Ein soziales, solidarisches und auf gleichen Rechten beruhendes Europa ohne Ausgrenzung und Diskriminierung, das ist es, was wir wollen.
Wissen Sie, Sie wollen ja nur die reinholen, die wir als Fachkräfte gebrauchen können, und die anderen wollen Sie lieber draußen lassen. Aber ich sage: Menschenrecht, gleiches Recht, das gilt für alle. Wir sind dafür, dass Europa zusammenwächst. Da
ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Herr Barth, ein Schritt in diese Richtung. Wir sind vor allen Dingen dafür, Menschen und erst recht auch Arbeitnehmer nicht gegeneinander auszuspielen, das will ich Ihnen auch ganz klar sagen.
Viele Menschen haben Angst vor negativen Auswirkungen. Dem gilt es natürlich entgegenzuwirken, beispielsweise durch eine ordentliche Absicherung mit entsprechenden Löhnen.
Eines will ich auch noch sagen: Wir reden immer über Arbeitnehmerfreizügkeit, aber die Dienstleistungsfreiheit, die im gleichen Zuge kommt, birgt auch eine ganze Menge an Problempotenzial, denn die erlaubt es Unternehmen, Dienstleistungen in anderen EU-Ländern anzubieten und hierfür Beschäftigte zu entsenden. Sie sind dann nach den Tarifen des Herkunftslandes zu entlohnen. Wir wissen heute schon, dass es Firmen - auch der Zeitarbeit - gibt, die sich woanders etablieren, und die genau in diese Lücke stoßen wollen. Ich glaube, das ist sehr problematisch. Wir wollen Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial gestalten und wir wollen, dass Arbeitnehmer nicht erster oder zweiter Klasse sind und schon gar nicht, dass sie gegeneinander ausgespielt werden. Ich bedanke mich.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als Nächste spricht Frau Abgeordnete Anja Siegesmund von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der großen Errungenschaften im europäischen Einigungsprozess und integraler Bestandteil verbindlich geltenden Gemeinschaftsrechts der Europäischen Union. Ich bin Herrn Lemb dankbar für die Einordnung gleich zu Beginn als eine der vier Grundfreiheiten mit - das haben Sie betont - gleichen Rechten und Pflichten. Das war der Debatte auch angemessen, manche Zwischenrufe, die ich hier gehört habe, nicht.
Was heißt das für uns? Für uns heißt das, dass wir genau schauen müssen, was in der siebenjährigen Übergangszeit vor allen Dingen auf Bundesebene passiert ist. Wir führen hier eine Debatte, die vor allem die Bundesebene tangiert, und ich sehe, dass in den vergangenen sieben Jahren sowohl die schwarz-rote als auch die schwarz-gelbe Bundesregierung es verpasst haben, alle Rahmenbedingungen, die man vernünftig hätte schaffen müssen, zu
schaffen. Ich nenne vor allen Dingen die Frage des gesetzlichen und allgemein verbindlichen Mindestlohns. Diese Chance wurde verpasst, obwohl inzwischen Zeitungen, Studien vorliegen. Das Handelsblatt berichtete unter anderem erst vor wenigen Wochen darüber, dass Studien neuerdings wieder beweisen, dass höhere Mindestlöhne und überhaupt die Einführung von Mindestlöhnen - als Beispiele werden herangezogen die Vereinigten Staaten - in den vergangenen 16 Jahren überhaupt keine Jobs vernichtet haben. Genau mit diesen Studien, die das Handelsblatt übrigens auch wertet als wissenschaftlichen Meilenstein in diesem Bereich, kann man argumentieren und zeigen, dass wir hier nach wie vor in der Bundesrepublik einer übrigens auch europäischen Erfahrung hinterherhecheln, da muss man ja nicht nach Übersee schauen, um zu sehen, wie wichtig das wäre.
Deswegen, ja, Herr Lemb, es ist gut, es ist auch gut, dass es einen Mindestlohn im Bereich Leiharbeit gibt und dass die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss an dieser Stelle weitergekommen sind. Aber nein, das reicht weiterhin nicht aus. Es reicht vor allen Dingen auch im Bereich Leiharbeit nicht aus, wenn es nicht kontrolliert wird. Das eine ist, der Mindestlohn ist da. Das Zweite ist zu überprüfen, wie ist es mit Schwarzarbeit, wie ist es auch, dass er tatsächlich eingehalten wird. Deswegen verpuffen Effekte, so sehr man sich vielleicht auch darüber freuen kann. Wir wissen das heute noch nicht, was das heißt im Bereich Leiharbeit, das werden wir erst in ein oder zwei Jahren wissen, wenn evaluiert wird. Deswegen will ich kurz zitieren aus einem Antrag, den unsere Fraktion auf Bundesebene vorgelegt hat. Darin heißt es: „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Kontrolle auf die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ‚FKS’ übertragen wird.“ Und es heißt weiter: „Die bisher laxe Kontrolle in der Leiharbeit muss endlich ein Ende haben.“
Zusammengefasst: In den Branchen, wo es den Mindestlohn gibt, darf es auch keine Möglichkeiten zum Abweichen geben. Wir haben auf der anderen Seite den Niedriglohnsektor in der Bundesrepublik Deutschland; mehr als 6,5 Mio. Menschen fallen unter diese Überschrift des Niedriglohnbereichs. Fast 1,2 Mio. Menschen in der Bundesrepublik verdienen weniger als 5 € Brutto in der Stunde. Das spricht nach wie vor für sich, ist noch mal ein starkes Argument, um zu zeigen, somit macht man keine Schule, somit ist man nicht Vorbild, sondern Arbeitnehmerfreizügigkeit ist auch eine Debatte, die wir für uns selber nutzen müssen, um zu sehen, welche Stellschrauben wir drehen müssen.
Es gibt, lassen Sie mich das zum Schluss sagen, noch ein drittes Argument, was in diese Debatte gehört. Wir brauchen eine Willkommenskultur. Ich glaube, meine Fraktion wird nicht müde, es immer
wieder zu sagen in diesem Land, wir brauchen eine Willkommenskultur. Ich war ganz angetan darüber, dass Herr Behr aus dem Wirtschaftsministerium vergangene Woche bei einem Pflegegipfel aufzeichnete, was wir für einen, Frau Leukefeld hat es gesagt, unglaublichen Bedarf nicht nur an Fachkräften, sondern an sich an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen haben allein im Dienstleistungsbereich der Pflege. Wir wissen heute hier, was 2020 auf uns zukommt: über 45.000 Stellen werden wir brauchen im Bereich Pflege. Wir sehen, dass dieser Mangel auf uns zukommt und stellen uns dann hierhin und diskutieren Dinge, die auf Bundesebene nicht passieren. Ich bin der SPDFraktion dankbar für die Möglichkeit, hier darüber zu sprechen, aber der Druck muss nach Berlin gehen und das ist unsere vordergründige Aufgabe. Vielen Dank.
Frau Vorsitzende, meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast alle hatten in ihren Reden den gleichen Eingang, und zwar die Arbeitnehmerfreizügigkeit, über die wir heute reden, ist ein Ergebnis des Falls des eisernen Vorhangs vor inzwischen mehr als 20 Jahren. Millionen haben für diese Freiheit gekämpft. So waren die Menschen in Ostdeutschland nicht mehr bereit, sich mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl abzufinden. In den Ländern Osteuropas ist die politische Wende auf den Weg gebracht worden. Ich erinnere dabei besonders an die herausragende Rolle Polens und Ungarns. Es ist nur folgerichtig, dass diese Länder heute Teil der Europäischen Union sind und Thüringen die Mitte Europas. Aufgrund der in den vergangen Jahren schwierigen Lage - und das war so - auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat die Bundesregierung den Beitrittsvertrag für Polen und Ungarn auf den letztmöglichen Zeitpunkt gelegt und dieser ist der 1. Mai 2011. Deutschland und Österreich haben diese Maximalfrist in Anspruch genommen. Ich hätte mir gewünscht, wir debattierten in einem Jahr über die Auswirkungen, wenn erste Analysen und Fakten vorliegen. Dann könnte man auch über Stellschrauben zu möglicher Nachjustierung reden. Derzeit sind belastbare Aussagen oder Vorhersagen zu den Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Thüringen nicht möglich und wären hier nur Kaffeesatzleserei. Auch Herr Weise, 2004 von Rot-Grün als Chef der Arbeitsagentur ins Amt gerufen, also im Bezug auf das SPD-Begehren eher unverdächtig, erwartet keine große Gefahr für Deutschland
auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wie viele andere sieht er eher eine große Chance für Deutschland angesichts der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und des Fachkräftemangels. Meine Vorrednerin hat davon gesprochen. Zu einem diesbezüglichen Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vor dem Arbeitsausschuss des Bundestages stellte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das IAB, fest, dass Wanderungsprognosen und Schätzungen der Arbeitsmarktwirkungen mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind. In Ländern, in denen die Arbeitsmärkte bereits geöffnet sind, hat es keine Verwerfungen gegeben, so das Institut. Dennoch nehmen wir Sorgen und Ängste der Arbeitnehmer sehr ernst. In Polen bestehen bereits heute erhebliche Bedenken vor einem Fachkräfteverlust, denn auch dort schrumpft die Erwerbsbevölkerung dramatisch. Risikobereiche, dazu zählen unter anderem die Leiharbeits- und Pflegeberufe, müssen sorgfältigst beobachtet werden. Ängste zu schüren um des vermeintlichen politischen Gewinns Willen ist der völlig falsche politische Ratgeber.
Heraufbeschworene Angstszenarien wie zur Debatte um die EU-Dienstleistungsrichtlinie und die damit verbundene Niederlassungsfreiheit sind zum Glück nicht eingetreten. Ich bin besorgt um die politische Kultivierung jedweder Dagegen-Sein-Stimmung in Deutschland. Mit „dagegen“ lässt sich auf Dauer keine Zukunft gestalten.
Wir alle sehen, wie gelassen und pragmatisch die Bevölkerung in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien bereits jetzt mit dieser Herausforderung umgeht. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Dort wird die neue Freizügigkeit bereits als Winwin-Situation begriffen; nicht wenige Deutsche arbeiten bereits in Polen.
Die Bundesregierung hat die entsprechenden gesetzlichen Regelungen - wie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - novelliert, um Missbrauch weiter einzudämmen. Selbstverständlich - da sind wir alle einer Meinung, nicht alle, aber viele - müssen natürlich auch hier die Kontrollsysteme funktionieren. Im Übrigen gilt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Eine Ausweitung auf weitere Branchen muss von den Betroffenen selbst kommen. Einen flächendeckenden Mindestlohn lehnen wir weiterhin ab.
Das Jobrisiko, insbesondere für Mitteldeutschland, ist noch nicht ausgeräumt. Im Übrigen ist die Frage zur Arbeitnehmerfreizügigkeit von der gesetzgeberischen Zuständigkeit Bundesangelegenheit. Auch darüber wurde hier schon mehrfach gesprochen.
Wir fordern eine konsequente Kontrolle durch die zuständigen Stellen, dass die im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuwandernden Arbeitskräfte zu rechtmäßigen Bedingungen beschäftigt werden. Unser Grundsatz, guter Lohn für gute Arbeit, gilt auch hier. Wir wollen, dass Europa gemeinsam wächst. Und schon in meiner Rede am 25.03. habe ich eine neue - jetzt zitiere ich - „Willkommenskultur“ gefordert,
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als Nächster spricht Abgeordneter Thomas Kemmerich von der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kollegen Abgeordneten, meine Damen und Herren auf der Tribüne, ja, wir haben jetzt viel gehört, das Thema heißt tatsächlich „Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai 2011“ und nur darüber möchte ich dann auch zunächst zumindest reden.
Dass wir das alle begrüßen, das haben wir quer durch die Fraktionen gehört, dass Berichte gefasst worden sind und das sollte das Wichtige sein. Es gibt Länder, wo das seit sieben Jahren gilt. Die Länder haben ihre Erfahrungen gemacht und es gibt Studien, was dort passiert ist. Die EU hat festgestellt, dass insgesamt ca. 1,1 Mio. Menschen sich bewegt haben innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, in der die Freizügigkeit gegolten hat, dass es keine Auswirkungen auf die Lohngefüge in den Ländern gegeben hat, in denen Zuzug bzw. Zuwanderung stattgefunden hat. Insbesondere ist hier Spanien zu nennen, die einen unheimlichen Boom hatten,
hatten, den sie dadurch, dass Leute nach Spanien gekommen sind, dort willkommen geheißen worden sind, bewältigt haben können, und wo die Leute, die dort zugewandert sind, so bezahlt worden sind wie alle Leute auf den Baustellen, in den Industriefirmen, in den Handwerksbetrieben, die dort in Spanien vorgehalten worden sind. Lesen Sie mal nach oder fragen Sie Ihre Parteikollegen in Spanien, auch das muss möglich sein für alle Beteiligten.
Danach ebbte diese ganze Bewegung ab und jetzt sind wir eben in diesem Abschwung. Und warum? In den osteuropäischen Ländern, die wir hier zitieren und vor deren Bewegung und vor deren Erscheinen wir hier in Deutschland solche Angst verbreiten, die haben selber Probleme, Fachkräfte zu akquirieren, die haben selber Geburtenzahlen, die selbst unter den deutschen Geburtenzahlen liegen, die haben auch Nachwuchssorgen. Deshalb wird es leider ausbleiben, dass in Heerscharen Leute aus unseren osteuropäischen Nachbarländern nach Deutschland kommen, um hier am Wirtschaftsleben und am Wirtschaftsaufschwung teilzuhaben.
Und das ist ja mehrfach gesagt worden. Frau Holzapfel, ausdrücklichen Dank. Hier wird mit Angst gearbeitet. Denken Sie mal, als der Euro eingeführt worden ist. Da mussten wir es wochen- und monatelang hören, dass am Tag danach die Welt untergeht - es gibt kein Bargeld, es gibt kein Kleingeld, die Automaten funktionieren nicht. Am Montag früh um 7.00 Uhr ging das Leben ganz normal weiter. Aber alle haben kräftig an der Angst verdient und, meine Damen und Herren von der LINKEN, von den GRÜNEN, von der SPD, Sie wollen jetzt mit dieser Angst eben politisch andere Felder besetzen, um hier etwas durchzudrücken und das geht so nicht.