Protokoll der Sitzung vom 29.03.2007

bis aus einer solchen neuen Struktur etwas geworden ist, das der Bürger annimmt und als seine eigene Struktur begreift. Das ist das eine. Sie berichten, dass ein großer Bedarf daran besteht, auf der untersten Ebene der kommunalen Strukturen etwas zu ändern, und zwar, dass dieser Landtag entscheiden möge, wie denn die neuen Strukturen auszusehen haben. Die Landesregierung hat von kommunalen Strukturen grundsätzlich eine andere Auffassung. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass die Entscheidungen da getroffen werden sollen, wo der Sachverstand am stärksten ausgeprägt ist und wo die Betroffenheit derjenigen, die die Entscheidung treffen, möglichst auch dicht an der Entscheidungsebene liegt, und das ist die kommunale Ebene

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Also wie bei der Landesregierung.)

und die Thüringer Kommunalordnung bietet das Instrumentarium dafür, dass sich Gemeinden, dass sich Bürger und ihre Vertretungskörperschaften entscheiden, in eine andere Struktur zu gehen, und es ist deutlich, dass es in Thüringen sehr unterschiedliche Entwicklungsstände auf der kommunalen, auf der gemeindlichen Ebene gibt, und da liegt der Unterschied in der Sichtweise.

Schon Alfred Tarski hat in seiner Einführung in die mathematische Logik 1936 ausgeführt, dass es häufig auf den Vorsatz ankommt. Nicht alle Kommunen werden wirtschaftlicher, wenn sie ihre Strukturen vergrößern, aber ohne Weiteres ist richtig, dass man sagen kann, es gibt Kommunen, die ihre Strukturen dadurch verbessern können, dass sie sich vergrößern, und genau das ist der Weg, den die Landesregierung unterstützt.

Herr Staatssekretär, Frau Abgeordnete Wolf möchte Ihnen eine Frage stellen. Gestatten Sie das?

Ich würde mich freuen, wenn die Frau Abgeordnete Wolf ihre Frage bis an das Ende meiner Ausführungen zurückstellt.

Das macht sie.

Herr Abgeordneter Matschie, woher nehmen Sie eigentlich den Mut, ständig zu behaupten, größere Strukturen seien kostengünstig? Sie haben nebulös von Gutachten in drei anderen Bundesländern gesprochen, Sie haben kein einziges zitiert und vor allen Dingen mangelt es in Ihren Ausführungen an einem: Sie haben keine einzige Zahl genannt. Ich will Ihnen drei Zahlen nennen. Thüringen ist das einzige Bundesland, das in den letzten beiden Jahren auf der Basis von 1,8 Mio. Datensätzen die tatsächlichen Aufwendungen der Gemeinden, der Kreise und der kreisfreien Städte zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhoben hat. Und wenn eine Aussage durch diese Erhebungen und ihr Ergebnis widerlegt ist, dann ist es die Aussage: Große Gemeindestrukturen arbeiten kostengünstiger als kleine.

(Beifall bei der CDU)

Dieses ist schlicht falsch. Und ein Pferd, das tot ist, Herr Abgeordneter Matschie, wird nicht dadurch lebendig, dass man darauf sitzen bleibt.

Herr Staatssekretär, es gibt einen weiteren Anfragewunsch durch die Frau Abgeordnete Taubert. Wie verfahren wir da?

Ich kann mir vorstellen, dass die Frau Abgeordnete Taubert gern noch darauf verzichten würde, um die drei Zahlen zu hören, die ich nennen möchte. Ich möchte aber gern jetzt fortfahren. Danke schön.

Ich nenne Ihnen drei Zahlen, Herr Abgeordneter Matschie. Die eine Zahl: Gemeinden in der Größenklasse 1 bis 500 Einwohner wenden für die Erfüllung ihrer Aufgaben im eigenen Wirkungskreis rund 600 € im Jahr auf. Gemeinden in der Größenklasse von 10.000 bis 20.000 Einwohner wenden für die Erfüllung der gleichen Aufgaben 880 € im Jahr auf - für die Erfüllung der gleichen Aufgaben, nicht für die Erfüllung beliebiger Aufgaben.

Alle Abgeordneten des Thüringer Landtags kennen die Zahlen, die dem Kommunalen Finanzausgleich im Bereich der Auftragskostenpauschale zugrunde liegen. Auch hier wird deutlich, dass zur Erfüllung der exakt gleich definierten Aufgabe die Kosten bei den Großen kreisangehörigen Städten im Durchschnitt das Fünffache dessen betragen, was die gleichen Aufgaben bei den Verwaltungsgemeinschaften und den kleineren Gemeinden erfordern.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wo soll denn die Kostenersparnis bei dieser Faktenlage herkommen? Sie ist eine freie Erfindung, sie wird durch die Faktenlage nicht bestätigt.

Meine Damen und Herren, zu Bayern ist schon etwas gesagt worden. Die Landesregierung setzt auf die Freiwilligkeit. Die Landesregierung unterstützt die freiwillige Vereinigung von Gemeinden, wenn diese dieses für notwendig halten und wenn, Herr Abgeordneter Kuschel, der Wunsch zu größeren Einheiten im konkreten Fall mit den Grundsätzen der Landesplanung und Raumordnung in Übereinstimmung steht, denn dieses ist Gegenstand der Prüfung des Innenministeriums und dieses ist auch Gegenstand der Bewertung dieses Hohen Hauses im Gesetzgebungsverfahren.

Meine Damen und Herren, eine andere Frage, Herr Abgeordneter Kuschel, ist, nach welchen Prinzipien man Gemeinden orientiert. Es ist richtig, dass das Konzept des Innenministeriums zur Neuorganisation der Thüringer Polizei auf der Ebene der Polizeidirektionen sich orientiert an der Organisation des Landes in regionale Planungsgemeinschaften. Bei der Bildung der regionalen Planungsgemeinschaften hat man die Verkehrsbeziehung, die geografischen Gegebenheiten des Landes und die Bevölkerungsdichte zum Maßstab der Entscheidung gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Kuschel, Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten, dass die kommunale Selbstverwaltung nach den Grundsätzen der Polizeiorganisation geregelt werden muss. Das ist doch nun schließlich seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr richtig.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hält es im Übrigen für richtig und notwendig, die Arbeit der Enquetekommission abzuwarten und dann in ihre eigene Arbeit einfließen zu lassen.

Meine Damen und Herren, weil eben die Frage gestellt worden ist, nach welchen Maßstäben denn Aufgaben des Landes kommunalisiert werden, ich sage es der Vollständigkeit halber noch einmal: Ausgangspunkt für die Kommunalisierungsüberlegung war ein Ländervergleich. Der Ländervergleich hat eindeutig ergeben, dass der Freistaat Thüringen im Vergleich zu anderen Flächenländern mehr Aufgaben auf der Landesebene angesiedelt hat und dass die kommunale Selbstverwaltung dadurch gestärkt werden kann, dass man mehr Aufgaben des Landes auf die Kommunen überträgt. Der Ländervergleich hat auch ergeben, dass die Aufgaben, die die Landesregierung in den Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden thematisiert hat, in anderen Ländern erfolgreich kommunalisiert worden sind. Ich denke, wenn in anderen Ländern Gemeinden diese Aufgaben erfüllen können, sind unsere Bürgermeister und unsere Gemeindeverwaltungen, unsere Gemeinderäte ebenfalls in der Lage, diese Aufgaben zu erfüllen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung erwartet die Ergebnisse der Enquetekommission und ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Jetzt wollen Sie die beiden Fragen der Damen Wolf und Taubert beantworten.

Wie könnte ich dem widerstehen.

Eben. Frau Abgeordnete Wolf zuerst.

Wie werde ich jetzt damit umgehen?

(Heiterkeit im Hause)

Herr Baldus, Sie haben hingewiesen aus der Sicht des Wartburgkreises auf die erfolgreiche Gebietsreform, die dort stattgefunden hat. Glauben Sie wirklich, dass die Gebietsreform erfolgreich war, mit dem Ergebnis, dass eine Stadt mit 40.000 Einwohnern bei sinkenden Prognosen in die Kreisfreiheit entlassen wurde, die inzwischen bei einem Stand von einem strukturellen Defizit von 3 Mio. € im Jahr ist

(Unruhe bei der CDU)

und bei der im Moment das finanzielle Korsett so eng ist, dass die Luft zum Leben einfach fehlt? Wollen Sie wirklich dann die Stadt auf drei, vier, fünf Jahre vertrösten, obwohl inzwischen der Stand erreicht ist, dass Eisenach nahezu darum bettelt, aus der Kreisfreiheit entlassen zu werden?

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Da sollten Sie einen Antrag stellen.)

Frau Abgeordnete Wolf, als Vertreter der Landesregierung steht es mir sicherlich nicht zu, in die Entscheidungsgänge der kreisfreien Stadt Eisenach einzugreifen. Ich kann Ihnen aber gerne bestätigen, dass der Wartburgkreis von seiner Finanzkraft und seiner Finanzstruktur an Nummer 5 in der Bundesrepublik Deutschland steht, und da sind wir ganz schön stolz darauf.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt käme Frau Abgeordnete Taubert mit Ihrer Anfrage dran und nun hat sich der Abgeordnete Höhn an die Dame angehängt und der Staatssekretär sagt, dass der Abgeordnete Höhn seine Frage nicht stellen darf, aber die Frau Abgeordnete Taubert.

Danke, Herr Baldus. Ihnen steht ja die Freude ins Gesicht geschrieben, dass Sie zukünftig nicht mehr mit solchen Fragen belästigt werden. Ich schätze den Meinungsstreit, deswegen stören mich solche Fakten auch nicht. Sachliche Auseinandersetzungen, denke ich, sind wichtig. Wenn wir das rational weiter interpretieren, die Zahlen, die Sie genannt haben, komme ich zu dem Schluss, zu meiner Frage, ob Sie da meine Meinung teilen, wenn kleine Kommunen so effizient sind, warum gibt die Landesregierung, die nach Landeshaushaltsordnung zur sparsamsten Mittelbewirtschaftung verpflichtet ist, Geld dafür aus, dass sich die kleinen effizientesten Gemeinden zusammenschließen, und warum hat auch der Gemeinde- und Städtebund genau die gleiche Forderung, zu

sagen, gebt uns Rahmenbedingungen für die Zusammenschlüsse, weil wir wissen, dass es nicht mehr so weitergeht. Also, wenn das wahr ist, was Sie sagen, warum geben Sie dann Geld für die Zusammenschlüsse aus?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ja, Frau Abgeordnete Taubert, die Freude, die mir ins Gesicht geschrieben ist, können Sie noch dadurch verstärken, dass Sie vielleicht die Zuständigkeit ändern, dann hätten Sie auch in Zukunft die Möglichkeit, mir Fragen zu stellen. Das ist das Erste.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Sie werden jetzt aber frech, Herr Baldus. Das nehme ich jetzt persönlich.)

Das Zweite, Sie haben das richtige Wort gewählt, Effizienz, aber die falsche Schlussfolgerung gezogen. Das tut mir eigentlich leid. Der Abgeordnete Matschie versucht seit Jahren der Bevölkerung zu suggerieren, ändert die Strukturen, vergrößert die Gemeinden und Kreise, er sagt nicht, zulasten der Bürgernähe, er sagt auch nicht, zulasten der Kontrollmöglichkeiten der einzelnen Vertretungskörperschaften, das sagt er nicht, aber das ist damit zwangsläufig verbunden, und er suggeriert, es wird dann billiger. Ich sage, es gibt dafür keine Anzeichen, es gibt aber sichere Daten dafür, dass es nicht billiger wird, erstens. Zweitens, wenn Sie ansprechen, Frau Abgeordnete Taubert, den Unterschied zwischen Effizienz, Effektivität und wenn Sie sagen, es gibt Gemeindestrukturen, die man vergrößern kann und die dann in der Kosten-Nutzen-Relation für den Bürger einen Mehrwert bringen, dann stimme ich Ihnen zu, dieses gibt es. Genau diese Strukturen fördert der Freistaat Thüringen in der Freiwilligkeitsphase, aber nicht auf Teufel komm raus und nicht am Reißbrett, und nicht einfach Zahlen in den Ring werfen und sagen, wenn wir das so machen, wird es besser.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt darf wohl der Abgeordnete Höhn doch, weil Sie am Rednerpult stehen bleiben? Ich sehe Ihr Gesicht nicht. Er darf schon? Er darf nicht. Gut.

Jetzt zeigen Sie eine Redemeldung an? Bitte, Herr Abgeordneter Höhn für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, das Verhalten von Herrn Staatssekretär Baldus meinem Fragewunsch entsprechend

ist eigentlich ein Fall für den Gleichstellungsausschuss, aber das wollen wir hier nicht vertiefen, zugegebenermaßen der Zeitpunkt war etwas spät. Aber zum Glück gibt es ja das Mittel der Redemeldung, Herr Staatssekretär. Ich will es auch gar nicht sehr vertiefen. Ihre Zahlen, die Sie hier dem Plenum dargelegt haben zu Kosten von Verwaltung - da haben Sie ja sehr großen Wert darauf gelegt -, da ist mir etwas eingefallen. Kennen Sie die Formel, die die Frau Finanzministerin für diesen Fall oder zu solchen Fällen öffentlich aufgestellt hat? Ich will sie Ihnen gerne sagen: weniger Einwohner = weniger Ämter, weniger Ämter = weniger Kosten. Würden Sie diese Auffassung teilen?

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Darf ich was dazu sagen?)

Wenn Sie sich zu Wort melden, Frau Ministerin, dürfen Sie gerne was dazu sagen.

Herr Höhn, ich habe darauf gewartet, dass Sie das fragen, weil Sie es ja mehrfach auch schon angesprochen haben. Ja, diese Formel stimmt, wenn es um reine Ämter - ich habe auch Ämter gesagt -, wenn es um reine Vollzugsverwaltung geht. Aber eine selbstverwaltende Körperschaft ist eben nicht eine reine Vollzugsverwaltung, die nur Gesetze vollzieht, sondern eine selbstverwaltende Körperschaft …

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das Landratsamt ist auch ein Amt.)