Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Meine Damen und Herren, das OVG in Weimar sieht die im Freistaat geltende Rechtslage so, dass alle Gemeinden verpflichtet sind, eine Straßenausbaubeitragssatzung zu erlassen und zur Anwendung zu bringen. Das Neue daran ist - und für mich ist das auch neu, ob die Städte und Gemeinden das wollen oder nicht, Frau Taubert, da gehe ich mit Ihnen hier nicht konform -, dass es bis jetzt keine andere Alternative gegeben hätte. Wenn es keine andere Alternative gegeben hätte, dann hätte es nicht so viele Kommunen gegeben, die über keine Satzung verfügen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Die Ver- fahrensweise ist das Problem.)

Das OVG geht noch einen Schritt weiter: Es unterstellt, nach gültiger Rechtsprechung müsste jede Gemeinde seit 7. August 1991, seit Inkrafttreten des Thüringer Kommunalabgabengesetzes, ununterbrochen über eine rechtskräftig erlassene Straßenausbaubeitragssatzung verfügen und diese auch zur Anwendung bringen. Das heißt nichts anderes, bei allen seit 1991 gebauten beitragsfähigen Maßnahmen, also den kommunalen Straßen, sind die dann Beitragspflichtigen nicht nur zu beteiligen, nein, das Oberverwaltungsgericht verlangt, die Beiträge auch rückwirkend zu erheben, rückwirkend bis 1991. Das gilt auch für die Gemeinden, die bis jetzt noch keine Straßenausbaubeitragssatzung haben. Das sind, wie wir ja alle vernehmen konnten, in Thüringen eine ganze Menge Kommunen. Das gilt aber auch für die Thüringer Gemeinden, die sich mit ihren Straßenausbaubeitragssatzungen für wiederkehrende Beiträge entschieden haben und das muss geändert werden, weil wir wissen, wiederkehrende Beiträge dürfen nicht rückwirkend erhoben werden. Und das gilt natürlich auch für all die Städte und Gemeinden, meine sehr verehrten Damen und Herren, die im Besitz einer gültigen Straßenausbaubeitragssatzung sind und diese auch angewendet haben, allerdings nicht schon 1991, sondern auch erst später. Die werden, wie alle anderen auch, Probleme haben, den tatsächlichen Aufwand nachzuweisen, der bei den Straßenausbaumaßnahmen, die ja Anfang der 90er-Jahre teilweise realisiert worden sind, entstanden ist.

Was mich anbetrifft, meine Damen und Herren, ich habe, wenn man es so will, Glück im Unglück. In meiner Heimatstadt wurde in den Anfangsjahren 1990 bis 1999, damals von CDU-Bürgermeistern regiert, weitestgehend kein grundhafter Straßenausbau gemacht. Man hat sich dort dieser Problematik nicht angenommen und - nur nebenbei hier einmal im Landtag gesagt - so sah natürlich dann auch letztendlich die Stadt aus. Aber es geht hier nicht um Glück oder Unglück eines Bürgermeisters oder seines Rates, es geht darum - und deshalb hat meine Fraktion diesen

Gesetzentwurf auch hier eingebracht -, auf ein vom Oberverwaltungsgericht in Weimar erkanntes Problem in der Gesetzgebung unseres Landes angemessen zu reagieren. Wie meist, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit - und die wollen Sie -, man kann es wie vom OVG jetzt vorgeschrieben, so lassen oder die zweite Möglichkeit, die liegt ebenso auf der Hand, man kann es als Gesetzgeber ändern und man kann, wie es in der Begründung unseres Gesetzantrags auch steht, wie in Berlin verfahren. Ich möchte jetzt auch noch einmal einige Ausführungen dazu machen, weil das auch bei den Vorrednern hier angesprochen worden ist. Die Einschränkung der Möglichkeit der rückwirkenden Erhebung von Straßenausbaubeiträgen ist verfassungsrechtlich möglich. Was in Berlin verfassungsrechtlich geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, das muss in Thüringen erst recht gehen. Es ist ja wohl nicht einzusehen, dass im Jahre 2007 Thüringer Bürgerinnen und Bürger schlechter gestellt werden als Berliner. Die dortige Senatsverwaltung schließt aus verfassungsrechtlichen Gründen eine rückwirkende Erhebung von Straßenausbaubeiträgen mit dem Verbot der Abgabenerhebung für einen in der Vergangenheit liegenden Tatbestand aus.

(Zwischenruf Abg. Stauche, CDU: Wel- ches Gesetz … beschlossen haben.)

Und dem, Frau Stauche, sollten wir uns anschließen, denn wenn man Letzteres tut, müsste der Thüringer Landtag lediglich - und „lediglich“ setze ich hier einmal in Anführungszeichen - mehrheitlich dem Vorschlag der Linkspartei.PDS folgen. Das habe ich zwar in meiner Tätigkeit hier als Landtagsabgeordnete noch nicht erlebt, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und vielleicht geschehen ja heute auch noch Zeichen und Wunder hier im Thüringer Landtag.

Abgeordnete Enders, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Taubert zu?

Frau Taubert, zum Schluss dann.

Zum Schluss, Frau Taubert.

Wenn schon nicht alle, dann springt vielleicht der eine oder andere Abgeordnete der Mehrheitsfraktion heute mal über seinen Schatten, erinnert sich und entscheidet sich bei der Abstimmung für das, was die Mehrheit des Thüringer Landtags bei der Verabschie

dung des Kommunalabgabengesetzes eigentlich wollte: Straßenausbaubeiträge sollen erhoben werden können, müssen aber nicht. Es wäre jedenfalls eine bürgerfreundliche Entscheidung, so zu verfahren. Die kommunale Selbstverwaltung würde gestärkt, verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat könnte wiedererlangt werden und nicht zuletzt würde damit auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau geleistet.

Im anderen Fall, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann sich jeder an das Jahr 2004 erinnern und kann es mal wieder ins Gedächtnis rücken, wo im Ergebnis massivster Bürgerproteste vom Thüringer Landtag auf Geheiß des Ministerpräsidenten eine mit sehr heißer Nadel gestrickte Novellierung des Kommunalabgabengesetzes auf den Weg gebracht worden ist.

(Zwischenruf Abg. Stauche, CDU: Die ihr abgelehnt habt.)

Es wird nämlich wirklich schwer werden, Frau Stauche, den betroffenen Bürgerinnen und Bürger der Thüringer Kommunen zu erklären, warum sie für Anfang der 90er-Jahre gebaute Straßen zur Kasse gebeten werden sollen. Es werden nicht die Damen und Herren Minister sein und es werden auch die wenigsten der hier anwesenden CDU-Landtagsabgeordneten sein, die das dann den Bürgern erklären müssen. Es werden vor allem die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sein, es werden die Mitglieder von Stadt- und Gemeinderäten sein, es werden die zuständigen Mitarbeiter der Verwaltungen sein, die diese Aufgabe dann zu erledigen haben und - das muss ich Ihnen auch ganz deutlich sagen - das selbst überhaupt nicht verstehen und nicht nachvollziehen können. So würde es mir an dieser Stelle zumindest gehen. Ganz abgesehen von der Bürokratie, die mit der Umsetzung dieses OVG-Urteils verbunden ist, auch die erfordert am allermeisten die Akteure vor Ort.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wer macht es denn kompliziert?)

Die kommunale Praxis zeigt nämlich, Satzungen zu beraten, rechtskonform in den Räten zu beschließen, sie dann noch von der Kommunalaufsicht prüfen zu lassen und auch die Bestätigung dafür zu bekommen und noch ordentlich zu veröffentlichen - es ist zwar hundertfach erprobt, aber wir haben erlebt, was in Thüringen hier passiert ist. Dies ist nämlich mit vielen Tücken auch verbunden gewesen und wir wissen, welche Probleme es gerade auch in der letzten Zeit mit Veröffentlichungen und anderen Dingen gab.

Ich habe eines noch nicht gesagt, dass es dann immer noch ein weiter Weg ist, bis das Geld für die beschiedenen Straßenausbaubeiträge in der Gemeindekasse ankommt, zumal in den Fällen der rückwirkenden Erhebung von Straßenausbaubeiträgen - davon gehe ich aus - mit einer großen Anzahl von Widerspruchsverfahren zu rechnen ist. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich kann das verstehen, wenn sich hier die Bürgerinnen und Bürger wehren. Genauso schwer stelle ich mir die Aufgabe vor, meine sehr verehrten Damen und Herren, einen Gemeinde- oder Stadtrat, der bislang stolz darauf war, den Ausbau der kommunalen Straßen ohne kostenmäßige Beteiligung von Grundstückseigentümern bewältigt zu haben, davon zu überzeugen, dass dies ab 1991 rückwirkend mittels einer im Rat beschlossenen Satzung zu ändern ist. Für Straßen, deren Ausbau unter Umständen 15 bis 16 Jahre her ist und die schon wieder „dran“ sind, wie die Bürgerinnern und Bürger im Volksmund so sagen.

So etwas, meine Damen und Herren, nenne ich einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung und ich kann das hier nur aufs Entschiedenste zurückweisen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich teile die Überzeugung meiner Fraktion, wer als Thüringer Kommune mit seinen Finanzen zurechtkommt, der muss auch das Recht haben, darüber selbst zu entscheiden, ob er mittels Ausbaubeiträgen Grundstückseigentümer, Einwohner und Gewerbetreibende an den Kosten der Infrastruktur beteiligt oder nicht. Differenzierter, und das sage ich hier an dieser Stelle vom Rednerpult auch, sehe ich es dort, wo Schlüsselzuweisungen, wo eigene Einnahmen nicht ausreichen. Deswegen sage ich auch, wer z.B. Bedarfszuweisungen beantragt, der muss sich weiterhin Fragen nach einer Haushaltskonsolidierung gefallen lassen und darf auch zukünftig nicht nur darauf vertrauen, ohne eigenes Zutun seine Defizite von der Allgemeinheit ausgeglichen zu bekommen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, rückwirkende Straßenausbaubeiträge - ich möchte noch mal dazu kommen: Es ist schon schwer für Bürgermeister, die laufenden und künftigen Aufgaben im Dialog mit den Bürgern und den Ratsmitgliedern zu diskutieren und auch auf den Weg zu bringen. Ich sage Ihnen aber, es gibt kaum Verständnis oder - besser gesagt - es gibt kein Verständnis der Bürger für dieses überholte Finanzierungssystem des Straßenausbaubeitragsrechts.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich muss auch deutlich sagen, es gibt andere Möglichkeiten und Alternativen. Warum denn nicht eine steuerfinanzierte Geschichte? Das machen wir doch

z.B. bei Bundes- und Landesstraßen auch. Dann stehen wir vor unseren Bürgerinnen und Bürgern und erklären dort, das ist eine Bundesstraße, das ist eine Landesstraße, hier ist die Finanzierung so und bei einer kommunalen Straße so. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das versteht der Bürger überhaupt nicht mehr. Sich diesen Aufgaben zuzuwenden, das tun wir Bürgermeister, natürlich, weil wir es ganz einfach momentan müssen. Aber sich Dingen zuzuwenden, die Jahre zurückliegen, wo Ärger vorprogrammiert ist, das will keiner. Wo selbst dort, wo es seit 1991 Straßenausbaubeitragssatzungen gibt, es völlig ungewiss ist, wann und in welcher Höhe die Gelder jemals fließen, und dort, wo die Kommunen, die bislang auf Straßenausbaubeitragssatzungen verzichteten, auch nach der vom OVG festgestellten Rechtslage keine zusätzlichen Einnahmen erwarten können, weil die bereits realisierten Straßenausbaubeitragsmaßnahmen in den jährlichen Haushaltsplänen finanziert worden sind und dem Land auch hier keine Kosten entstehen, da wird außer Frust, da wird außer Politikverdrossenheit nichts wachsen, Vertrauen, meine Damen und Herren, in den Gesetzgeber, in den Thüringer Landtag, jedenfalls nicht.

Deshalb, meine Damen und Herren, stimmen Sie der Änderung des Thüringer Kommunalabgabenrechts mit der Zielstellung, dass Straßenausbaubeiträge nur dann erhoben werden können, wenn bis zum Beginn der beitragsfähigen Maßnahme eine rechtskräftige Straßenausbaubeitragssatzung vorliegt, zu, so wie es unsere Fraktion beantragt hat. Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sie hatten die Frage der Abgeordneten Taubert zugelassen. Frau Taubert, bitte.

Frau Kollegin Enders, ich hatte ja vorhin schon mal nachgefragt, ob mir das jemand erklären kann, aber jetzt direkt an Sie die Frage: Ich habe hier die Vorlage, die ja von der Linkspartei.PDS-Fraktion auch federführend mit eingebracht wurde und kann daraus lesen, dass Berlin vorher eine andere Regelung hatte, jetzt das Gesetz geändert und dort eingeführt wurde und das Gesetz ein Rückwirkungsverbot hat. Wo liegt jetzt Ihrer Meinung nach die Besonderheit, die abweicht von der normalen Regelung, die wir jetzt in Thüringen anwenden sollten?

Ich sehe, dass wir eine Rückwirkung, die durch dieses OVG-Urteil vorgesehen wurde,

(Zwischenruf Abg. Doht, SPD: Unser Ge- setz gilt aber schon länger.)

an dieser Stelle unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht zumuten können. Ich denke, wir haben mit unserem Gesetzentwurf eine Möglichkeit eröffnet, das zu ändern, und, meine Damen und Herren, das sollten wir tun.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es liegen weitere Wortmeldungen vor, Abgeordneter Fiedler, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon hanebüchen, was man sich hier von der Linkspartei.PDS anhören muss. Frau Kollegin Enders, Ihnen nehme ich ja manche Dinge noch ab, Sie sind auch eine Bürgermeisterin, die sich mit den Dingen natürlich jeden Tag beschäftigen muss und das auch macht und ich bin auch Bürgermeister. Dass Dinge, die rückwirkend durch ein OVG-Urteil hier in den Raum gestellt wurden, keine Freude machen, das ist doch wohl jedem klar. Aber dann immer gleich zu rufen: Gesetzgeber, du musst jetzt tätig werden, wenn solche Urteile da sind, deswegen komme ich auf das „hanebüchen“ und auf das, was mich so in Rage bringt. Dass derselbe Herr Kollege von Ihnen, der parlamentsunwürdige Abgeordnete Kuschel (Kaiser), dieses provoziert hat in Benshausen, dass wir dieses Urteil überhaupt auf dem Tisch haben, dass viele Kommunen im Lande jetzt so richtig in Rage gebracht werden, das ist doch gerade durch Ihre Leute passiert.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben es provoziert. Sie haben es wissentlich in Kauf genommen, weil vorher die Dinge ganz klar waren, wie das ausgeht. Jetzt stellt sich derselbe Herr hin und sagt hier, jetzt müssen wir dies und jenes machen.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Das kann man doch niemanden mehr erklären.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Enders zu?

Ja, weil es die Frau Enders ist.

Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Danke schön, Herr Fiedler. Herr Fiedler, mal eine Frage zu Ihren eingangs gemachten Ausführungen: Welche Aufgabe hat denn Ihrer Ansicht nach dieser Thüringer Landtag? Wir sind hier Gesetzgeber. Wer soll denn sonst etwas ändern?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie wissen, wenn entsprechende Obergerichtsurteile gefällt sind, da kann sich der Gesetzgeber nicht einfach kraft seiner Wassersuppe - er kann das nicht in jedem Fall und das müssen selbst Sie gelernt haben, die Sie ja schon eine Weile im Landtag sind - über manche Urteile hinwegsetzen.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, Die Links- partei.PDS: Doch.)

Ich sage dazu, nicht nur nicht können, auch teilweise nicht wollen, weil natürlich auch manche Dinge eine Unrechtbehandlung sind.

(Zwischenruf Abg. Reimann, Die Links- partei.PDS: Wer denn sonst?)

Meine zwei Kolleginnen haben das ja hier vorgetragen, Kollegin Stauche und die Kollegin von der SPD, mir fiel gerade der Name nicht ein.

(Zwischenruf Abg. Taubert, SPD)