Es ist schon erstaunlich, dass vier Diplomphilosophen der Linkspartei gemeinsam nicht in der Lage sind, herauszubekommen, was der Begriff des Neoliberalismus oder Ordoliberalismus meint, welchen Ursprung er hat und was er bedeutet. Das passiert dann, wenn man sich nämlich nur mit Frühsozialisten, wie Babeuf, Marx und Lenin beschäftigt. Ich will Sie ja nicht belehren, aber es sollte Ihnen doch wenigstens von Ihrer gründlichen Marx-Lektüre im Studium noch bekannt sein,
dass es Liberale waren, die durch den langen politischen Kampf das Individuum zu einer Rechtsperson gemacht haben und dafür Sorge trugen, dass die Justiz nämlich unabhängig wurde und das Recht für jeden Menschen gleich gilt.
Es ist auch nicht vergessen, wer es war, der diese kulturelle Leistung abgeschafft, den Menschen in Rechtlosigkeit zurückgeworfen hat und einen Justizapparat geschaffen hat, der Schwert und Schild einer Staatspartei, aber nicht der Verteidiger der grundlegenden Menschenrechte war.
Sie haben hier erneut nichts anderes zu tun, als in politischen Kampfbegriffen zu denken und zu sprechen. Das zeigt für mich, wes Geistes Kind Sie noch immer heute sind und dass Sie aus der Geschichte nicht wirklich etwas gelernt haben. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Frage, ob ich jetzt Früh- oder Spätsozialistin bin, kann ich in meiner Rede nicht beantworten. Ich überlasse es Ihrem Urteil.
Ja, Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie greifen hier ein Anliegen auf, das, wie Minister Poppenhäger Ihnen bereits dargestellt hat, Bestandteil unserer Koalitionsvereinbarung ist und an dessen Realisierung bereits gearbeitet wird. Im Gegensatz zu Ihren Annahmen wird der Minister aber keinen reinen Hausentwurf ins Kabinett einbringen, sondern bezieht bereits vorab, wie ebenfalls schon von ihm mitgeteilt wurde, in die Erarbeitung die betroffenen Richter und Berufsverbände ein. Das hatte meine Fraktion auch in der 3. Wahlperiode schon so gehalten, als sie hier schon einmal vor neun Jahren einen Gesetzentwurf unter Drucksache 3/1550 eingebracht hatte. Es ging damals darum, die Richterräte in ihrer Kompetenz anzupassen an die Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen, die Wahl der richterlichen Vertreter im Richterwahlausschuss, den der Kollege Koppe hier schon einmal beschrieben hat, zu demokratisieren, richterintern und auch verbesserte Beteiligungsmöglichkeiten bei Einstellungen der Richter vorzusehen.
Sie haben nun in Ziffer II Ihres Antrags eine Zeitvorgabe bis zum 30.09.2010 beantragt. Sie soll dazu dienen, dass Eckpunkte vorgelegt werden. Dieses Datum passt nicht zum derzeitigen Abstimmungsprozess, deshalb können wir der Ziffer II Ihres Antrags nicht zustimmen, sondern werden diesen ablehnen. Es ergibt nämlich überhaupt keinen Sinn für das Ministerium, wenn man der Auswertung ohne Diskussion der Verbandsvorstellungen und der Betroffenen isolierte Eckpunkte hier im Haus voranstellt. Das macht keinen Sinn, deswegen sehen wir auch hier keinen Grund für eine Ausschussüberweisung. Es mag Ihnen verziehen werden, dass Sie die aus den gewählten Beteiligungs- und Abstimmungsverfahren ergebenden Zeitabläufe nicht gekannt haben.
Bei der Beurteilung Ihrer in dem Antrag in Ziffer III eingestreuten inhaltlichen Streiflichter werde ich nun aber ungnädiger. In Ihrer Antragsbegründung haben Sie geschrieben und der Kollege Kubitzki hat es auch noch einmal wiederholt, es bestünden problematische Defizite der deutschen Justiz in Sachen Unabhängigkeit und Selbstverwaltung, und das, so heißt es weiter, vor allem mit Blick auf europäische Standards. Das, verehrter Herr Kubitzki, haben Sie auch noch einmal betont und der Minister hat schon darauf hingewiesen, diese europäischen Standards gibt es nicht. Es gibt Erörterungen auf europäischer Ebene, an denen auch die richterlichen Großverbände beteiligt worden sind und sich beteiligt haben, die gewisse Empfehlungen ausgesprochen haben. Das sind aber reine Vorschläge nicht mit juristisch verbindlichem Charakter. Das hätten Sie oder Ihre Referenten nachlesen können, zum Beispiel in einem ganz aktuellen Bericht der Minerva Forschungsgruppe „Richterliche Unabhängigkeit“ des Max-PlanckInstituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, die also in der letzten Woche gerade noch mal darauf hingewiesen haben, dass diese ganzen Papiere auf der europäischen Ebene nur empfehlenden Charakter haben. Dort können Sie auch vieles andere nachlesen, was die rechtliche Situation erhellt.
Die Unabhängigkeit des Richters, die haben wir auch in unserem Grundgesetz stehen in Artikel 97 Abs. 1, ist kein Selbstzweck. In der Europäischen Menschenrechtskonvention finden wir sie vielmehr als eine rechtsstaatliche Ableitung aus Artikel 6. Der Artikel 6 normiert den Anspruch des Rechtsuchenden auf ein unabhängiges Gericht. Nur wenn Richter unabhängig ihre Aufgaben wahrnehmen und urteilen können, ist das in Artikel 6 garantierte Recht, dass über Rechtsstreitigkeiten, so heißt es in dem Artikel, von einem unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird, gewährleistet. Damit ist der Anspruch for
muliert an die Gerichtsbarkeit und damit auch das Spannungsfeld, das es durchaus so überlegens- und genau erwägenswert macht, abzuwägen, wie groß kann die richterliche Selbstverwaltung gestaltet sein oder muss es noch Möglichkeiten geben, beispielsweise von außen darauf einzuwirken, dass Verfahren innerhalb angemessener Frist verhandelt werden. Das ist zum Beispiel schon einmal ein Eingriff, wenn Sie so wollen, in eine eindeutig nur selbstverwaltete Justiz. Wären Sie da gebunden, da könnten Sie keinen Einfluss nehmen, aber Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention schreibt dies vor. Es gibt, wie gesagt, Empfehlungen auf europäischer Ebene, die im Wesentlichen von den Berufsverbänden kommen, und da wird die Forderung nach einer Stärkung richterlicher Selbstverwaltung erhoben. Dem versperren wir uns auch nicht. Wir wollen das in Ruhe und Ausführlichkeit zusammen mit den Betroffenen prüfen. Aber aus dieser Stärke richterlicher Selbstverwaltung, so wie das bei Ihrem Antrag durchscheint, die Forderung nach einer kompletten Unabhängigkeit der Justiz abzuleiten, lässt sich weder mit Artikel 6 vereinbaren - ich habe es schon erklärt - noch auch mit der Rechtsprechung unseres Bundesverfassungsgerichts zum modernen Verständnis der Gewaltenteilung. Das lautet so, dass wir uns einem Prinzip gegenseitiger Kontrolle verschrieben haben in unserer Verfassung. Das ist ganz wichtig. Es stehen hier nicht die drei Zweige unabhängig nebeneinander, jeder wurstelt vor sich hin und das ist Gewaltenteilung. Gewaltenteilung heißt, dass man sich gegenseitig auch kontrolliert. Wir wollen aber durchaus die Mitbestimmungsrechte der Richter auch bei bisher durch die Exekutive wahrgenommenen Aufgaben erweitern. Sie irren wirklich, wenn Sie unterstellen, dass dies europarechtlich geboten oder europaweit Standard sei. Modelle umfassender Selbstverwaltung der Justiz sind nämlich in Europa bisher die Ausnahme. In Ungarn wird ein mit weitrechenden Kompetenzen ausgestatteter nationaler Richterrat für das geringe Vertrauen in die Justiz verantwortlich gemacht. Italien - es wurde bereits genannt - hat vielleicht sogar die umfassendste Selbstverwaltung. Die sind zuständig für die Richterbestellung, Beförderung, Versetzung und Entlassung und für die Disziplinaraufsicht und all dies zusammen wird dort als Grund für die überlange Verfahrensdauer gesehen, die dann sich wiederum mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbaren lassen.
Richterräte haben im europäischen Vergleich sehr unterschiedliche Kompetenzen. In Schweden gibt es Richterräte, die aber allein für die Gerichtsverwaltung zuständig sind, wie die Gerichtsorganisation intern gestaltet wird. Sie haben weder bei der Richterauswahl noch bei Disziplinarmaßnahmen irgendwelche Mitwirkungsrechte. In England stellen in einer 15-köpfigen Judicial Appointments Commis
sion, einer Berufungskommission, die Berufsrichter keine Mehrheit, so wie wir es auch in Thüringen haben, sondern in England ist es so, da sitzen sechs Laien, ein Anwalt und ein Staatsanwalt zusammen und die haben die Mehrheit. Richterräte stellen ohne genaue Beschreibung, was ihnen konkret übertragen werden soll, keinen Wert an sich dar. Es ist auch ein Irrtum, anzunehmen, dass dieser Entwurf, den Sie als angebliche Rechtsgrundlage erwähnt haben von 2007 zur Überarbeitung der 1994er-Empfehlungen zur juristischen Unabhängigkeit vorschlagen wird, in alle nationalen Verfassungen Richterräte aufzunehmen. Die Minerva-Stellungnahme von letzter Woche weist auch noch einmal darauf hin, dass man nur gesagt hat, wenn es Länder gibt, die Richterräte haben, dann wäre es sinnvoll, dass sie das auch in die Verfassung hineinschreiben. In dieser politikfernen Stellungnahme finden Sie alles Weitere, wenn Sie genauer wissen und nachlesen wollen, was die juristischen Voraussetzungen, was das Für und Wider verschiedener Selbstverwaltungsmodelle ist. Kurze Rede, tiefer Sinn, auch Ziffer III Ihres Antrags wird deshalb heute von uns hier abgelehnt, weil er von einer unzutreffenden Faktenlage und Rechtseinschätzung ausgeht. Es besteht derzeit kein Bedarf für eine Bundesratsinitiative oder eine Grundgesetzänderung. Wir lassen deswegen den Antrag hier heute nicht passieren, sondern begraben ihn gleich und werden aber die Gelegenheit gern wahrnehmen,
die mit Ihnen zusammen und den Berufsverbänden erarbeiteten Vorschläge zu einer verbesserten Mitwirkung zu diskutieren.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Marx. Es hat jetzt das Wort Abgeordneter Hauboldt von der Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Dr. Poppenhäger, ich bin schon erstaunt und etwas frustriert, das gebe ich ehrlich zu, Frau Kollegin Marx, auch mit Bezug auf Ihren Redebeitrag hier. Sie haben zumindest den Versuch unternommen, ein Stück weit das Thema wieder zu relativieren. Ich habe unterschwellig, zumindest im Ansatz vernehmen dürfen, dass ein Ansatz an Bereitschaft da ist, über das Thema zu reden, erstaunlicherweise mit den Fachverbänden. Diesen haben Sie und Ihr Vorredner, der Herr Kollege Koppe von der FDP, letztendlich Ihre Kompetenz abgespro
chen. Das kann ich, meine Damen und Herren, beim besten Willen nicht nachvollziehen. Selbst wir haben nicht aus lauter Jux und Tollerei dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt, sondern ich persönlich habe in zahlreichen Gesprächen nicht nur mit den Verbänden, sondern mit den Richtern selbst vor Ort das Thema erörtert und aus diesem Grund erschien es uns wichtig, heute einen Anschub in dieser Diskussion, in dieser Debatte zu leisten, um über dieses Thema auch im Ausschuss - dort, wo es hingehört - zu diskutieren. Deshalb kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen, welche Ängstlichkeit hier an den Tag gelegt wird, sich zu dieser Frage zu verständigen. Die Unabhängigkeit der Justiz - darauf will ich noch mal eingehen - wird gewährleistet durch wirksame Strukturen der Selbstverwaltung sowie der demokratischen Mitwirkung und Mitbestimmung der Richterinnen und Richter bzw. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Ich gehe noch mal darauf ein, wie der europapolitische Sprecher meiner Fraktion, Kollege Kubitzki, in der Einbringung kurz umrissen hat, gibt es hier in Deutschland und damit auch in Thüringen, verglichen mit den auf europäischer Ebene gebräuchlichen und geltenden Standards, Probleme. Sie haben Bezug genommen auf Spanien und Italien; ich gehe nachher noch mal kurz darauf ein, wie dort die Situation ist, verglichen zu der hier in Deutschland. Das sagen nicht nur wir als DIE LINKE, als linke Fraktion, sondern auch gestandene Berufsverbände der Richter und Staatsanwälte - und das betone ich auch an dieser Stelle -, die man nun wirklich nicht als linkslastig einstufen kann. Die aktuelle Diskussion - gerade auf dem Anfang Mai in Freiburg durchgeführten Verwaltungsgerichtstag 2010 um die Unabhängigkeit der Justiz - hat ihren Schwerpunkt in der Debatte um den Aufbau wirksamer Selbstverwaltungsstrukturen gehabt. Das ist angesichts der berechtigten Forderung von europäischer Ebene, zumindest für meine Fraktion, auch nicht verwunderlich.
Meine Damen und Herren, ich darf noch mal auf das, was hier gesagt worden ist, kurz eingehen. Herr Minister, in Ihrem Bericht der Landesregierung zur Unabhängigkeit der Justiz habe ich die Worte wohl gehört, aber ich vermisse letztendlich auch die Bereitschaft, Taten folgen zu lassen - sicherlich auch mit dem Verweis auf den Koalitionsvertrag und die Terminstellung, die Sie da vielleicht verankert haben. Sehen Sie es mir aber nach, wir als Oppositionsfraktion sind nicht unmittelbar daran gebunden, diese Terminkette einzuhalten. Sondern, wenn es Bedarf zu dieser Fragestellung und Diskussion gibt, nehmen wir diese natürlich selbstverständlich gern auf. Bezug genommen wurde auf die Richterstellung damals zum Pilz-Verfahren zur Unabhängigkeit als höchstes Gut. Auch darauf würde ich gern im Einzelnen noch mal eingehen.
Meine Damen und Herren, der Minister hat auch darauf abgezielt, die Länder haben ein Interesse angezeigt bzw. aufgezeigt an Selbstverwaltungsstrukturen und haben dieses auch geäußert auf mehreren Fachtagungen zu verschiedensten Anlässen. Ich habe bis heute die Stellungnahme Thüringens in dieser Frage vermisst. Ich betone es noch mal: Es kann nicht sein - und da verfallen Sie ein bisschen in die Arbeitsmechanismen Ihrer Vorgänger, das erinnert mich an die 4. Legislaturperiode, so nach dem Motto, wir lassen erst mal die anderen machen, bei Erfolg ziehen wir in Thüringen nach, bei Misserfolg können wir diese Fehler nicht begehen. Ich appelliere an Sie und erhebe die Forderung, mehr Mut, eigene Akzente auch zu setzen, selbst einzelne Schritte in diese Richtung zu wagen, Bausteine aufzunehmen in Richtung Selbstverwaltungsstrukturen auf Thüringer Ebene. Sie haben Vorlagen durch Richtervereinigungen, durch Richterbund, die passabel sind, die auch durchaus im rechtsstaatlichen Einklang sind. Dabei lasse ich einfach die Frage nicht gelten, was verfassungsrechtlicher Aspekt in dieser Auseinandersetzung ist, weil wir diese Diskussion - auch in verschiedenen Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen - bereits hinter uns haben. Es gibt logischerweise auch den Ansatz, verfassungsändernde Dinge einzubringen, diese zu beachten und zu diskutieren. Insofern ist nicht alles gut, wie jetzt bereits vorhanden, sondern auch hier gibt es den Reformwillen und den Reformbedarf in dieser Richtung. Die Argumente, die ich heute von Ihnen gehört habe, waren keine. Sie haben abgelehnt mit der Aussage, wir sind offen für alle Fragen, aber in welche Richtung Sie letztendlich agieren wollen, da steht ein großes Fragezeichen. Nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, das ist letztendlich keine politische Aussage und kein politischer Handlungsfaden, der gerade an dieser Stelle im Justizbereich notwendig und wichtig ist. Wir haben auf die europäischen Standards, auf Reformprozesse verwiesen.
Meine Damen und Herren, darauf zielen auch die Richterverbände in ihren Einschätzungen ab. Bitte nehmen Sie das ganz einfach nur zur Kenntnis. Ich frage auch: Welche Kriterien sind zum Beispiel zum Justizranking, die der Herr Minister hier vorgetragen hat, zu berücksichtigen? Es waren vornehmlich ökonomische Aspekte, die dabei eine Rolle gespielt haben. Da bin ich wieder bei dem Kollegen der FDP, der natürlich sehr süffisant darauf eingegangen ist, was da in Spanien alles gesagt und getan worden ist oder was nicht funktioniert. Man muss natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass in Spanien ein eklatanter Personenmangel herrscht, weil genau dort ein Drittel im Vergleich zu Deutschland der Richterinnen und Richter fehlt. Dort gibt es eine andere Struktur, auch keine Fachressorts. Also Äpfel mit Birnen zu vergleichen, ist relativ schwierig. Da hätte ich Sie gern gebeten, dass Sie die Kirche im
Dorf lassen bei diesen Vergleichen. Und daraus ein letztendlich vernichtendes Urteil zu ziehen, ist für mich leider nicht nachvollziehbar. Es klang doch etwas zynisch und hochnäsig, allein, dass Sie uns noch mal in die Rolle der DDR zurückversetzen wollen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich will da nicht auf Ihre geschichtliche Verantwortung abheben, da haben Sie sicherlich noch mit genug Aufarbeitung in Ihren Reihen zu tun.
Ich hatte so den Eindruck, dass der Kampfredenschreiber, lieber Kollege von der FDP, der in der 4. Legislaturperiode von der CDU in Ihre Reihen übernommen wurde, erst einmal alles ablehnt, um so ein bisschen zynisch rüberzukommen mit der Verweigerungstaktik, sich inhaltlich nicht damit beschäftigen zu wollen. Ich dachte, dass wir zumindest hier in diesem Hause diesen Prozess in der jetzigen Legislaturperiode überwunden haben.
Meine Damen und Herren, die richterliche und rechtsprechende Tätigkeit sowie Tätigkeit der Staatsanwaltschaften zielt letztendlich auf eine unvoreingenommene faire Rechtsprechung ohne Ansehen der Person, also eine von Voreingenommenheit und Parteilichkeit freie Urteilsfindung ab. Sie soll ohne Einflussnahme und gar Repression durch die anderen Staatsgewalten, insbesondere die Exekutive, erledigt werden können. Nun könnten Skeptiker einwenden „Politische Einflussnahme auf die Justiz?“, wir sind doch letztendlich hier in Deutschland nicht in einer Bananenrepublik. Nein, ich denke, das sind wir nicht. Politische Einflussnahme bzw. Einflussnahmeversuche, die es in Deutschland gibt und gab, würde ich gern benennen. Allein mit Blick auf den deutschen Strang der Elf-Aquitaine-Affäre, Stichwort Leuna-Verkauf - Sie können sich sicherlich noch daran erinnern -, was die Subventionierung betraf, wurde trotz Drängen der französischen Behörden, nicht so aufgearbeitet wie in Frankreich. Es wurde deutlich, dass mit Druck aus deutschen politischen Kreisen hier agiert wurde.
Ein aktueller Fall öffentlich geworden auch durch einen offenen Brief letztendlich von ver.di: Das Präsidium des Bundesverwaltungsgerichts hatte zum Beispiel im Mai 2009 beschlossen, im Rahmen der Geschäftsverteilung einen Richterkollegen, der nicht bei der Bundeswehr seine Wehrpflicht abgeleistet hatte, also ungedient war, dem 2. Wehrdienstsenat zuzuordnen. Der damalige Bundesverteidigungsminister, Franz Josef Jung, ging offensichtlich sehr deutlich gegen diesen Richterbeschluss vor, da er der Meinung war, dass Ungediente keine Wehrdienstsachen bearbeiten könnten. Offensichtlich gibt es ein praktisch geheimes Ressortabkommen aus den Jahren 1969 und 1970, nach dem das Bundesjustizministerium einem solchen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Besetzung der Wehr
dienstsenate nur zustimmt, wenn das Einvernehmen des Bundesverteidigungsministeriums dazu vorliegt. Der Bundesverteidigungsminister legte so sein Veto gegen den Präsidiumsbeschluss ein. Das Bundesjustizministerium verweigerte seine Zustimmung, die nach § 80 Wehrdisziplinarordnung notwendig ist, und der Beschluss zur Besetzung der Richterstelle mit einem Ungedienten wurde nicht vollzogen. Klingt ziemlich unglaublich, die Tatsachen sind aber durch den offenen Brief von ver.di belegt. Meine Frage: Wo bleibt hier die Unabhängigkeit der Justiz?
Auch für Thüringen, meine Damen und Herren, gibt es in Sachen Unabhängigkeit die eine oder andere mehr oder weniger delikate Geschichte. Ich will hier, ohne auf Details einzugehen, an bestimmte Vorgänge rund um das Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den CD-Unternehmer Pilz erinnern oder an die Konkurrentenklagen, weil sehr geeignete, aber in den Augen des Justizministeriums unbequeme Bewerber bei der Besetzung von Richterstellen nicht berücksichtigt wurden. Den Bediensteten im Justizbereich dürfen keine Maulkörbe verpasst werden. Richter, Staatsanwälte und andere Bedienstete im Bereich der Justiz sind Staatsbürger mit allen Rechten. Sie sollen sich in gesellschaftlichen, logischerweise justizpolitischen Debatten ungehindert äußern dürfen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auch noch mal in Erinnerung den neuesten Fragenkatalog. Ich weiß nicht, ob der Ihnen schon zugänglich war. Herr Minister, Sie dürften ihn kennen, ein Fragenkatalog an Thüringer Richter und Staatsanwälte, gerade befragt zu solchen Themen. Sehr interessante Antworten und ich hoffe und kann mir auch vorstellen und, ich denke, wir werden es auch beantragen, dass wir an geeigneter Stelle uns zu diesen Fragen unterhalten, weil diese Sachfragen solche Dinge betreffen, wieweit Richterinnen und Richter Stellung genommen haben und es gibt interessante Ergebnisse.
Gerade auch mit Blick auf die politischen und ministeriellen Einflussnahmen bei Richterbesetzungen und Richterbeförderungen wollen wir über die Einrichtung unabhängiger Justizverwaltungsräte und Reformen hinsichtlich der organisatorischen Strukturen der Richterwahl diskutieren. Die Forderungen der Verbände ernst zu nehmen und daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen, ist letztendlich unser Ansatz. Der Landtag als Repräsentativorgan des Souveräns der Bürgerinnen und Bürger muss darin eine gewichtige Rolle mitspielen. Das steht, denke ich, außer Frage.
Wir sehen auch durchaus die Gefahren, die eine Selbstrekrutierung der Richterschaft hätte. Die Selbstverwaltung darf letztendlich nicht dazu führen, dass diese Berufsgruppe zu einem Staat im Staate wird.
Nicht aha. Ich will, meine Damen und Herren, mich nicht der radikalen Ansicht mancher Autoren anschließen, der Weg zur Unabhängigkeit der Gerichte führe über die Leiche des Justizministeriums, doch eines sei klar dargestellt. Der immer noch massive Einfluss, meine Damen und Herren, der Exekutive, der Ministerien auf personelle Entscheidungen und logistische Entscheidungen muss, denke ich, zurückgedrängt werden. Dazu ist ohne Zweifel eine Änderung der Thüringer Verfassung, insbesondere des Artikels 89, notwendig. Die Unabhängigkeit der Justiz muss daher vor allem auch durch Organisations- und Arbeitsstrukturen gewährleistet werden. Dazu gehört der Ausbau der Selbstverwaltung und der richterlichen Mitbestimmung. Insbesondere sollte sie auch finanziell abgesichert werden durch ein - und das ist ein neuer Aspekt - eigenständiges Budget der jeweiligen Gerichte.
Hierzu gibt es in der aktuellen Diskussion verschiedene Vorstellungen und Modelle. In Hamburg - darauf haben Sie abgezielt, auf Schwarz-Grün - wird die Umsetzung eines solchen Modells schon in der Praxis in Angriff genommen. Die neue Richtervereinigung und der Thüringer Richterbund haben dazu Vorschläge in die öffentliche Diskussion gebracht. Insbesondere das Konzept der NRV enthält sehr detaillierte Vorschläge zur praktischen Umsetzung. Der Deutsche Richterbund hat zu seinen Vorschlägen einen Musterentwurf für ein Landesgesetz zur Selbstverwaltung der Justiz vorgelegt. Dieser Musterentwurf könnte zum Ausgangspunkt neuer landesrechtlicher Regelungen gemacht werden. Ausgangspunkt aller Modelle ist, dass sich die richterliche Unabhängigkeit auch in einer Unabhängigkeit der Organisationsstrukturen widerspiegeln muss. Der Musterentwurf hat zum Ausgangspunkt, dass der schnellste Weg zur Schaffung selbstverwalteter Justizstrukturen in den Ländern über einen Umbau der vorhandenen Strukturen führt. Zentrale Gremien sind ein Justizwahlausschuss und Justizverwaltungsrat. In Abweichung zum Richterbund schlägt z.B. hier die neue Richtervereinigung vor, dass im Justizverwaltungsrat auch nichtrichterliche Mitglieder, also Laien, sitzen sollen. Dies folgt Vorschlägen mehrerer europäischer Gremien.
In die Selbstverwaltungsstruktur der Justiz muss der Bereich Staatsanwaltschaft zwingend eingegliedert werden, da die Staatsanwaltschaft wegen ihres Anklagemonopols eine zentrale Funktion innerhalb der Strafrechtspflege einnimmt. Der Justizwahlausschuss wählt nach einer Ausschreibung die Mitglieder des Selbstverwaltungsgremiums und bestimmt auch den Vorsitzenden, sozusagen den Justizpräsidenten, die bzw. der jederzeit abwählbar ist. Der JVR ersetzt
funktional einen Teil des Justizministeriums. Insofern kann ich mir durchaus den Grad Ihrer Angst vorstellen, der sich damit verbindet. Die Mitglieder des JVR sind für ihre Tätigkeit in diesem Gremium von anderen dienstlichen Aufgaben freigestellt, um Interessenkonflikte zu vermeiden, und sind während ihrer Amtszeit nicht an Aufträge und Weisungen gebunden. Der Justizverwaltungsrat trifft Personalentscheidungen bei Richtern und Staatsanwälten. Im Falle fehlender Einigung trifft der Justizwahlausschuss die Entscheidung. Da gibt es, wie gesagt, sehr plakativ die Vorstellung, die sollten Sie sich gern noch einmal zu Gemüte führen.
Der Justizverwaltungsrat spielt auch eine wichtige Rolle bei der finanziellen Untersetzung der Unabhängigkeit der Justiz. Er stellt einen Vorschlag auf für den Einzelplan der Justiz im Landeshaushalt an das Finanzministerium. Der Justizverwaltungsrat verwaltet den dann beschlossenen Einzelhaushalt; die Haushaltsführung wird vom Landesrechnungshof geprüft und überwacht. Dass die Stellschraube finanzieller Ausstattung der Justiz ein ganz wichtiger Aspekt für funktionierende Selbstverwaltungsstrukturen ist, zeigen auch Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.
Meine Damen und Herren, das war eigentlich der unstrittigste Punkt in den Gesprächen mit Richtern und Staatsanwälten, als ersten Baustein schon die Schritte in Thüringen voranzubringen. Daher wird nach einer Reform insbesondere das Parlament als Haushaltsgesetzgeber aufgerufen sein, diese faktische Absicherung der Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Justiz zu leisten. Es gibt im Rahmen der Reformdiskussion noch weitere logistische Aspekte zu besprechen bis hin zum Umbau der Bundesebene, auf die ich jetzt nicht noch einmal näher eingehen will.
Lassen Sie uns im zuständigen Justizausschuss - das ist meine Bitte - einen näheren Blick auf die verschiedenen Modelle werfen, die, wie gesagt, nicht unmittelbar Ursprünge unseres Handelns in der Fraktion sind, sondern von den Fachverbänden selbst erarbeitet wurden, um eine sachkundige Diskussion auch im Rahmen einer Anhörung durchzuführen. Diese Sachdiskussion würde uns nicht im stillen Kämmerlein, sondern gerade in einer öffentlichen Diskussion voranbringen.
Ich beziehe mich gern noch einmal auf den Fragenkomplex an die Thüringer Richter. Insgesamt sind wohl 422 Richter befragt worden. 334 haben ihre Antworten zurückgesandt. Das Ganze war wohl auch die Initiative des Präsidenten des Oberlandesgerichts, Herrn Kaufmann. Hier gibt es sehr interessante Aussagen. Meine Bitte wäre auch an Sie, erst noch einmal nachzudenken, bevor Sie sich gänzlich dieser
Frage verweigern. Das auch mit Blick auf die momentane Diskussion der richterlichen Ethik, ein sehr spannendes und interessantes Thema.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch kurz die übrigen Problem- und Reformbaustellen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Unabhängigkeit der Justiz benennen.
Meine Damen und Herren, noch einmal mit Verweis auf die Weisungskette: Auch hier müssen Veränderungen her, die die Einflussnahme auf den Fortgang von konkreten Ermittlungsverfahren durchaus erlaubt. Nicht umsonst fordern die Berufsverbände der Staatsanwälte seit Jahren die Abschaffung dieser Weisungsketten. Vom preußischen Justizminister Leonhardt, das möchte ich Ihnen auch gern noch einmal zitieren, von 1867 bis 1879 im Amt, stammt der bemerkenswerte Satz: „Solange ich über Beförderung bestimme, bin ich bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzitieren.“ An dieser Machtposition des Ministeriums hat sich leider auch bis heute faktisch wenig geändert. Ich verweise nur auf Konkurrentenklagen in der Thüringer Justiz.
Deshalb, meine Damen und Herren, alle Richter sollten grundsätzlich als gleich bewertet werden, z.B. um entgegenzuwirken, dass mit Blick auf bessere Aufstiegschancen unkritisch der herrschenden Meinung gefolgt wird. Unbequeme, kritische und engagierte Richter dürfen nicht durch Änderung der Geschäftsverteilung oder Aufweichung der Unversetzbarkeit der Richter mittelbar gemaßregelt werden können. Die Unabhängigkeit der Justiz wird ebenso durch Einhaltung und Umsetzung bestimmter beruflicher und ethischer Qualitätsstandards bei der Berufsausübung gefordert. Dazu gehört, dass sich die Richter und Staatsanwälte durch kontinuierliche Aus-, Fort- und Weiterbildung einen hohen Standard an fachlicher Qualifikation verschaffen, besonders wichtig für einen eigenständigen und auf ein eigenes Urteil gestützten Umgang mit Sachverständigen und ihren Gutachten. Beispielhaft seien hier Kenntnisse in forensischer Psychologie für den Bereich des Strafverfahrens oder die Aneignung von medizinischem Wissen für sozialrechtliche Verfahren genannt. Im Gegenzug dazu müssen die rechtlichen Regelungen und weitere Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die Qualifizierungsmöglichkeiten von den Richtern und Staatsanwälten auch wahrgenommen werden können. Eine demokratische Zivilgesellschaft braucht kritische selbst und gesellschaftlich verantwortliche Juristinnen und Juristen als Bürgerinnen und Bürger in Robe. So kann Justiz ihre soziale Funktion und Kontrollfunktion gegenüber Verwaltung und Gesetzgebung erfüllen. Juristen und Justizbediensteten muss bewusst sein, dass sie bei Erarbeitung und Anwendung von Recht eine Tätigkeit mit gesellschaftlicher Gestaltungswirkung ausüben.
Rechtsetzung und noch mehr Rechtsanwendung haben unmittelbare Gestaltungswirkung auf den Alltag davon betroffener Bürgerinnen und Bürger, was aus manch konservativem Blickwinkel durchaus - haben wir heute gehört - bestritten wird. Aber Recht ist in einem demokratischen sozialen Rechtsstaat eines der - wenn nicht sogar das - wirksamste gesellschaftspolitische Gestaltungsinstrument. Die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern, aber auch anderer juristisch tätiger Menschen beginnt nach Auffassung der LINKEN nicht erst mit dem Berufsantritt, sondern im Studium und im Referendariat bzw. Ausbildung. Vermittlung bzw. Erwerb von Wissen aus Politik, Philosophie, Geschichte, Wirtschaft, Soziologie, Psychologie usw. und ihrer Bezüge zu Rechtswirklichkeit und Rechtswissenschaft und umfassende Kenntnisse in juristischer Methodik sind notwendig.
Zu der Juristenausbildung ist einiges gesagt worden, Sie kennen unsere Auffassung dazu, das will ich an dieser Stelle nicht noch einmal vertiefen, nur der Verweis darauf. Im Übrigen schreibt ja auch der Bologna-Beschluss nicht die zwingende Einführung z.B. von Bachelor und Master vor. Die herrschende Meinung unterliegt hier unseres Erachtens auch einem fatalen Übersetzungs- und Interpretationsfehler, was die Frage der Juristenausbildung betrifft.
Damit wird deutlich, meine Damen und Herren, der Schwerpunkt der Reformdiskussion im Bereich Unabhängigkeit der Justiz liegt auf der Frage des Ausbaus der Selbstverwaltung, aber es müssen, so die Meinung meiner Fraktion, in diesen Reformdiskussionen noch weitere Gesichtspunkte mit einbezogen werden. Meine Bitte und meine Forderung an Sie, lassen Sie uns den vorliegenden Antrag nutzen, um in der weiteren Ausschussberatung die Reformdiskussion in Sachen Unabhängigkeit und Selbstverwaltung dem Beispiel Hamburgs folgend auch Thüringen in dieser Frage voranzubringen. Ich danke Ihnen.