Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Ich denke, die entscheidenden Sachverhalte liegen auf der Hand. Der Gesetzentwurf der Landesregierung leistet beileibe keinen lückenlosen Nichtraucherschutz. Vor allem leitet er auch keine gesellschaftspolitische Weichenstellung ein, wie wir sie als richtig erachten.

Ich freue mich deshalb auf die Debatte in den Ausschüssen und schlage zur Überweisung den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit sowie den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten vor. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat sich der Abgeordnete Untermann zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Thüringer Nichtraucherschutzgesetz, ich würde es einfach ganz anders nennen. Ich würde es vielleicht Raucherschlupflochgesetz nennen, das wäre vielleicht viel besser, aber Spaß beiseite. Meine Damen und Herren, ich bin persönlich seit meiner frühesten Kindheit leidenschaftlicher Nichtraucher,

(Beifall DIE LINKE)

ich arbeite aber seit 40 Jahren in der Gastronomie. Deshalb weiß ich, wie schwierig das Thema ist und auch es hier zu behandeln vor den Menschen, wie Sie richtig sagen, Gesundheitsschutz. Ich könnte es mir einfach machen und sagen, schaffen wir die Glimmstängel gleich ab, aber das überlasse ich dann anderen.

(Beifall DIE LINKE)

Verbote und Regelungen haben in der Vergangenheit im Allgemeinen meistens das Gegenteil bewirkt. Eine Ausnahme war hier, wie viele vielleicht wissen, der freiwillige Verzicht auf Rauchen während der Essens

zeiten. Das wurde sowohl von Rauchern als auch von Nichtrauchern bereitwillig akzeptiert und eingehalten.

(Beifall SPD)

Aber, meine Damen und Herren, kommen wir zum aktuellen Stand. Dass sich das Bundesverfassungsgericht mit diesem Gesetz befassen musste, zeigt schon, dass es sehr kompliziert, nicht gerecht und auch nicht ausgereift ist. Die Thüringer FDP war und ist wohl die einzige Partei, die von Anfang an bei der Diskussion einen klaren Standpunkt hatte. Das möchte ich hier mal sagen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Die waren doch gar nicht mit dabei.)

Wir konnten auch außerparlamentarisch einen Standpunkt haben, Herr Höhn, das ist nicht verboten.

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Welchen denn?)

Chancengleichheit für alle durch selbstbewusstes und verantwortungsbewusstes Handeln der Gastronomen, die Gaststätten in Raucher und Nichtraucher einzuteilen und diese so zu kennzeichnen und auch einzuhalten, das ist nämlich das Wichtige an dieser ganzen Geschichte. Das Gleiche gilt für die Gäste. Ein mündiger Gast kann sich selbst aussuchen, welche Gaststätte er aufsucht.

(Beifall FDP)

Jeder Eingriff des Staates in die privaten und gewerblichen Belange erschweren Unternehmungen die Arbeit und vor allem die Wettbewerbsfähigkeit,

(Beifall FDP)

erst recht, wenn es sich um halbherzige Vorschriften, wie hier in dem Ersten Gesetz zur Änderung dieses Thüringer Nichtraucherschutzgesetzes handelt. Ich möchte aus Zeitgründen nicht auf jede Einzelheit eingehen. Aber es muss gesagt werden, dass die Erlaubnis für Einraumgaststätten bis 75 m² - was auch in diesem Verfassungsgerichtsurteil gar nicht drinsteht, dass es gerade 75 m² sein müssen, es könnten auch 80 oder nur 70 m² sein - unter Einhaltung der vorgegebenen Auflagen weder den Gesundheitsschutz noch die Chancengleichheit gegenüber den anderen Gaststätten fördert. Die Problematik der Beurteilung von zubereiteten Speisen ist in der Praxis im Einzelfall oftmals schwierig und impliziert nahezu rechtliche Auseinandersetzungen, weil dieses nunmehr möglicherweise im Einzelfall für den betroffenen Gastwirt existenzielle Bedeutung haben kann. Oder denken wir an die Rauchergenehmigungen in Bier-, Wein- oder Festzelten. Was ist mit den vielen Gast

stätten und ihren großen Sälen, die teilweise sogar mit ordentlichen Be- und Entlüftungsanlagen ausgestattet sind, aber nur 10- oder 12-mal im Jahr benutzt werden? Was ist mit diesen Gaststätten? Die sind überhaupt nicht erwähnt. Was ist mit Vereinsgaststätten? Was ist mit Gemeindezentren, mit ehrenamtlichen Gartenkneipen, wie sie so schön genannt werden? Was ist zuletzt mit der Schwarzgastronomie in diesen Garagen- und Getränkebasaren? Kein Wort, es wird darüber hinweggegangen. Dem Änderungsansinnen in § 4 Satz 3, das vorsieht, „oder gewerblichen“ zu streichen, müssen wir massiv entgegentreten. Hier wird eine private Feier im ganzen Gegenteil zu einer gewerblichen Feierlichkeit gesehen. Ich sage Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie einen Geburtstag feiern und gehen in das Feuerwehrheim oder in ein anderes Heim, da kann der sagen, es wird geraucht. Gehen Sie in eine öffentliche Gaststätte, die regelmäßig ihre Steuern bezahlt und von denen wir auch leben, dann sagt der, nein, du darfst nicht rauchen. So ein Gesetz kann man doch nicht beschließen. Denken Sie an den Kontrollapparat, der dieser praktischen Durchführung folgt. Wie ich schon gesagt habe: 76 m², 80 m², eine Laugenbrezel kann ich essen in der 75-m²-Kneipe, wenn ich jetzt Butter drauf mache, darf ich es nicht essen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Aufpas- sen, dass sie nicht zerläuft.)

Ich kann die Butter ja von zu Hause mitgebracht haben. In Bier- und Festzelten können Speisen angeboten werden. Was ist hier der Unterschied? Ich kann den nicht erkennen.

Meine Damen und Herren, Gesundheitsschutz ist sehr wichtig, er darf aber nicht auf den Schultern derjenigen ausgetragen werden, die jeden Tag für ihre Gäste da sind und jeden Tag ums Überleben kämpfen. Das war es, lassen wir sie selber entscheiden. Ich denke, jeder entscheidet hier verantwortungsvoll auch im eigenen Sinn. Danke, meine Damen und Herren,

(Beifall FDP)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Gumprecht zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Juni des letzten Jahres trafen sich junge Schülerinnen und Schüler auf Einladung der damaligen Landtagspräsidentin, die auch Präsidentin der Krebshilfe ist, Frau Dagmar Schipanski, hier im Thüringer Landtag. Viele dieser Schüler hatten sich eine

schwere Aufgabe vorgenommen. Ein halbes Jahr sollten sie und ihre Klasse rauchfrei bleiben. Von 181 Klassen hatten es 123 geschafft. Das Projekt „Be smart - don’t start“ ist vorbildlich, weil es die Aufklärung von Jugendlichen, nicht zu rauchen und sich und andere unnütz gesundheitlich zu gefährden, zum Ziel hat. So stelle ich ganz bewusst voraus, der beste Schutz vor den Gefahren des Rauchens beginnt mit der Prävention, beginnt mit der Aufklärung und präventiven Maßnahmen. Hier sind Eltern verantwortlich, ja, hier sind auch wir gefragt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Landtag hatte 2007 mit der Verabschiedung des Gesetzes dem Gesundheitsschutz den Vorrang eingeräumt. Viele von uns erinnern sich an die sehr emotional geführte Diskussion. Wir hatten uns dafür entschieden, dass die Gesundheit von Menschen dort, wo sie alternativlos zusammentreffen, vor den Schädigungen des Tabakrauchens geschützt werden muss. Das betrifft besonders öffentliche Einrichtungen. Gleichzeitig verfolgten wir die Absicht, dass der Schutz vor allen Dingen unseren Kindern und Jugendlichen gilt. So war es nur richtig, das Verbot des Rauchens in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche zu verankern.

Durch Klagen - das hatte Frau Ministerin schon ausgeführt - sowohl beim Thüringer als auch beim Bundesverfassungsgericht sind wir nun angehalten, unser Nichtraucherschutzgesetz nachzujustieren. Nach dem Urteil und den Erläuterungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 stellt sich nun heraus, dass in unserem Gesetz die Rechte von Gaststättenbetreibern auf freie Berufsausübung zu stark eingeschränkt sind. In der Begründung heißt es, dass in unzumutbarer Weise die Betreiber kleiner 1-Raum-Gaststätten mit getränkegeprägtem Angebot belastet werden. Diesen Freiheitsrechten wird nun mit dem vorliegenden neu gefassten Gesetzentwurf Rechnung getragen. Auch im Hinblick auf die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 5. Dezember bezüglich zweier Spielhallenbetreiber, die diese Beschwerden vorgetragen hatten, wird das Gesetz angepasst. Auch in Spielhallen soll es nun ebenso wie in Gaststätten möglich sein, Raucherräume einzurichten.

Die Landesregierung hatte bereits in der letzten Legislaturperiode einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser wurde am 3. April in den Landtag eingebracht, ist jedoch bisher nicht verabschiedet worden. Nun sind wir aufgefordert, den Forderungen der Gerichte Rechnung zu tragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ziel, einen angemessenen Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens zu gewährleisten bei gleichzeitiger Gewährleistung der Rechte auch betroffener Dritter, ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landes

regierung gesichert.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren hat Thüringen eine Reihe von Anstrengungen im Bereich der Suchtprävention und der Aufklärung vor den Gefahren des Rauchens unternommen. Das von mir eingangs erwähnte Projekt „Be smart - don’t start“ ist ein Beispiel dafür. Ich begrüße es, dass in Thüringen, aber auch in Deutschland zwischenzeitlich auch durch die gesetzlichen Maßnahmen ein merklicher Wandel im Bewusstsein eingetreten ist. Denn das Nichtrauchen wird immer stärker zur sozialen Norm. Ich beantrage Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit.

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich der Abgeordnete Dr. Hartung zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die Betrachtung der Nichtraucherschutzgesetzgebung ist für mich nicht einfach. Zu sehr prallen die Erfahrungen meines Berufslebens und die grundsätzlichen Prinzipien, die sich aus 21 Jahren politischer Betätigung für mich ergeben, aufeinander. In den zwölf Jahren, die ich als Arzt arbeite, befasse ich mich notgedrungen regelmäßig mit den Folgen des Rauchens. Dementsprechend interessiert verfolge ich auch die Auswirkungen der Antirauchergesetzgebung in anderen europäischen Staaten. Diese Erfolge sind durchaus beeindruckend. Nachdem am 29. März 2004 in Irland das Nichtraucherschutzgesetz erlassen wurde, ging der Zigarettenverkauf binnen sechs Monaten um 16 Prozent zurück. Die Zahl der regelmäßigen Raucher nahm von 31 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1998 auf zuletzt 24 Prozent der Bevölkerung ab. Auffallend ist, dass überwiegend jüngere Personen das Rauchen einschränken bzw. vollkommen einstellen. Zum Beispiel sank in Norwegen, um einmal ein anderes Land aufzuführen, der Anteil der 25- bis 34-jährigen Raucher von 29 Prozent im Jahr 2003 auf 24 Prozent im Jahr 2004.

Neben den Effekten für die Gesundheitserziehung lassen sich aber auch ganz greifbare medizinische Folgen erkennen. Die Ergebnisse einer prospektiven kontrollierten Studie mit nichtrauchenden Angestellten schottischer Bars dokumentieren einen Rückgang von Atembeschwerden um 26 Prozent nach nur einem Monat und 32,5 Prozent nach zwei Monaten Rauchverbot. In einer italienischen Region mit 4 Mio. Einwohnern gingen vier Monate nach dem Rauchverbot die stationären Aufnahmen wegen akuten Herzinfarkts bei unter 60-jährigen Patienten um 11 Prozent zurück, und zwar bereinigt um andere Einflüsse. Noch wesentlich eindrucksvoller, aber auch umfang

reicher sind die Studien aus Schottland, die ich bei Interesse gern nachreichen kann. Prinzipiell gleichen sich die Ergebnisse in den Ländern mit einem absoluten Rauchverbot, egal wo man hinschaut.

Gibt es ähnliche Effekte nach dem Nichtraucherschutzgesetz in Thüringen? Wohl kaum. Die kann es auch gar nicht geben. In den oben genannten Ländern wird das generelle Rauchverbot in geschlossenen öffentlichen Räumen von einer Vielzahl weiterer Maßnahmen flankiert und unterstützt, also ein gesellschaftliches Klima gegen den Tabakkonsum geschaffen. Ein generelles Rauchverbot würde in Deutschland durch die Realität ad absurdum geführt. Einige Beispiele: Die Bundesrepublik verweigerte zunächst das Werbeverbot in Zeitschriften für Tabakwaren und hat sogar dagegen geklagt und verloren. Zigarettenautomaten bleiben auch im Umfeld von Schulen unangetastet. Während man Tabak an jeder Ecke erhält, muss man Nikotinpflaster und Kaugummi zur Entwöhnung praktisch in der Apotheke besorgen. Mittlerweile darf man aus dem Ausland nicht mehr eine Stange Zigaretten einführen, sondern vier Stangen pro Person. Ergebnisse wie in Schottland, Irland oder in Italien bedürfen des klaren Bekenntnisses des Gesetzgebers gegen den Tabakkonsum

(Beifall DIE LINKE)

und als zweiten Schritt dann ein generelles Rauchverbot in geschlossenen öffentlichen Räumen. Dieses Bekenntnis ist für mich aber nicht erkennbar. Aus fachlicher Sicht halte ich das vorliegende Gesetz schlicht für inkonsequent, untauglich und damit auch nicht weitgehend genug.

(Beifall DIE LINKE)

Damit gebe ich auch die Mehrheitsmeinung meiner Fraktion wieder und, wenn man den Umfragen glauben darf, auch die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung, wo die Zustimmung zu einem kompletten Rauchverbot in öffentlichen Räumen zwischen 60 und 80 Prozent liegt, europaweit gerechnet sogar zwischen 80 und 90 Prozent.

Nichtsdestotrotz möchte ich aus ganz persönlicher Sicht meine Meinung zu diesem Gesetz auch nicht verhehlen. Ich persönlich habe ein prinzipielles Problem, wenn in die Freiheitsrechte einer Minderheit zugunsten einer Mehrheit eingegriffen wird.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Jetzt laufen aber zwei Züge aufeinander zu.)

Sollte ein Staat seine Bürger per Gesetz zu einem gesünderen Leben zwingen, sollte er dafür in die

selbstbestimmte Lebensführung eingreifen? Aus meiner persönlichen Sicht - nein. Denn wohin führt uns das? Akzeptieren wir eine Antirauchergesetzgebung, gibt es keine vernünftige Begründung mehr, andere gesundheitliche Risiken nicht per Gesetz einzuschränken. Dann muss konsequenterweise der Zigarette zum Bier das Bier selber folgen. In einiger Zeit gibt es in der Kantine keinen Kuchen mehr, weil dieser mich, einen willensschwachen Übergewichtigen, in unzumutbarer Weise in Versuchung führt und damit meine Gesundheit gefährdet.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Jetzt fah- ren aber zwei Züge aufeinander.)

Es steht außer Zweifel, dass die gesetzliche Bekämpfung des Übergewichts doch wesentlich größere Effekte erzielen würde als eine Nichtrauchergesetzgebung. Selbstverständlich, um mal wieder zum Ernst zurückzukommen, müssen Nichtraucher in Situationen geschützt werden, denen sie selber nicht ausweichen können.