Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen (Gesetz zur Stär- kung demokratischer Rechte) Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/2672
Ich eröffne die Aussprache und als Erste hat das Wort die Abgeordnete Sedlacik von der Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich finde, es ist äußerst unglücklich, dass wir heute über eine Verfassungsänderung beraten, die nur im Zusammenhang mit unserem Gesetzentwurf für ein neues Petitionsgesetz zu sehen und auch zu verstehen ist.
Hierzu hat noch nicht einmal die Diskussion im Ausschuss begonnen, die wir unbedingt bräuchten. Deshalb bedaure ich es.
Im neuen Petitionsgesetz schlagen wir die Einführung eines kommunalen Petitionsrechts vor. Dazu müssen wir aber klarstellen, wie die Zuständigkeiten sind. Deshalb wollen wir den Artikel 14 der Verfassung des Freistaats wie folgt ändern, ich zitiere: „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich oder mündlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen des Landes sowie der Gemeinden und Landkreise und an die nach den Wahlrechtsgrundsätzen hervorgegangenen Volksvertretungen zu wenden. Es besteht Anspruch auf begründeten Bescheid in angemessener Frist.“ Genau das ist die Änderung, die wir wollen. Genau das soll eine Klarstellung sein, die wir wollen, dass Gemeinderäte und Kreistage nicht nur „zuständige Stellen“ sind, sondern als Volksvertretungen im Sinne von Artikel 17 Grundgesetz bzw. Artikel 14 der Thüringer Verfassung anzusehen sind. Das ist der entscheidende Punkt.
Ausgangspunkt unserer Klarstellung ist das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zu verfassungsrechtlichen Fragen unseres Petitionsgesetzentwurfs in der letzten Legislatur. Ich erinnere daran, das Gutachten beinhaltete keine Bedenken zur Einführung eines kommunalen Petitionsrechts. Der Gemeinderat kann als zuständige Stelle im Sinne des Artikels 14 der Thüringer Verfassung Petitionen behandeln. Damit ist seine Zuständigkeit auf Petitionen beschränkt, die seine Aufgaben nach der Thüringer Kommunalordnung betreffen. Jetzt zitiere ich wieder aus dem Gutachten: „Die Regelung, dass der Petitionsausschuss bei Petitionen, die in die Zuständigkeit des Bürgermeisters fallen, Empfehlungen geben kann, ist daher bedenklich, da dies voraussetzen würde, dass der Gemeinderat sich als Volksvertretung mit allen an ihn herangetragenen Petitionen befassen darf.“ Genau diese Voraussetzungen wollen wir durch die Änderung der Verfassung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen.
Das Fazit ist: Der Streit, der auch in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs mehr theoretischer Natur war, ob der Gemeinderat nicht nur als „zuständige Stelle“, sondern auch als „Volksvertretung“ anzusehen ist, ist schon relevant, das sollten wir klarstellen. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob sich die Gemeindevertretung unabhängig von ihrer Entscheidungskompetenz in der Sache inhaltlich mit allen Anliegen, sofern sie die Gemeindeangelegenheiten betreffen, befassen darf, die im Wege einer Petition an sie herangetragen werden. DIE LINKE hält das für den politischen Willensbildungsprozess in der Kommune für sehr bedeutsam.
Wir wollen bestehende Bedenken ausräumen und sollten uns damit nicht so schwertun, denn in anderen Landesverfassungen existieren solche Klarstellungen, zum Beispiel in Brandenburg - Artikel 24 -, ich zitiere: „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder gemeinschaftlich mit Anregung, Kritik und Beschwerde an den Landtag, die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und jede sonstige staatliche oder kommunale Stelle zu wenden.“ Oder in Sachsen-Anhalt in Artikel 19 ist geregelt, ich zitiere: „Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an den Landtag, die Vertretungen des Volkes in den Kommunen und an die zuständigen Stellen zu wenden.“ Deutlicher kann man es nicht ausdrücken.
Über den konkreten Wortlaut in Thüringen hätte man allerdings im Ausschuss diskutieren können. Aber dieser Diskussion haben Sie sich ja verweigert, indem Sie den Gesetzentwurf nicht an den Ausschuss überwiesen haben.
Dem Fazit der Redebeiträge aus der ersten Lesung entnehme ich, dass eine Mehrheit eine Verfassungsänderung nicht für notwendig hält. Daraus könnte man schließen, dass auch Sie der Auffassung sind, dass der Gemeinderat als Volksvertretung anzusehen ist. Das heißt, die Bedenken des Gutachtens tragen Sie nicht. Also ich bin jetzt schon gespannt auf die Ausschussdiskussion, wenn wir dann über den Gesetzentwurf des Petitionsgesetzes diskutieren. Da müssen Sie Farbe bekennen. Wenn heute unser Gesetz abgelehnt wird, befürchte ich, dass das Katz-und-Maus-Spiel dann im Petitionsausschuss weitergeht. Das wäre sehr schade und der Bedeutung eines modernen Petitionsgesetzes nicht angemessen.
Danke, Frau Abgeordnete. Ich kann Sie beruhigen, Ihr Gesetz wird heute nicht abgelehnt, weil wir noch eine dritte Lesung haben.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte nicht noch einmal die Argumente aus dem letzten Plenum wiederholen, die dafür sprechen, diesen Antrag kritisch zu betrachten. Hintergrund für diesen Antrag ist Ihre beabsichtigte Änderung in der Thüringer Kommunalordnung. Hier soll bei Gemeinden über 1.000 Einwohnern verbindlich ein Petitionsausschuss gebildet werden und bei Gemeinden bis 1.000 Einwohner soll der Gemeinderat dem Bürgermeister eine Empfehlung aussprechen.
Ihre und unsere Auffassungen hinsichtlich der Begriffe „zuständige Stelle“ und „Volksvertretung“ sind unterschiedlich. Zuständige Stellen sind unmittelbar von dem Sachverhalt betroffene Stellen, zum Beispiel das Finanzamt für finanzielle Angelegenheiten, das Bauamt der Landkreise für die Erteilung einer Baugenehmigung. Der Gemeinderat ist eine zuständige Stelle. Seine Zuständigkeit ist auf kommunale Angelegenheiten der Gemeinde beschränkt.
Ihr Antrag verfolgt das Ziel, dass die Gemeinden und der Gemeinderat nicht nur als zuständige Stelle, sondern als Volksvertretung im Sinne des Artikels 14 Thüringer Verfassung anzusehen sind. Googelt man zum Beispiel den Begriff „Gemeinderat“, so findet man - sehr geehrter Herr Präsident, erlauben Sie, noch dies zu zitieren -: „Der Gemeinderat stellt die Vertretung der Gemeindebürger dar und ist ein Organ der Gemeindeverwaltung und somit die politische Vertretung der Gemeindebürger. Der Gemeinderat ist keine Behörde im institutionellen Sinne.“ Volksvertretung ist für mich das Parlament. Für mich gibt es in Thüringen nur eine Volksvertretung. Die Pluralform „Volksvertretungen“, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben, gibt es für mich nicht. Jeder hat das Recht, sich mit Vorschlägen, Bitten und Beschwerden, soweit sie Gemeindeangelegenheiten betreffen, an die Gemeinde zu wenden. Weiterhin regelt die Durchführungsverordnung des Thüringer Gesetzes über die Schiedsstellen die Einrichtung von Schiedsstellen in Gemeinden. In deren Zuständigkeit liegen unter anderem bürgerliche Rechtsangelegenheiten. Somit kann bereits ein breites Spektrum an Rechtsfragen innerhalb der Kommunen abgedeckt werden. Dies sind nur einige Gründe dafür, dass wir eine Änderung des Artikels 14 der Thüringer Verfassung ablehnen. Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beschäftigen uns heute in zweiter Beratung mit einem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zur Änderung der Verfassung. Dieser Gesetzentwurf steht im Zusammenhang - das ist jetzt schon mehrfach gesagt worden - mit der beabsichtigten Änderung des Petitionsgesetzes, das Petitionswesen auf die kommunale Ebene zu erweitern. Mit diesem Gesetzentwurf werden wir uns in der nächsten Sitzung des Petitionsausschusses intensiv auseinandersetzen, wenngleich er im Wesentlichen - und das ist ja auch durch Kollegin Sedlacik hier angeklungen die Wiederholung dessen ist, was wir in der letzten Legislaturperiode schon einmal lesen konnten. Das ist an dieser Stelle alles bereits mehrfach gesagt worden. Schon in der letzten Plenarsitzung habe ich die Bereitschaft meiner Fraktion erklärt, über den Entwurf der Änderung im Petitionsgesetz zu diskutieren. Es geht um solche Fragen wie die Öffentlichkeit von Sitzungen des Petitionsausschusses, das Begehren, über Massen- und Sammelpetitionen den Landtag entscheiden zu lassen. Spannend wird auch die Diskussion Ihres Anliegens, durch Petitionen den Vollzug von Verwaltungsverfahren anhalten lassen zu wollen. Diese Diskussion ist aber, wie gesagt, zunächst einmal dem Petitionsausschuss vorbehalten. Was meine Fraktion und die Mehrheit der Abgeordneten nicht im Ausschuss weiterbehandeln wollten, ist die vorliegende Verfassungsänderung, zum einen, weil wir das aus rechtlichen Gründen nicht für erforderlich halten Kollegin Marx hatte schon in der ersten Lesung sehr schöne Ausführungen dazu gemacht -, zum anderen natürlich in erster Linie auch aus inhaltlichen Erwägungen.
DIE LINKE begehrt, ein Petitionsrecht auf kommunaler Ebene einzuführen. Wie gesagt, in Gemeinden mit über 1.000 Einwohnern müsste ein Petitionsausschuss als Pflichtausschuss eingerichtet werden. Der Bürgermeister müsste einmal im Jahr über die behandelten Petitionen berichten. Der Bericht müsste veröffentlicht werden und so weiter. Das Gleiche soll dann auch für die Landkreise gelten. All das wollen wir nicht. Wir halten es für entbehrlich und für überflüssig. Auch jetzt schon können sich die Bürger mit ihren Anliegen, Beschwerden und Bitten an den Landtag wenden. Wenn wir mal die Petitionen durchzählen, die in der Sache jetzt schon kommunale Angelegenheiten betreffen, sehen wir mit einem Blick in den Arbeitsbericht für das Jahr 2010 119 Petitionen. Das sind 13 Prozent und damit der drittgrößte Block der nach Sachgebieten gegliederten eingegangenen Petitionen. Diese 119 Petitionen betreffen kommunale Angelegenheiten. Nach Ihrem Verständnis ist ein kommunales Petitionsrecht förderlich zur Demokratisierung der Kommunalpolitik und zur Verbesserung
des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürgern und Kommunen sowie zur Schärfung des Problembewusstseins in den Gemeinden.
Mit diesen Argumenten haben Sie uns diesen Gesetzentwurf angeboten. Er wird dadurch, Herr Kuschel, nicht besser. Meine Fraktion sieht das eben völlig anders. Sie beschreiben - ich habe das in der ersten Lesung auch schon gesagt - ein Bild von unseren Kommunen, wie es keiner von denen kennt, die schon einmal in kommunaler Verantwortung waren. Die Bürger unserer Dörfer und Gemeinden, gerade in den Dörfern, gehen persönlich auf ihren Bürgermeister zu, um ihm ihre Probleme anzutragen, und zwar ohne große Formalien. Das ist gut und das soll auch so bleiben.
Danke, Herr Präsident. Herr Kollege, Sie haben jetzt beschrieben, auf kommunaler Ebene ist alles in Ordnung, haben aber davor benannt, dass ein Schwerpunkt der Petitionen an den Thüringer Landtag den kommunalen Bereich betrifft. Würden Sie mir den Widerspruch aufklären, wenn Sie einerseits sagen, auf kommunaler Ebene geht der Bürger auf seine Verwaltung, auf den Bürgermeister zu - das klappt alles - und trotzdem sind die kommunalen Anliegen ein Schwerpunktthema, dass sich also Bürger mit einer Petition an den Landtag wenden?
Ja, Herr Kuschel, ich will es Ihnen gerne erklären, weil diese Zahlen eigentlich das belegen, was wir meinen, dass wir es nämlich nicht brauchen und dass Petitionsrecht auf kommunaler Ebene wenig Sinn macht. Wir erleben durch diese eingereichten Petitionen, dass Bürger bei ihren Problemen die Einsicht haben und sagen, das ist die Ausgangsbehörde, ja oftmals von kommunalen Petitionen die eigenen Gemeinde. Wenn ich mich jetzt mit einem Problem an die Gemeinde wende, bekomme ich die erste Antwort, die ich ohnehin schon in bestimmten Entscheidungen erhalten habe, also wende ich
mich an den Landtag, der dann über die Gremien bestimmte Sachverhalte zur Prüfung bringt. Deshalb steht es überhaupt nicht im Widerspruch und es ist kein gut geeignetes Instrument, um uns die Sachlichkeit oder Notwendigkeit Ihres Gesetzentwurfs näher zu bringen. Das funktioniert an der Stelle nicht.
Danke, Herr Präsident. Schönen Dank, dass Sie die zweite Nachfrage zulassen. Sie haben aber registriert, dass wir in unserem Gesetzentwurf ein anderes Verfahren auf kommunaler Ebene regeln, nämlich ein anderes Zusammenspiel zwischen Verwaltung und Vertretung, denn die kommunale Petition richtet sich nicht an die Verwaltung, die zum Beispiel einen Verwaltungsakt erlassen oder eine Entscheidung getroffen hat, sondern an die Vertretung. Würden Sie darin nicht eine Möglichkeit sehen, einen Dialog auf kommunaler Ebene zu entwickeln, der niemals zwischen dem Petitionsausschuss des Landtags und den Petenten zustande kommen kann?
Also verfassungsrechtlich - und die Diskussion führen wir ja und da kann man sicherlich Gutachten heranziehen - sehen wir das so, dass der Gemeinderat ein Organ der Gemeinde ist. Er ist letztendlich Verwaltung, das ist vorhin auch zitiert worden. Von daher hat ein Gemeinderat meiner Meinung nach keine Möglichkeiten, sich zum Beispiel über eine Verwaltungsentscheidung hinwegzusetzen, selbst wenn der Petent das Anliegen an ihn herantragen würde. Aber ich glaube, Herr Kuschel, es ist müßig, das nun von dieser Stelle aus zu diskutieren.
(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Deswegen müsste es im Aus- schuss diskutiert werden.)
Das bringt nicht immer einen Mehrwert, aber deshalb haben wir einen Ausschuss, in dem wir das behandeln möchten.
Wir sind mit unserer Position - und damit möchte ich es auch zum Ende bringen - nicht allein, Herr Kuschel. Der Gemeinde- und Städtebund, den Sie oftmals auch gerne bemühen, hat an der Stelle eine ganz andere Position als Ihre Fraktion, denn er ist der Meinung, dass das Recht, sich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und Volksvertretungen zu wenden, bereits jetzt sehr intensiv und auf vielfältige Art und Weise gelebt wird und das nicht noch einmal umfangreicher begründet und vertieft zu werden braucht. Deshalb bleiben wir bei unserer Position. Wir sehen die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung nicht und alle anderen Teile, die im Zusammenhang mit der Änderung des Petitionsgesetzes stehen, wollen wir in aller Ruhe im Ausschuss beraten. Deshalb hat sich auch gegenüber der ersten Lesung an unserer Position dazu nichts geändert. Vielen Dank.