Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich schließe damit den zweiten Teil der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den dritten Teil der Aktuellen Stunde

(Abg. Weber)

c) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Volksbegehren für sozial gerechte Kommunalabgaben in Thüringen - Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen - Klage nicht erheben!“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/3685

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Frank Kuschel von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Beginn möchte ich der Thüringer Bürgerallianz für sozial gerechte Kommunalabgaben und allen Bürgerinitiativen recht herzlich danken, meinen Dank aussprechen für die Initiative für dieses Volksbegehren für sozial gerechte Kommunalabgaben. Die erste Etappe war erfolgreich.

(Beifall DIE LINKE)

In relativ kurzer Zeit konnten rund 25.000 Unterschriften gesammelt werden. Der Gesetzentwurf, der diesem Volksbegehren zugrunde liegt, das war kein einfacher Weg, den die Bürgerinitiativen dort gegangen sind. Ich darf daran erinnern, Ende der 90er-Jahre gab es eine Fundamentalposition der Bürgerinitiativen, die hieß „Keine Beiträge für Wasser, Abwasser und Straßenbauinvestitionen“. In einem langwierigen Diskussionsprozess, den wir immer begleitet haben, auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu Beginn auch im starken Maße die SPD, die hat das dann 2009 abgebrochen, weil sicherlich im Koalitionsvertrag stand, Bürgerinteressen nicht mehr in dem Maße in die Arbeit mit einzubeziehen wie bisher.

(Unruhe CDU)

Wir haben das immer begleitet und was jetzt vorgelegt ist, ist tatsächlich ein Papier, ein Gesetzentwurf, der von Kreativität und auch Innovation gekennzeichnet ist. Kreativität und Innovation, die ich mir gern von der Landesregierung in dieser Frage, was die Kommunalabgaben betrifft, gewünscht hätte.

(Beifall DIE LINKE)

Warum kreativ und innovativ? Es ist ein Gesetzentwurf, der zu keiner zusätzlichen Belastung kommunaler Haushalte oder des Landeshaushalts führt. Auch das ist nicht immer selbstverständlich. Das Kostendeckungsgebot im Bereich Abwasser bleibt erhalten und für den Wegfall der Straßenausbaubeiträge wird eine Finanzierungsalternative angeboten. Es ist aus meiner Sicht nicht allzu häufig, dass Bürgerinnen und Bürger in diesem Land nicht nur etwas ablehnen, sondern konstruktive Vor

schläge unterbreiten, wie künftig ein System gestaltet werden kann. Insofern ist die Landesregierung jetzt aufgefordert, mit diesem Votum der Bürger sehr behutsam umzugehen. Unstrittig ist in der Verfassung geregelt, dass die Landesregierung die Möglichkeit hat, das Volksbegehren, das die Landtagspräsidentin zugelassen hat, durch Klage beim Verfassungsgericht zunächst zu stoppen, aber die Verfassung regelt dafür keine Pflicht, insbesondere dann nicht, wenn man verfassungsrechtlich den Inhalt unterschiedlich bewerten kann.

Darauf möchte ich noch mal kurz eingehen. Der Thüringer Innenminister und der Pressesprecher der Landesregierung haben sich beide zu diesem Volksbegehren geäußert und haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet, und zwar in zwei Punkten.

(Zwischenruf Zimmermann, Staatssekretär: So ist es.)

Sie haben ja nur das wiedergegeben, was man Ihnen auf den Sprechzettel aufgeschrieben hat; herzlich willkommen dem Pressesprecher.

Das Erste: Es wird darauf verwiesen, zu Abgaben wären Volksbegehren unzulässig. Das ist nur insofern richtig, wenn die Abgaben tatsächlich Auswirkungen auf die jeweiligen Haushalte hätten, also auf die Kommunalhaushalte bzw. den Landeshaushalt. Das ist aber hier gerade nicht der Fall. Die Bürgerinitiativen haben vorgeschlagen, im Bereich Abwasser die Beiträge abzuschaffen und alle Investitionen über die Gebühren zu refinanzieren. Ein Modell, das im Bereich der Wasserversorgung bereits seit 01.01.2005 zur Anwendung kommt und funktioniert, und im Übrigen sehr kostendämpfend auf die Aufgabenträger gewirkt hat. Bei einer ausschließlichen Gebührenrefinanzierung der Investitionen muss sich jeder Aufgabenträger genau überlegen, in welcher Höhe und an welcher Stelle er investiert, weil jede Investition sich sofort auf die Gebührenhöhe durchschlägt.

Der zweite Vorwurf, der seitens der Landesregierung erhoben wird, ist, die Infrastrukturabgabe wäre eine steuerrechtsähnliche Abgabe, damit Bundesrecht und damit unzulässig. Das stimmt nicht. Steuerrechtsähnliche Abgaben können nur erhoben werden, wenn kein Anspruch auf eine Gegenleistung besteht. Hier besteht aber die Gegenleistung, Investitionen in den kommunalen Straßenbau. Sie sollten, meine Damen und Herren von der CDU und SPD und der Landesregierung, keine rechtlichen Diskussionen führen, sondern Sie sollen deutlich sagen, was Sie wollen. Sie wollen an einem Finanzierungsmodell aus dem 19. Jahrhundert, 1894 in Preußen entwickelt, festhalten als Alleinstellungsmerkmal in Europa. Kein anderes europäisches Land hat dieses Finanzierungsmodell noch und daran halten Sie fest. Da sieht man, wie rückwärtsgewandt Sie hier agieren. Insofern bin ich über

(Präsidentin Diezel)

zeugt, dass auch, selbst wenn Sie klagen, das Verfahren vor dem Verfassungsgericht positiv im Sinne des Volksbegehrens ausgeht. Wir als LINKE werden dieses Volksbegehren dann intensiv unterstützen. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. Das Wort hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Manfred Scherer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, „Volksbegehren für sozial gerechte Kommunalabgaben“, die Überschrift ist ganz schön, Herr Kuschel, und dann kommt „Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen - Klage nicht erheben!“, das ist eine Gleichung, die Sie da aufmachen, das ist eine Ungleichung, das ist nämlich keine Gleichung. Sie unterstellen damit, wenn die Landesregierung gegen diesen Gesetzentwurf, der im Volksbegehrenverfahren gerade ist, Klage erhebt, dass sie dann den Bürgerwillen nicht erst nimmt.

(Beifall DIE LINKE)

Das unterstellen Sie. Das ist aber nicht richtig, da können Sie so viel klatschen, wie Sie wollen. Es ist nicht richtig.

Schauen wir uns doch mal an, was Gegenstand dieses Gesetzestextes ist, der im Übrigen im Internet, wie ich gestern festgestellt habe, so gut wie gar nicht zu bekommen ist, noch nicht mal auf der Bürgerinitiativenseite. Da gibt es zwar Auszüge, aber keinen kompletten Gesetzestext. Ich habe ihn aber trotzdem dann bekommen.

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Sie hätten doch unterschreiben können, dann hätten Sie ihn bekommen.)

Ja, ich weiß. Das wollte ich aber ganz sicher nicht, Herr Bärwolff. Wenn man sich jetzt mal anschaut, was denn da drin ist. In diesem Gesetzentwurf sind zwei wichtige Regelungen drin, das haben Sie gerade eben gesagt, die Abschaffung der Abwasserbeiträge und die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Dann sagen Sie hier so nonchalant, na ja, das kostet den Bürger nicht mehr Geld und den Staat kostet es erst recht nichts, das ist aufkommensneutral.

Sie kennen doch das Beispiel aus dem Wasserbeitragsbereich, da haben wir die Wasserbeiträge abgeschafft. Sie wissen genau, dass ich auch nicht der größte Befürworter von Beiträgen bin, wenn es eine andere sinnvolle Lösung gibt. Der Finanzminister ist gerade nicht da, den hätten Sie mal hören sollen, als der neu nach Thüringen kam und gesehen hat, was die Abschaffung der Wasserbeiträge

kostet. Der war drauf und dran, wenn es ginge, das wieder zurückzudrehen, weil er gesehen hat, dass da eine Zahlung von Milliarden ansteht, die entweder auf die Bürger verteilt werden muss - und dann haben Sie nämlich das Geld, die Belastung nur verschoben - oder die das Land tragen muss. Bei den Wasserbeiträgen hat sie das Land getragen und da wird es noch viele, viele Jahre daran tragen, um das hinzubekommen. Bei den Abwasserbeiträgen ist das nicht möglich. Das haben wir Ihnen in vielen Bereichen schon vorgerechnet. Da entstehen Belastungen. Im Moment sind schon 4,8 Mrd. € investiert. Wenn wir das jetzt ändern, müssen wir den Bürgern, die die 4,8 Mrd. € bezahlt haben, die natürlich wieder zurückgeben. Man kann nicht die einen bezahlen lassen und nur für die Zukunft die anderen nicht mehr, sondern das über Gebühren machen, das funktioniert nicht.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Dann gäbe es ein Verrechnungsmodell.)

Dann überlegen Sie einmal, was da allein für Zinsen anfallen, wenn Sie 4,8 Mrd. € wieder zurückbezahlen.

Aber es geht eigentlich gar nicht um den Inhalt der Sache, sondern es geht darum, dass wir hier reden, ob das Gesetz verfassungsmäßig ist oder ob es nicht verfassungsmäßig ist. Es ist nicht verfassungsmäßig. Lesen Sie doch den Artikel 82 Abs. 2, was da drinsteht. Es gibt doch schon zwei Entscheidungen unseres Thüringer Verfassungsgerichtshofs. Aus denen kann man das ohne Weiteres herauslesen, dass es verfassungswidrig ist. Es ist die eine Entscheidung vom 19.09.2001, das war damals das Volksbegehren von „Mehr Demokratie“. Die wollten nämlich den Artikel 82 Abs. 2 so ändern, dass er praktisch wirkungslos gewesen wäre. Da hat das Verfassungsgericht gesagt, das geht nicht, das ist Substanz der Demokratie und das ist unveränderbar (Artikel 83 unserer Landesverfas- sung). Dann lesen Sie mal das Urteil, das Sie sicher kennen, vom 05.12.2007 zum Elternbeitrag in der Kita. Ich will nur zwei Sätze aus diesem Urteil zitieren - mit Erlaubnis, Frau Präsidentin. Der Leitsatz 4 aus diesem Urteil heißt: „Die Freistellung von ‚Elternbeiträgen’ im letzten Jahr vor der Einschulung und die...“ - Beteiligung - „... an den Betriebskosten... sind Regelungen zu Abgaben im Sinne des Artikels 82 Abs. 2 ThürVerf. Sie verstoßen gegen das Verbot von Volksgesetzen zu Abgaben.“

(Zwischenruf Abg. Sojka, DIE LINKE: Ge- setze kann man aber ändern.)

An weiterer Stelle - und dann höre ich auch schon auf -, in der Randnummer 84 dieses Urteils möchte ich einen Satz gern zitieren: „Die Kommunalabgaben sind die bedeutsamsten Abgaben im Kompetenzbereich des Landes. Im Bereich des Steuerrechts verbleiben kaum Kompetenzen auf Landes

(Abg. Kuschel)

und kommunaler Ebene und das vom Freistaat für die Tätigkeit der Landesbehörden geregelte Gebührenrecht ist haushaltswirtschaftlich eher unbedeutend. Außerdem“ - jetzt kommt nämlich das, was ich vorhin schon mal gesagt habe - „hat die Erhebung bzw. Nichterhebung von Kommunalabgaben über den Kommunalen Finanzausgleich Rückwirkungen auf den Landeshaushalt und seine Finanzgesetzgebung. Damit ist der oben umschriebene Schutzzweck auch hinsichtlich des Landes berührt.“

Das Resümee ist, die Klage, die die Landesregierung erheben will, erhebt sie in meinen Augen zu Recht. Es muss andere Lösungen geben, als einfach nur die Beitragslast zu verschieben.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Ma- chen Sie mal einen Vorschlag.)

Die CDU hat doch vor ein paar Wochen ein Papier erarbeitet, darin sind ein paar Vorschläge, es nämlich zum Beispiel zu strecken bis 2027, die Standards nicht unermesslich hochzuheben, nämlich auf keinen Fall höher, als es die EU vorschreibt.

Herr Abgeordneter, Ihre Zeit geht langsam zu Ende.

So sind noch ein paar sinnvolle Regeln drin, die Sie sicher auch nachlesen können. Danke schön.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Die Redezeit natürlich.

(Heiterkeit im Hause)

Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Anja Siegesmund.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt nicht nur in der Mediendemokratie, sondern auch so das schöne Wort des Momentums. Das Momentum ist das, wenn ein Impuls gesetzt wird, um damit eine Debatte zu entfachen. Ich habe nur das Gefühl, dass bei dem Thema „Volksbegehren für sozial gerechte Kommunalabgaben in Thüringen“ das Momentum immer wieder hervorgezerrt wird. Aber nicht nur in dem Sinn gezerrt, dass wir hier darüber reden und Meinungen austauschen, sondern dass wir uns auch zerren lassen, und zwar weil die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen schlicht und ergreifend erwarten, dass sie

endlich einmal Verlässlichkeit hier in diesem Hause erfahren und die gibt es bis heute nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen ist dieses Momentum auch eines, auf das ich gern eingehe. Sie wissen alle, das Thema Kommunalabgaben beschäftigt uns seit vielen Jahren und die traurige Situation ist nach wie vor, dass es viele unbestrittene Härten gibt. Unbestritten ist übrigens auch, dass im Wesentlichen diese Härten durch den schwarz-roten Gesetzänderungsentwurf nicht beseitigt worden sind, deswegen sind wir auch nachdrücklich in der Debatte dabei und haben uns als wir relativ neu im Landtag waren, ziemlich schnell darauf geeinigt: Das ist ein Punkt, wo wir einen Gesetzentwurf brauchen. Wir haben gemeinsam mit der Fraktion DIE LINKE eine solide Diskussionsgrundlage vorgelegt und finden deswegen auch zu Recht, dass wir darüber diskutieren sollten, was wer ändern muss. Jetzt gibt es die Möglichkeit des Volksbegehrens und ich frage mich wieder einmal, wovor fürchten Sie sich eigentlich? Vielleicht fürchten Sie sich davor, Herr Scherer, dass Wahlgeschenke, wie sie 2009 genau zu diesem Thema ausgereicht wurden, es mit diesem Finanzminister nicht mehr geben wird und das ist gut so.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)