Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

Wir haben 20.000 Beschäftigte mehr in Thüringen als 2003.

(Unruhe DIE LINKE)

Auch die Abwanderung, die natürlich dazu beiträgt, gar keine Frage, aber die Abwanderung trägt nicht dazu bei, dass wir heute mehr Beschäftigungsverhältnisse haben als 2003.

(Beifall FDP)

Ja, das ist so, Herr Ramelow. Das Umgekehrte könnten Sie ja vielleicht erklären. Deshalb, liebe Kollegen gerade von der SPD, kann ich ja verstehen, ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass gerade mit Blick auf die auch in den alten Bundesländern neu entstandene Konkurrenz auf der linken Seite des politischen Spektrums man jetzt eine Abkehr von der Agenda 2010 macht. Aber inhaltlich ist es unglaubwürdig und es ist insbesondere für viele gering Qualifizierte, für ehemals Langzeitarbeitslose, auch für Alleinerziehende und viele andere, die durch die erleichterten Zugänge zum Arbeitsmarkt profitieren, ist Ihr Schwenk heute und die Versprechen, mit denen Sie in den Bundestagswahlkampf ziehen, ein Danaergeschenk, was Sie da in Aus

sicht stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Ich halte es für konsequent und richtig, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung mit ihrer Politik auch konsequent dafür sorgt, diesen Weg zu einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik und einer Konsolidierung der Staatsfinanzen auch weiterzugehen.

Gerhard Schröder hat 2003 gesagt, die Strukturreformen werden Deutschland bei Wohlstand und Arbeit wieder an die Spitze bringen. Das hat funktioniert, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie wollen das ändern, wir nicht, das sage ich ganz klar auch mit Blick auf die Bundestagswahl. Das ist ja wohl auch das Ziel solcher Aktuellen Stunden, die hier einzubringen. Wir wollen, dass Deutschland an der Spitze bleibt und werden diese Politik deshalb auch konsequent weiterführen.

Natürlich gibt es auch viel, was man besser machen kann. So eine große Reform, dass die nicht auf den ersten Anhieb in allen Teilen gelingt, das ist auch klar. Zugang zum Arbeitsmarkt gerade mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nur ein Stichwort, auch die Frage Ich-AG, da gibt es sicher an vielen Stellen auch Steuerungs-, Nachbesserungsbedarf.

Herr Abgeordneter.

Frau Präsidentin, mein letzter Satz. Im Kern war die Agenda 2010 oder ist die Agenda 2010 eine richtige Entscheidung in schwieriger Zeit gewesen. Wir müssen diesen Weg weitergehen, eine Abkehr wäre falsch. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Danke schön. Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Michael Heym.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man als ein Vertreter einer Fraktion nach vorn geht, deren Partei vor zehn Jahren dieser Agenda zugestimmt hat, dann wird es nicht verwundern, wenn sich einiges jetzt bei mir wiederholt, was wir gerade eben schon bei den Vorrednern gehört haben.

Richtig ist die Zustandsbeschreibung von vor zehn Jahren, wie sie Kollege Baumann hier vorgetragen hat, eben ergänzt durch Kollegen Barth. Man muss

(Abg. Barth)

ja nicht sagen, dass so viel gut war, was die Regierung Schröder auf den Weg gebracht hat, aber die Agenda 2010 war eine richtige Entscheidung, und das muss man auch nach zehn Jahren konstatieren. Das Prinzip - und das ist auch schon angeklungen von den Vorrednern - „fördern und fordern“ und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe waren richtig und sind auch heute noch richtig.

Es ist nach zehn Jahren festzustellen, dass die Union damals die Agenda nicht nur konstruktiv begleitet und unterstützt hat, sondern bis heute auch fortgeführt hat. Ich will die genannten Zahlen noch um eine ergänzen. Wir haben heute über 41, ich glaube, es sind 41,5 Mio. Menschen in Arbeitsverhältnissen und das sind so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung.

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Und was sind das für Arbeitsverhältnisse, Herr Heym?)

Und natürlich, Herr Ramelow, ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass es Komplikationen gibt an der einen oder anderen Stelle. Das ist auch schon von den Vorrednern angesprochen worden. So ist es eben überhaupt nicht von der Hand zu weisen, dass gerade bei dem Thema Zeitarbeit Situationen eingetreten sind, die nicht nur nicht in Ordnung sind, sondern die auch geahndet werden müssen, weil eben dort in Größenordnungen Möglichkeiten von der Wirtschaft ausgenutzt worden sind, was so nicht beabsichtigt war. Zeitarbeit sollte dazu dienen, um Auftragsspitzen abzufedern. Wir haben im Laufe der Jahre zur Kenntnis nehmen müssen, dass dieses Instrument manchmal in unanständiger Art und Weise hier auch benutzt worden ist. Das muss angesprochen werden, auch das gehört zur Wahrheit dazu. Aber deshalb kann die Agenda 2010 in Gänze nicht schlechtgeredet werden. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist signifikant zurückgegangen und es ist auch schon gesagt worden, dass auch geringer Qualifizierten der Einstieg ins Arbeitsleben besser ermöglicht worden ist. Auch schon angesprochen ist - man stelle sich vor, dass wir diese Sozialreform nicht durchgeführt hätten -, als wir dann in die Jahre der Krise in Europa geschlittert sind. Wir sehen, wie sich gerade in Südeuropa Länder fragen, warum geht das in Deutschland so. Es gibt viele, die jetzt auch schon danach schauen, um diese Instrumentarien möglicherweise zu übernehmen. Das ist nicht nur Agenda 2010, das sind auch noch andere Teile aus der Wirtschaft. Ich will da Kollegen Barth noch komplementieren, das duale Ausbildungssystem wird jetzt gerade von den Spaniern mit Interesse beobachtet. Man geht mit dem Gedanken um, das möglicherweise auch zu übernehmen. Das sind alles die Dinge, die letztendlich dazu geführt haben, dass wir in Deutschland so gut durch die letzten Jahre gekommen sind, wie wir durchgekommen sind. Was recht ist, muss recht

bleiben. Deshalb kann man unterm Strich sagen, dass die Agenda 2010 die richtige Maßnahme war, sie war es vor zehn Jahren, sie ist es heute. An den Dingen, die im Argen liegen, muss gearbeitet werden, aber grundsätzlich war die Sozialreform seinerzeit der richtige Schritt.

(Beifall CDU, FDP)

Vielen Dank. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abgeordnete Siegesmund.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, raus aus der Armutsfalle, rein in bessere Vermittlung und mehr Chancengerechtigkeit - das war die Idee dieser Reform, das war die tragende Idee, hinter der sich viele versammelt haben. Ich glaube, jede Fraktion, jede Partei hier im Thüringer Landtag wird unbestritten sagen, diese Idee ist nicht umgesetzt und wir sind noch auf einem weiten Weg, den wir zusammen gehen müssen. Der erste Schritt hin zu einer sozialen Grundsicherung war, offenzulegen, Sozialhilfe und diejenigen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, zu beenden, sie wieder in die Gesellschaft hineinzulassen und die Spirale von Alimentierung, Ausgeschlossenheit und weiterem sozialen Abstieg zu beenden. Leider - das gehört dazu - muss ich auch aus GRÜNER Perspektive sagen, das ist uns nicht gelungen, das sage ich auch so offen. Aber ich sage auch, diejenigen, die Verantwortung übernehmen, müssen am Ende zu Fehlern stehen. Diejenigen, die keine Verantwortung übernehmen oder übernommen haben, können auch keine Fehler einräumen. Deswegen ist es natürlich ein Leichtes,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn DIE LINKE hier populistisch sagt, alles ist schlecht, alles war schlecht, alles bleibt schlecht. Ich habe heute Ihre Konzepte vermisst, wie Sie es besser machen wollen. In 5 Minuten kann man die freilich nicht darlegen, aber dann beantragen Sie keine Aktuelle Stunde, sondern stellen einen guten Antrag, wo wir das in Ruhe miteinander diskutieren können.

(Unruhe DIE LINKE)

Warum ist das nicht gelungen? Wir wollten - das sage ich als GRÜNE - viele Dinge, die nicht gelungen sind. Wir wollten eine Verkürzung der Dauer der Arbeitslosigkeit durch bessere Vermittlung und Betreuung. Wir wollten eine Senkung der Lohnnebenkosten. Wir wollten gerechtere und flexiblere Arbeitszeitpolitik, einen öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarkt und ausdrücklich eine aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik. Viele Dinge, die ei

(Abg. Heym)

gentlich vor der Klammer standen, am Ende, das wissen Sie, wurden viele dieser Ziele nicht erreicht, eben unter anderem weil CDU/CSU und FDP 2003 ihre Mehrheit im Bundesrat nutzten und natürlich die Regelung der Hartz-IV-Gesetze erheblich verschärften und damit - und das hat sich in den letzten Jahren immer wieder gezeigt - auch die Würde der Arbeitslosen dadurch höchst antastbar machten. Die Geschichten, die jeder und jede von Ihnen kennt, von beispielsweise Mutter, Vater und drei Kindern, die zum Teil zwei Wohnungen nehmen, weil sie in einer Wohnung als Bedarfsgemeinschaft zu wenig Geld bekommen, um überleben zu können, oder die Geschichte von der 55-Jährigen, die leider in ALG-II-Bezug fällt, aber noch vorher in einem guten Job war, deswegen einen Kredit aufgenommen hat, um am Ende ein Auto abzahlen zu können und jetzt in Privatinsolvenz geht, oder diejenige oder derjenige, die sich mit Sozialgerichten rumschlagen. Das sind doch alles Punkte, wo wir einräumen müssen, da sind Fehler passiert und die müssen auch auf jeden Fall „gutgemacht“ werden. Diese Fehlentwicklungen müssen umjustiert werden. Es gibt einen dringenden Reformbedarf.

Richtig bleibt aber aus unserer Sicht die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, weil bislang verdeckte Armut sichtbar geworden ist. Was an Weichenstellungen aber deutlich anders angelegt werden muss - und da kann ich jetzt nur einige nennen -, ist beispielsweise die Frage der Sanktionen, die diejenigen in den Jobcentern über sich ergehen lassen müssen, ich muss das einmal so drastisch formulieren. Es geht hier nicht in der Regel um fördern und fordern, es geht - das hören Sie an vielen Ecken und Enden auch von den in Thüringen engagierten Vereinen, die sich um die Menschen kümmern - um Gängelei und Bevormundung. Das muss ein Ende haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen fordern wir als GRÜNE auch ein Moratorium, ein Sanktionsmoratorium, um gegenzujustieren. Dann, natürlich hätte es längst einen Mindestlohn geben müssen, einen Mindestlohn, der ganz eindeutig zeigt, dass Teilhabe und Selbstbestimmung auch dazu führen muss, dass, wenn man am Arbeitsleben teilnimmt, auch davon leben kann. Viele andere Dinge, das Beispiel Leiharbeit war heute auch hier im Raum, gehören zu den Punkten, die ganz eindeutig politischen Reformbedarf nach sich ziehen und nach sich ziehen müssen. Nach der Bundestagswahl, wenn die politischen Mehrheiten dafür da sind, dafür müssen wir kämpfen, dafür müssen wir eintreten. Und natürlich, auch das ist wichtig, geht es darum, dass die momentane Leistungshöhe der Regelsätze nicht ausreichend ist.

Dann ein fünfter Punkt: Natürlich braucht es auch nicht nur eine Entkoppelung der Bedarfsgemein

schaften, um Abhängigkeitsverhältnisse endlich zu beenden, sondern es bedarf auch einer eigenständigen Grundsicherung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch da haben wir GRÜNE eine sehr klare Positionierung. Und gestatten Sie mir die letzte Bemerkung. Morgen ist Equal Pay Day, insbesondere diejenigen, die unter den Reformen überdurchschnittlich „gelitten“ haben, nämlich Frauen, um die müssen wir uns besonders kümmern, diejenigen, die auch in Thüringen vom Arbeitsmarkt länger fernbleiben als Männer,

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

im Schnitt fast sogar doppelt so lange wie Männer bleiben Frauen vom Thüringer Arbeitsmarkt fern. Das sind politische Aufgaben, denen wir uns auch stellen müssen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Für die Landesregierung hat das Wort Herr Staatssekretär Staschewski. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr deutlich geworden heute, dass es ein Ringen, was die Folgen der Agenda 2010 anbelangt, hier in diesem Raum auch gibt, auch und gerade von denjenigen, die sie mit auf den Weg gebracht haben. Und eines möchte ich auch ganz klar sagen, wer sich heute hinstellt und so tut, als hätte er all diese Erkenntnisse mit den Folgen 2003 schon gehabt, wie er sie heute hat, der ist nicht glaubwürdig.

(Beifall FDP)

(Unruhe DIE LINKE)

Deshalb, glaube ich, müssen wir auch ganz ehrlich sein, dass die Agenda 2010 ein Kind ihrer Zeit war.

(Unruhe DIE LINKE)

Ich will auch noch einmal ganz deutlich sagen, wir hatten eben fast viereinhalb Millionen Arbeitslose, wir hatten ein Budgetdefizit, das 4,2 Prozent erreicht hat. Wir haben entsprechend Vorschläge gemacht, Kurskorrekturen vollzogen, die Deutschland auch stärker und besser durch die Krise haben kommen lassen als andere Länder. Aber - jetzt frage ich Sie, sehr geehrter Herr Ramelow und andere - was nützt uns, wenn wir so sehr den Fokus auf

(Abg. Siegesmund)

die Schieflage, auf die einen oder anderen Überziehungen, die passiert sind, legen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen für morgen. Ich glaube, was wir doch deutlich gemacht haben, dass wir ganz deutlich gesagt haben, ja, es gab gute Entwicklungen im Rahmen der Arbeitslosigkeit, eine Halbierung, mehr als Halbierung in Thüringen zum Beispiel. Aber da, wo auch Licht ist, gibt es sehr viel Schatten und diese Schatten sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt trotz der von mir dargelegten positiven Bilanz unübersehbar. Es gibt Auswüchse, an einigen Stellen wurde auch übertrieben und an anderen versäumt, grundsätzlich richtige Entscheidungen hinreichend zu flankieren. Eine, das möchte ich schon noch einmal klarstellen, es war damals in der Agenda-Zeit eben nicht so, dass es eine gesellschaftliche Mehrheit für einen flächendeckenden Mindestlohn gab. Das gab es damals nicht.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Na, weil ihr das erschwert habt.)