Protokoll der Sitzung vom 16.09.2005

wenn das der prägendste Faktor ist, und in einer freien Gesellschaft, denke ich, noch einmal mehr.

(Beifall bei der CDU)

Die Familie gehört zu den haltenden Kräften. Die CDU hat von ihrem Grundsatzprogramm an über das Wahlprogramm 2004 nie einen Zweifel daran gelassen, dass wir Familie stärken wollen, und das heißt, sie vernünftig auszustatten, sie in ihrer Erziehungsfunktion zu unterstützen, sie aber in dieser Funktion nicht zu ersetzen. Das haben wir ganz klar vor der Landtagswahl gesagt. Dieter Althaus, der Ministerpräsident, hat in seiner Regierungserklärung vor einem Jahr entsprechende Äußerungen gemacht. Wir haben das Familienfördergesetz angekündigt und auf die Wahlfreiheit als tragenden Grund verwiesen. Wir wollen ein Angebot, das der realen Vielfalt gerecht wird und die Wege der Erziehung und frühkindlichen Bildung eben nicht durch bestimmte Strukturen vorgibt. Anders gesagt: Wir wollen nicht, dass einerseits die Kosten für öffentliche Infrastruktur für den einen übernommen werden, wenn andererseits der, der sein Kind daheim betreut, weil er sich eben für diesen Weg entscheidet, leer ausgeht. Wir wollen hier wenigstens in einem kleinen Segment

(Beifall bei der CDU)

echte Wahlfreiheit, auch untersetzte Wahlfreiheit. Das ist unser Wahlfreiheitsbegriff. Das ist ambitioniert, das gebe ich zu. Aber ich sage auch genauso deutlich, es passt zu einer Gesellschaft mündiger Bürgerinnen und Bürger, von denen wir ausgehen, dass wir meinen, sie sind sehr wohl in der Lage, darüber selbst zu entscheiden, wo und wie ein Kind im dritten Lebensjahr betreut wird.

Und da will ich auch noch einen Begriff aufgreifen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie plakatieren im Moment ja überall „Vertrauen in

Deutschland“, Vertrauen als große Frage. Das soll ja auch das große Prä des Noch-Bundeskanzlers Gerhard Schröder sein, aber in Wirklichkeit muss man bei so vielen Äußerungen, die Sie machen, auch was Sie auf Bundesebene gesetzgeberisch getan haben, doch eher das Gefühl haben, Sie misstrauen Bürgerinnen und Bürgern, zumindest misstrauen Sie ihnen, wenn es um die Wahlfreiheit geht offensichtlich, was wir heute hier von rechts und links gehört haben.

(Beifall bei der CDU)

Wo denn sonst, wenn nicht im Kreis der eigenen Familie, sollen Menschen entscheiden können. Zur Erziehung ihrer eigenen Kinder fehlt offensichtlich den so oft von Ihnen beschworenen mündigen Bürgern so ziemlich alles. Und da sage ich nun, das ist ein Stück aus einem vormundschaftlichen Staat, den wir nun wirklich hinter uns gelassen haben und auch weiter hinter uns lassen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Ich weiß, wie sehr wir in diesem Haus auch immer über direkte Demokratie gestritten haben. Wir haben in der 3. Legislaturperiode dann mit einem guten Kompromiss, meine ich, etwas auf Landesebene getan. Aber auf der einen Seite meinen die Fraktionen, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes für mündig halten, bis hin zu komplexen Zusammenhängen über den EU-Verfassungsvertrag abzustimmen in einer Volksabstimmung, plebiszitäre Elemente ins Grundgesetz und jetzt auch bei der Kindertagesbetreuung - gut, gegebenenfalls Volksabstimmung, okay, wir haben die Möglichkeit in Thüringen -, dass aber genau diese Bürger nicht in der Lage seien, in ihrem eigenen Bereich für die Kinder von zwei bis drei Jahren die richtige Entscheidung zu treffen, das müssen Sie mir mal erklären, wie das zusammengeht.

(Beifall bei der CDU)

(Unruhe bei der SPD)

Ich will zusammenfassen: Unser Ministerpräsident Dieter Althaus hat vor einem Jahr eine Regierungserklärung gehalten, ganz bewusst, zu einem Leitthema, was wirklich Thema für diese Legislatur ist und nicht nur in Thüringen, sondern worüber wir auch bundesweit streiten, über den Stellenwert der Freiheit, die für uns ein Grundwert ist, der Grundwert, aus dem wir heraus überhaupt Kreativitätspotenzial, Aufbruch für Deutschland nur erwarten können, die Chancen der Freiheit nutzen. Das heißt, wir wollen wirklich einen Paradigmenwechsel, ein Umdenken und auch deswegen streiten wir ja so erbittert, weil Sie das natürlich spüren.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Endlich geben Sie es zu!)

Aber wir stellen uns gern diesen Auseinandersetzungen, und zwar auch in einer offensiven Art und Weise, denn auf mehr Freiheit zu setzen, auch Mut dazu zu machen, müssen wir dann wenigstens an ganz kleinen Segmenten einmal in die Praxis umsetzen. Auch dazu ist dieses Familienfördergesetz, ist unsere Familienoffensive ein Beispiel, wo wir das exerzieren, und, ich denke ganz deutlich, es geht wirklich um Offensive. Das merkt man in der Auseinandersetzung. Wir werden uns zumindest von diesen grundsätzlichen Positionen nicht abbringen lassen, vor allem, was wir im Detail noch bereden können, und für Detailberatungen sind wir sehr.

Deswegen hole ich noch nach, dass wir beantragen federführend die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit, mitberatend an den Haushalts- und Finanzausschuss, Bildungsausschuss, Innenausschuss und Gleichstellungsausschuss. Ich denke, da wird deutlich, wir haben ausreichend Gelegenheit, noch weiter über diese Details hier im Thüringer Landtag zu sprechen. Im Grundsatz stehen wir fest, davon können Sie überzeugt sein. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der Linkspartei.PDS hat sich der Abgeordnete Kuschel zu Wort gemeldet.

(Unruhe bei der CDU)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin sehr erfreut, dass allein die Ankündigung, dass ich hier ans Rednerpult trete, ohne dass ich ein Wort gesagt habe, schon bei der CDU Begeisterungsstürme auslöst. Ich hoffe, das bleibt so.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich möchte zunächst mal was aus dem Duden zitieren, weil heute schon des Öfteren von Illusionen gesprochen wurde. Also der Duden nennt eine Illusion eine beschönigende Selbsttäuschung über einen in Wirklichkeit wenig positiven Sachverhalt. Als mildere Variante bietet der Duden an: eine falsche Deutung von tatsächlichen Sinneswahrnehmungen. Ob nun von grobem Irrtum oder unfeiner Absicht begleitet, ein treffendes Beispiel für solche Illusionen sind die angeblich segensreichen Wirkungen dieses Gesetzes. Und zu Recht regt sich dagegen der Protest, denn dieses Gesetz ist unehrlich, un

seriös, es weist handwerkliche Mängel auf und es führt zu einer Problemverlagerung vom Land auf die Kommunen. Zu einigen diesen Dingen möchte ich noch etwas sagen, was bisher in der Debatte nicht den Schwerpunkt gebildet hat.

Zunächst möchte ich noch mal darauf verweisen, dass der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz durch Bundesrecht geregelt ist, also eine staatliche Aufgabe ist, und die Kommunen sind nur mit der Realisierung beauftragt. Die Kommunen nehmen diese Aufgabe sehr gern wahr, aber haben andererseits natürlich einen Anspruch darauf, dass sie mit der Finanzierung nicht allein gelassen werden, sondern dass eine ausgewogene Finanzierung hinsichtlich der Realisierung dieses Rechtsanspruchs auch verwirklicht wird. Insofern sind also die bisherigen Zuwendungen des Landes an die Kommunen für den Bereich der Kindertagesstätten kein Gnadenakt, sondern sind Verfassungsauftrag in Umsetzung von bundesrechtlichen Regelungen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Und es bleibt bei dem Fakt: Die Verlierer dieses Gesetzes sind nicht nur die Eltern und Kinder, sondern auch die Kommunen. Denn Sie können hin und her rechnen, wie Sie wollen, Ihre unseriöse Rechnung - die Finanzministerin ist nicht da, aber andere Vertreter der Landesregierung sind dort ja mit beteiligt, deswegen werden sie sicherlich übermitteln - fängt schon damit an, dass Sie einfach von dem Haushaltsansatz ausgehen, von den 128 Mio. €, obwohl Sie wissen, dass Sie 2004 eben 148 Mio. € ausgegeben haben. Und die 20 Mio. € erwähnen Sie in der Debatte überhaupt nicht mehr. Aber man muss eben von 148 Mio. € ausgehen und der Fraktionsvorsitzende der SPD hat schon dargestellt, in der Folge bleiben knapp 100 Mio. € noch für den Bereich der Kindertagesstätten übrig. Da brauche ich weder Mathematiker zu sein noch sonst was, das ist normales Rechnen, es fehlt ein Drittel.

Ihr Vorwurf, bei den Kommunen würden angeblich Überkapazitäten vorgehalten werden, das zeugt wohl davon, wie weit Sie von den Realitäten entfernt sind,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

denn die Finanzsituation der Kommunen gestattet es den Kommunen schon lange nicht mehr, großzügig Vorhaltekapazitäten zu finanzieren. Da ein großer Anteil an der Kindertagesstättenfinanzierung von den Kommunen selbst aufzubringen ist, glaube ich, werden die alles tun, aber keine Vorhaltekapazitäten schaffen - zumindest nicht in der Größenordnung. Dass man Schwankungen im einstelligen Prozentbereich hat, ist dabei eine ganz andere Frage. Man hat bei diesem Gesetz tatsächlich den Eindruck,

dass Sie mit Ihrer Landeshaushaltspolitik gescheitert sind, und jetzt sollen die Eltern, die Kinder und die Kommunen dieses Scheitern finanziell schultern. Das ist natürlich eine sehr unseriöse Haushaltspolitik, denn Sie sollten selbst Ihre gescheiterte Politik auf Landesebene wieder in Ordnung bringen und nicht das auf die kommunale Ebene verlagern und dmit die Kommunen, Eltern und Kinder in Mithaftung nehmen.

Sie machen es noch extremer. Sie hetzen nämlich die kommunale Ebene untereinander auf, indem Sie Konflikte zwischen den Landkreisen und den Gemeinden schaffen,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

indem Sie jetzt einfach festlegen, dass auf einmal die Landkreise zuständig sind. Die sollten zunächst 85 Prozent der Personalkosten übernehmen, das haben Sie jetzt auf 50 Prozent reduziert, aber unabhängig davon, das wird zwingend dazu führen, dass eine neue Diskussion über solche Fragen wie Kreisumlage entsteht, weil sich die Landkreise anders nicht finanzieren können. Damit haben die Kommunen Aufwendungen auf der einen Seite im sächlichen Bereich und müssen über die Kreisumlage auch noch diese gesamte Personalkostenstrecke mitfinanzieren. Und auch das ist unehrlich, dass Sie dort neue Konflikte hervorrufen, und nicht umsonst hat deshalb der Thüringische Landkreistag berechtigterweise seinen Protest angemeldet. Ich bin mal gespannt, inwieweit das bei Ihnen Wirkung zeigt.

Einen weiteren Aspekt möchte ich ansprechen. Mit diesem Gesetz schaffen Sie Planungsunsicherheit bei den Kommunen, weil die Kommunen nicht wissen, wie sich die Eltern entscheiden. Aber da es einen Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz gibt, zumindest ab drei Jahren, zwingen Sie die Kommunen gerade zu dem, was Sie jetzt verhindern wollen, nämlich dass Vorhaltekapazitäten geschaffen werden. Die Kommunen müssen die aber vorhalten, weil die Eltern, die sich zunächst für die Betreuung in der Familie entschieden haben, zu jedem Zeitpunkt sagen können, nein, ich will jetzt mein Kind in die Kindertagesstätte geben. Um das zu sichern, müssen die Kommunen in viel stärkerem Maße als bisher die Vorhalteleistungen erbringen. Damit tritt genau das Gegenteil ein, was Sie wollten. Sie wollen mit dem jetzigen Gesetz angebliche Überkapazitäten oder Vorhaltekapazitäten abbauen, aber nein, Sie zwingen die Kommunen, diese Vorhaltekapazitäten bewusst jetzt aufzubauen. Was das noch mit Sinnhaftigkeit zu tun hat, das kann ich nicht nachvollziehen.

Einen Punkt möchte ich ansprechen, wo ich glaube, da muss die Landesregierung aufpassen, dass sie

nicht den Tatbestand der Untreue erfüllt, und zwar ist das die Bildung des Stiftungsvermögens. Wesentliche Teile des Landeshaushalts sind kreditfinanziert. 1 Mrd. € im Jahr nehmen Sie Kredite auf. Jetzt nehmen Sie aus dieser Kreditsumme Geld und tun es in eine Stiftung, um aus dem Stiftungserlös bestimmte Dinge zu finanzieren. Das ist aber nicht Ihr Geld, sondern das ist geborgtes Geld. Und jeder weiß natürlich, dass die Kreditbeschaffungskosten über den möglicherweise zu erwartenden Erlösen liegen. Wer das macht - ich erinnere an den Prüfbericht des Landesrechnungshofs zum Zweckverband Gotha und Umland -, erfüllt den Tatbestand der Untreue. Ich bin also gespannt, wie der Rechnungshof darauf reagiert. Im Fall Gotha haben Sie sich natürlich so viel Zeit gelassen, dass Verjährung eingetreten ist. Ich hoffe, dass Sie hier nicht das Gleiche machen, dass Sie so lange warten, dass dann Verjährung eintritt, aber der Fakt bleibt. Wenn Sie einen Kredit aufnehmen und ihn anlegen, um daraus Erlöse zu finanzieren, machen Sie ein Minus und damit veruntreuen Sie hier öffentliche Gelder.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, wenn Herr Panse immer redet, da habe ich ein Gleichnis im Kopf. Herr Panse, Sie reden so wie der Experte, der zwar 99 Liebesstellungen kennt, aber leider keine Frau.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das ist natürlich immer dann gefährlich, wenn Sie sich hier als Sozialexperte profilieren. Ich will es an einem Beispiel festmachen. Sie kritisieren, dass letztlich durch die zusätzliche Sachkostenfinanzierung bei den freien Trägern eine versteckte Subventionierung der Kommunen erfolgt. Sie selbst haben jahrelang mit diesen 20,45 € pro Platz und Monat eine Motivation gegeben, möglichst viele Kindertagesstätten in freie Trägerschaft zu überführen, und zwar über die finanzielle Schiene.

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Ich habe es vorhin zweimal erklärt, aber Sie haben nicht zugehört oder Sie haben es nicht verstanden.)

70 Prozent sind inzwischen in freier Trägerschaft. Und jetzt nehmen Sie diesen Automatismus und machen ihn zum Vorwurf an die Kommunen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das meine ich eben, wenn ich sage, Sie reden manchmal über Dinge und sind ganz weit von den kommunalen Realitäten weg.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Was soll denn eine Kommune machen, wenn sie motiviert wird, noch mal 20 € zu bekommen? Dann haben Sie es doch ausgereicht. Das jetzt den Kommunen zum Vorwurf machen, das ist das große Problem.

Meine Damen und Herren, noch zwei abschließende Bemerkungen möchte ich zu dem machen, was Frau Lieberknecht gesagt hat. Sie hatte zu Beginn darauf verwiesen, dass nur die Mehrheitsfraktion in diesem Hause diesen und andere Gesetzentwürfe erstellt hat. Ich bin froh darüber, dass ich an einem solchen Gesetz nicht mitgewirkt habe, weil ich mich dafür schämen würde, und will mich keinesfalls dort in Haftung mitnehmen lassen. Wenn Sie immer auf andere verweisen, z.B. Mecklenburg-Vorpommern, dann will ich auch dort mit einem Gleichnis abschließen, weil es mich an die Zeit vor 1989 erinnert. Da war immer eine Diskussion, weil bei uns keine Bananen im Angebot waren, haben wir immer die Forderung gestellt, dass weltweit keine Bananen mehr angebaut werden. Das kann es wohl auch nicht sein. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Mir liegen jetzt seitens der Abgeordneten keine weiteren Redewünsche mehr vor. So rufe ich für die Landesregierung den Kultusminister Prof. Goebel auf.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir bringen heute das Familienfördergesetz ein und gleichzeitig fordert die SPD in ihrem Antrag, alles beim Alten zu lassen, die bestehenden Landesförderungen im Bereich der Kindertagesstätten und der Unterstützung von Familien in Art und Umfang aufrechtzuerhalten. So steht es wörtlich in Ihrem Antrag. Das ist natürlich keine besonders intelligente Art des Umgangs mit dem Gesetz. Wir hören in der Debatte solche Worte wie „freier Fall“, „Bruchlandung“ oder „die Familienförderung würde zerstört“, so hat es Frau Pelke gesagt.