Protokoll der Sitzung vom 30.08.2018

Sobald wer auch immer versucht festzulegen, wie dieses Heimatgefühl aussehen soll und wer es haben darf und wer nicht, geht es weit weniger um das Verbindende als um das Abgrenzende. Die AfD macht uns das ja nahezu täglich vor. Wer jedoch seine Stärke nur aus der Abgrenzung zu anderen bezieht, der ist nicht stark, sondern der macht andere künstlich schwach.

(Beifall bei der LINKEN)

Was die Frage der Identität angeht: Ja, Identität ist wichtig, jeder hat eine, manche haben auch mehrere.

(Oliver Kirchner, AfD, lacht)

Aus der Tatsache, im gleichen Land geboren zu sein und die gleiche Sprache zu sprechen, erwächst aber zum Glück nicht automatisch eine gemeinsame Identität.

(Beifall bei der LINKEN)

Identität hat etwas mit Sozialisierung, mit Erfahrung, mit Prägung und mit bewussten Entscheidungen zu tun. Was für mich identitätsstiftend ist, ist es für andere noch lange nicht. Warum denn auch um Himmels willen? - Insofern wird Politik, die an ein Heimatgefühl und an Identität appelliert, immer in ihrer eigenen Erzählung, wie dieses Gefühl und diese Identität aussehen sollen, gefangen bleiben. Das ist einerseits ziemlich unproduktiv. Es ist andererseits auch gefährlich.

Mit Empfindungen und Verstößen gegen Empfindungen sind in der Geschichte die größten Grausamkeiten begründet worden. Insbesondere dann, wenn von d e m Volksempfinden die Rede ist, sind Willkür und die Abkehr von sämtlichen zivilisatorischen Errungenschaften nicht weit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie real diese Gefahr ist, sehen wir an den auch hier im Hause vorgetragenen Wünschen nach einer Reinigung des deutschen Volkskörpers von Wucherungen. Wir sehen es an pogromartigen Versuchen, Rechtstaatlichkeit dem als Volksempfinden propagierten Willen von Faschisten, alten und neuen Nazis oder diversen kruden Verschwörungstheoretikern unterzuordnen.

Deren Kampfbegriffe zu übernehmen, ohne diese Verknüpfungen und Bedeutungen zu übernehmen, ist schlichtweg nicht möglich,

(Beifall bei der LINKEN)

sie mit einem universellen und für alle tragbaren Gehalt zu füllen, auch nicht.

Unsere Identität heißt Vielfalt,

(Oh! bei der AfD)

war in den letzten Wochen oft zu lesen. Richtig. Deshalb werben wir dafür, Heimat Heimat und Identität Identität sein zu lassen und nicht zu versuchen, das zitierte Loch mit politischen Appellen an die Gefühlsebene zu füllen, sondern mit Lebensperspektiven und mit einer eben nicht nur gefühlt messbaren Verbesserung von Lebensqualität.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil in der Rede des Ministers auch viel von Zusammenhalt die Rede war und diese Rede

augenscheinlich - so interpretiere ich es zumindest - auch die Funktion haben soll, den Innenminister als künftigen Ministerpräsidenten in Stellung zu bringen, auch dazu einige Bemerkungen.

(Minister Marco Tullner: Keine Spekulatio- nen! - Heiterkeit bei der CDU)

Ist es Ihr Verständnis von Zusammenhalt und Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement, Herr Minister, Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, als Linksextremisten zu diskreditieren?

Ist es Ihr Verständnis von gelebtem Zusammenhalt, Herr Minister, Vereinen, die gegen nicht ein einziges Förderkriterium verstoßen

(Oh! bei der AfD)

und die im Auftrag des Landes unverzichtbare Arbeit leisten, mit Fördermittelentzug zu drohen und die Auflösung nahezulegen, wenn sie nicht ihren Vereinszweck nach Ihrem politischen Willen verändern?

(André Poggenburg, AfD: Neutralitätsgebot, Frau Quade!)

Ist es Ihr Verständnis von Zusammenhalt, wenn Sie mit der Vortäuschung von Faktenwissen aus Ihrem Amt heraus via Interview ein soziokulturelles Zentrum in eine kriminelle Ecke stellen?

Ist es Ihr Verständnis von Zusammenhalt, wenn entgegen jeder Expertise der Ministerpräsident darüber spekuliert, wie er Menschen, die aus dem Bürgerkriegsland Syrien hierher flüchten konnten, möglichst bald wieder loswerden kann?

Nicht zuletzt: Ist es Ihr Verständnis von Zusammenhalt, Menschen die Chance zu nehmen, sich ein zu Hause aufzubauen,

(Oliver Kirchner, AfD: Die sollen Syrien auf- bauen und nicht ein Zuhause!)

mit allen Gefühlen, die man dabei im Übrigen empfinden kann, indem Sie sie anderthalb Jahre kasernieren? - Unser Verständnis von Zusammenhalt ist das nicht.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

In der Tat stellt sich gerade mit Blick auf die Zukunft die Frage, mit wem Sie eigentlich künftig zusammenhalten wollen und gegen wen sich diese Form des Zusammenhaltes richten wird.

Das gilt natürlich nicht nur für Sie, Herr Minister, sondern für die gesamte CDU-Fraktion. Mit Blick auf die heutige Regierungserklärung, auf das Agieren insbesondere der CDU in dieser Koalition und auf Ihres als Minister bleibt für meine Fraktion festzuhalten: Nichts von dem, was heute hier gesagt wurde, bringt irgendeine greifbare Verbesserung der Lebenssituation von Menschen. Nichts

weist Sie als einen besonders guten Innenminister aus, als guten Ministerpräsidenten in spe erst recht nicht. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Abg. Quade, es gibt zwei Fragen von Herrn Poggenburg und Herrn Dr. Schmidt. Sind Sie bereit, darauf zu antworten?

Von Herrn Poggenburg nicht, aber von Herrn Dr. Schmidt ja.

(Widerspruch bei der AfD - Oliver Kirchner, AfD: Das ist Ausgrenzung! - Oh! bei der LINKEN - André Poggenburg, AfD: Eine Kurzintervention! - Ulrich Siegmund, AfD: Sie wollen sich halt nicht stellen!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist das Recht der einzelnen Abgeordneten. Sie müssen nicht auf Fragen antworten. - Nichtsdestotrotz hat Herr Poggenburg die Möglichkeit einer Kurzintervention, die er angekündigt hat. Bitte, Herr Poggenburg.

Sehr geehrte Frau Abg. Quade, eine Bemerkung zuvor, die ich als allgemein anzusehen bitte. Wenn sich Stalinisten und Maoisten über vermeintliche Nazis echauffieren, dann wirkt das immer furchtbar lächerlich. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis!

(Beifall bei der AfD)

Dann zu Ihrem Vortrag folgende Kurzintervention. Sie haben gesagt, dass sich ein linkes und ein konservatives Staatsverständnis völlig widersprächen. An dieser Stelle möchte ich Ihnen widersprechen. Wenn ich zurückschaue, dann gab es beispielsweise eine DDR als linker, antifaschistischer Staat, in dem es sich nicht widersprochen hat - ein konservatives Staatsverständnis und linke Politik.

(Oliver Kirchner, AfD: Richtig!)

Was Sie meinen, ist Ihre neulinke, antiautoritäre, utopische, anarchische Politik der offenen Grenzen. Diese verstößt natürlich vollkommen gegen ein konservatives Staatsverständnis. Sie ist die größte Gefahr für jeden starken, freiheitlichen Rechtsstaat. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!

(Beifall bei der AfD)

Sie haben natürlich das Recht, darauf zu erwidern, müssen es aber nicht. - Herr Dr. Schmidt, Sie dürfen jetzt Ihre Frage stellen. Bitte.

Liebe Kollegin Quade, Sie haben eine Rede gehalten, mit der ich in manchen Dingen ganz einverstanden bin und die offensichtlich faszinierende Kreativität ausgelöst hat, wenn sie Herrn Poggenburg dazu verleitet hat - jemanden, der sich öffentlich dazu geäußert hat, dass er die DDR eigentlich ganz gut fand -, Stalinisten zu beschimpfen, die angeblich im Raum seien. Ich bezweifle, dass er weiß, wovon er redet.

(Zustimmung bei der SPD - André Poggen- burg, AfD: Wieso?)

Ich habe eine kritische Nachfrage. Angesichts der Tatsache, dass das Land Sachsen-Anhalt über rund - inzwischen ist es etwas weniger - 20 Milliarden € an Staatsschulden verfügt und sie abzahlen muss, die nach der jetzigen Tilgungsgeschwindigkeit nach 200 Jahren getilgt sein werden - zu einem Zeitpunkt, an dem die Ururenkel der jungen Menschen, die auf der Tribüne sitzen, nicht mehr am Leben sein, sondern deren Urururenkel als betagtere Damen und Herren das Ende erleben werden -, angesichts der Tatsache, dass wir im Jahr ungefähr 400 Millionen € an Zinsen für diese Schulden bezahlen, Zinsen, die wir von Steuerzahlern zur Bankaktionären und Kapitalanlegern hin umverteilen,

(Olaf Meister, GRÜNE: So ist es!)

glauben Sie nicht, dass die Kinder und Enkel viel mehr als über die Frage der heute nicht geschehenen Ausgaben über uns richten werden über die Frage der heute nicht abgezahlten Schulden?