Protokoll der Sitzung vom 24.05.2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch einmal darum bitten und werben, dass wir eine ernsthafte Debatte auch im Fachausschuss zu dieser Frage führen. Wir denken, dass es in der Tat zum einen eine Chance wäre, wenn an den Schulen die Voraussetzungen geschaffen würden, und zwar an allen Schulen - da verstehe ich nicht, warum man jetzt wieder freie Schulen gegen staatliche Schulen ausspielen muss, schließlich erfüllen alle einen staatlichen Bildungsauftrag -,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass wir diese Möglichkeit prüfen, dass wir zum Zweiten - und das finde ich völlig richtig, ich weiß gar nicht, was Sie da zu monieren hatten an Punkt 2, lieber Hans-Jürgen Döring - natürlich auch erst einmal eruieren, was für notwendige Rahmen

bedingungen benötigt werden und wie die Ausgestaltung konkret vor Ort aussehen muss. Das können wir nicht verordnen, aber auch bis dahin braucht es zusätzliche personelle Unterstützung und auch sächliche Unterstützung für die Schulen, die sich auf den Weg begeben, genauso wie die Fortbildungsangebote. Wir müssen rechtliche und organisatorische Voraussetzungen prüfen und schaffen, wie die Lehrerinnen- und Lehrerstellen besetzt werden können mit sogenannten schulscharfen Ausschreibungen. Ich weiß, dass das Ministerium da durchaus aufgeschlossen ist in dieser Frage. Wie gesagt, ich möchte auch noch mal für den letzten Punkt in unserem Antrag werben, nämlich dass die Absolventinnen und Absolventen der ersten Phase der Lehrerbildung darüber eine erste Einsatzmöglichkeit an den Schulen bekommen, individuell zu fördern und zu unterstützen und damit unserem umfassenden Bildungsauftrag und auch der Unterschiedlichkeit, der Heterogenität in den Klassen gerecht zu werden. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Rothe-Beinlich. Ich schaue mich jetzt mal Richtung Regierung um. Das Wort hat Herr Minister Matschie.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, den meisten von Ihnen ist sicher schon mal das Grundgesetz jeder Talkshow aufgefallen. Es gibt immer einen Gast, der die einfachen Antworten hat. Manchmal lässt sich das auch auf solche Debatten übertragen. Aber, um im Bild zu bleiben, wer die einfachen Antworten hat, und man stellt sich mal eine Bildungsdebatte vor, der würde mit 100-prozentiger Sicherheit zuerst nach dem Thema Sitzenbleiben greifen. Das funktioniert immer. Das haben wir auch in dieser Debatte erlebt. Für die einen ist es, wenn man so will, die letzte Bastion einer leistungsorientierten Gesellschaft, für die anderen ist es der pädagogische Knüppel vergangener Jahrhunderte. Vielleicht müssen wir uns erst noch mal ein bisschen darüber im Klaren werden, welche Rolle diese Frage überhaupt für die Schulentwicklung spielt. Für mich, das sage ich ganz klar und deutlich, ist das nicht die zentrale Frage der Schulentwicklung. Vielleicht muss man sich dazu auch noch mal ein paar Zahlen vor Augen führen.

Im letzten Schuljahr wurden in den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen 0,6 Prozent aller Schülerinnen und Schüler nicht versetzt. Wir haben es hier auch nicht mit einem Massenphänomen zu tun, das im Zentrum der Schulentwicklung steht. Wir sehen auch, dass die Frage der freiwilligen Klassen

(Abg. Rothe-Beinlich)

wiederholung oft eine größere Rolle spielt als das Sitzenbleiben, gerade in den unteren Schuljahren. Ich sage Ihnen mal die Zahlen für die Grundschule. Dort hat es im letzten Schuljahr 45 Schüler gegeben, die aufgrund ihrer Leistungen nicht versetzt worden sind. Es hat 241 Schülerinnen und Schüler gegeben, die freiwillig eine Klassenstufe wiederholt haben. Ich denke, die Zahlen rücken noch mal ein bisschen klar, worüber wir hier eigentlich reden nicht über die zentrale Frage der Schulentwicklung, sondern über einen Punkt, der auch eine Rolle spielt, aber längst nicht die wichtigste. Natürlich kann man es sich einfach machen, in unserer Schulordnung steht der Satz: „Nicht versetzte Schüler wiederholen die zuletzt besuchte Klassenstufe.“, einfach und klar. Man kann politisch hingehen und kann diesen Satz streichen. Was bringt das? Was haben wir damit gewonnen für die Schulentwicklung? Erst mal nichts, denn die zugrunde liegenden Probleme sind damit nicht gelöst. Eine Versetzungsentscheidung ist eben kein einfacher Verwaltungsakt wie die Genehmigung eines Garagenbaus, sondern hinter dieser Entscheidung steckt letztlich eine komplexe Frage: Wie gehen wir mit Leistungsanforderungen in unseren Bildungseinrichtungen um? Hier gibt es immer mindestens zwei Dimensionen zu betrachten. Die eine Dimension ist die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der einzelnen Schüler, aber die andere Dimension ist immer auch, wie gut funktioniert Schule, wie gut ist sie in der Lage, Schülerinnen und Schüler wirklich zu fördern auf ihrem Bildungsweg. Also: Was macht der Schüler, und zweitens, was macht das Schulsystem mit ihm? Mein Ansatz ist es, beide Fragen im Blick zu halten.

Wenn Sie mal geschaut haben in den kürzlich veröffentlichten Politik-Check Schule 2013, eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft, dann finden Sie zu Thüringen folgende Einschätzung, ich darf das mal zitieren: „Die individuelle Förderung im Allgemeinen und für lernschwache und hochbegabte Schüler im Speziellen ist in Thüringen vorbildlich geregelt.“ Als Fazit heißt es im Politik-Check Schule 2013: „Thüringen ist eine überdurchschnittliche Reform- und Innovationstätigkeit im Schulsystem zu bescheinigen.“ Hier stehen wir, denke ich, im Bundesvergleich, was unsere Schulentwicklung angeht und auch die Dynamik der Schulentwicklung, wirklich nicht schlecht da. Ich will, weil mir die individuelle Förderung in der Schulentwicklung der nächsten Jahre wirklich der Kern der Frage zu sein scheint, noch etwas näher darauf eingehen.

Letztendlich entscheidet sich auch die Frage Sitzenbleiben, Klassenwiederholungen daran, wie gut unser Schulsystem ist, Kinder so individuell zu fördern, dass eben Klassenwiederholungen überflüssig werden.

Ich möchte - dafür haben wir die Voraussetzungen im Schulgesetz und in der Schulordnung geschaffen -, dass Unterrichtsentwicklung letztendlich mit dem Ziel betrieben wird, Unterricht so zu gestalten, dass jeder, ausgehend von seinen persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten, gefördert wird, dass man individuell ansetzt, Leistung weiterentwickelt, Kompetenzen weiterentwickelt und damit Schüler natürlich auf ihrem Lern- und Lebensweg voranbringt. Frau Hitzing, das ist schon ein bisschen eine seltsame Vorstellung, wenn ich Schüler nicht versetze, dass die dann plötzlich vor einer Abschlussprüfung stehen und gar nicht wissen, welches Leistungsvermögen sie eigentlich haben und dann sozusagen vor die Wand fahren. Das ist doch auch eine lebensfremde Schulvorstellung. Wir haben ja in der Thüringer Gemeinschaftsschule die Möglichkeit geschaffen, bis Klasse 7 wird nicht versetzt. Aber das heißt doch nicht, dass der Schüler keine Leistungsrückmeldung kriegt, sondern er kriegt sehr wohl und sehr genaue Leistungsrückmeldungen,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wo stehe ich eigentlich, und zwar nicht nur in einer Note, die für viele auch noch eine hohe Bedeutung besitzt, das ist das zweite große Reizthema der Bildungspolitik, wo man immer schön Pro und Kontra diskutieren kann, sondern letztendlich geht es darum, Schülern und auch Eltern eine Leistungsrückmeldung zu geben, mit der sie etwas anfangen können und die auf dem Lern- und Entwicklungsweg weiterhilft. Selbstverständlich ist es auch dann, wenn nicht Versetzungsentscheidungen gefällt werden, so, dass diese Leistungsrückmeldung kommt und Schülerinnen und Schüler, bevor sie dann in eine Abschlussprüfung gehen, sehr wohl wissen, was sie können und was sie nicht können, wo Stärken und Schwächen liegen und wie sie in diese Prüfung starten und wie sie sich darauf vorbereiten müssen. Wir haben einige neue Instrumente eingeführt im Zusammenhang mit der individuellen Förderung, dazu gehören zum Beispiel die Bemerkungen zur Lernentwicklung in den Klassenstufen 3 bis 9, wo wir gesagt haben, es reicht eben nicht aus, einfach eine Note hinzuschreiben. Denn der Drei in Mathe oder der Vier in Mathe sehe ich noch gar nicht an, wo ist der Schüler eigentlich schlecht gewesen und wo ist er gut gewesen in Mathe, an welchen Stellen muss besonders gefördert werden, sondern das zeigt dann erst eine konkrete verbale Leistungseinschätzung. Wie ist diese Note zu bewerten, wo liegen wirklich Stärken und Schwächen. Das Ganze liegt dann auch den Gesprächen zur Lernentwicklung zugrunde. Ich weiß, viele Lehrerinnen und Lehrer haben das auch gemacht, bevor wir das reingeschrieben haben ins Schulgesetz und in die Schulordnung, aber eben noch nicht alle. Das ist auch ein wichtiges Instrument, eine Rückmeldung zu geben, wo steht der Schüler, wo steht die Schülerin, und die Eltern einzubeziehen in diesen Dis

(Minister Matschie)

kussionsprozess, denn das Ziel ist doch, dass Menschen ihr Leistungsvermögen entfalten können in der Schule, dass sie ihr Potenzial, das sie haben, weiterentwickeln können. Diese plumpe Debatte, hier sind diejenigen, die die Leistungsanforderungen stellen und die operieren nur mit Noten und Versetzungsentscheidungen, und dort sind die, die auf Leistungen überhaupt keinen Wert mehr legen und die wollen die Noten und die Versetzungsentscheidung abschaffen. Wer Schulentwicklung auf diese billige Polemik reduziert, der wird nichts für unsere Kinder hier in Thüringen erreichen können. Deshalb, Herr Kollege Emde, das muss ich dann auch noch mal direkt ansprechen, falls Sie die Vorstellung wirklich besitzen, dass die Entwicklung, die wir hier eingeleitet haben, mit individueller Förderung und weniger Versetzungsentscheidungen irgendwann mal wieder zurückgedreht wird, ich glaube, da haben Sie die geschichtliche Entwicklung in unserem Bildungssystem nicht begriffen. Hier gibt es eine eindeutige

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Die individu- elle Förderung haben Sie nicht eingeleitet, Herr Matschie, die haben wir schon vor Jah- ren ins Gesetz geschrieben.)

nein, Herr Emde - Entwicklungsrichtung und die heißt, mehr individuelle Förderung und damit die Möglichkeit schaffen, überhaupt nicht erst über Versetzungsentscheidungen und über Klassenwiederholungen diskutieren zu müssen, sondern dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler das Klassenziel jeweils erreichen können.

Frau Rothe-Beinlich, dass wir gesagt haben, wir verzichten in Klasse 3 auf die Versetzungsentscheidung, in der 5 und in der 7, das war ja auch keine willkürliche Festlegung, sondern dahinter steht auch ein Stück Schulentwicklung, was schon in den Vorjahren begonnen hat, nämlich dass man gesagt hat, wir wollen pädagogisch orientieren auf Doppelklassenstufen, weil wir dann mehr Zeit haben für die individuelle Förderung, mehr Zeit für klassenübergreifenden Unterricht, mehr Möglichkeiten für die Einrichtung von Lerngruppen. Das war ein pädagogisch untersetztes Instrument, Doppelklassenstufen zu schaffen. Wenn ich dieses Instrument nutze und sinnvoll nutzen will, dann macht es aber auch keinen Sinn mehr, auf der Hälfte der Strecke, nämlich nach einem Schuljahr, zu sagen, ist die Leistung erreicht, Ja oder Nein, sondern dann kann ich erst nach zwei Schuljahren diese Feststellung treffen. Natürlich setzt individuelle Förderung voraus, dass wir Lehrerinnen und Lehrer haben, die dieses Instrument gut beherrschen. Da ist noch eine ganze Menge Arbeit notwendig, aber es gibt viele hervorragende Schulen, wo man sich Unterricht anschauen kann, wie das auf sehr gute Art und Weise gelingen kann. Dazu ist es auch nötig, dass wir ausreichend Personal an unseren Schulen haben und ausreichend Mittel zur Verfügung stellen.

Lassen Sie mich dazu einmal zwei Zahlen sagen. Wir haben 2008 für unsere Schulen 1,02 Mrd. € ausgegeben. Im kommenden Jahr werden es 1,34 Mrd. € sein. Das heißt, wir haben innerhalb von fünf Jahren die Ausgaben für unsere Schulen um gut ein Drittel gesteigert. Das zeigt auch, welchen Wert diese Landesregierung auf gute Bildung in Thüringen legt und welche Anstrengung wir hier trotz sinkender Landeshaushalte machen, unsere Schulen bestmöglich zu unterstützen. Die Debatte zur Entwicklung der Situation bei den Lehrern ist ja auch gestern geführt worden. Ich will es hier noch einmal deutlich sagen: Natürlich, ja, jede Unterrichtsstunde, die ausfällt, ist eine Stunde zu viel. Aber zur Wahrheit gehört auch, es gibt kein Bundesland, was hundertprozentige Unterrichtserfüllung absichern kann. Denn das würde bedeuten, dass man Personalschlüssel für die Schulen vorhalten muss, die kein Bundesland wirklich finanzieren kann. Aber wir können besser werden bei der Unterrichtsabsicherung und wir müssen auch noch besser werden. Wir sehen natürlich auch immer eine gewisse Schwankung im Jahresverlauf. Wenn wir im Herbst die erste Stichprobe machen, ist die Unterrichtsabdeckung in aller Regel besser als im Frühjahr, wenn dann die Grippewelle durchläuft und die Unterrichtsausfälle höher werden.

Ich habe Ihnen hier schon gesagt, wir haben einen 7-Punkte-Plan entwickelt, wie wir den Unterrichtsausfall reduzieren. Der wichtigste Punkt ist die Einstellung von neuen Lehrerinnen und Lehrern. Ich verrate kein Geheimnis, dass es keine einfache Aufgabe war, in den Haushaltsberatungen durchzusetzen, dass wir 800 Neueinstellungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer mit diesem Doppelhaushalt bekommen haben. Ich bin froh, dass das am Ende gelungen ist, aber es ist längst nicht die einzige Maßnahme, die wir ergreifen. Ich habe vor, dass wir mittelfristig eine Lehrerreserve aufbauen, die uns hilft, Unterrichtsausfälle weiter zu verringern. Trotzdem bleibt der Kern der Entwicklungsaufgabe, Unterricht so zu gestalten, dass Mädchen und Jungen möglichst gut individuell begleitet werden auf ihrem Lernund Entwicklungsweg und dass Schulen auch gestärkt werden in ihrer Eigenverantwortung.

Wir haben übrigens das erste Mal mit dem Doppelhaushalt einen eigenen Haushaltstitel für die eigenverantwortliche Schule geschaffen. Jedes Jahr steht dafür eine halbe Million Euro zur Verfügung zur zusätzlichen Unterstützung dieser Schulentwicklung eigenverantwortliche Schule.

Ich will auch noch etwas sagen zur erweiterten Mitbestimmung bei der Personalauswahl. Sie können sich vorstellen, dass man ein solches Instrument nicht sofort allen Schulen verfügbar machen kann, sondern wir müssen erst mal Erfahrungen sammeln mit diesem Instrument. Seit diesem Schuljahr können rund 60 Schulen an der schulscharfen Aus

(Minister Matschie)

schreibung oder dem schulscharfen Einstellungsverfahren teilnehmen. Ich finde, es ist verantwortungsvoll, wenn man solche neuen Wege geht, dass man zunächst einmal ausprobiert, wie das funktioniert, ehe man alle Schulen mit einem solchen Instrument konfrontiert.

Frau Rothe-Beinlich, ich will Ihnen zum Schluss auch sagen, in diesem Fall muss ich wirklich HansJürgen Döring mit seinem Schlusszitat recht geben. Denn es geht hier in der Frage nicht darum, ob man etwas tun will, ob man Schule weiterentwickeln will, sondern es geht hier in der Tat darum, besitzen wir auch die Geduld, die es braucht, Schulentwicklungen voranzubringen. Denn Schule wird nicht innerhalb von einem oder zwei und auch nicht in drei Jahren umgestaltet, Schulentwicklungswege sind immer lange Wege und man muss ganz bewusst diese langen Wege in Kauf nehmen. Das können Sie an vielen Stellen beobachten. Dort, wo Schulentwicklung mit der Brechstange versucht worden ist, ist es in aller Regel schiefgegangen. Deshalb setze ich vor allem auf die individuelle Förderung, ich setze auf langen Atem bei der Schulentwicklung und dann wird irgendwann das Thema Sitzenbleiben auch eins sein, über das wir überhaupt nicht mehr diskutieren müssen. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Matschie. Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr. Dann kommen wir zum Abstimmungsprozedere und es wurde Ausschussüberweisung beantragt. Damit beginnen wir.

Wer sich der Überweisung dieses Antrags an den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur anschließt, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das sind die Stimmen aus den Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? Die kommen aus den Fraktionen SPD, CDU und FDP. Gibt es Stimmenthaltungen? Das sehe ich nicht. Damit ist die Ausschussüberweisung nicht erfolgt.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/5939. Wer für den Antrag stimmt, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das sind die Stimmen aus den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Gibt es Gegenstimmen? Die Stimmen kommen aus den Fraktionen CDU, FDP und SPD. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag abgelehnt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 13.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treffen uns um 14.00 Uhr wieder. Nach der Mittagspause wird der Tagesordnungspunkt 29 aufgerufen, nur noch mal zur Erinnerung, und die Mitglieder des

Europaausschusses werden sich bitte jetzt zu Beginn der Mittagspause im Raum F 202 treffen. Vielen Dank.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist 14.01 Uhr und wir setzen die Plenardebatte fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 29

Flächendeckende Verletzungen von Patientenrechten in der DDR - Medikamententests aufklären, aufarbeiten und Opfer entschädigen Antrag der Fraktion der FDP - Drucksache 5/6079 dazu: Alternativantrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP - Drucksache 5/6124

Wünscht die Fraktion der FDP das Wort zur Begründung? Nein, das ist nicht der Fall. Wünscht jemand aus den Fraktionen CDU, SPD und FDP das Wort zur Begründung? Das sehe ich auch nicht. Die Landesregierung hat angekündigt, dass von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 unserer Geschäftsordnung kein Gebrauch gemacht wird. Damit eröffne ich jetzt die Aussprache. Das Wort hat Abgeordneter Koppe für die FDP-Fraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines will ich der Debatte voranstellen, nicht die Medizintechnik oder Pharmaforschung als solches sitzt hier mit den zwei Anträgen auch auf der Anklagebank. Kaum eine Disziplin hat für die Menschheit mehr geleistet als die Medizin. Krankheiten, die noch vor Kurzem unheilbar schienen, sind heute kontrollierbar oder gar gänzlich ausgerottet. Diesen Fortschritt haben wir nicht zuletzt den forschenden Arzneimittelherstellern und den entsprechenden medizinischen Tests zu verdanken. Wir dürfen des Weiteren auch nicht vergessen, dass auch heute klinische Prüfungen im Rahmen von Arzneimittelzulassungen stets mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln durchgeführt werden. Auch heute erhalten kranke oder schwer kranke Menschen in Testreihen neue Arzneimittel. Bei diesen Tests findet man heraus, ob ein Medikament hilft oder im ungünstigen Fall sogar schädigt. Daher ist für uns Liberale die Einwilligung des Patienten und eine Aufklärung über die Chancen und Risiken das entscheidende Kriterium. Auch die Ärzte in der ehemaligen DDR dürfen wir nicht unter Generalverdacht stellen.

(Beifall FDP)

Viele Mediziner waren gut ausgebildete, fachkompetente Ärzte, die trotz teilweise desolater Rahmen

(Minister Matschie)

bedingungen versucht haben, ihren Patienten eine bestmögliche Behandlung anzubieten. Vielleicht sahen einige auch positive Seiten bei den Tests. Gute Medikamente waren in einer wirtschaftlich brachliegenden DDR schwer zugänglich. Patienten hätten durch Tests Arzneimittel bekommen, die ansonsten in der DDR nicht zugänglich gewesen wären. So können wir auch die Aussagen, und die kennen Sie alle, des hiesigen Präsidenten der Landesärztekammer deuten und wer will es ihm verdenken. Nur, das Entscheidende ist doch: Haben sowohl die staatlichen Organe der DDR als auch die Pharmafirmen diese Notlage bewusst ausgenutzt? Hat die DDR aus Devisenmangel vielleicht sogar bewusst die Kliniken und Ärzte falsch informiert? Wie man von einzelnen Aussagen bereits hörte, hatte dieses Inunkenntnislassen der Ärzte und Patienten wahrscheinlich Methode, ich betone wahrscheinlich. Denn es deutet alles daraufhin, dass sich sowohl die Staatssicherheit als auch das DDR-Gesundheitsministerium über die Tests massiv in die Haare bekommen haben. Ich glaube, wir müssen uns der Sache annehmen und rasch diesen Punkt der DDR-Geschichte aus dem Dunkel holen und wissenschaftlich aufarbeiten.

(Beifall FDP)

Die Archive der Ministerien, der Krankenhäuser und Kliniken als auch der Pharmaunternehmen sollten für die Historiker zugänglich sein. Die Aufarbeitung der Diktatur bleibt eine gesamtdeutsche Aufgabe, zu der auch Thüringen seinen Beitrag leisten muss. Daher danke ich allen, die an der Erarbeitung dieses Antrags mitgewirkt haben; ich beziehe mich jetzt ausdrücklich auf den Alternativantrag der Fraktionen CDU, SPD und FDP. An diejenigen, die versucht haben, daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen, kann ich nur eins sagen, dass sie sich für solche Spielchen definitiv das falsche Thema herausgesucht haben.

(Beifall FDP)

Am Ende meiner Rede möchte ich hiermit den Ursprungsantrag, der hier auf der Tagesordnung steht, zugunsten des Ihnen vorliegenden Alternativantrags zurückziehen. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Koppe. Damit ist der Alternativantrag jetzt alleiniger Antrag und das Wort hat als zweiter Redner Herr Abgeordneter Gumprecht für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema Medikamententests westdeutscher Pharmaunternehmen in der DDR beschäftig

te die Medien nahezu den ganzen letzten Monat lang. Nun sind die Parlamentarier an der Reihe, der Bundestag in der letzten Woche und vor wenigen Tagen nun die Landtage, wir gleich dreimal, im Sozialausschuss, in der Aktuellen Stunde und heute mit dem ursprünglichen Antrag und nun mit dem Alternativantrag.

Um dem Thema die angemessene Stellung zu geben, haben wir uns für die Form eines Antrags entschieden. Die Begründung habe ich gestern gegeben. Denn der Alternativantrag war notwendig, da der ursprüngliche Antrag, der eingereicht war, nach meiner Auffassung überzieht und Informationen, die heute noch nicht belegt sind, vorwegnahm. Er nimmt vorweg, was nicht konkret nachweisbar war oder bisher ist, beispielsweise die Frage, gab es flächendeckende Verletzungen von Patientenrechten in der DDR und gab es Schadensfälle an Patienten. Denn dann muss man auch für Entschädigung der Betroffenen sorgen. Das lässt sich eben in 5 Minuten nicht abhandeln, darum schlage ich diese heutige Form vor und halte sie auch für sehr geeignet, weil wir uns auch umfangreich damit auseinandersetzen können.