Protokoll der Sitzung vom 26.10.2017

Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt keine weiteren Anfragen. - Wir steigen somit in die Fünfminutendebatte der Fraktionen ein. Wir werden mit der AfD-Fraktion beginnen, nicht wie geplant mit Herrn Spiegelberg, der ist leider erkrankt. Dafür wird aber Herr Jan Wenzel Schmidt diesen Part übernehmen. Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Tullner, ob wir uns in den besten Zeiten befinden, das zweifeln wir als AfD natürlich an. Eigentlich ist der vorgelegte Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes gar nicht schlecht. Eigentlich. Dieses Wort muss betont werden. Wie Sie wissen, folgt auf ein Eigentlich meistens ein Aber. Und im Falle des vorliegenden Entwurfs handelt es sich um ein großes Aber.

Auf den ersten Blick liest sich das Vorblatt zum Gesetzentwurf ja ganz nett. Die Regierung will Schulverbünde schaffen, um die Grundschulen im ländlichen Raum zu sichern. Sie will es qualifizierten Akademikern erleichtern, in den Schuldienst einzusteigen. Und die Ersatzschulen sollen künftig auch gerechter behandelt werden.

Das alles hört sich nett an. Man hat das Gefühl, dass der Minister einen Schritt in die richtige Rich

tung geht. Zugegeben, einen sehr zögerlichen Schritt. Die AfD hätte sich gewünscht, dass man hier und da noch etwas mutiger gewesen wäre. Warum zum Beispiel soll die Mindestschülerzahl für Grundschulen nur auf 40 gesenkt werden?

Wenn wir auch in Zukunft kleine Schulen vor dem Aussterben bewahren wollen, dürfen wir bei dieser Zahl nicht haltmachen. In anderen Ländern hat man gute Erfahrungen mit sogenannten Zwergschulen gesammelt, über deren Einführung man auch in Sachsen-Anhalt nachdenken sollte.

Hier könnte man dem Minister höchstens Zögerlichkeit vorwerfen. - Soweit zu den öffentlichen Neuerungen des Gesetzentwurfes. Schauen wir uns nun aber das Kleingedruckte an, denn wie immer steckt der Teufel im Detail.

Ich kann aufgrund der begrenzten Zeit nur ein Beispiel geben, über das in der Öffentlichkeit bisher kaum berichtet worden ist. Tatsächlich stößt man erst darauf, wenn man nicht nur das Vorblatt liest, sondern sich mit den einzelnen Änderungen im hinteren Teil des Gesetzentwurfes beschäftigt.

In § 6 Abs. 1 des Schulgesetzes soll der Wortlaut in Bezug auf die grundsätzliche Ausrichtung des Gymnasiums geändert werden. Das Gymnasium soll demnach künftig nicht mehr in erster Linie auf das Studium vorbereiten, sondern auch auf eine dazu vergleichbare berufliche Ausbildung. Das ist ungeheuerlich. Durch diese Formulierung wird der eigentliche Grund, aus dem es überhaupt Gymnasien gibt, völlig ad absurdum geführt. Das Gymnasium stellt zu Recht seit Jahrhunderten die Vorbereitung eines Schülers auf ein akademisches Studium dar. Dies und nichts anderes ist der eigentliche gesellschaftliche und historische Sinn dieser sonst einzigartigen Schulform.

(Beifall bei der AfD)

Durch die neue Formulierung wird nicht nur das Gymnasium an sich in seinem Wesen gestört. Sie zerschlagen damit auch einen ureigenen Teil unserer deutschen Bildungskultur. Das sollte dem CDU-Minister eigentlich zu denken geben. Mit konservativen Vorstellungen hat Ihr Gesetzentwurf an dieser Stelle nämlich nichts mehr zu tun. Uns ist klar, warum Sie diese Änderung für nötig halten. Heutzutage will ja fast jeder auf das Gymnasium, um danach studieren zu können. Das liegt aber nur daran, weil das Ansehen der klassischen Ausbildungsberufe über Jahrzehnte hinweg beschädigt wurde.

Wer will denn heute noch einen ordentlichen Handwerksberuf ergreifen, wenn es von allen Seiten heißt, dass man mit einem neumodischen Bachelor auf irgendetwas viel besser dran sei? - Sie täten besser daran, einmal dieses grundlegende Problem anzugehen, anstatt die Allein

stellungsmerkmale unseres historisch gewachsenen Schulwesens zu entkernen.

Zugegeben, Ihre Gesetzesänderung spiegelt nur den eigentlichen Istzustand unseres Bildungswesens wider. De facto werden Abiturienten bevorzugt eingestellt, wenn es um die Vergabe von Ausbildungsstellen geht. Das Nachsehen haben diejenigen, die es, aus welchen Gründen auch immer, nicht auf das Gymnasium geschafft haben. Gleichzeitig wird das Bildungsniveau auf den Gymnasien immer weiter heruntergeschraubt, weil man sich ja an diejenigen anpassen muss, die eigentlich gar nicht auf das Gymnasium gehören und von denen man auch gar nicht erwarten kann, dass sie ein glänzendes Studium hinlegen. Einen Gefallen tut man damit am Ende niemandem.

Die Kenia-Koalition ist aber anscheinend gar nicht daran interessiert, diesen Missstand zu beseitigen. Stattdessen ändert man einfach das Schulgesetz und legt fest, dass die Vorbereitung auf einen Ausbildungsberuf ab sofort auch zu den Aufgaben des Gymnasiums gehört.

Das, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als Etikettenschwindel.

(Beifall bei der AfD)

Kommen wir noch einmal auf Ihren Gesetzentwurf im Allgemeinen zurück. Ein paar gute Ideen, manches unausgereift, vieles zu zögerlich, hier und da beängstigend, in Schulnoten: ausreichend mit Tendenz zum Minus. Schade, es hätte auch ein Befriedigend werden können.

(Minister Marco Tullner: Kommt noch!)

- Kommt noch?

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. Es gibt keine Nachfragen. - Die nächste Debattenrednerin ist für die SPD-Fraktion die Abg. Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen. Sie haben das Wort, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gesellschaftliche und bildungspolitische Entwicklungen stellen Schule und das Bildungssystem insgesamt vor große Herausforderungen. Die Schulgesetznovelle, die heute in den Landtag eingebracht wird, ist deshalb mit Spannung erwartet worden.

Ich hoffe, dass die Entschuldigung des Ministers bei allen Vereinen und Verbänden, die sich auch im Vorfeld gern in die inhaltliche Debatte eingebracht hatten, angekommen ist und sie uns hier im parlamentarischen Verfahren unterstützen, weil

ich manchmal den Eindruck gewinne, dass ein solches Abgehen von den üblichen Regularien auch dazu führt, dass sich die Kolleginnen und Kollegen, die Sie heute Morgen zu Recht gelobt haben, nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen und meinen, dass uns ihre Meinung nicht wichtig ist.

Ich habe aber mit Freude vernommen, dass Sie gesagt haben, wir nehmen uns Zeit für eine ausführliche, für eine tiefgründige Beratung, sodass wir dann auch Anhörungen machen, die die entsprechenden Ausschüsse mit einbinden, damit die Fragen, die sich aus dem Gesetzentwurf ergeben, dann tatsächlich einer guten Lösung zugeführt werden.

Ein Beispiel ist hier von Herrn Schmidt dargestellt worden. Ich glaube, darum geht es gar nicht. Es geht schlicht um das Thema Berufsorientierung an Gymnasien. Das sollte gesetzlich verankert werden. Absicht ist nicht, dass in Zukunft die Gymnasien auch auf eine Berufsausbildung vorbereiten.

Das sind Dinge, die hätte man im Vorfeld schon etwas glatt ziehen können. Aber wir sind optimistisch, wir schauen in die Zukunft, und wir werden uns mit den Dingen inhaltlich intensiv beschäftigen.

Ein Thema, das Herr Minister angesprochen hat, zu dem ich aus den Stellungnahmen, die vorliegen, festgestellt habe, dass es auch hier mehr Fragen als Antworten gibt, sind die Schulverbünde. In der Tat - auch das haben Sie eben gesagt -, es ist nicht eine Regelung der Schulverbünde, sondern es ist eine Außenstellenlösung mit einer Hauptstelle und einer Außenstelle.

Was wir uns wünschen - ich glaube, deswegen haben wir auch Schulverbünde in die Koalitionsvereinbarung geschrieben -, ist tatsächlich ein neues Schulmodell, das tatsächlich eine Kooperation unterschiedlicher Standorte ermöglicht, die dann Synergieeffekte erschließen können, auch was die Einsatzmöglichkeit von mehreren Lehrern betrifft. Da gibt es durchaus schon Ideen in den Kommunen, die auch angeboten haben, dass sie gern Modellprojekte durchführen würden, um solche Konzeptionen zu entwickeln. Insoweit ist Ihr Vorschlag, dass wir jetzt erst einmal im Wege von Modellprojekten schauen, wie ein solcher Schulverbund praktisch funktionieren kann, eine gute Idee.

Zum Thema Seiten- und Quereinsteiger. Ja, ich weiß, das ist ein schwieriges Thema. Wenn wir an Schulen unterwegs sind, fragen uns die Kolleginnen und Kollegen: Wie stehen Sie denn dazu? - Wir haben eine lange Ausbildung absolviert, wir haben zwei Fächer studiert, und jetzt sollen neue Kollegen kommen mit einem Fach,

mit einer Schnellausbildung im Bereich Pädagogik und die sollen uns dann gleichgestellt werden?

Nein, mitnichten. Wir wollen die Voraussetzungen so schaffen, dass Qualifizierungsangebote da sind, die dann tatsächlich im Ergebnis eine vergleichbare Qualifikation ermöglichen.

Und ja, im Moment haben wir nur - 85, das war, glaube ich, die Zahl, die Herr Minister hier genannt hat - 85 Seiten- und Quereinsteiger, die sich bisher auf die freien Stellen beworben haben. Aber wir haben bisher auch nicht erwarten können, dass es mehr sind. Woher auch? - In den letzten Jahren sind kaum Lehrerinnen und Lehrer eingestellt worden. Wir schaffen es nicht einmal, dass wir unsere eigenen Referendare alle einstellen. Ich glaube, zuletzt lag die Zahl bei 30 %. Es muss sich doch jetzt erst einmal herumsprechen, dass in Sachsen-Anhalt Lehrerinnen und Lehrer gesucht werden und dass wir sie einstellen. Dazu brauchen wir eine Kampagne, um erst einmal wieder junge Leute zu motivieren, sich tatsächlich für den Lehrerberuf, und dann noch in SachsenAnhalt, zu interessieren.

Auch hier, denke ich, können wir, auch gemeinsam mit den Hochschulen - ich glaube, auch die müssen wir mit einbinden -, Konzepte entwickeln, wie eine modulare Weiterbildung entwickelt werden kann, damit im Ergebnis die Kollegen dann qualifiziert sind und wir keine Zweiklassengesellschaft unter den Lehrern an den Schulen haben.

Lassen Sie mich abschließend noch darauf hinweisen, dass wir nicht nur über die Paragrafen diskutieren wollen, zu denen bisher Änderungen im Gesetzentwurf vorhanden sind. Wir haben auch noch einige Ideen, Wünsche und Vorstellungen, die weitergehende Änderungen betreffen, zum Beispiel Abschaffung des Jugendarrestes für Schulschwänzer, die rechtliche Verankerung der Schulsozialarbeit, die Gleichstellung der Gemeinschaftsschulen unabhängig davon, ob sie das zwölf- oder 13-jährige Modell gewählt haben. Und wir müssen sicherlich auch noch einmal über die Weiterentwickelung der rechtlichen Regelungen zur Inklusion diskutieren, das heißt zum gemeinsamen Unterricht, aber auch zur Neukonzeption der Kooperation von Förderschulen in unserem Land.

Es wird ein arbeitsreiches Jahr. Ich freue mich auf spannende Diskussionen in den einzelnen Ausschüssen, und ich hoffe, dass am Ende des Prozesses dann tatsächlich ein gutes Schulgesetz steht, das Regelungen enthält, die in der Praxis funktionieren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Es gibt eine Nachfrage. - Herr Schmidt, Sie haben das Wort.

Frau Prof. Kolb-Janssen, und zwar zu Ihrem Einwurf. Ich habe noch einmal nachgeschaut. Bei dem § 6 Abs. 1: Das Gymnasium ist nicht mehr nur Vorbereitung für den Bildungsweg an einer Hochschule, sondern auch zur Aufnahme einer beruflichen Ausbildung. Da fragen wir uns als AfD-Fraktion, wozu es dann noch einen Realschulabschluss und einen Hauptschulabschluss gibt, wenn das alles mit dem Abitur abgegolten werden soll. Wenn das ein Versehen war, können wir das gern im Ausschuss gemeinsam abändern.

Es gibt keine weiteren Anfragen. Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Herr Lippmann. Sie haben das Wort, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Schulgesetznovelle wird ja nun schon seit einigen Wochen öffentlich diskutiert. Ich bin in dieser Zeit immer wieder gefragt worden, was die neuen Regelungen denn nun bringen und für wen sie Bedeutung haben.

Ich muss gestehen, ich weiß es bis heute nicht. Lässt man die rein redaktionellen und technischen Änderungen einmal weg - das hat der Minister ja auch gemacht -, dann bleiben tatsächlich nur die beiden öffentlich kommunizierten Themen übrig, nämlich die Schulverbünde für Grundschulen und die Öffnung des Vorbereitungsdienstes.

Die beiden Vorhaben sind aber leider derart schlecht gearbeitet, dass sie praktisch ins Leere laufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die vielfach angepriesenen Grundschulverbünde sind zunächst nichts weiter als eine simple Außenstellenregelung - auch darauf hat der Minister selbst hingewiesen -, die wir schon längst hätten haben können, und zwar ohne das Schulgesetz dafür zu bemühen. Man fragt sich, warum wir das nicht gemacht haben.

Es kommt aber hinzu, dass der Schulverbund so, wie er jetzt hier vorgestellt wird, als Lösung zum Erhalt von kleinen Grundschulen nichts taugt.

Neben den schon kritisierten Einschränkungen kommt eine weitere zentrale Hürde hinzu: Nach seiner Bildung wird der Schulverbund über weniger Lehrerstellen verfügen, als zuvor die beiden eigenständigen Schulen hatten. Zusammen mit der allgemeinen Kürzung der Lehrerzuweisungen und dem fortschreitenden Lehrermangel ist es kaum vorstellbar, dass es auf dieser Grundlage zur Bildung von Schulverbünden kommen wird, weil in aller Regel die Personalressourcen nicht reichen werden, um den Unterricht in der Außenstelle absichern zu können.

Kleine Systeme kann man nur erhalten, wenn man dafür mehr Personal aufwendet. Personalkürzungen führen dagegen systematisch zu immer mehr Konzentration. Der Gesetzentwurf lässt also befürchten, dass nach seinem Inkrafttreten künftig keine Ausnahmegenehmigungen mehr gewährt werden und dadurch sogar weitere Schulschließungen provoziert werden.