Protokoll der Sitzung vom 20.12.2013

(Beifall CDU, SPD)

Wir erinnern an die besondere Verantwortung und die Prüfung jeder einzelnen Entscheidung, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Das umso mehr, nachdem mehrere Innenminister, zum Beispiel am 06.12. in Schleswig-Holstein, gestern in Mecklenburg-Vorpommern und am 17.12. in Baden-Württemberg, einen Abschiebestopp erlassen haben. Diese sind sehr unterschiedlich und sicher den Verhältnissen im jeweiligen Land entsprechend. In Baden-Württemberg zum Beispiel sollen Abschiebungen zwischen dem 20.12. und dem 07.01. grundsätzlich zurückgestellt werden. Es soll bis zum 1. März keine Sammelabschiebung nach Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Montenegro geben sowie eine Abschiebung für Familien in diese Länder ausgesetzt werden. Ausgenommen davon sind Straftäter oder Personen, die die innere Sicherheit gefährden sowie Asylsuchende, die einen Folgeantrag gestellt haben bzw. nach dem 1. September eingereist sind. Auch hier wird der Personenkreis deutlich eingekreist.

Damit greift das Argument der Solidarität unter den Bundesländern nicht mehr, Herr Innenminister. Unsere Erwartungen und Forderungen an Sie, Herr Geibert, begründen sich auch auf Äußerungen von Ihnen persönlich, zum Beispiel im Innenausschuss der letzten Woche, Herr Fiedler ist darauf schon am Mittwoch eingegangen,

(Beifall CDU)

und der Tatsache, dass zum Beispiel am 20.11. in der „Thüringer Allgemeine“ in Sömmerda zu lesen war, dass der Bürgermeister von Beichlingen von Fakten sprach, die das Innenministerium dem Bürgermeister von Beichlingen gegeben hat. Ich zitiere aus der Presse: „... und gleichzeitig der in jedem

Winter übliche Abschiebestopp greift“. Dieser Aussage wurde vom Innenministerium nicht widersprochen. Diese Äußerung und Feststellung haben wir natürlich mit großer Freude zur Kenntnis genommen, da sie unsere Forderungen unterstreicht und wir deren Umsetzung erwarten.

(Beifall SPD)

Werden unsere Erwartungen und Forderungen nicht nur durch Worte, sondern auch durch das Handeln des Innenministers erfüllt, so wird somit auch Ihren Anträgen in Teilen entsprochen; eine Zustimmung zu ihnen in Gänze ist uns aus den schon dargelegten und allgemein bekannten Gründen leider nicht möglich.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kanis. Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich bin sehr froh, dass wir heute hier über diesen Antrag beraten können, liegt er doch schon etliche Wochen im Landtag vor.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben ihn schon vor etlicher Zeit eingebracht, er wurde doch immer wieder geschoben und die Dringlichkeit nicht erkannt, aber mitunter hat man auch Glück. Glück allein reicht uns aber nicht, wenn es um die Schicksale der Minderheitenangehörigen geht,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

über die wir heute sprechen. Es ist eben schon erwähnt worden, am Mittwoch hat hier vor dem Thüringer Landtag eine Kundgebung stattgefunden, unterstützt von den Initiativen und Bürgerbündnissen gegen Rechtsextremismus und vom Thüringer Flüchtlingsrat, die damit noch einmal an alle Abgeordneten appellieren wollten, dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für einen solchen Wintererlass zuzustimmen. Auf dieser Kundgebung wurde auch ein Grußwort von Reinhard Schramm von der Jüdischen Landesgemeinde verlesen und ich möchte gern einen Satz zitieren, der dort vorgetragen wurde. Reinhard Schramm hat uns ausgerichtet, Zitat: „Unser Widerstand heute muss sich gegen die Verfolgung von Sinti und Roma in Europa wenden.“

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da, meinen wir, ist unser Antrag ganz konkret, liebe Frau Kanis, und überhaupt nicht verschwommen, sondern wir haben beantragt, dass diejenigen, die sich hier in Thüringen befinden, die diesen Minderheitengruppen angehören, wenigstens über den Winter eine sichere Perspektive bekommen. Ich weiß nicht, was daran unkonkret sein soll. Lieber Herr Bergner, wir werden übrigens auch Ihrem Antrag zustimmen, weil er aus unserer Hinsicht wenigstens auch einen Schritt oder zwei kleine Schritte in die richtige Richtung darstellt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir meinen, dass es in der Tat nur offener Augen bedarf, um wahrzunehmen, in welcher Situation sich Sinti und Roma, und zwar in Gesamteuropa, derzeit befinden.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt keine Volksgruppe, es gibt kaum Menschen, die derart Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind. Wir hören immer wieder die furchtbaren Berichte, wie beispielsweise in Frankreich sogenannte Lager von Roma geräumt wurden, wie sie dort vertrieben werden. Wir kennen die furchtbaren Berichte aus den Balkanstaaten und wir sind selbst mit einer Delegation des Innenausschusses im Kosovo gewesen und konnten uns dort ein eigenes Bild von der Lage der Betroffenen machen. Auch auf der Kundgebung am Mittwoch hat Sabine Berninger noch einmal daran erinnert und ich möchte Sie auch daran erinnern, wie viele von uns verschämt Geldscheine hervorgezogen haben, wenn wir bei den einzelnen Betroffenen - zu Gast kann man kaum sagen - in einer barackenähnlichen Wohnunterkunft standen, wo noch wenige Holzscheite unter dem Holzofen lagen, die Kinder mit Schnupfen und erkältet daneben saßen und uns mit großen Augen angeschaut haben, dann Decken und Geldscheine herübergeschoben wurden, um sich das Gewissen zu erleichtern. Ich muss ganz ehrlich sagen, das war eine ganz schwierige Situation, aber sie hatte ein Gutes, nämlich, dass es in der Folge zumindest einen Wintererlass gegeben hat, auch wenn man damals unserem Antrag so nicht folgen wollte. Es geht nicht darum, recht zu haben, indem unser Antrag unbedingt beschlossen wird. Wir würden uns genauso freuen, wenn der Innenminister von sich aus selbstverständlich einen solchen Erlass auf den Weg bringt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Was allerdings nicht geht, ist aus meiner Sicht das Agieren unseres Innenministers, der bereits nach der Innenministerkonferenz, die vom 4. bis 6. Dezember in Osnabrück stattfand, öffentlich mitgeteilt hat, dass es in Thüringen im Winter keinen erneuten Abschiebestopp geben wird und er sich damit

(Abg. Kanis)

auf einer Linie mit der überwiegenden Zahl der anderen Bundesländer sehe und dies darüber hinaus damit begründet hat, dass die Aufnahmekapazitäten im Freistaat schon fast erschöpft seien.

Ich will einen Vergleich bringen: Wenn wir uns vor Augen führen, dass im Libanon gerade 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen wurden, finde ich, sollten wir uns in der Tat in einem so reichen Land wie Thüringen, wo es uns tatsächlich gut geht, darüber streiten,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

ob wir wenigen Menschen hier zumindest im Winter eine Perspektive geben, ob wir sie hier willkommen heißen. Ich könnte jetzt auch die Leerstandszahlen in einigen Thüringer Gemeinden nennen, die der Wohnungsbericht uns aus dem Jahr 2011 beschert hat. Es gäbe genügend Unterbringungsmöglichkeiten, man muss es nur wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn dann Staatssekretär Rieder sich auf eine Kleine Anfrage, eine Mündliche Anfrage war es, von der Abgeordneten Kanis in der letzten Plenarsitzung und ähnlich auch gestern auf meine Mündliche Anfrage zu diesem Thema so äußert, dass sich Positives in den Balkanstaaten getan habe und sich die Situation - Zitat - „ein Stück weit verbessert“ habe, fragen wir uns schon, was konkret die Verbesserungen sein sollen. Für uns jedenfalls sind diese nicht nachvollziehbar und nicht erkennbar.

Ich habe sehr genau die Berichte der Delegationen gelesen, die gerade in den letzten Wochen und Monaten noch einmal im Kosovo und in den Balkanstaaten unterwegs gewesen sind. Es gibt einen umfangreichen Bericht, den ich Ihnen gerne ans Herz legen möchte, und zwar von einer Delegation der schwedischen Kirche in das Kosovo, aus dem September 2013. In diesem heißt es ganz deutlich, dass man im Kosovo aller Orten Diskriminierungen gerade der Roma, Ashkali und Ägypter beobachten muss und dass Ausgrenzungen, kein Zugang zu Bildung und Armut an der Tagesordnung sind. Jedenfalls die schwedische Kirche kommt damit zu dem Schluss, dass aus vielen Gründen und der Diskriminierung heraus eine Abschiebung von Angehörigen der Roma mitnichten begründet oder befürwortet werden kann. Ähnlich übrigens - auch diese Studie möchte ich Ihnen ans Herz legen - eine Studie der Open Society Foundations vom Juni 2013. In dieser heißt es, dass die Roma in den Balkanstaaten mit systematischen Diskriminierungen und dem Ausschluss aus vielen Sphären des öffentlichen Lebens konfrontiert sind. Dies bezieht sich auf die Bereiche der Bürgerrechte, Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnsituation und den Zugang zu öffentlichen Sozialleistungen, die ihnen aufgrund fehlender Papiere, ein ganz großes Problem, was uns im Kosovo auch immer wieder vor Augen geführt

wurde, ganz oft vorenthalten werden. Seit Jahren weisen uns zudem die Nichtregierungsorganisationen, die Kirchen und auch die Caritas darauf hin, dass die Angehörigen der Roma-, Ashkali- und Ägyptergemeinschaft zu den am stärksten benachteiligten Gruppen im Kosovo, aber auch in Serbien und Mazedonien gehören, die mit erheblichen Ausgrenzungen bei dem Zugang zu Arbeit, Bildung und medizinischer Behandlung leben müssen. Ich kann Ihnen nur sagen, im Kosovo sind wir im Integrationsministerium gewesen und haben dort von der Integrationsministerin die Gesetzeslage dargestellt bekommen, aber ich sage Ihnen, Papier ist geduldig, und

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

wenn sich die Praxis nicht annähernd so widerspiegelt, wie es sich im Papier darstellt, dann, meine ich, dürfen wir nicht sehenden Auges zulassen, dass Menschen ins Elend, in die Armut abgeschoben werden.

Eine der denkwürdigsten Begegnungen, als wir im Kosovo waren, hatten wir meines Erachtens bei UNICEF. UNICEF hat sich ganz besonders mit der Situation der Kinder befasst und kam schon 2010 zu dem Befund, dass drei von vier zurückgekehrten Kindern im Kosovo nicht mehr in die Schule gehen. Wir haben dies auch nachvollziehen können und die Lage hat sich mitnichten verbessert.

Als ich gestern bei meiner Mündlichen Anfrage den Staatssekretär Rieder zu einer ganz konkreten Situation gefragt habe, konnte oder wollte er dazu nichts sagen. Ich will Ihnen diese Situation noch einmal schildern, denn die fand in Gera statt. Dort lebt eine siebenköpfige Romafamilie mit fünf Kindern, die abgeschoben werden sollte, und zwar am 17. Dezember. Als die Mutter, die vom psychosozialen Zentrum und auch von ihrem Psychotherapeuten ein eindeutiges Attest ausgestellt bekam, von der bevorstehenden Abschiebung erfuhr, ist sie zusammengebrochen, daraufhin ist die Abschiebung ausgesetzt worden. Wir müssen uns vor Augen führen, was in einer solchen Familie vorgeht. Vorhin war hier die Rede von einem Weihnachtsfrieden. In vier Tagen sitzen wir alle hoffentlich in einer warmen Stube vor gedeckten Tischen unterm Weihnachtsbaum und singen gemeinsam Lieder und erinnern uns an Josef, Maria und Jesus. Und wenn wir an Josef, Maria und Jesus denken, dann muss man sich fragen, wie es denen wohl ergehen würde, wenn sie heute nach Deutschland kämen. Deswegen kann ich Ihnen eine etwas größere Einordnung in diesem Kontext nicht ersparen. Schauen Sie einmal auf die Homepage www.domradio.de. Ich darf zitieren, dort steht nämlich: „Maria und Josef würden nach Einschätzung des kirchlichen Flüchtlingsbeauftragten Dieter Bökemeier heutzutage in Deutschland abgewiesen werden.

Selbst wenn die Eltern Jesu den Weg über das Mittelmeer in Richtung Lampedusa nach Deutschland geschafft hätten, hätte ihr Asylantrag wenig Aussicht auf Erfolg gehabt.“ Das ist dort umfänglich nachzulesen. Deswegen glaube ich, es reicht eben nicht, nur auf Einzelfälle zu verweisen, sondern wir haben dies etwas umfänglicher in unserem Antrag dargestellt, dass ein Wintererlass, ein Winterabschiebestopp selbstverständlich nur ein erster Schritt sein kann. Wenn wir uns dann überlegen, dass wir auch eine besondere historische Verantwortung hier in Deutschland haben, gerade gegenüber der Volksgruppe, für die wir diesen Wintererlass auf den Weg bringen wollen, meine ich, sind wir in der Tat tatsächlich - jede und jeder einzeln gefordert hier im Thüringer Landtag.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Liebe Frau Kanis, Sie stellen sich hier vorn hin, teilen im Prinzip alles, was wir dargelegt haben, sagen dann, Sie begnügen sich mit einem Appell an den Innenminister, er wird es schon richten, und waschen dann Ihre Hände in Unschuld, sollte es doch anders kommen. Es tut mir leid, das können wir so nicht mittragen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich fordere Sie namens meiner Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN daher auf, unserem Antrag zuzustimmen, ebenso im Übrigen dem Alternativantrag der FDP, weil er zumindest erste Schritte in die richtige Richtung geht.

Namens meiner Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung zu diesem Antrag. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich. Wir reden jetzt aber bei der namentlichen Abstimmung nur vom ersten Antrag, nicht vom Alternativantrag?

(Zuruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja.)

Gut. Danke. Das Wort hat jetzt Abgeordnete Holbe für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren, bevor ich zu meiner Rede komme, möchte ich eines vorwegschicken und noch mal ausführlicher informieren. Frau Rothe-Beinlich, Sie sprachen gerade davon, dass es Glück war, dass dieser Tagesordnungspunkt heute drankommt.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Da muss ich sagen, erstens, Sie haben schon erwähnt, die Mündlichen Anfragen, die gestellt worden sind, um noch einmal Informationen zu erhalten. Wir haben im letzten Innenausschuss am 13.12. zu diesem Thema auch sehr ausführlich gesprochen. Wenn man sieht, dass Ihr Antrag am 12.11. und der der FDP am 20.11. eingereicht worden ist, Plenum am 22.11., da gab es eine Verschiebung. Mit Blick auf die Uhr wäre der Tagesordnungspunkt heute ohnehin drangekommen, wenn ich das richtig einschätze.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wäre er definitiv nicht.)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wissen Sie auch. Was heißt das eigentlich?)

Ich möchte zu meiner Rede zurückfinden. Man könnte sagen, alle Jahre wieder. Alle Jahre wieder

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: …gibt es Winter.)