Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Zu Frage 1: Auf dem Gebiet des Freistaats wurde Ende 1990 ein Wohnungsbestand von insgesamt 1,1 Mio. Wohnungen ermittelt. Eine zahlenmäßige Erfassung hinsichtlich der wohnungssuchenden Familien wurde seinerzeit nicht vorgenommen. Auf der Grundlage der damals in den Wohnungsämtern vorliegenden Wohnungsanträge wurde ohne Ansehung der Qualität der Wohnungen ein rein zahlenmäßiges Defizit von 80.000 bis 100.000 Wohnungen in Thüringen festgestellt.

Zu Frage 2: In den letzten 10 Jahren wurden 104.000 Wohnungen neu gebaut. Unter Berücksichtigung des natürlichen Abgangs und von Abbrüchen gab es Ende 1999 einen Wohnungsbestand von 1,1 Mio. Wohnungen. Damit stehen statistisch gesehen 106 Wohnungen für 100 Haushalte zur Verfügung. Insgesamt hat sich der Wohnungsmarkt zu einem so genannten Mietermarkt gewandelt. Die gegenläufige Entwicklung einer wachsenden Zahl guter

Wohnungen und einer sinkenden Bevölkerungszahl haben zu einem Überhang von rund 100.000 Wohnungen geführt. Von diesen Wohnungen müssen derzeit etwa 60.000 Wohnungen als dauerhaft leer stehend eingestuft werden.

Zu Frage 3: Der Bevölkerung in Thüringen steht heute quantitativ mehr und qualitativ besserer Wohnraum zur Verfügung. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Wohnung ist gegenüber 1990 um fast 10 Prozent auf 74,7 m² gestiegen. Pro Einwohner gerechnet bedeutet das eine durchschnittliche Wohnfläche von 35,3 m², das sind 23 Prozent mehr als 1990. 1990 waren nur 75 Prozent der Wohnungen mit Innen-WC, 84 Prozent mit Bad oder Dusche und 45 Prozent mit einem modernen Heizungssystem ausgestattet. Diese Werte liegen heute bei der Ausstattung mit Innen-WC sowie Bad oder Dusche bei 95 Prozent und moderner Heizung bei 80 Prozent. Kennzeichnend für die Wohnungssituation ist auch die Quote an selbst genutztem Wohneigentum, die im Freistaat von 34,5 Prozent im Jahre 1993 auf nahezu 40 Prozent gestiegen ist. Damit liegt Thüringen an der Spitze der neuen Länder. Insgesamt entspricht das Wohnraumangebot in den Mietpreisschichtungen in der regionalen Verteilung und in der Wohnungsgrößestruktur weitgehend den Bedürfnissen der Bevölkerung. Nachfragen bestehen örtlich und temporär noch in der Versorgung mit altenbetreutem und behindertengerechtem Wohnraum.

Gibt es Nachfragen? Danke schön, Herr Staatssekretär Brüggen. Die Frage ist damit beantwortet und wir kommen zur Frage in Drucksache 3/871. Herr Abgeordneter Heym, bitte.

Entwicklung der Reisetätigkeit nach zehn Jahren Wiedervereinigung

Am 3. Oktober 2000 begehen wir den 10. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. In der öffentlichen Diskussion wird dieses historisch einzigartige Ereignis nicht immer gebührend gewürdigt. Damals wurden zwei deutsche Staaten wieder vereinigt. Im Nachgang stand die Wiedervereinigung der beiden deutschen Gesellschaften häufig in der Kritik und wurde in Zweifel gezogen. Gerade an der Angleichung von Handlungs- und Denkmustern der Menschen lässt sich jedoch der Erfolg des Einigungsprozesses erkennen. Handlungs- und Denkmuster spiegeln sich vor allem in alltäglichen, aber auch in nicht alltäglichen Tätigkeiten wider, wie etwa der Planung eines Urlaubs. Bezogen auf die Reisetätigkeit der Thüringer nach zehn Jahren Einheit frage ich daher die Landesregierung:

1. Wie entwickelten sich die rechtlichen und tatsächlichen Reisemöglichkeiten der Thüringer im letzten Jahrzehnt?

2. Wie oft fahren die Thüringer heute im Vergleich zu 1990 in den Urlaub?

3. Welches ist heute das beliebteste Urlaubsziel der Thüringer; inwiefern stimmt dies mit dem anderer Bundesbürger überein?

4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die Besucherzahlen von Touristen in Thüringen durch geeignete Marketingmaßnahmen noch zu erhöhen?

Herr Minister Schuster, Sie antworten für die Landesregierung. Bevor Sie beginnen, ich möchte Sie bitten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein bisschen ruhiger zu sein, sonst versteht man die Beantwortung der Frage nicht so gut.

Frau Präsidentin, namens der Landesregierung beantworte ich die Mündliche Anfrage von Herrn Heym wie folgt:

Zu Frage 1: Im Zuge der Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde es für alle Deutschen möglich, vom Recht der Reisefreiheit Gebrauch zu machen und ein Reiseziel frei zu wählen, das ihren persönlichen Wünschen entspricht. 1998 gaben die Thüringer Haushalte durchschnittlich im Jahr 1.272 DM für Pauschalreisen aus. 1993 waren es 504 DM. Dies entspricht 3,0 bzw. 1,5 Prozent der Ausgaben für den privaten Verbrauch insgesamt. Vieles spricht allerdings für die Vermutung, dass diese Zahlen in der Zwischenzeit stark gestiegen sind.

Zu Fragen 2 und 3: Hierzu gibt es keine statistischen Erhebungen, die der Landesregierung zugänglich sind. Aus der Entwicklung der Fluggastzahlen, z.B. des Flughafens in Erfurt, lässt sich vermuten, dass die Reisefreudigkeit der Thüringer der Reisefreudigkeit der anderen Bundesländer nicht nachsteht.

Zu Frage 4: Am 04.07.2000 konnte für die neue Internetpräsentation der Landesmarketinggesellschaft der Startschuss gegeben werden. Die Landesregierung wird im Jahre 2000 eine Imagekampagne durchführen, um den Tourismusstandort Thüringen nachhaltig zu bewerben. Die Umstellung vom regionalorientierten auf ein Themenmarketing zeigt bereits jetzt erste Erfolge. Die engere Verknüpfung der Fördermaßnahmen in der touristischen Infrastruktur mit den festgelegten Marketingthemen wird dazu beitragen, neue Synergieeffekte zu schaffen.

(Beifall Abg. Wetzel, CDU)

Vielen Dank. Ich sehe keine Nachfragen. Die Frage ist damit beantwortet. Wir kommen zur Frage in Drucksache 3/888. Herr Abgeordneter Fiedler, bitte.

Rechtswidrige Personaleinstellungen durch den neu gewählten Gothaer Landrat Siegfried Liebezeit (SPD)?

Nach einem Bericht der BILD-Zeitung Thüringen vom 18. August 2000 soll der neue Gothaer Landrat Siegfried Liebezeit (SPD) 16 Beschäftigte ohne öffentliche Ausschreibung und ohne Zustimmung des Personalrats eingestellt haben. In mindestens zwei Fällen soll dafür zudem keine Haushaltsstelle zur Verfügung stehen. Dem Artikel kann entnommen werden, dass an der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zumindest bei einigen der neu eingestellten Personen erhebliche Zweifel bestehen und dass sie nur deshalb eingestellt wurden, weil sie die Wahl von Herrn Liebezeit unterstützt haben.

Sollte diese Meldung zutreffen, lägen in dem Handeln von Herrn Liebezeit gravierende Rechtsverstöße und ein Missbrauch seines Amts als Landrat.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Kenntnis hat die Landesregierung über diesen Sachverhalt und wie beurteilt sie ihn rechtlich?

2. Sind bereits kommunalaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen Herrn Liebezeit eingeleitet worden, und wenn ja, welche Maßnahmen wurden eingeleitet?

3. Welche Maßnahmen gedenkt die Landesregierung zu ergreifen, um die Einhaltung von Recht und Gesetz in den Thüringer Landratsämtern bei der Einstellung von Personal künftig sicherzustellen?

Herr Staatssekretär Brüggen antwortet für die Landesregierung.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, im Auftrag der Landesregierung beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Nach dem jetzigen Kenntnisstand sind durch den Landrat im Rahmen einer Eilentscheidung 16 Angestellte ohne vorheriger externe Ausschreibung eingestellt worden. Diese überaus bedenkliche Vorgehensweise von Herrn Liebezeit stößt auf erhebliche rechtliche Bedenken und wirft Fragen nach kommunalrechtlichen, dienstrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen auf, die zurzeit

geprüft werden. Eine abschließende Beurteilung kann ich daher noch nicht abgeben.

Zu Frage 2: Der Vorgang wird durch das Landesverwaltungsamt unter kommunalrechtlichen, dienstrechtlichen, strafrechtlichen und schadensersatzrechtlichen Gesichtspunkten und auf die Einhaltung des Funktionsvorbehaltes des Artikels 33 Abs. 4 des Grundgesetzes geprüft. Sie können davon ausgehen, dass nach Recht und Gesetz die notwendigen Maßnahmen eingeleitet worden sind bzw. werden. Alle 16 Einstellungen werden Fall für Fall geprüft. Nähere Einzelheiten können im Hinblick auf Artikel 67 Abs. 3 Nr. 1 der Verfassung des Freistaates wegen möglicher schutzwürdiger Interessen der Person des Landrates Liebezeit nicht vorgetragen werden. Ich bin jedoch bereit, im Innenausschuss des Landtags in nichtöffentlicher Sitzung zu den eingeleiteten Maßnahmen Stellung zu nehmen.

Zu Frage 3: Die Kommunen sind verfassungsrechtlich und kommunalrechtlich verpflichtet, nur fachlich geeignetes Personal und im Rahmen des Funktionsvorbehaltes vorrangig Beamte einzustellen. Die Organzuständigkeit und Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen sind ebenso wie die haushaltsrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Bei Verletzungen ergreift die Rechtsaufsichtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen. Der jeweilige Amtsinhaber, der derartige Pflichtverstöße begeht, muss mit disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen sowie mit der Heranziehung zum Schadensersatz rechnen. Ich gehe davon aus, dass die Rechtsaufsichtsbehörden so wie bisher dem Gesetz auch die Geltung verschaffen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen werden.

Gibt es Nachfragen? Ja, Frau Abgeordnete Groß.

Der Herr Landrat Dr. Liebezeit hat inzwischen einen Entwurf für einen Nachtragshaushalt vorgelegt, in dem unter anderem diese 16 Stellen auch verankert sind, die sich inzwischen ausweiten auf 34 ½ Stellen. Meine Frage ist nun dahin gehend: Besteht die Möglichkeit, falls die Kreistagsabgeordneten mehrheitlich dem Landrat folgen sollten, dass damit Rechtsverstöße legalisiert werden?

Diese Möglichkeit besteht nicht. Wenn in dem Verhalten des Landrats ein strafrechtlich, disziplinarrechtlich oder schadensersatzrechtlich relevantes Verhalten liegen sollte, kann dieses nicht nachträglich durch einen Haushalt legalisiert werden.

Es gibt eine weitere Nachfrage.

Keine Nachfrage, ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung an den Innenausschuss.

Moment, so weit sind wir noch nicht. Es gibt tatsächlich eine weitere Nachfrage. Frau Abgeordnete Heß, bitte.

Hat der Herr Minister oder haben Sie, Herr Staatssekretär, ein Gespräch mit dem Landrat geführt, und wenn nicht, ist ein solches beabsichtigt?

Das Landesverwaltungsamt hat bei dem Landrat die entsprechenden Informationen eingeholt und der Landrat bekommt, das Verfahren läuft, jetzt die Gelegenheit zur Anhörung.

Danke schön. Gibt es weitere Nachfragen? Das ist nicht der Fall. Herr Abgeordneter Fiedler, jetzt dürfen Sie noch einmal.

(Zuruf Abg. Fiedler, CDU: Ich habe den Antrag doch schon gestellt.)

Ich habe Ihnen nicht richtig zugehört. Ich bitte Sie, das zu wiederholen.

(Zuruf Abg. Fiedler, CDU: Ich habe nicht erwartet, dass Sie so uninteressiert sind, Frau Präsidentin.)

Oh nein, ich war auf eine Frage gewappnet, aber nicht auf einen Antrag.

(Heiterkeit im Hause)

Frau Präsidentin, ich will es Ihnen gern noch einmal wiederholen. Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung dieser Anfrage an den Innenausschuss.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fiedler. Darüber werden wir jetzt abstimmen. Wer für die Überweisung der Frage an den Innenausschuss votiert, den bitte ich um

das Handzeichen. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Eine sehr große Zahl von Stimmen hat dazu beigetragen, dass die Frage an den Innenausschuss überwiesen ist. Vielen Dank. Damit ist die Frage beantwortet und wir kommen zur Frage der Frau Abgeordneten Wackernagel in Drucksache 3/869.

Zustand der Umwelt nach 10 Jahren Wiedervereinigung

Am 3. Oktober 2000 begehen wir den 10. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. In der öffentlichen Diskussion wird die Einzigartigkeit dieses historischen Ereignisses nicht immer gebührend gewürdigt. Damals wurden zwei deutsche Staaten wieder vereinigt, die historisch und kulturell zwar zusammengehörten, doch die auch viele andere Faktoren voneinander trennte. Zu den trennenden Faktoren zählten neben dem weichen Faktor eines anderen Umweltbewusstseins auch der harte Faktor, dass die Umwelt der fünf neuen Länder beinahe ruiniert war. Zehn Jahre deutsche Einheit sollten Anlass geben zur Überlegung, inwieweit diese trennenden Faktoren, insbesondere Thüringen betreffend, überwunden bzw. abgemildert werden konnten.

Ich frage daher die Landesregierung: