Gerade wir in Thüringen, dem Bundesland mit der höchsten Unternehmensdichte, werden in Zukunft besonders auf diese Zuwanderung angewiesen sein.
Wenn ich Ihren Antrag, meine Damen und Herren, von der linken Seite von mir aus gesehen, richtig lese, unterstellen Sie beginnend ab dem 1. Mai dieses Jahres einen enormen Zugang von Arbeitskräften aus unseren Nachbarländern, die unsere einheimischen Arbeitskräfte verdrängen und das Lohnniveau drücken werden. Aber das denken nur Sie.
Aber auch Ihnen dürfte nicht entgangen sein - da kommen schon wieder die Zwischenrufe -, dass ausgenommen Deutschland und Österreich - alle anderen europäischen Staaten schon vor sieben Jahren ihre Arbeitsmärkte ohne jede Beschränkung für die neuen Mitgliedstaaten aus Osteuropa geöffnet haben.
In allen diesen Ländern, von denen die meisten eine ähnliche demographische Entwicklung wie wir durchmachen, kam es in den vergangenen sieben Jahren weder zu groben Verdrängungen einheimischer Arbeitnehmer noch zu einer steigenden Arbeitslosigkeit oder einem Lohndumping. Das ist mir nicht bekannt. Großbritannien, Frankreich, Irland,
Schweden und Dänemark darf ich Ihnen hierfür als Beispiel nennen. Nicht aber, meine Damen und Herren, stehen Frankreich und Großbritannien als leuchtendes Beispiel, wenn es um sozialstaatliche Verantwortung geht. In Frankreich - das sage ich jetzt trotz Bussi, Bussi mit Sarkozy, verfolgen Sie dort bitte insbesondere einmal die aktuelle linke Presse - werden die Gewerkschaften von der Politik zunehmend beschnitten, eingeengt und an die Wand gedrängt. Das dortige Sozialsteuersystem aus dem Jahr 1996 würden Sie in unserem Land, meine Damen und Herren, ganz bestimmt nicht akzeptieren. In Großbritannien, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wollte ich nicht krank werden und schon gar nicht in ein Krankenhaus kommen
und das vor allen Dingen nicht in meinem Alter. Beide Modelle, weder das französische noch das englische, sind für uns geeignet. Die beiden hatten Sie aber in Ihrem Antrag speziell angesprochen.
Darüber hinaus muss ich annehmen, dass wir in Deutschland mit dem Arbeitslosengeld II eine Sozialfunktion übernommen haben, die es in den vorgeschlagenen Modellen nicht gibt und dort durch die Mindestlohnregelung aufgefangen werden sollte.
Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, ab dem 1. Mai ist sie nun auch für unser Land gültig, bietet keinen Anlass für Zukunftsängste. Sie ist eher eine Chance, als dass sie Gefahren in sich birgt. Vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels, der nach einer DIHK-Umfrage aus diesem Jahr von jedem dritten Unternehmen als wesentliches Risiko für die eigene Entwicklung angesehen wird, im Vorjahr waren es nur 16 Prozent, sind diese Unternehmen in Zukunft auf eine Zuwanderung auch aus unseren Nachbarländern angewiesen.
Auch mit Punkt 2 Ihres Antrags stützen Sie sich auf die mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit verbundenen Ängste, die von Ihnen verschmähte Leiharbeit durch Forderungen nach neuen und erschwerenden Regulierungen einzudämmen. Ich habe das auch gehört von Herrn Staatssekretär. Aber ich habe dazu auch noch etwas zu sagen. Auch hier nehme ich Bezug auf eine aktuelle DIHK-Studie, die belegt, dass zwei Drittel der neu abgeschlossenen Zeitarbeitsverträge Personen betreffen, die vorher keine Beschäftigung hatten bzw. die dem Bereich der Langzeitarbeitslosen zuzuordnen waren. Missbrauch, das sage ich hier ganz deutlich, auf dieser Strecke wird auch von meiner Fraktion gegeißelt. Und wie Sie mich kennen, wenn ich solche Dinge erfahre, werde ich die hier vorn auch beim Namen nennen, egal, was mir hinterher passiert oder nicht passiert. Das ist mir egal! Auf jeden Fall ist Missbrauch zu verfolgen oder öffentlich zu machen; verfolgen kann ich ihn auch nicht. Die Leiharbeit hat sich für unsere Wirtschaft zu einem Flexibi
litätsinstrument entwickelt. Hier muss ich als Beispiel die Firma Bosch nennen, bei der wir zu Besuch waren. Ich weiß es jetzt nur von der Firma Bosch; die Firma Bosch zahlt für die Leiharbeiter, für die Zeitarbeiter genau die gleichen Löhne wie für ihre fest Angestellten.
(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Aber nur den Stundenlohn, nicht das Urlaubsgeld und keine Zuschläge.)
Sie sprechen schon wieder dazwischen. Ich kann es Ihnen nur sagen, wie es uns dort erklärt wurde. Wenn Sie sagen, es ist nur der Stundenlohn und keine Nachtzuschläge und keine Feiertagszuschläge, dann werde ich mich dort...
Herzlich willkommen, Herr Minister. Ich begrüße Sie hier noch mal. Aber Sie sind unschuldig, Sie sind wenigstens da.
Diese Zeitarbeit hat entscheidend dazu beigetragen, die Wirtschaftskrise in Deutschland und auch hier in Thüringen besser zu überwinden als andernorts in Europa. Wir wissen auch, dass die Tücken der Krise im Detail liegen und wir erleben es gerade alle, es wankt auch Portugal. Wir sind noch gar nicht am Ende. Es kann sich keiner hier hinstellen und kann sagen, die Krise ist beendet und sofort werden alle Hilfsinstrumente zur Seite gelegt.
Ich habe mich heute ganz schnell kundig gemacht. Es gibt eine Studie, und zwar die ILO mit Sitz in Genf - ist also völlig unverdächtig - veröffentlicht in ihrer Studie, die den Vereinten Nationen nahestehende Organisation, in der Regierungen sowie Arbeitnehmerund Arbeitgeberverbände vertreten sind, lobt ausdrücklich die deutschen Mechanismen zur Krisenbewältigung. Ich hoffe, die sind hier ganz unverdächtig.
Der Autor der Studie sagt, ich zitiere, Frau Vorsitzende: „Selbst Jugendlichen, die in solchen Fällen meist am schlimmsten betroffen sind, erging es vergleichsweise gut.“ Jetzt muss man sehen, unterschiedlich ist auch die Auffassung, was ist gut und was ist nicht gut. Ich sage jetzt noch einmal auch für meine Fraktion: Die von Ihnen geforderte Regulierung zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht die richtige Antwort - ich sage ausdrücklich: zu dem jetzigen Zeitpunkt. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie das auch selbst wissen.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal darauf hinweisen, dass in den Verhandlungen zur Neuregelung des Arbeitslosengeldes II für den Bereich der Leiharbeit und eines dort zu verfügenden Mindestlohns bereits grundsätzliche Regelungen getroffen wurden, mit denen auch möglichen Gefah
Moment, Herr Blechschmidt, Sie haben noch nicht das Wort erteilt bekommen. Frau Abgeordnete Holzapfel, gestatten Sie das?
Danke, Frau Präsidentin, danke, Kollegin Holzapfel. Da Sie mir jetzt in gewisser Weise Zwischenrufe untersagt haben, sonst hätte ich es mit einem Zwischenruf versucht. Deshalb meine Frage an Sie. Sie sagten eben, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es nicht geeignet. Unter welchen Gegebenheiten oder zu welchem Zeitpunkt würden Sie es denn für geeignet halten?
Wenn all diese Dinge nicht mehr relevant sind: Wirtschaftskrise, Finanzkrise, die zusammenhängen. Wenn wir die Instrumente der Leiharbeit oder der Zeitarbeit nicht mehr brauchen, dann ist es auch sicher irgendwann möglich, hier auf ein normales Maß der Entlohnung zu kommen. Ich sage dazu auch noch etwas.
Also lassen Sie mich anschließend noch darauf hinweisen, dass in den Verhandlungen zur Neuregelung des Arbeitslosengelds II zum Mindestlohn bereits Regelungen von der Bundesregierung getroffen wurden, um auch möglichen Gefahren von Lohndumping entgegenzutreten.
jetzt hier nur die Stundenlöhne betrifft. Das kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall für Zeitarbeit, Leiharbeit gibt es eine Regelung für den Mindestlohn in der Bundesrepublik.
Eine letzte Bemerkung möchte ich noch sagen und jetzt kommt es sicher. Im Rahmen der demographischen Entwicklung und der wachsenden Nachfrage nach Fachkräften am Arbeitsmarkt wird es und muss es in Thüringen einen Reallohnanstieg geben, um im wirtschaftlichen Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.
Das ist auch die Meinung meiner Fraktion, für gute Arbeit muss gutes Geld gezahlt werden, und zwar auskömmlich. Aber dieses überlassen wir bitte schön im Rahmen der Tarifautonomie den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, denn dort und nicht in diesen Plenarsaal gehört diese Entscheidung hin. Insoweit dürfen wir auch in diesem Jahr dem 1. Mai gerade wegen seiner Symbolkraft und der Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne Angst, aber mit Optimismus entgegensehen.
Was ich Ihnen jetzt noch hier mit auf den Weg gebe, ist eine Einladung, und zwar zu den Beruflichen Schulen in Mühlhausen, die morgen eine Ausbildungsausstellung darbieten - ich sage jetzt mal „darbieten“, das ist auch nicht das richtige Wort -, aber wenn Sie sich das anschauen, da werden Sie Arbeitgeber finden, die Angebote an unsere Auszubildenden machen, da bleibt einem auch manchmal schon ein Stückchen die Luft weg, wenn man denkt, wie ist es denn eigentlich dir ergangen. Da werden hervorragende Ausbildungslöhne gezahlt, die stehen zumindest dort zur Debatte. Es wird die Möglichkeit geboten, die Fahrerlaubnis in diesen Betrieben zu machen und viele andere Dinge, Zahlungen, Sonderzahlungen auch für unsere Lehrlinge. Ich möchte Sie einfach bitten, nehmen Sie die Gelegenheit wahr, für wen das nicht zu weit ist, fahren Sie nach Mühlhausen, schauen Sie sich das an und dann können wir vielleicht zu einer anderen Zeit wieder hier debattieren. Ich bin gern dazu bereit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kollegin Holzapfel, jetzt brauchen wir keine Zwischenrufe mehr, jetzt können wir so kommunizieren. Ängste schüren ist wohl das Allerletzte. Ich glaube auch nicht, dass Sie uns das unterstellt haben, was wir wollten mit diesem Antrag, denn ich
glaube, das hat auch der Bericht des Staatssekretärs gezeigt, das wissen auch alle hier, dass die Frage der Zukunft der Fachkräfte für Thüringen eine sehr existenzielle ist. Insofern wollten wir mit unserem Antrag das hier erstens thematisieren und zweitens natürlich auch darüber debattieren, weil es durchaus auch unterschiedliche Auffassungen und Positionen dazu gibt.
Ich habe kürzlich an einem Demographie-Workshop der Bertelsmann-Stiftung teilgenommen und da war die These, wir werden weniger, älter, bunter und weiblicher. Das lasse ich jetzt mal so stehen. Dazu kommen die Veränderungen der Arbeitswelt, die in der Tat eine Rolle spielen. Dazu kommt auch die Herausforderung für das Land Thüringen, durch einen sozialökologischen Umbau und eine Neuausrichtung der Wirtschaft beispielsweise die Energiewende zu schaffen und sich auch neuen Arbeitsfeldern zu stellen.
Wenn wir aber sagen, wir werden weniger, älter und bunter, dann macht es uns schon Sorgen, dass knapp jeder zweite Jugendliche zwischen 20 und 30 Jahren den Freistaat gen Westen verlässt. Oder anders ausgedrückt, alle 40 Minuten kehrt ein Thüringer dem Freistaat den Rücken. Das ist schade. Wir wissen auch, dass nicht mehr so viele Menschen das Land verlassen wie nach der Wende, aber dennoch beträgt der sogenannte Nettoverlust zwischen 1989 und 2008 insgesamt etwa 200.000 Einwohner. Die anhaltende Bereitschaft zur Abwanderung liegt vor allen Dingen bei jungen Menschen unter 30 Jahren, überdurchschnittlich junge Frauen und höher Qualifizierte. Wir haben in einem Fachgespräch, das wir als Fraktion im Januar durchgeführt haben, die Umsetzung des Aktionsprogramms mit Experten analysiert und haben schon festgestellt, Herr Staatssekretär, dass neben vielen guten Ansätzen, die wir teilen, auch Defizite und Schwachstellen noch erkennbar sind. So eine Diskussion soll ja auch motivierend und befördernd wirken, sich den Dingen zu stellen.
Wenn wir von den 200.000 Abwanderungen in den letzten Jahren ausgehen und sagen, 200.000 ist aber auch genau die Zahl, die uns an Fachkräften fehlt bis zum Jahr 2020, davon 90 Prozent ja als Ersatz für Menschen, die in Rente gehen, dann zeigt sich schon auch die Größenordnung und die Bedeutung. Der Staatssekretär hat das Problem der Sozialwirtschaft angesprochen, zusammengerechnet eben auch im Gesundheits- und Pflegebereich diese 25.800. Das ist die Zahl aus den Studien, die sozusagen an der Spitze liegt. Ich glaube, dass es hier tatsächlich notwendig ist - mein Kollege Kubitzki wird dann dazu noch mal sprechen -, dass man auch im Zusammenwirken zwischen Wirtschaftsministerium, Sozialministerium und auch Bildungsministerium überlegt, wie man Ansätze findet, und hier nicht nur auf eine Zuwanderung - wir sagen
Die Frage, die wir stellen wollen, ist die Frage: Ist der propagierte Fachkräftemangel tatsächlich so ein Damoklesschwert, was über uns hängt, oder ist er nicht auch ein Stück weit hausgemacht? Da sagen wir als LINKE schon ganz klar: Ja, er ist hausgemacht. Es gibt einen Fachkräftebedarf, das ist auf jeden Fall richtig, aber, ich denke, es gibt gute Voraussetzungen mit den vorhandenen Potenzialen diesem Fachkräftebedarf Rechnung zu tragen, wenn die politischen Rahmenbedingungen entsprechend gesetzt sind.
Ich will noch mal aus unserer Sicht vier Hauptrichtungen nennen, die sind zum Teil identisch mit den fünf strategischen Linien aus dem Aktionsprogramm. Wir sagen erstens eine hohe Qualität der Bildung und Ausbildung, auch was den Anteil der Wirtschaft selbst betrifft, auch mit dem Blick auf Weiterbildung, denn da gibt es Defizite, aber damit werden wir uns ja auch mit dem nächsten Antrag beschäftigen.