Protokoll der Sitzung vom 27.06.2014

Spannungsverhältnis zwischen landesspezifischen Anforderungen und dem Risiko einer Zersplitterung der Regelung am besten Rechnung getragen werden. So sieht das neue Brandenburgische Richtergesetz, welches am 14. Juli 2011 in Kraft trat, bereits einige Neuerungen vor. Darüber hinaus ist bis zum Jahr 2016 eine Evaluation unter Berücksichtigung des weiteren öffentlichen Diskurses über die Frage der Selbstverwaltung oder eine Autonomie der Justiz vorgesehen. Diese Ergebnisse sollten wir abwarten.

Lassen Sie mich noch kurz auf die Gesetzentwürfe der Fraktion DIE LINKE eingehen, um die es heute hier eigentlich geht. Aus Sicht der SPD-Fraktion greifen beide Gesetzentwürfe durch ihre Fixiertheit auf den Richterwahlausschuss zu kurz. Wir wollen, wie gerade skizziert, eine umfassende Novellierung des bestehenden Gesetzes. Wir haben im Justizund Verfassungsausschuss trotzdem noch eine schriftliche Anhörung mit einer längeren Liste anzuhörender Sachverständiger beschlossen. Wir Sozialdemokraten haben das nicht zum Selbstzweck getan. Wir haben ein ehrliches Interesse

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ausgerechnet Sie).

an einer umfassenden Meinungsfindung auf dem zügigen Weg zur Verabschiedung moderner Richter- und Staatsanwältegesetze in der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtags. Vielen Dank.

Vielen herzlichen Dank, Herr Hartung. Als Nächste hat jetzt das Wort die Abgeordnete Sabine Berninger für die Fraktion DIE LINKE.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE sollte man Beratungsgegenstände des Landtags nicht einfach so am Ende der Wahlperiode unerledigt in die Diskontinuität verschwinden lassen. Diskontinuität bedeutet, alle bisherigen Beratungsschritte werden hinfällig. Wenn die Sache in der kommenden Wahlperiode erneut aufgerufen wird, muss man bei null beginnen. Das heißt, wir tun dann in der nächsten Legislaturperiode so, als hätte es diese Debatte hier gar nicht gegeben, zumindest offiziell fangen wir bei null an. Das gilt nach Ansicht der Linken grundsätzlich für alle Themen unabhängig davon, wer die Einreicherinnen sind. Ich hätte also als Justizausschussvorsitzende auch Gesetzentwürfe der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder der FDP oder aus der Regierungskoalition auf die Tagesordnung der letzten Justizausschuss-Sitzung gesetzt, um eben dieses sangund klanglose Anheimfallen der Diskontinuität zu verhindern.

(Abg. Dr. Hartung)

Wie ich in der Berichterstattung ausgeführt habe, ist die konkrete Situation bei den zwei Gesetzentwürfen der Linken, die jetzt zur Disposition stehen, dadurch entstanden, dass wir aus sachdienlichen Erwägungen bis jetzt die Weiterberatung im Ausschuss zurückgestellt hatten, eben weil angekündigt war, dass bereits im November 2011 ein Durchlauf im Kabinett erfolgen solle und dann die Landesregierung ihren eigenen Gesetzentwurf einbringt. Das macht aus unserer Sicht im Sinne einer offenen und an der Sache orientierten demokratischen Entscheidungsfindung Sinn, wenn unterschiedliche Initiativen zum selben Themenfeld gleichzeitig, also gemeinsam beraten werden, damit man unterschiedliche Positionen auch ganz klar in der Diskussion gegeneinanderstellen und abwägen kann. Angesichts der ursprünglich im Ausschuss getroffenen Vereinbarung zwischen den Fraktionen war es für die Fraktion DIE LINKE dann schon sehr überraschend, dass nun die Koalitionsmehrheit im Ausschuss, die dafür geworben hat, doch die vorliegenden Gesetzentwürfe mit dem Regierungsvorhaben zusammen zu beraten, nur zu dem Einzelanliegen der Linken noch eine Anhörung beantragt, obwohl der erwartete und angekündigte Gesetzentwurf der Landesregierung bis heute nicht vorliegt.

Eine grundsätzliche Bemerkung möchte ich noch voranstellen und damit auch Herrn Dr. Hartung den Wind aus den Segeln nehmen: Die vorliegenden Gesetzentwürfe der Fraktion DIE LINKE umfassen nicht alle Punkte, die wir als Fraktion DIE LINKE veränderbar für nötig halten für den Ausbau der Unabhängigkeit der Justiz. Wir greifen exemplarisch die Frage der Ausgestaltung der Entscheidungsverfahren in Personalfragen im richterlichen Bereich heraus, eingeschlossen der Zusammensetzung des Richterwahlausschusses. Dazu thematisieren wir die Abschaffung des Stichentscheids, das heißt das Letztentscheidungsrecht des Justizministers bei strittigen Stellenbesetzungen. Das ist ein nach unserer Sicht mit Blick auf die wirkliche Gewaltenteilung, und wir sind mit dieser Ansicht nicht allein, Herr Scherer, ein notwendiger erster Schritt - nur ein erster, das gestehe ich zu. Andere Punkte, die wir ihm Rahmen des Grundsatzantrags, den wir noch im Mai 2010 zur Stärkung von Selbstständigkeit und von Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Justiz gestellt hatten, bleiben bei diesen beiden Gesetzentwürfen, eben weil wir uns konzentrieren wollten, außen vor. Unberücksichtigt bleiben zum Beispiel die basisdemokratische Stärkung der Richterräte gegen die Präsidialräte, die Schaffung eines Landesjustizrates als Selbstverwaltungs- und Koordinierungsgremium oder auch die Budgetierung der Gerichte.

Warum wir uns nun gerade diese beiden Punkte exemplarisch für die konkreten Aktivitäten im Themenfeld herausgesucht haben, das will ich versu

chen zu erklären. Nämlich erstens, weil Fachleute und Verbände, aber auch internationale Gremien, Herr Scherer, gerade hier beim Zurückdrängen des Einflusses der Exekutive auf die Justiz Aktivitäten verlangen, gerade auch von der Bundesrepublik Deutschland und damit besonders von den Bundesländern, denn die Bundesländer haben bei den Personalfragen die Zuständigkeit, mit Ausnahme der obersten Bundesgerichte. Wir haben diese Themen ausgesucht, weil das Problem der Einflussnahme in der Vergangenheit vor allem unter der CDU-Alleinregierung gerade mit Bezug auf wichtige Leitungsposten durchaus wahrnehmbar wurde, leider auch öffentlich wahrnehmbar. Das hat die Akzeptanz und Vertrauen der Einwohnerinnen und Einwohner Thüringens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz unseres Erachtens gefährdet. Wir haben diese zwei Punkte thematisiert. Drittens, weil der Punkt Personalpolitik durchaus Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit der Justiz hat, die vor allem in der Rechtsprechung in einer sehr zivilisierten Form der Klärung gesellschaftlicher Konfliktsituationen in einer hochspezialisierten Dienstleistung für Einwohnerinnen und Einwohner in Thüringen und in manchen Fällen auch darüber hinaus besteht. Die Thematik weist also deutlich über die Binnenstruktur hinaus.

Einer Antwort in der Plenarsitzung am 23. Februar 2012 auf eine Mündliche Anfrage in der Drucksache 5/3984 ist zu entnehmen, dass seit Anfang 1999 bis Ende 2011 insgesamt 219 richterliche Ämter der Besoldungsgruppen R2 und aufwärts zur Besetzung ausgeschrieben waren. In acht Fällen kam es nach Angaben des Thüringer Justizministeriums zum Stichentscheid. Das klingt sehr wenig, 3,6 Prozent waren das, wie das Justizministerium 2011 anführte. Es klingt sehr wenig, aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich, es waren alles Leitungsstellen, entweder die Leitung als solche oder deren Stellvertretung, darunter eine Direktorenstelle bei einem Amtsgericht, die Stellvertretung bei der Leitung des Sozialgerichts Gotha, der Präsident des Thüringer Oberlandesgerichts und der Vizepräsident des Thüringer Oberverwaltungsgerichts.

Wir meinen, aus Gründen der direkteren demokratischen Legitimierung - und dieses Argument führen wir nicht allein ins Feld -, aus Gründen der direkteren demokratischen Legitimierung der Stellenentscheidung und für eine verbesserte Gewaltenteilung sollte der Richterwahlausschuss in solchen Personalfragen das letzte Wort haben. Deswegen wollen wir den Stichentscheid, das heißt, den § 49 des Thüringer Richtergesetzes aufheben.

Nach einem OTZ-Artikel vom 30. Oktober 2012 sorgte der Stichentscheid und eine offensichtlich im Regierungsentwurf geplante Verlagerung der Beurteilungskompetenz auf das Justizministerium für Kritik aus den Richtergremien und Berufsverbänden. Ich meine mich zu erinnern, dass ich eine

Pressemitteilung gelesen habe, zitiert mit dem justizpolitischen Sprecher, Herrn Scherer, aus der CDU-Fraktion, dass selbst die CDU - die seit Jahren alle Forderungen seitens der Oppositionsfraktionen auf Abschaffung des Stichentscheides, diesen Regierungsentwurf, nämlich die Verlagerung der Beurteilungskompetenz auf das Justizministerium, abgelehnt hatte -, Sie haben sozusagen plötzlich, weil es nicht mehr Ihr Ministerium war, eine Kehrtwende vollzogen und jetzt stellen Sie sich hier hin und werfen mir vor, wir hätten keine Argumente für die Abschaffung des Stichentscheides. Mit welchem Argument, stellen Sie hier theatralisch die Frage, wollen wir diese Abschaffung fordern? Ich hätte die Koalitionsvereinbarung auf Seite 58 zitiert, wie das Herr Abgeordneter Dr. Hartung gerade gemacht hat. Ich kann mich an so unheimlich viele parlamentarische Initiativen erinnern, wo Abgeordnete der Koalitionsfraktionen sich hierhergestellt haben und so getan haben, als würde sich in jedem Fall sklavisch an die Koalitionsvereinbarung gehalten und nichts gegeneinander entschieden oder abgestimmt, was in der Koalitionsvereinbarung nicht geregelt wird. Hier machen Sie es ganz offensichtlich ähnlich, wie das in der Flüchtlingspolitik gewesen ist, Papier ist geduldig. Solche Formulierungen lassen sich auch bequem, genau wie Versprechungen in Regierungsprogrammen, in Schubladen versenken. Und was die Unabhängigkeit der Justiz angeht, ist das genau das Gleiche.

Dass die Fraktion DIE LINKE mit der hier jetzt und in der nächsten Plenumssitzung stattfindenden Debatte, anders als einige vielleicht meinen, gerade keinen Ladenhüter ins Plenum holt, der angeblich derzeit niemanden interessieren würde und der auch verfassungsrechtlich nicht in Ordnung wäre, zeigt ein kurzer abschließender Blick über den Thüringer Tellerrand nach Schleswig-Holstein nämlich. Dort wurde bzw. wird gerade aktuell das Thema Selbstverwaltung der Justiz als Themenpunkt in einem Sonderausschuss des Landtags zur Reform der Landesverfassung diskutiert. Das dortige Justizministerium muss sich derzeit einige Kritik von Abgeordneten, Justizgremien und Verbänden anhören, weil es den Ausbau der Selbstverwaltung der Justiz ausbremst. Noch in diesem Monat laut des Arbeitsplans soll es den Abschlussbericht des Sonderausschusses geben. Ich hoffe, wir können den dann in der Auswertung der Anhörung noch mit verwenden.

Aber um zu demonstrieren, dass die Fraktion DIE LINKE hier nicht spinnert allein irgendwelche verfassungsrechtlich nicht gedeckten Forderungen aufstellt, möchte ich ein paar Zitate aus der Stellungnahme einer richterlichen und staatsanwaltlichen Arbeitsgruppe, die sich „Autonomie der Justiz“ nennt, vom Januar 2014 zitieren, die ein Eckpunktepapier für eine Strukturreform der Justiz des Landes Schleswig-Holstein in die Beratung des Land

tagsausschusses eingespeist hat. Zitat: „Die dritte Staatsgewalt muss demokratischer werden. Nach dem Grundgesetz […] und der Landesverfassung […] gilt das Prinzip dreier getrennter Staatsgewalten, die sämtlich vom Volk ausgehen müssen. Dieses Prinzip wird im deutschen Verfassungsaufbau hinsichtlich der dritten, der rechtsprechenden Gewalt, nicht konsequent umgesetzt. Das zeigt sich anschaulich daran, dass sowohl die gesetzgebende Gewalt als auch die vollziehende Gewalt über parlamentarisch direkt gewählte Leitungen verfügen (Parlamentspräsident und Ministerpräsident) , während die Organisation der rechtsprechenden Gewalt einem Ressortleiter der Exekutive (Justizministerin) unterstellt ist. […] Diese Abhängigkeit steht zunächst im Gegensatz zum verfassungsrechtlichen Modell der Gewaltenteilung.“ Herr Scherer, genau das Gegenteil von dem, was Sie hier ausgeführt haben. In diesem Papier heißt es weiter: „Durch die Einbettung der Judikative in die Exekutive fehlt der Leitung der Justizverwaltung zum zweiten auch die bei den anderen Staatsgewalten selbstverständlich gegebene unmittelbare demokratische Legitimation.“ Und einen letzten Absatz will ich noch zitieren: „Zum dritten entspricht die gegenwärtige Justizstruktur mit ihrer Abhängigkeit von der Exekutive nicht mehr einem modernen europäischen Staatsorganisationsverständnis. Insbesondere vonseiten des Europarates wird dies problematisiert.“

Meine Damen und Herren, dies nur als Beleg dafür, dass wir hier nicht spinnerte, sozialistische, linke Ideen, die mit unserer verfassungsrechtlichen Wirklichkeit nichts zu tun haben, einbringen, sondern dass es uns tatsächlich um die Modernisierung der Justiz geht und um eine wirkliche demokratische Legitimierung und Unabhängigkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sehen unsere beiden Gesetzentwürfe zur Reform des Richterwahlausschusses und zur Änderung der Entscheidungskompetenzen bei Personalund Stellenbesetzungsfragen als ersten Schritt, als Diskussionsangebot für eine sinnvolle und notwendige umfassende Reform hin zu mehr Unabhängigkeit und Selbstverwaltung in der Justiz in Thüringen, aber auch bundesweit. Leider wurde dieses Angebot bisher nicht wirklich angenommen, so scheint es. Zumindest kam eine wirkliche Reformdiskussion nicht in Gang. Wenn ich Herrn Scherer richtig verstanden habe, dann lehnt die CDU auch weiterhin ab. Sie hat eigentlich nur dem Koalitionspartner einen Gefallen getan oder uns gönnerhaft gestattet, unsere Gesetzentwürfe an den Ausschuss zu überweisen, und deswegen wird diese Situation auch nicht durch diesen Antrag auf eine Anhörung geheilt. Auch, Frau Meißner, wenn im Ausschuss einstimmig für die Anhörung gestimmt wurde, heilt das nicht, dass für die Anhörung im Prinzip nur elf Tage Zeit sind. Wir haben am 25. die Anzuhörenden beschlossen, am 26. ist das Schrei

ben raus. Wenn die Post schnell war, haben die Anzuhörenden am 26. nachmittags, wenn nicht, dann erst am heutigen Tage das Schreiben bekommen, dass wir sie um Stellungnahme bitten. Sie sollen ihre Stellungnahme schon am 7. Juli wieder hier im Postfach platziert haben, damit wir noch zwei Tage zur Auswertung haben. Eine intensive Beratung der Anhörung sieht eigentlich anders aus. Ich halte das Ganze für eine, na ja, Bloß-damitman-hier-davon-reden-kann-Veranstaltung. Ich setze aber meine Hoffnung auf die Anzuhörenden, denn die Richterverbände, alle, die wir als Experten angefragt haben, die Gewerkschaften, die sind da im Moment viel weiter als die Regierungsfraktionen hier in Thüringen. Das ergibt sich aus Gesprächen, die ich geführt habe. Der DGB Hessen-Thüringen hat eine Tagung zum Thema durchgeführt. Ich glaube, die Anzuhörenden werden in dieser kurzen Zeit eine Stellungnahme aufs Papier bringen, die sind meines Erachtens klar in ihren Aussagen. Nichtsdestotrotz kann ich voraussagen, wie es kommen wird. Mit Hinweis auf den Koalitionsfrieden wird in der nächsten Plenarsitzung zwar das Thema aufgerufen, diskutiert werden, aber Sie werden es ablehnen, und das finde ich dem Anliegen und den Betroffenen gegenüber unangemessen.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Berninger. Es gibt eine weitere Wortmeldung des Abgeordneten Manfred Scherer.

Liebe Frau Kollegin Berninger, wenn Sie sich hier schon als Hüterin der Demokratie aufspielen, dann will ich Ihnen nur einen Artikel aus dem Grundgesetz vorlesen. Das habe ich schon einmal gemacht, aber das ist bei Ihnen offenbar nicht angekommen. Artikel 98 Abs. 4: „Die Länder können bestimmen, dass über die Anstellung der Richter in den Ländern der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss entscheidet.“ So steht es im Grundgesetz. Mehr will ich Ihnen dazu nicht sagen. Ich könnte Ihnen auch noch die Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht dazu vorlesen. Das will ich mir aber ersparen.

Herr Abgeordneter Scherer, gestatten Sie aber eine Frage der Abgeordneten Berninger?

Ich will mich nicht aufspielen, aber gestehen Sie mir zu, dass dort steht, die Länder „können“ bestimmen und nicht, die Länder „müssen“ bestimmen?

Aber darüber hinaus können die Länder es eben nicht bestimmen. Das ist die Krux an der Geschichte.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Nein, das ist falsch.)

Natürlich ist es so. Na gut, wenn das so ist und Sie es doch nicht verstehen, dann lese ich Ihnen noch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Zitat Bundesverfassungsgericht: „Die Letztverantwortung für die Ernennung zum Richter muss trotz einer zulässigen Mitentscheidungsbefugnis von Richterwahlausschüssen beim Landesjustizminister liegen.“ „Muss“ steht hier - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Aus welchem Jahr?)

Vielen Dank, Herr Scherer. Es gibt eine weitere Wortmeldung von der Abgeordneten Sabine Berninger. Sie haben noch 2 Minuten Redezeit.

Die brauche ich nicht. Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die Letztverantwortung, ja, da haben Sie recht, die hat er mit der Ernennung. Die Entscheidung kann durchaus einem Gremium überlassen werden und nicht dem Minister.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen herzlichen Dank, Frau Berninger. Es liegen jetzt in der Tat keine Wortmeldungen mehr aus den Reihen der Abgeordneten vor. Für die Landesregierung hat Herr Poppenhäger, der Justizminister, um das Wort gebeten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich vorwegschicken, auch ich hätte gern und früher das Thema hier aufgerufen, natürlich in der Fassung, in der auch das Thüringer Richtergesetz, jetzt in der ersten Kabinettsfassung, vorliegt. Insofern will ich Ihnen gern recht geben. Auch ich hätte das gern getan. Ich bedaure sehr, dass wir erst jetzt zum Ende der Legislaturperiode die Diskussion führen können und auch nur vorläufig.

(Abg. Berninger)

Die von den Linken vorgelegten Gesetzentwürfe haben zum einen die Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen und zum anderen des Thüringer Richtergesetzes zum Ziel. Insbesondere soll eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Richterwahlausschusses durch eine Neufassung des Artikel 89 Abs. 2 der Thüringer Verfassung erfolgen. Dadurch soll die vermeintlich untragbare Abhängigkeit der Judikative von der Exekutive beendet werden. Nach den Entwürfen der Fraktion DIE LINKE soll der Richterwahlausschuss künftig über die meisten Personalmaßnahmen bei Richtern ohne Justizminister entscheiden, namentlich über Einstellung und Beförderung von Richtern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gesetzentwürfe enthalten durchaus einige diskussionswürdige Ansätze. Vor allem sehe ich hier das ernsthafte Interesse der Fraktion DIE LINKE an einer Fortentwicklung demokratischer und rechtsstaatlicher Justizstrukturen in Thüringen. Dieses Anliegen begrüße ich. Gleichwohl begegnen die Entwürfe verfassungsrechtlichen Bedenken, die ich im Nachfolgenden skizzieren möchte. So erscheint die Alleinzuständigkeit des Ausschusses für richterliche Personalentscheidungen unvereinbar mit bundesverfassungsrechtlichen und demokratischen Grundsätzen, insbesondere dem Verfassungsprinzip parlamentarischer Verantwortung des Justizministers. Das Grundgesetz legt die wesentlichen Befugnisse des Justizministers fest, dem jede Gesetzesänderung in Thüringen Rechnung tragen muss. Artikel 98 Abs. 4 Grundgesetz setzt dabei die Personalhoheit des Justizministers bei allen richterlichen Personalentscheidungen voraus. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 1998, die Herr Abgeordneter Scherer eben völlig richtig zitiert hat. Im Gegenteil bekräftigt diese Kammerentscheidung, dass die Letztverantwortung für jede Richterernennung ungeachtet der Mitwirkung des Ausschusses stets beim Justizminister liegen muss. Auch die Thüringer Verfassung und ihre Gesetzgebungsmaterialien bestätigen die Personalhoheit des Justizministers für die Einstellung von Proberichtern und für alle Richterbeförderungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, gestatten Sie mir, vorsorglich einige Missverständnisse auszuräumen, die den Entwürfen zugrunde zu liegen scheinen. Hierzu will ich auf drei Punkte besonders eingehen.

Erstens: Der Gesetzentwurf will erklärtermaßen den seit, ich zitiere „140 Jahren untragbaren Zustand der Abhängigkeit der Judikative von der Exekutive beenden“. In verfassungsgeschichtlicher Hinsicht bin ich über den von der Fraktion DIE LINKE bemühten Vergleich mit dem preußischen Justizminister Leonhardt unglücklich. Wer den modernen Justizminister von 2014 mit dem preußischen Justizmi

nister von 1878 vergleicht, übergeht leichtfertig, dass der preußische Justizminister seinerzeit unter den Bedingungen des preußischen Dreiklassenwahlrechts für einen Obrigkeitsstaat tätig war, und zwar für einen undemokratischen Obrigkeitsstaat. Daran will ich erinnern. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang an das am 19. Oktober 1878 im Reichstag verabschiedete Reichsgesetz erinnern, das die Sozialdemokratie seinerzeit von jeglicher politischer Betätigung ausgeschlossen hat. In verfassungsrechtlicher Hinsicht erlaube ich mir den weiteren Hinweis, dass Personalentscheidungen bei Richtern exekutiven Charakter haben und zu keiner Zeit der Judikative zuzurechnen sind. Sie sind nach dem Verfassungssystem des Grundgesetzes stets funktionaler Teil der Exekutive und es ist dem Landesgesetzgeber selbst im Wege einer Änderung der Landesverfassung verwehrt, Entscheidungen der Exekutive in Maßnahmen der Rechtsprechung umzuwidmen. Von daher gehen die Gesetzentwürfe an dieser Stelle ins Leere und leisten auch keinen sachgerechten Beitrag zur Unabhängigkeit der Richter.

Zweitens: Die beabsichtigte Neuordnung der Zuständigkeiten des Richterwahlausschusses bewirkt gerade nicht die von der Fraktion der Linken gewünschte Stärkung der Eigenständigkeit der Judikative als dritte Staatsgewalt gegenüber der Exekutive. Selbst wenn der Richterwahlausschuss allein das sogenannte Letztentscheidungsrecht hätte, ändert dies nichts daran, dass die dienstlichen Beurteilungen, und das sind eben rein exekutive Entscheidungen, weiterhin fest in den Händen der Gerichtspräsidenten als Teil der Justizverwaltung liegen. Diese Beurteilungen sind laut Bundesverfassungsgericht das entscheidende Steuerungsinstrument für personelle Entscheidungen. Demzufolge ist auch ein Richterwahlausschuss mit vermeintlichem Letztentscheidungsrecht bei der Auswahl des persönlich und fachlich am besten geeigneten Bewerbers, wie es im Entwurf zu § 24 Abs. 2 des Richtergesetzes heißt, an die exekutiven Vorgaben der Gerichtspräsidenten gebunden.

Drittens möchte ich noch darauf hinweisen, wenn die Gesetzentwürfe für sich in Anspruch nehmen, eine Annäherung an europäische Standards zu bewirken, so ist jedenfalls festzustellen, dass es europäische Standards für die Justizverfassung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht gibt, geschweige denn für Mitgliedstaaten des Europarats.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte noch einige Anmerkungen zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Novellierung des Thüringer Richtergesetzes machen. Unter Beteiligung der Richterverbände und -vertretungen wurde in meinem Haus ein umfänglicher Gesetzentwurf erarbeitet. Die erste Kabinettsbefassung erfolgte am 11. September 2012. Inhaltlich zeichnet

(Minister Dr. Poppenhäger)

sich der Gesetzentwurf durch drei Errungenschaften aus.

Erstens: Die Novellierung führt für Thüringen erstmals einen einheitlichen Präsidialrat für alle Gerichtsbarkeiten als zentrales Kontrollgremium ein. Dadurch wird ein Einfluss der Gerichtspräsidenten auf die von ihnen gemachten Personalvorschläge eingeschränkt und eine effektive Kontrolle ermöglicht.

Zweitens: Die Zuständigkeit des Richter- beziehungsweise Justizwahlausschusses wird nicht nur bei Richtern auf weitere Personalmaßnahmen erweitert, sondern Staatsanwälte werden im Interesse der inneren Sicherheit und einer breiteren demokratischen Legitimation neu in die Verantwortung dieses Ausschusses einbezogen.

Drittens wird die Mitbestimmung der Richtervertretungen spürbar ausgebaut. Zum einen sollen neue Mitbestimmungstatbestände im richterlichen Bereich geschaffen werden, zum anderen wird mit der gemeinsamen Vertretung eine landesweite Vertretung aller Thüringer Richter errichtet werden.