Protokoll der Sitzung vom 09.03.2018

Die aktuelle Situation geht ganz klar zulasten der Qualität der Pflege. Insbesondere im Bereich der häuslichen und familiären Pflege führt die Pflegebedürftigkeit betroffene Familien nicht selten in Armut. Das haben wir heute gehört. Dabei können wir doch so dankbar sein, dass es überhaupt noch Familien gibt, die zusammenhalten. Über 70 % der Pflege findet im häuslichen Umfeld statt. Diese Gruppe, liebe Kollegen, gehört besonders unterstützt.

(Beifall bei der AfD)

Es wird Zeit, dass den Menschen, die sich ehrenamtlich ihrer Angehörigen annehmen, endlich die finanzielle Anerkennung zukommt, die ihnen zusteht. Die Situation ist aber nun einmal, wie sie ist. Von daher ist eine Reform der Finanzierung mehr als notwendig.

Die Risiken der Kostensteigerungen im Pflegewesen im Wesentlichen Arbeitnehmern und Rentnern aufzuerlegen widerspricht in der Tat dem Prinzip echter Solidarität. Grundsätzlich wäre eine Pflegevollversicherung, wie sie heute vorliegt, ein ehrenwertes Ziel. Ich möchte allerdings einige Argumente vortragen, warum wir diese für verfrüht erachten.

Die Ausweitung der Pflegeversicherung in eine Vollversicherung soll die Finanzierung der Pflegebedürftigkeit im Alter sicherstellen. Aber solche Leistungsversprechen müssen auch entsprechend gegenfinanziert werden. Die Pflegevollversicherung verursacht nicht unerhebliche Ungerechtigkeiten; denn es ist bereits heute absehbar, dass die Pflegevollversicherung an einer Unterfinanzierung leiden würde, wenn sämtliche anfallenden Pflegeleistungen übernommen werden.

Um die heutigen Leistungen beispielsweise bis 2050 zu finanzieren, müsste laut Prof. Raffelhüschen der Beitrag für Versicherte mit Kindern auf rund 4,4 % steigen, wenn die demografische Entwicklung bleibt, wie sie ist. Aber wahrscheinlich wird sie noch schlimmer.

Die wegen der Vollversicherung notwendigen Beitragserhöhungen hätten eine erhebliche Mehrbelastung der Arbeitnehmer zur Folge. Das heißt unter dem Strich weniger Netto vom Brutto. Die Lohnnebenkosten steigen massiv. 4,4 % wären eine signifikante Erhöhung. Daher nützt, mathematisch gesehen, die Vollversicherung nicht nur den Bedürftigen, sondern vor allem den Besserverdienenden. Da wollen wir natürlich nicht hin. Derzeit werden Pflegeleistungen teilweise selbst getragen. Wer das nicht leisten kann, der wird vom Staat unterstützt, und das ist gut so. Die Vollversicherung hingegen entlastet genau die Besserverdienenden von dieser solidarischen Leistung, wie gerade ausgeführt.

Wir jedoch wollen vor allem, dass die unteren Einkommensschichten und die Angehörigen entlastet werden. Die finanziellen Risiken einer Vollversicherung sind mit der derzeit vorliegenden Datenbasis nicht genau zu prognostizieren, und das ist die Gefahr dahinter.

Zudem würde eine Pflegevollversicherung - das ist ganz wichtig - Fehlanreize setzen, die zu einem Sog in die professionelle, zumeist heimgebundene Pflege führen würden. Das führt wiederum zu einer Benachteiligung der familiären häuslichen Pflege, die eigentlich so wichtig ist. Die Bereitschaft und Verantwortung der Familie als kleinster und belastbarer Sozialeinheit sinkt - das ist schlecht - und verstärkt die gesellschaftliche Vereinzelung. Da wollen wir nicht hin.

Derzeit werden in der Bundesrepublik Deutschland, wie schon angeführt, etwa 70 % der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Die Pflegesätze für Pflegedienste in allen Pflegestufen sind wesentlich höher als für eine Pflege durch die Angehörigen. Die Rahmenbedingungen der Pflege sind also so zu gestalten, dass sich erwachsene Kinder bewusst für die Pflege der Eltern entscheiden können. Als Grundlage für die häusliche Pflege sind die Pflegesätze schrittweise an die Leistungen der Pflegedienstleister anzugleichen.

(Beifall bei der AfD)

Der Pflegesektor ist ein Wachstumsmarkt. Angesichts des stetig wachsenden Finanzierungsvolumens und steigender Pflegekosten steigt auch das Missbrauchspotenzial. Das wurde heute noch nicht angesprochen. Daher sind die bestehenden gesetzlichen Regelungen, beispielsweise das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrich

tungen, das II. und III. Pflegestärkungsgesetz und das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen, auf ihre Tauglichkeit zur Vermeidung von Abrechnungsbetrug und Ähnlichem zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Das ist ein wichtiger Faktor, der heute noch nicht erwähnt wurde.

Diese und weitere Beispiele haben wir in unserem Alternativantrag formuliert. Bei der Abstimmung über die anderen Anträge werden wir uns der Stimme enthalten. Ich denke, ich habe meine Ausführungen ausführlich genug gestaltet, um das zu begründen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Alternativantrag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Es gibt keine Anfragen. - Die nächste Debattenrednerin ist für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abg. Frau Lüddemann. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Bei der Verbesserung der Pflege bzw. der Pflegeversicherung bleibt Schwarz-Rot weit hinter den Erwartungen und Notwendigkeiten zurück. Das versprochene Sofortprogramm von 8 000 Stellen in der Altenpflege ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das spüren wir in Sachsen-Anhalt besonders stark. Es bleibt weit hinter den 25 000 Stellen oder 1,2 Milliarden € jährlich zurück, auf die sich die JamaikaSondierer geeinigt hatten.

Auch bleibt es jetzt dabei, dass in der Pflege die beiden schwächsten Gruppen geradezu gegeneinander ausgespielt werden: die Pflegenden und die Heimbewohner. Die einen bekommen jetzt endlich eine etwas bessere Entlohnung, die dann gleich auf die Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner umgelegt wird. Die Frau Ministerin hat dazu ausgeführt. Das ist eine Situation, die aus unserer Sicht nicht hinnehmbar ist.

Ich denke, viele hier im Haus haben entsprechende Schreiben und Anfragen bekommen. Auch medial ist das Thema sehr präsent - wie ich finde zu Recht.

Es kann und darf nicht sein, dass dringend gebotene Verbesserungen bei der Bezahlung - das sind wir uns im Hohen Hause auch einig - oder in qualitativen Bereichen, wie etwa die von uns geforderte und von den Menschen gewünschte Einzelzimmerquote, letztlich überproportional zu Lasten der Heimbewohner und deren Angehörigen gehen.

Um die Pflegeversicherung finanziell auf tragfähige Füße zu stellen, ist und bleibt für uns GRÜNE das Prinzip der Bürgerversicherung der Königsweg. Dann ist das Pflegegeld regelhaft zu dynamisieren - auch darüber muss gesprochen werden - und es muss an die Tarifentwicklung angepasst werden.

Dann haben wir zwar noch immer keine Vollkaskopflegeversicherung - der Weg dahin ist natürlich auch ein langer -, aber wir hätten zunächst eine wirksame Kostenbremse installiert. Das wäre, glaube ich, schon mal ein Zeichen auch an diejenigen, die im Feld arbeiten, diejenigen, die in irgendeiner Weise von Pflege betroffen sind.

Aber ist das tatsächlich gewollt? - Ich meine, wenn ich auf die Bundesebene schaue, eher nicht. Dort ist vom Ansinnen der Bürgerversicherung einzig ein Prüfauftrag übrig geblieben, der auf eine Angleichung der Arzthonorare im System der GKV und der PKV abzielt. Auch das ist natürlich eine gute Sache, aber das ist deutlich zu wenig.

Im Bereich der Pflege ist diese Ignoranz gegenüber der Bürgerversicherung bitter. Gerade die Pflegeversicherung wäre ein günstiges Feld gewesen, das Prinzip Bürgerversicherung auf den Weg zu bringen. Hier ist das System von privater und öffentlicher Versicherung weit weniger auseinander als im Bereich der Krankenversicherung, da etwa der Leistungskatalog doch identisch ist.

Aber gut, wir im Land - das heißt, auch die SPD und das Ministerium - tun, was wir können, um vom Bund mehr Einsatz für die Pflege zu bekommen.

Der entsprechende Alternativantrag liegt vor und auch ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Ministerin Petra Grimm-Benne)

Vielen Dank, Frau Abg. Lüddemann. Es gibt auch hierzu keine Nachfragen. - Somit kommen wir zur nächsten Debattenrednerin. Für die SPD-Fraktion spricht Frau Dr. Späthe. Sie haben das Wort, Frau Abgeordnete.

Die Redezeit läuft schon, das ist schade.

Nein, ich kann Sie beruhigen. Das wird hinterher draufgegeben. Das haben wir eben bei Frau Lüddemann auch gemacht.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos bei Pflegebedürftigkeit wurde vom Deutschen Bundestag Ende 1994 verabschiedet und ist 1995 in Kraft getreten.

Diesem Gesetz ging ein sehr langer Prozess voraus, in dem sich die Bundesregierung zunächst vehement gegen die Einführung einer staatlichen Pflegeversicherung wandte und am Ende die Notwendigkeit doch einsehen musste. Denn zwischenzeitlich stiegen in diesem Zeitraum die Sozialhilfen im Bereich Hilfe zur Pflege so stark an, dass der Druck der Länder immer größer wurde, auf Bundesebene gegenzusteuern.

Dieses Gesetz zur sozialen Absicherung im Fall der Pflegebedürftigkeit ist das, was der Name schon sagt, nämlich ein Gesetz zur sozialen Absicherung und keineswegs eine Rundumversicherung.

Es ist nicht dazu da, die Pflegekosten und insbesondere die Kosten der Unterbringung in stationären Einrichtungen vollständig zu übernehmen. Das hat dieses Gesetz damals nicht gewollt. In unserem Wortlaut heißt es kurz Teilkasko. So wird sie auch finanziert als eine konventionell umlagefinanzierte Pflichtversicherung und hat relativ niedrige Beitragssätze; das ist heute schon gesagt worden.

Aber nunmehr sind 22 Jahre ins Land gegangen und insbesondere in den letzten Jahren wurde die Pflegeversicherung vielen Änderungen unterworfen. Die letzte Runde waren die Pflegestärkungsgesetze I bis III. Das Pflegestärkungsgesetz II führte den sogenannten - und jetzt kommt es - einrichtungseinheitlichen Eigenbetrag für die Bewohner stationärer Einrichtungen ein.

Dieser soll sicherstellen, dass eine notwendige Höherstufung im Pflegegrad eben nicht zu einer Erhöhung des Eigenbetrags für die Pflegeleistung führt, und zwar nur für die Pflegeleistung; das hat mit Kosten der Unterkunft, Investitionskosten etc. gar nichts zu tun.

Aber diese Vereinheitlichung, die wir jetzt erleben, führt auch zu einer Erhöhung des einrichtungseinheitlichen Eigenbetrags der Bewohner mit niedrigem Pflegegrad. Das ist der Prozess, in dem wir sind.

Darüber hinaus hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die von uns allen gewünschte und geforderte Erhöhung und Aufwertung der Pflegenden auch durch höhere Einkommen ebenfalls zu höheren Kosten führt.

Diese Aspekte treffen uns in Mitteldeutschland besonders. Es ist schon ausgeführt worden, wir haben relativ niedrige Pflegesätze in der Unter

bringung der Bewohner. Andere Bundesländer sind uns weit voraus und es wird zu einer Aufholjagd bei den Pflegesätzen und Unterkunftssätzen in Mitteldeutschland kommen. Deshalb müssen gerade wir uns mit diesem Problem besonders beschäftigen.

Im Moment laufen die Nachverhandlungen zwischen Pflegekasse, Sozialagentur und Einrichtungsträgern. Es werden uns im Laufe des Jahres noch weitere Nachrichten erreichen.

Meine Damen und Herren! Der Ruf nach der Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Vollversicherung ist nicht neu. Führende Vertreter der SPD - Frau Grimm-Benne, unser Parteitag - haben sich dem als Prozess, als Ziel und Vision angeschlossen.

Aber deutlich ist für uns auch, dass gegenwärtig das Prinzip der Vollversicherung noch nicht total durchdacht ist. Was versteht man überhaupt darunter? - Sie haben in Ihrem Redebeitrag sogar die Kosten der Unterkunft mit einbezogen. Das würde zu Beitragssätzen führen, die sich gewaschen haben. Das muss man nachrechnen. So weit sind wir noch nicht. Tatsache ist, es wird teuer, und die Frage ist: Für wen und in welchem Maße?

Unser Alternativantrag „Pflege auskömmlich finanzieren“ greift einige dieser Aspekte auf. Wir wollen, dass das Thema Pflege in all seinen Facetten auf Bundesebene im Zentrum der Arbeit steht, und wir möchten darüber aktuell informiert sein. Gerade, weil es Mitteldeutschland besonders trifft.

Ich möchte noch ein paar Sätze sagen zu dem Sofortprogramm „8 000 Fachkraftstellen der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen“, und zwar als finanzielle Größe. Es ist kritisiert worden, es ginge nur um 8 000 Pflegestellen. Es geht um 8 000 Pflegestellen - finanziell ausgedrückt - für die medizinische Behandlungspflege in Einrichtungen.

Damit wird endlich ein Streit beendet, ein Gezerre um die Krankenkassenbeiträge der Heimbewohner, die über die Pflege die medizinische Behandlungspflege mit finanzieren mussten, die bis dato nicht refinanziert wird. Das ist ein ganz wichtiger Schritt; denn es kommt von außen zusätzliches Geld ins System.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich wollte noch über die zeitnahe Angleichung - -

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich habe jetzt die Sekunden schon zugegeben.

Alles klar.