber wie auch dem Ansinnen der Innenminister, zukünftig auch generell auf WhatsApp zugreifen zu können.

In Deutschland und in Europa hat sich die Lage, in der wir leben, in den letzten zwei Jahren doch sehr stark verändert. Mich persönlich interessiert einfach die Frage, worin Sie eigentlich die Ursache dafür sehen, dass plötzlich - das ist ja auch ein Phänomen, das gab es vor zwei Jahren nicht in dieser Dimension - so viele Hasskommentare im Netz auftauchen mit derartigen Inhalten, die man sicherlich strafrechtlich auch ahnden muss.

Herr Hövelmann, bitte.

Kollege Kurze, da sind wir natürlich im Bereich des absolut Spekulativen. Es wird sicherlich nicht die eine Ursache geben. Ich nehme wahr - ich denke, das habe ich in meinem Redebeitrag auch deutlich gemacht -, dass wir seit Jahren eine Verrohung unserer Sprache haben. Das ist eine Frage von Respekt, der untereinander weitgehend verloren gegangen ist.

Auch die technischen Möglichkeiten, die sicherlich fantastisch sind und die wir alle nutzen können und wollen - wir wollen ja nicht fortschrittsfeindlich sein -, führen eben dazu, dass man die Meinungen nicht mehr vis-à-vis austauscht, sondern dass man weit voneinander entfernt, ohne zu wissen, wer das Gegenüber überhaupt ist, miteinander kommuniziert.

Dadurch ist ganz offensichtlich die Hemmschwelle für Beschimpfungen, für Beleidigungen, auch für Hassmeldungen, für Hassmeinungen deutlich niedriger, weil eine Reaktion des Gegenübers nicht zu erwarten ist; er ist ja nicht da, sondern weit weg. Das mag eine Ursache sein, aber es gibt mit Sicherheit ganz, ganz viele.

(Zuruf von der AfD: Wenn der Minister die Leute als Pack beschimpft, dann ist das in Ordnung!)

Vielen Dank. Es gibt keine weiteren Anfragen. - Wir kommen somit zum nächsten Debattenredner. Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Herr Gallert. Sie haben das Wort, Herr Gallert. Bitte.

Danke, Frau Präsidentin. - Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht ist es doch einmal wichtig, bei dem Tagesordnungspunkt bei der Frage von Herrn Kurze anzufangen. Das ist wahrscheinlich etwas, was uns leider viel zu weit aus dem eigenen Blickfeld geraten ist.

Natürlich gibt es die These, dass die Verrohung der Sprache etwas mit den sozialen Netzwerken zu tun hat - es gibt immer Wechselwirkungen in einer Gesellschaft -, aber die Ursache darin zu suchen, halte ich für falsch.

Das erste, worüber wir uns im Klaren sein müssen, ist, dass wir auch in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht nur dort, tatsächlich die Entwicklung einer sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Desintegration in der Gesellschaft haben.

Das heißt, die Gesellschaft polarisiert sich immer weiter; die einen beklagen die Ausdünnung der Mitte, die anderen - wir vor allen Dingen - die Zunahme der sozialen Ungerechtigkeiten. Wir reden über Parallelgesellschaften im Kontext von Migration und übersehen dabei, dass wir längst viele Parallelgesellschaften ohne jede Migration haben, abhängig vom Einkommen und von der Berufsperspektive. Das geht schon bei den kleinen Kindern los. Das ist das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben.

Diese soziale Desintegration hat dazu geführt, dass der gemeinsame Zeichenvorrat dieser Gesellschaft immer weiter abgenommen hat, dass vermeintlich gesicherte demokratische konsensuale Dinge inzwischen massiv erodiert sind und wir Auseinandersetzungen auf eine Art und Weise führen, die mit Zivilisation nicht mehr zu beschreiben ist.

Das, was wir dann im Netz sehen, war auch schon vorher da. Das hat sich allerdings in den letzten Jahren sozial und kulturell verstärkt. Deswegen haben wir ein reales gesellschaftliches Problem. Deshalb müssen wir uns mit den Symptomen auseinandersetzen. Aber viel wichtiger, liege Kolleginnen und Kollegen ist es, einmal nach den Ursachen dafür zu fragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen wir nun zu den Symptomen und zu der Art und Weise, wie man sich damit auseinandersetzen muss. Natürlich ist es extrem wichtig, dass wir nicht fatalistisch daneben stehen und sagen, Hasskommentare und Mordaufrufe gerade gegenüber Politikern, aber bei weitem nicht nur gegenüber Politikern, seien etwas, mit dem man sich abfinden müsse, weil es um Meinungsfreiheit gehe. Nein, das geht eben nicht so; dagegen müssen wir vorgehen.

Deswegen muss auch der Staat dort eingreifen. Allerdings - das sage ich ganz klar - die an sich vernünftige und gute Zielsetzung des Maas-Gesetzes ist in der vorliegenden Form nicht gut umgesetzt. Sie schadet unter Umständen sogar ausdrücklich. Das hat die Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages, die vorgestern, glaube ich, stattgefunden hat, noch einmal deutlich bestätigt.

Der zentrale Problemfall in diesem Gesetz ist die Übertragung staatlich-hoheitlicher Aufgaben auf private Anbieter. Das können wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.