Protokoll der Sitzung vom 25.05.2018

Es haben sich Strukturen auf allen politischen Ebenen entwickelt, die immer wieder auf die Belange von Menschen mit Beeinträchtigung hinweisen und Entscheidungsträger zwingen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen.

Auch in unserem Land haben sich Kommunen auf den Weg begeben, eigene Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufzustellen. Dies alles ist überhaupt nicht zu denken ohne die bisherige fordernde Teilhabe, die Partizipation von Menschen mit Behinderungen. Dafür allen, die selbst betroffen sind und gemeinsam mit

anderen dafür eintreten, dass unsere Gesellschaft, unser Land immer inklusiver wird, ein herzliches und aufrichtiges Dankeschön.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber noch sind nicht alle Defizite beseitigt, nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Eine dieser dringenden Notwendigkeiten ist heute Anliegen unseres eingereichten Antrages. Das Thema Wohnen beherrscht immer wieder die Diskussion. In diesem Zusammenhang spielt dann die Heimmindestbauverordnung oder, wie es exakt heißt, Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige, Heimmindestbauverordnung aus dem Jahr 1978, neu gefasst 1983 und 2003, eine Rolle.

Nicht zuletzt hat sich auch der Landesbehindertenbeirat mit diesem Thema wiederholt beschäftigt und hat zuletzt seine Meinung mit dem Beschluss 1/2016 zusammengefasst. Dieser Beschluss beinhaltete unter anderem das Wunsch- und Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen hinsichtlich des Wohnens.

Der Beschluss beschäftigt sich mit den geltenden Wohnstandards auf der Grundlage der Heimmindestbauverordnung, mit ambulanten Wohnformen für alle daran interessierten Menschen mit Behinderungen, unabhängig vom Umfang des Hilfebedarfes, mit der Förderung der Selbstständigkeit durch Wohnen und der Entwicklung von neuen, geeigneten Wohnformen. Das alles ist nachzulesen, werte Kolleginnen und Kollegen, im Beschluss 1/2016 des Landesbehindertenbeirates.

Auch der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration hat sich in der letzten Legislaturperiode sowohl mit der Notwendigkeit als auch mit den existierenden Möglichkeiten für neue Wohnformen intensiv beschäftigt. Die Hemmschuhe, um hier vorwärtszukommen, sind noch vielfältig. Ich denke nur an die bindende Wirkung von Fördermitteln.

Ein weiterer Hemmschuh der Entwicklung ist nach unserer Meinung die oben genannte Heimmindestbauverordnung. Ihr Ursprung liegt im Jahr 1978. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, so liest sie sich auch.

Es ist dringend notwendig, hier gezielt einen Sprung nach vorn zu wagen. Bereits vor uns haben zum Beispiel die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein diesen Sprung gewagt.

Es geht uns vor allem um den individuellen Anspruch des Einzelnen; es geht uns um die Änderung der Raumgrößen, die Verbesserung der Standards im Sanitärbereich und in den gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten.

So wird in der aktuellen Heimmindestbauverordnung von einer Wohnfläche für eine Person von 12 m2 und für zwei Personen von 18 m2 ausgegangen.

Die Festlegung für den Sanitärbereich lautet - das will ich hier gern einmal zitieren; ich zitiere aus § 18 - Sanitäre Anlagen - Abs. 1 -: „Für jeweils bis zu acht Bewohnern muss im gleichen Geschoss mindestens ein Spülabort mit Handwaschbecken vorhanden sein.“ In Absatz 2 steht: „Für jeweils 20 Bewohner muss im gleichen Geschoss mindestens eine Badewanne oder eine Dusche zur Verfügung stehen.“

In den Ländern, die bereits Veränderungen in der Heimmindestbauverordnung vollzogen haben, finden wir gute Ansätze auch für unsere Praxis. Lassen Sie mich einige explizit hervorheben: Bayern, nun nicht links dominiert, legt einen Wohn-Schlaf-Raum für eine Person mit einer Wohnfläche von 14 m2 fest, für zwei Personen von 20 m2. Brandenburg legt ebenfalls 14 m2 für eine Person, für zwei Personen 24 m2 fest. Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein schreiben für eine Person mindestens 14 m2 fest, für zwei Personen 20 m2.

Für den Sanitärbereich gibt es folgende Vorstellungen: Baden-Württemberg legt fest, in bestehenden Heimen bis zu zwei Bewohnerzimmern und in neu errichteten Heimen jedem Bewohnerzimmer direkt einen Sanitärbereich mit Waschtisch, Dusche und WC zuzuordnen. In NordrheinWestfalen soll grundsätzlich jedem Zimmer ein eigenes Duschbad mit WC zugeordnet sein. Tandemlösungen, also Nutzungen eines Bades von zwei Bewohnerinnen oder Bewohnern, sollen die Ausnahme sein. Schleswig-Holstein fordert für jedes Bewohnerzimmer ein Bad.

Auch für die gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten gibt es anderswo angepasste Lösungen. Es wird von mindestens drei bis fünf Quadratmeter pro Person ausgegangen, und die Integration von Küchen bzw. hauswirtschaftlichen Räumlichkeiten vergrößert die notwendige bereitzustellende Raumkapazität.

Wie wichtig ein solcher Sprung nach vorn ist, zeigt auch das Antwortschreiben der Ministerin zum Beschluss 1/2016 des Landesbehindertenbeirates. Hierin bezieht Frau Ministerin namens der Landesregierung Stellung und erklärt, dass die Wünsche, die im Beschluss des Landesbehindertenbeirates geäußert werden, auch im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben stehen müssen bzw. in Einklang zu bringen sind.

Unser Ansatz ist allerdings ein anderer. Wir wollen nicht die Wünsche den gesetzlichen Vorgaben, sondern die gesetzlichen Vorgaben den Wünschen bzw. den Erfordernissen der UN-Behindertenrechtskonvention oder auch des Bun

desteilhabegesetzes anpassen, also genau umgekehrt.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch den Trägern von Wohneinrichtungen kämen wir mit Sicherheit entgegen. Ihre Chancen auf das Einwerben von finanzieller Unterstützung anderer, so zum Beispiel durch die „Aktion Mensch“, würden sich durch die Standardanpassung positiv entwickeln, einmal ganz davon abgesehen, dass unbedingt zu akzeptieren ist, dass Menschen mit Behinderungen eben auch das Menschenrecht genießen dürfen, Wünsche zu haben, auch Wünsche im Bereich Wohnen. Es ist doch weder erklärbar noch akzeptabel, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ihr Recht auf eigenen Wohnraum einklagen müssen. Dazu gibt es auch aus der Praxis in unserem Land zahlreiche, nicht gerade rühmliche Beispiele.

Lassen Sie uns ganz im Sinne des Artikels 19 der UN-Behindertenrechtskonvention handeln und angemessene Vorkehrungen treffen, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. - Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Abg. Zoschke. - Es gibt eine Wortmeldung von Frau Dr. Späthe. - Sie haben das Wort, Frau Dr. Späthe.

Danke schön. - Frau Zoschke, Sie haben geradezu mit Genuss aus der Heimmindestbauverordnung aus dem Jahr 1978 zitiert, was die baulichen Anforderungen an die damals gängigen Einrichtungen waren. Sie fuhren fort und sagten: In den Ländern, die bereits diese Verordnung verändert haben, finden Sie gute Ansätze auch für unsere Praxis. Wollen Sie damit allen Ernstes behaupten, der Standard in Sachsen-Anhalt in den Einrichtungen befindet sich auf dem Stand der Heimmindestbauverordnung von 1978, wie Sie sie zitiert haben?

Frau Zoschke.

Danke, Frau Präsidentin. - Nein, das will ich nicht behaupten, sondern ich will hiermit sagen, dass die Anträge, die zum Beispiel Träger an die „Aktion Mensch“ stellen, immer gemessen werden an den Vorschriften, die wir in unserem Land haben,

nicht an dem, was sie real leisten. Deswegen kriegen die diese Zuschüsse auch nicht.

Wenn wir in unseren Heimen sind - Frau Dr. Späthe, das wissen Sie selbst; da waren wir auch sehr oft unterwegs -, stellen wir fest, es gibt ganz viele positive Veränderungen, keine Frage. Aber die Einrichtung von Achtbettzimmern sollte von vornherein ausgeschlossen werden. Darum sollten wir gemeinsam ringen.

Vielen Dank, Frau Zoschke. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Bevor ich aber der Landesregierung, das heißt der Ministerin Frau Grimm-Benne das Wort erteile, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler der Fröbel-Schule aus Halle recht herzlich im Hohen Hause zu begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der wirksame Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner von Wohneinrichtungen für ältere Menschen sowie für Menschen mit Pflegebedarf und Behinderungen vor prekären und menschenunwürdigen Wohnverhältnissen liegt mir und der gesamten Landesregierung sehr am Herzen.

Auch wenn die geltende Heimmindestbauverordnung bereits in die Jahre gekommen ist, erfüllt sie doch noch ihren Schutzzweck. Natürlich hat sich in den vergangenen Jahren vieles getan. Insoweit ist es selbstverständlich, geänderten Verhältnissen und Bedürfnissen durch eine neue Verordnung Rechnung zu tragen.

Mit der neuen Verordnung wird eine Reihe von Punkten geregelt werden, die im Sozialministerium schon seit längerer Zeit zusammengetragen werden. Leitgedanke dieser Verordnung wird die Orientierung an den Prinzipien der UN-Behindertenrechtskonvention sein. Mit einer dynamischen Verweisung auf das Behindertengleichstellungsgesetz des Landes werden die dortigen Regelungen der Barrierefreiheit zudem einbezogen.

Weiterhin soll auch das Thema „Teilhabe an neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten“ und damit etwa die pflichtige Vorhaltung eines WLAN geregelt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ein ganz zentraler Punkt werden die Regelungen zur Einzelzimmer-Quote sein. Nach

Nr. 2 des vorliegenden Antrages soll die neue Verordnung ebenso die Aufhebung bestimmter Zweckbestimmungen von Fördermitteln ermöglichen, damit Mehrbettzimmer sanktionsfrei in Einzelzimmer umgestaltet werden können.

In dieser Hinsicht muss ich Sie leider enttäuschen. Mit einer Landesverordnung kann eine Aufhebung vertraglicher Verpflichtungen des Landes Sachsen-Anhalt gegenüber dem Bund und anderen Fördermittelgebern bezüglich der erhaltenen Fördermittel nicht erfolgen. Das Land Sachsen-Anhalt hat sich im Bereich der Pflegeeinrichtungen mit der Verwaltungsvereinbarung zur Förderung des Investitionsprogramms nach Artikel 52 des Pflegeversicherungsgesetzes gegenüber dem Bund verpflichtet, im Gegenzug für die erhaltenen Bundesmittel in Höhe von 80 % der Gesamtfinanzierung eine bestimmte Anzahl an Pflegeplätzen für die Dauer von 30 Jahren vorzuhalten.

Bei der Aufhebung oder Kündigung dieser Verwaltungsvereinbarung müsste das Land Sachsen-Anhalt nicht nur einen hohen zweistelligen Millionenbetrag an den Bund zurückzahlen. Auch die bisher durch öffentliche Förderung gedeckten Investitionskosten der geförderten Pflegeeinrichtungen müssten von den Pflegebedürftigen selbst oder bei Mittellosigkeit von dem Sozialhilfeträger übernommen werden. Wir hätten dann wohl eine neue Debatte über steigende Heimentgelte.

Bereits heute können in der Verwaltungspraxis nach Prüfung des Einzelfalls Mehrbett- in Einzelzimmer umgewidmet werden. Von dieser Möglichkeit wird Gebrauch gemacht.

Angesichts der geschilderten Sachlage beabsichtigt die Landesregierung, zur Lösung der Problematik ohne eine Verpflichtung zur Rückzahlung von Fördermitteln die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung der Einzelzimmerquote von 80 % mit den Beteiligten zu erörtern und zu entwickeln.

Ich möchte abschließend betonen, dass bei der Erarbeitung derartiger Verordnungen natürlich der Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen wie auch Einrichtungsträger und die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen einbezogen wurden und werden.

Ich denke, wir sind dabei auf einem sehr guten Weg. Ich hatte auch mit einigen Abgeordneten hier im Saal die Möglichkeit, das Richtfest der Lebenshilfe in Magdeburg zu begehen. Die leuchtenden Augen derjenigen, die sich darauf freuen, das erste Mal im Leben eine Wohnung mit einer eigenen Toilette zu haben, sind schon bezeichnend. Da müssen wir hinkommen. Wir sind, glaube ich, alle gemeinsam gefordert, das zu erreichen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gibt keine Fragen. - Somit steigen wir in die Debatte mit drei Minuten Redezeit je Fraktion ein. Die erste Debattenrednerin macht sich schon auf den Weg zum Mikrofon. Für die CDU-Fraktion spricht die Abg. Frau Gorr. Sie haben das Wort, Frau Gorr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin der Fraktion DIE LINKE sehr dankbar, dass sie durch ihren Antrag, in dem sie eine Anpassung der Standards des Wohn- und Teilhabegesetzes des Landes Sachsen-Anhalt an die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, dieses Thema auch in dieser Wahlperiode deutlich aufruft.

Ich kann mich noch gut an unsere Diskussionen in der letzten Wahlperiode mit Betroffenen unter anderem in Halle erinnern, wo wir mit den Sorgen und Nöten von Trägern solcher Einrichtungen, aber auch mit denen der Bewohnerinnen und Bewohner sehr intensiv befasst waren.

Die in Ihrem Antrag unter Punkt 2 genannte Problematik der Zweckbindung von Fördermitteln, die es verhinderte, Mehrbettzimmer sanktionsfrei in Einzelzimmer umzuwandeln, lag uns schon damals schwer im Magen. Daher kann ich Ihre Forderung sehr gut nachvollziehen.

Wir haben im Koalitionsvertrag die Einführung einer Einzelzimmerquote von 80 % vereinbart. Allerdings können wir als regierungstragende Fraktion im Gegensatz zur Opposition nicht nur Forderungen aufstellen, wir müssen diese auch umsetzen.