Protokoll der Sitzung vom 09.03.2018

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Alternativantrag der Koalitionsfraktionen bleibt nur zu sagen: Dies ist mir alles viel zu vage. Es sind Absichtserklärungen. Sie mogeln sich um konkrete Aussagen herum. Das hilft den gegenwärtig Betroffenen überhaupt nicht.

Bekennen wir uns als nachfolgende Generation zu besseren Lebensbedingungen für diejenigen, die uns unser heutiges Leben durch ihre Arbeit ermöglicht haben. Sorgen wir dafür, dass sie selbstbestimmt und sorgenfrei ihren Lebensabend genießen können, die notwendigen Pflegeleistungen erhalten und noch genügend finanziellen Spielraum besitzen, um sich ihre Wünsche selbst zu erfüllen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Zoschke. Es gibt keine Anfragen. - Bevor wir in die Debatte mit einer Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion einsteigen, hat die Ministerin Frau Grimm-Benne das Wort. Sie haben das Wort, Frau Ministerin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Absicherung im Pflegefall ist ein Thema, das die Menschen beschäftigt.

Die Angst, auf Hilfe angewiesen zu sein und diese Hilfe nicht aus eigener Kraft finanzieren zu können, wächst, wenn die Zuzahlungen steigen, die in den Pflegeeinrichtungen zu entrichten sind.

Gerade hier bei uns, wo Menschen, die lange und hart gearbeitet haben, dennoch oft nur eine kleine Rente bekommen, haben viele diese Sorge, Pflegebedürftige und deren Angehörige gleichermaßen.

Insbesondere in den letzten Wochen erreichen uns im Ministerium Anfragen zu steigenden Zuzahlungen in stationären Pflegeeinrichtungen, weil Träger und Einrichtungsleitungen angekündigt haben, die Pflegesätze teils um bis zu 30 % zu erhöhen.

Sie wissen das. Einerseits können seit Jahresbeginn bei Neuverhandlungen über die Entgelte oftmals Tariflöhne, jedenfalls höhere Personalkosten den Entgeltkalkulationen zugrunde gelegt werden. Personalkosten machen ca. 80 % der Pflegekosten aus. Andererseits ist zum Jahreswechsel der Mindestlohn in der Pflegebranche gestiegen. Das schlägt sich bei nicht tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen nieder.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Man braucht einen guten Personalschlüssel, wenn man gut pflegen will. Die Pflegekräfte haben ein Recht auf gute Entlohnung für ihre verantwortungsvolle und wichtige Tätigkeit.

Ja, Pflege kostet Geld. Die Frage steht auch hierbei im Raum, wer diese Mehrkosten tragen muss. Dürfen wir sie bei Pflegebedürftigen und deren Angehörigen abladen? - Nein, das dürfen wir nicht.

Ich sage es ganz deutlich: Die Pflegeversicherung muss auskömmlich ausgestattet werden, um die Betroffenen zu entlasten und um zu verhindern, dass Kostensteigerungen nur von Betroffenen und ihren Angehörigen und von den Sozialhilfeträgern zu tragen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Als die fehlende Absicherung des Pflegerisikos erstmals auf die politische Agenda gesetzt wurde, gab es ein zentrales Problem: Ältere Menschen rutschten auch nach einem durchschnittlichen Erwerbsleben durch auftretende Pflegebedürftigkeit regelmäßig in die Sozialhilfe ab. Das war der Hintergrund, vor dem die Pflegeversicherung, wie wir sie heute kennen, eingeführt wurde.

Sie sollte verhindern helfen, dass Menschen in die Sozialhilfe rutschen, weil sie die Pflege im Alter nicht bezahlen können. Dabei war die Pflegeversicherung immer nur eine Teilkaskolösung, eine Unterstützung.

Wir müssen konstatieren, sie wird dem Ziel, Pflegebedürftige vor dem Armutsrisiko zu schützen, bei steigenden Pflegekosten immer weniger gerecht. Darum liegt die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Pflegeversicherung in ihrer aktuellen Form auf dem Tisch.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich wiederhole mich gern: Es ist falsch, diese Mehrkosten allein bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen abzuladen. Wir brauchen eine Systemänderung.

Daher bin ich froh, dass im Koalitionsvertrag auf Bundesebene die Weichen für einen Neustart in der Pflege gestellt werden, für ein Sofortprogramm, für eine Ausbildungsoffensive und für guten Lohn.

Wir brauchen aber eben auch die Debatte über die Zukunft der Pflegeversicherung; denn Pflege darf kein Armutsrisiko sein.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Haben wir uns nicht erst über die Pflegestärkungsgesetze gefreut, die deutliche Verbesserungen gebracht haben?

Gerade mit dem Pflegestärkungsgesetz II, der weitreichendsten Reform seit Einführung der Pflegeversicherung, sollte die Fokussierung der Pflegeversicherung auf somatische Ursachen der Pflegebedürftigkeit aufgebrochen werden. Zudem sollte eine stärkere Berücksichtigung auch psychischer Pflegebedürftigkeit erfolgen und eine Umorientierung hin zu einer am Grad der Selbstständigkeit ausgerichteten Pflegebedürftigkeit

umgesetzt werden. Demografischer Wandel mit einer zunehmenden Zahl von Pflegebedürftigen, Fachkräftemangel, gerechte Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen, bessere Personalausstattung, Leistungsausweitung sind hierzu die entscheidenden Stichworte.

Mit den längst überfälligen Verbesserungen der Pflegestärkungsgesetze I bis III wird nun der von Anfang an bestehende Systemfehler in der Pflegeversicherung deutlich erkennbar, nämlich das Teilkaskoprinzip. Deshalb: Ja, wir brauchen eine Neuausrichtung. Ein Umbau der Pflegeversicherung ist aus meiner Sicht geboten. Die Pflegeversicherung muss für die gesamte Pflege aufkommen, also auch für die gesellschaftliche Teilhabe der Pflegebedürftigen. Das kann nur eine auskömmlich finanzierte Versicherung.

Eine Pflegevollversicherung - Sie sagten es, Frau Zoschke - halte ich für eine zweckmäßige Mög

lichkeit. Ich habe bereits mehrfach gesagt, dass ich das für gut und richtig halte. Denkbar ist auch, eine gesetzlich verpflichtende, regelhafte Dynamisierung der Leistungen sowie eine Deckelung des Eigenanteils festzuschreiben.

Ich habe meiner Partei auf unserem Landesparteitag empfohlen, eine Pflegevollversicherung in die politische Diskussion einzubringen. Der Parteitag ist mir einstimmig gefolgt. Ich weiß, dass der SPD-Landesverband in Berlin diesbezüglich einen ähnlichen Beschluss gefasst hat. Sie haben bereits Brandenburg erwähnt. Ich denke, in dem Bereich ist eine ganze Menge in Bewegung. Wir sollten schauen, ob am Ende vielleicht eine Bundesratsinitiative liegt.

Wir stehen erst am Anfang dieser Diskussion, aber ich bin mir sicher, sie wird einen erheblichen Drive bekommen, weil die Bescheide seit Januar jetzt von den Ärzten kommen werden. Ungefähr die Hälfte der Anträge sind in den Entgeltverhandlungen verhandelt worden. Wenn alle Altenpflegeheime nachjustiert haben, werden wir den Menschen eine Antwort geben müssen, und ich bitte darum, dass wir darauf politisch vorbereitet sind. Deshalb freue ich mich, dass wir heute hier im Landtag einen Beschluss fassen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich sehe keine Fragen. - Somit treten wir in die Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion ein. Der erste Debattenredner wird für die CDU-Fraktion der Abg. Herr Krull sein. Sie haben das Wort. Bitte.

(Dr. Verena Späthe, SPD: Oh, oh, oh! - Hei- terkeit - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Große Vorfreude!)

Vielleicht bezog sich das jetzt nicht auf meinen Redebeitrag.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Pflege beschäftigt uns hier im Landtag nicht zum ersten Mal - das klang schon an -, und es wird uns noch häufiger beschäftigen. In SachsenAnhalt sind bereits 100 000 Bürgerinnen und Bürger pflegebedürftig, und die Zahl wird voraussichtlich weiter steigen.

Im Koalitionsvertrag auf Landesebene hat dieses Thema deshalb entsprechenden Widerhall gefunden, nicht nur der Grundsatz „ambulant vor stationär“, sondern auch der bereits erwähnte runde Tisch „Pflege“. In den bisherigen Sitzungen ging es um den zukünftigen Bedarf an Pflegekräften,

um die Ausbildungssituation bei den Pflegeberufen oder auch um die vernetzte Pflegeberatung. Der nächste runde Tisch mit dem Thema der pflegenden Angehörigen findet schon nächste Woche statt. Gerade weil diese runden Tische im gesamten Land stattfinden, bieten sie aus unserer Sicht eine gute Möglichkeit, das Thema facettenreich zu debattieren.

Der Lösungsvorschlag, der uns heute von der LINKEN präsentiert wird, bedeutet, einfach mehr Geld ins System zu geben. Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, Sie wissen selbst, dass die Herausforderungen auf diesem Gebiet so vielfältig sind, dass die Fragen nur mit mehr Geld nicht zu beantworten sind.

Ein kurzer Blick auf die Rahmenbedingungen. In kaum einem Politikfeld wurde in der letzten Wahlperiode des Deutschen Bundestages so viel an Änderungen vorgenommen und Gesetzesinitiativen durchgeführt. Die Pflegestärkungsgesetze I bis III wurden bereits erwähnt. Es wurden Verbesserungen erreicht, aber auch viele Fragen aufgeworfen, die ich immer wieder höre, wenn ich Altenpflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste besuche oder mich mit Pflegenden oder Pflegebedürftigen und deren Angehörigen verständige.

Die Umwandlung von Pflegestufen in Pflegegrade war ein richtiger Schritt, weil sie gerade Demenzerkrankten deutliche Leistungsverbesserungen beschert hat. Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen ist dabei nicht immer ganz konfliktfrei.

In Sachsen-Anhalt haben wir 700 Pflegeheime mit rund 31 000 Plätzen - Stand 2016. Im Umkehrschluss - ich habe es erwähnt - gibt es 100 000 zu Pflegende. Es werden also rund 70 000 Pflegebedürftige von ihren Angehörigen und teilweise bzw. voll von ambulanten Pflegediensten betreut.

Ja, in Sachsen-Anhalt gab es in jüngster Vergangenheit starke Anhebungen des Eigenanteils bei den Pflegeeinrichtungen, aber noch nicht in allen. Ein Grund dafür ist auch die Steigerung der Entlohnung. Meine Damen und Herren! Das möchte ich ganz deutlich betonen: Jeder Euro, den das Pflegepersonal bekommt, ist wahrlich mehr als verdient.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN und bei der SPD)

Es ist abzusehen, dass die Entwicklung so weitergeht. Die Durchschnittsverdienste in SachsenAnhalt liegen für eine entsprechende Fachkraft bei 1 930 € brutto, in Sachsen bei etwas mehr als 2 000 €, in Baden-Württemberg bei 2 600 €. Wir sehen also auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern.

Auf Bundesebene haben sich deshalb CDU/CSU und SPD darauf geeinigt, dass in der Altenpflege die Sachleistungen kontinuierlich an die Personalkostenentwicklung angepasst werden. Wenn diese Maßnahme umgesetzt wird, können entsprechende Steigerungen abgedeckt werden, sodass die Eigenanteile nicht erhöht werden müssen. Übrigens: Seit dem 1. Januar 2017 steigen die Eigenanteile in den Einrichtungen nicht, wenn vom MDK ein höherer Pflegegrad festgestellt wird, sondern bleiben konstant.

Im Ursprungsantrag wird die Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Pflegevollversicherung gefordert. Der bundespolitische Wille bei der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 war ein anderer. Es ging um die Kombination einer Sozialversicherung mit der notwendigen privaten Vorsorge für den Pflegefall. Zu diesem System stehen wir als Union grundsätzlich weiter; denn wir trauen den Menschen zu, in Eigenverantwortung aktiv zu werden. Für all diejenigen, die nicht in der Lage sind, den notwendigen Eigenanteil zu tragen, stehen selbstverständlich die Leistungen nach §§ 61 ff. SGB XII, also Hilfen zur Pflege, zu.

Im Übrigen ist geplant, dass zukünftig Kinder der zu Pflegenden erst ab einem Jahreseinkommen von 100 000 € finanziell an den Pflegekosten zu beteiligen sind. Ich denke, dieser Fall wird in Sachsen-Anhalt eher die Ausnahme als die Regel sein.

Meine Redezeit neigt sich dem Ende zu, deshalb nur noch stichpunktartig Themen, die den Bund und das Land zum Thema Pflege noch beschäftigen werden: die Umsetzung des Pflegeberufsgesetzes in die Realität, die konzertierte Aktion Pflege, unter anderem zur Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe, die angestrebte tarifliche Bezahlung in der Altenpflege und die Anpassung eines einheitlichen Mindestpflegelohnes in ganz Deutschland.

Ich könnte noch länger ausführen, aber die Uhr zeigt mir schon rot an. Deshalb beende ich meine Rede mit einem großen Dank an die Pflegekräfte und die pflegenden Angehörigen für ihre aufopferungsvolle Arbeit und bitte um Zustimmung zum Alternativantrag der Koalitionsfraktionen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abg. Krull. Es gibt keine Anfragen. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Das ist der Abg. Herr Siegmund für die AfD-Fraktion. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine lieben Kollegen! Die Pflege in Deutschland ist chronisch unterfinanziert. Das ist meiner Meinung nach ein seit Jahrzehnten absehbares Problem. Das Unschöne an der ganzen Sache ist - auch wenn es wichtig ist, dass man über die Finanzierung spricht -: Wir betreiben keine Ursachenforschung. Wir doktern immer weiter an den Symptomen herum, aber die Erforschung der wirklichen Ursachen wird überhaupt nicht angegangen. Es ist eine seit Jahrzehnten verfehlte demografische Situation, die nicht angepackt wird, und das ist traurig.

Es ist langfristig absehbar, dass sich die Situation verschärfen wird, weil immer weniger jüngere Menschen auf immer mehr ältere Menschen kommen. Deshalb wird sich die Situation langfristig von Hause aus nicht lösen. Da liegt das wahre Problem, aber da greift die Politik leider nicht ein.

Die aktuelle Situation geht ganz klar zulasten der Qualität der Pflege. Insbesondere im Bereich der häuslichen und familiären Pflege führt die Pflegebedürftigkeit betroffene Familien nicht selten in Armut. Das haben wir heute gehört. Dabei können wir doch so dankbar sein, dass es überhaupt noch Familien gibt, die zusammenhalten. Über 70 % der Pflege findet im häuslichen Umfeld statt. Diese Gruppe, liebe Kollegen, gehört besonders unterstützt.