Protokoll der Sitzung vom 24.08.2017

Abschließend möchte ich sagen, dass die Fraktion DIE LINKE weiter am Thema Kinderarmut dranbleiben wird und sehr froh ist, dass sich auf Landesebene das Netzwerk gegen Kinderarmut gegründet hat. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine Anfragen an die Rednerin und keine Interventionsbestrebungen. Insofern können wir jetzt in der Debatte fortfahren. Für die Landesregierung hat die Ministerin Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! 157 Fragen hat die Fraktion DIE LINKE gestellt, zu 157 Fragen hat die Landesregierung geantwortet. Ich empfehle die Lektüre nachdrücklich.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Was ist die Botschaft? Was sagen die Statistiken über die Situation von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt, die in schwierigen finanziellen Verhältnissen aufwachsen, deren Eltern jeden Cent dreimal umdrehen müssen? Und wie können wir diese Situation ändern?

Erstens. Kinderarmut ist Familienarmut. Wenn wir den Kindern helfen wollen, müssen wir den Familien helfen. Natürlich schauen wir, wie wir die Kinder unterstützen können, damit sie ihr Recht auf Bildung und Teilhabe einlösen können. Aber eine vordringliche Frage ist auch: Wie können wir ihre Väter und Mütter in Arbeit bringen, damit sich die Situation der Familien verbessert?

Die Programme „Familien stärken - Perspektiven eröffnen“ und das Landesprogramm zum sozialen Arbeitsmarkt zum Beispiel gehören in diesen Instrumentenkasten. Arbeits- und Beschäftigungspolitik ist hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt.

Zweitens. Wir müssen den Blick auf die Kinder selbst richten. Wie können wir sie stärken? - Das Kinderförderungsgesetz hat eine ganz zentrale Rolle mit seinem Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung, Bildung, Betreuung und Erziehung. Wir haben ein Gesetz, das allen Kindern den gleichen Rechtsanspruch gibt. Das ist wichtig. Da darf es - das sage ich mit Blick auf die folgenden KiFöG-Debatten - keinen Rückschritt geben. Das würde nur die Kinder treffen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Ich könnte an dieser Stelle viele Zahlen aus der Großen Anfrage zitieren. Das hat schon Frau Abg. Hohmann getan. Das will ich hier nicht tun. Aber ich will doch aufzählen, wer überdurchschnittlich von Armutsrisiken betroffen ist: Alleinerziehende und Familien mit zwei und mehr Kindern - die Armutsgefährdungsquote bei Alleinerziehenden lag 2015 bei 43,9 % gegenüber 14,5 % im Landesdurchschnitt -, Menschen mit Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen, Menschen mit Migra

tionshintergrund, und Armut wird häufig unter den Generationen weitergegeben.

Der Anteil der Kinder, die in sogenannten Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II leben, ist vom Jahr 2007 mit 32,9 % auf 24,2 % im Jahr 2016 gesunken. Das hat Frau Hohmann schon erwähnt. Das ist gut. Aber Sie sehen auch, dass immer noch jedes vierte Kind betroffen ist.

Es braucht eine umfassende politische Strategie, um die Realität der betroffenen Familien und ihrer Kinder zu verbessern. Frau Prof. Mierendorff von der Universität in Halle hatte dazu in der vergangenen Woche an der Leopoldina ausgeführt: „Die meisten Eltern bemühen sich nach Kräften, ihren Kindern eine Perspektive zu bieten,“ sagt sie. Aber sie stießen eben oft an ihre Grenzen. Darum brauche es eine gute Unterstützungsstruktur. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ein Kinobesuch, mal in den Zoo - für Familien an der Armutsgrenze ist das oft purer Luxus.

Wenn jegliches Extra unerschwinglich ist, grenzt das aus. Aber es geht nicht nur um Freizeitgestaltung, es geht vor allem auch um Gesundheit, um Bildung, um gesundes Aufwachsen und gleiche Bildungschancen. Es geht darum, zu verhindern, dass Kinder letztlich aufgrund ihrer Herkunft und der sozialen Probleme zu Hause zum Beispiel eine Förderschule für Lernbehinderte besuchen. All dies gilt es im Blick zu haben.

Bildung spielt eine wesentliche Rolle bei der Übertragung von Armut. Die soziale Herkunft der Kinder und Jugendlichen hat - das wissen Sie - einen großen Einfluss auf spätere Bildungsabschlüsse. Auch deshalb schreibt das Kinderförderungsgesetz den Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen und die Verbesserung der Chancengleichheit fest. Das ist der erste der zentralen Punkte.

Punkt zwei: Die Gewährung sozialer Leistungen dient unter anderem dazu, die Teilhabe in angemessenem Umfang sicherzustellen. Dies gilt im besonderen Maße für Kinder und Jugendliche. Für sie umfasst der notwendige Lebensunterhalt daher auch zusätzlich Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, das inzwischen gut angenommen wird.

Im Jahr der Einführung 2011 wurden Leistungen im Umfang von rund 9 Millionen € erbracht. Im Jahr 2016 waren es bereits 16,7 Millionen €, trotz der insgesamt rückläufigen Zahlen hilfsbedürftiger Kinder und Jugendlicher und obwohl es immer noch einen bürokratischen Aufwand gibt.

Punkt drei: Gesundheit. Sachsen-Anhalts Gesundheitsberichterstattung zeigt, dass Kinder und Jugendliche in von Armut bedrohten Familien stärker von gesundheitlichen Problemen wie Adipositas, Karies, ADHS, Fehlernährung, Sprach

störungen und psychischen Auffälligkeiten betroffen sind.

Die Landesvereinigung für Gesundheit setzt sich dafür ein, Modelle zur Gesundheitsförderung zu entwickeln, sie einzubinden und Gesundheitsförderung und Prävention zu ermöglichen.

Sehr geehrte Abgeordnete! Damit komme ich zum fünften Punkt. Im Bereich Arbeit und Beschäftigung setzt das Land beispielsweise durch das Landesarbeitsmarktprogramm „Familien stärken - Perspektiven eröffnen“ auf eine Integration der Eltern in Arbeit. Allein in diesem Programm wurden in den letzten Jahren über 5 500 Familien, davon 4 700 Alleinerziehende, mit insgesamt fast 9 000 Kindern betreut. Rund 40 % dieser Betreuten ist bisher der Einstieg in Ausbildung oder Arbeit gelungen.

Ferner unterstützt das Land Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Weiterbildung, um durch bessere Qualifikationen höhere Einkommen zu ermöglichen.

Die Landesregierung hat zahlreiche Maßnahmen zur Verringerung des Armutsrisikos von Kindern initiiert. Die Landesregierung bekämpft die indirekte, die monetäre und die direkte Teilhabearmut von Kindern und Jugendlichen und sie wird dabei nicht nachlassen.

Wir haben Handlungsbedarf. Nehmen Sie den Punkt Bildung. Ich halte beispielsweise eine Erhöhung der Schulbedarfspauschale auf 150 € jährlich für erforderlich, um die steigenden Kosten für den persönlichen Schulbedarf aufzufangen. Ich bin auch offen für die Prüfung neuer konzeptioneller Ansätze. Dazu zählt unter anderem das Thema der armutsfesten Kindergrundsicherung.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Ein Satz noch zum Abschluss: Die Daten der Großen Anfrage sollten bei allen Entscheidungen, die das Leben von Familien und Kindern in unserem Land betreffen, vergegenwärtigt werden, auch bei den anstehenden Entscheidungen zum Kinderförderungsgesetz. Die Kinder und ihre Eltern brauchen unsere Unterstützung, damit sie ihre Chancen gut nutzen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Danke, Frau Ministerin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe auch hierzu keine Wortmeldungen. Deswegen können wir in unserer Debatte fortfahren. Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Abg. Herr Krull das Wort. Bitte kommen Sie ans Mikro.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Mitglieder des Hohen Hauses! Bevor ich auf die Große Anfrage der Faktion DIE LINKE eingehe, möchte ich mit einem Zitat beginnen:

„Wir finden uns nicht mit Kinderarmut ab, wir wollen, dass alle unsere Kinder die bestmögliche Erziehung, Bildung und Betreuung erhalten, unabhängig von Herkunft und Lebenssituation der Eltern.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wissen Sie, woher dieses Zitat stammt? - Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Dieses Zitat stammt aus dem Bundestagswahlprogramm der Unionsparteien zur anstehenden Bundestagswahl mit dem Titel „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“

(Frank Scheurell, CDU: Aha!)

Wir haben uns erst im Juni dieses Jahres mit dem Thema Kinderarmut in Sachsen-Anhalt beschäftigt.

(Zuruf von der LINKEN - Heiterkeit bei der AfD)

Bereits in der damaligen Rede habe ich auf die heute vorliegende Große Anfrage verwiesen. Die Komplexität des Themas wird bei 157 Fragen und der Beantwortung im Umfang von 131 Seiten, denke ich, doch recht deutlich. Respekt für diese Fleißarbeit der LINKEN, aber auch Respekt für die Verwaltung bei der Erarbeitung dieser Antworten, was zweifelsohne sehr aufwendig und sicherlich ein arbeitsintensiver Prozess war.

Schon auf den ersten Seiten der Beantwortung werden die ersten Schwierigkeiten deutlich. In Ihrem letzten Antrag, geschätzte Kollegen der Fraktion DIE LINKE, haben Sie als Armutsbegriff den Leistungsbezug SGB II herangezogen. Auf Seite 8 der Beantwortung der Großen Anfrage finden wir nun folgende Formulierung:

„Die Armutsgefährdung wird, dem EU-Standard entsprechend, bei 60 % des Medians der Äquivalenzeinkommen angenommen. Die 60%-Schwelle entspricht einer Konvention und ist empirisch nicht begründbar.“

Also mit anderen Worten, es ist ein reines Hilfskriterium und die statistische Aussagemöglichkeit kann man in Zweifel ziehen.

(Zuruf von Swen Knöchel, DIE LINKE)

Des Weiteren ist in der Drucksache nachzulesen, dass die abgefragten Daten nur teilweise durch die Kommunen bereitgestellt werden konnten. Kollegin Hohmann ist bereits darauf eingegangen.

Bei allem berechtigten Interesse an einer vollständigen Datenlage muss man abwägen, welche

Daten vor Ort tatsächlich erfasst werden sollen und wo der Verwaltungsaufwand den Nutzen überschreitet, wo also die Kosten-Nutzen-Relation nicht mehr stimmt.

Wir wissen aus verschiedenen Studien, nicht zuletzt der Bertelsmann-Stiftung, dass die Lage in unseren Landkreisen und kreisfreien Städten Sachsen-Anhalts sehr unterschiedlich ist. Die kreisfreien Städte, also Dessau-Roßlau, Halle (Saale) und Magdeburg, sind diesbezüglich besonders belastet. Auf der anderen Seite des Spektrums sind erfolgreiche Landkreise wie der Landkreis Börde, bei dem die entsprechenden Quoten ungefähr auf Bundesdurchschnitt liegen. Der beauftragte siebente Kinder- und Jugendbericht des Landes Sachsen-Anhalt wird hier hoffentlich auch zu einer Vervollständigung der Datenbasis beitragen.

Was die Armutsgefährdungsquote von Personen unter 18 Jahren angeht, können wir einen positiven Trend für unser Land feststellen: im Jahr 2005 von 33,8 % im Jahr 2014 auf 28,7 % und 2015 auf 27,2 %. In absoluten Zahlen: von 117 286 auf 86 387 und nun auf 82 252. Aber jeder einzelne Fall ist natürlich ein Fall zu viel. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sank diese Quote ebenfalls von 22,4 auf 20,1 %, aber deutlich geringer. Im Bundesmedian ist die Zahl dagegen leicht von 19,5 auf 19,7 % im Jahr 2015 gestiegen. Auf die statistischen Unsicherheiten habe ich bereits hingewiesen.

Ob dieser positive Landestrend mit der CDUgeführten Landesregierung in Sachsen-Anhalt seit 2002 in Zusammenhang gebracht werden kann, will jeder für sich entscheiden. Ich gehe davon aus, dass das so ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf den Seiten 14 und 15 finden wir Aussagen, welche Familientypen besonders von Armutsgefährdung und Armut betroffen sind. Nicht neu sind die Erkenntnisse, die wir dort finden, dass vor allem Alleinerziehende und Familien mit zwei oder mehr Kindern hierbei besonders im Fokus stehen.

Ein weiteres Ergebnis der Beantwortung wird uns wohl ebenfalls hierbei nicht überraschen: dass das Einkommen der Eltern entscheidend für die Armutsgefährdung der Kinder ist. Das heißt im Umkehrschluss, dass eine erfolgreiche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die mit der Schaffung von Arbeitsplätzen einhergeht, gleichzeitig eine gute Politik gegen Kinderarmut und zur Verbesserung der sozialen Situation unserer Kinder und Jugendlichen ist.

In den Antworten der Landesregierung wird auf die sozialen Leistungen hingewiesen, die einen Beitrag gegen Kinderarmut und zur aktiven Teilhabe leisten. Deswegen nur wenige Stichpunkte: SGB II, SGB III, Bundeskindergeld, Unterhaltsvor

schussgesetz, Wohngeldgesetz, Leistungs-, Bildungs- und Teilhabepakete, aber auch landesrechtliche Regelungen wie das Kinderförderungsgesetz oder Förderprogramme wie „Familien stärken - Perspektiven eröffnen“.

Die Umsetzung der Leistungserweiterung im Unterhaltsvorschussgesetz, also die Abschaffung der Altersobergrenze und die Abschaffung der Einschränkung bezüglich der Zahlungsdauer, tragen wir als Fraktion ausdrücklich mit, wobei für uns vor allem die Zahlungspflichtigen, in den meisten Fällen die Väter, im Fokus stehen, die entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit konsequent herangezogen werden müssen. Wir werden uns im Laufe der heutigen Plenardebatte noch damit beschäftigen.

Bezüglich des Bildungs- und Teilhabepakets können wir eine deutliche Verbesserung feststellen. Während am Anfang ein großer Teil der Mittel, die für diesen Zweck zur Verfügung standen, durch den Nutzerkreis nicht abgerufen worden ist, geschieht dies inzwischen. Auf die genauen Zahlen ist die Ministerin bereits eingegangen.