Bei den eingebrachten Initiativen geht es um die Einführung eines neuen § 25 b in das Aufenthaltsgesetz. Es geht um Anerkennung nachhaltiger Integration. Diese Regelung sieht erstmals vor, eine anlass-, stichtags- und herkunftsunabhängige Regelung in das Aufenthaltsgesetz einzuführen. Das heißt, wer eine bestimmte Zeit in Deutschland gelebt hat durch Duldung oder mit Aufenthaltserlaubnis und die Kriterien für eine nachhaltige Integration - Sprachkenntnisse, Lebensunterhalt usw. - erfüllt, bekommt für bis zu drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis. Diese Aufenthaltserlaubnis wird verlängert, wenn die Voraussetzungen nach den drei Jahren weiterhin vorliegen. Diese Regelung würde letztendlich dazu führen, meine Damen und Herren, dass Menschen, die integriert sind oder sich bemühen, sich zu integrieren, eine Daueraufenthaltserlaubnis aufgrund der eigenen Integrationsleistung erhalten können.
Für den 06.07.2012 stehen die Änderungen des Aufenthaltsgesetzes im Bundesrat auf der Tagesordnung. Thüringen muss und soll sich mit einbringen, um die Chance zu nutzen, die die Initiativen für eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes ermöglichen. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bergner. Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hatten ja heute schon eine umfangreiche Debatte zur Problematik der Abschiebung in das Kosovo, nach Montenegro und nach Serbien, die leider nicht so ausgegangen ist, wie wir uns das gewünscht hätten. Es wurde aber auch in dieser Debatte schon vielfach auf den Antrag hingewiesen, über den wir uns jetzt verständigen, nämlich den der FDP.
Vielleicht erst einmal ein paar Zahlen noch zum Hintergrund: 2011 lebten in Deutschland etwa 90.000 Menschen in einer rechtlichen Grauzone, das heißt, sie sind zwar rechtlich geduldet, aber ohne legales Aufenthaltsrecht. Circa 50.000 Menschen von ihnen sind bereits länger als sechs Jahre hier. Viele davon sind Kriegsflüchtlinge, die zwar kein Asyl erhalten haben, aber auch nicht abgeschoben werden können, weil es die Situation in ihrem Heimatland oder andere Umstände nicht zulassen. Inzwischen haben sich diese Menschen in der Regel sehr gut in Deutschland integriert. Sie fühlen sich hier zu Hause. Das gilt erst recht für die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen. Für sie ist das genau ihre Heimat. Wir erleben das ja immer wieder, wenn man mit solchen Familien zu tun hat und man die Kinder fragt das passiert sehr oft, wenn es solche Besuche gibt -, woher kommst du, dann schauen sie einen groß an und sagen: „Na, aus Erfurt“ oder „aus Gera“ oder „aus Berlin“, weil sie hier geboren sind, weil das ihre Heimat ist, weil das der Ort ist, an dem sie leben und wo sie sich wohl und zu Hause fühlen. Trotzdem droht ihnen nach jahrelangem Aufenthalt oftmals die Abschiebung, ganz häufig in ein Land, was ihnen völlig fremd ist, das sie gar nicht kennen. Eine Abschiebung nach langjährigem Aufenthalt ist nicht nur eine unzumutbare Härte mit ganz tragischen Folgen für die Einzelnen und ihre Familien. Wir haben das vorhin beschrieben, es ist ja nicht nur im Kosovo so, dass nachgewiesen ist, dass viele Abgeschobene, insbesondere auch die Kinder, unter traumatischen Erfahrungen und Erlebnissen aufgrund der Abschiebung leiden. Wir meinen, dass ein solches Vorgehen auch im Widerspruch steht zu den humanitären Grundsätzen, denen unsere Politik verpflichtet ist. Zudem widerspricht das allen integrationspolitischen Überlegungen, die sonst ja immer gern im Raume stehen.
Unsere Position zum Bleiberecht ist ganz eindeutig die, dass wir eine stichtagsunabhängige Regelung wollen, die den Menschen, die bisher eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach § 104 a erhalten haben, tatsächlich eine gesicherte Perspektive eröffnet. Und, das ist auch ein ganz großes Problem, wir müssen die Zahl der Kettenduldungen für Personen, die sich hier seit vielen Jahren aufhalten, deutlich reduzieren, denn das ist eine ganz furchtbare Situation, in der die Betroffenen sind, wenn sie immer wieder für einige Monate beispielsweise eine Duldung bekommen und jedes Mal Angst haben müssen, ob es nun zu einer Verlängerung kommt oder nicht. In der Regel hat sich in dem ursprünglichen Heimatland gar nichts geändert.
Immer wieder neue Stichtagsregelungen sind ja auch keine Lösungen, sondern sie sorgen vielmehr dafür, dass immer wieder neue humanitäre Härtefälle entstehen, die sich aber in der Regel in keiner Weise von den vorherigen unterscheiden. Die weitgehend unbestimmten Ausschlusskriterien und zusätzliche Auflagen begrenzen die Wirksamkeit der bisherigen Bleiberechtsregelungen. Hier kritisieren wir insbesondere die überzogenen Anforderungen an die eigenständige Lebensunterhaltssicherung.
Aus unserer Sicht müssen da ernsthafte Bemühungen ausreichend sein, denn viele Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um das einmal ganz praktisch zu machen, scheitern, weil eben nicht nur ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis gefordert wird, sondern auch ein regelmäßiges Arbeitseinkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes II zuzüglich zusätzlicher Freibeträge. Ich will nur einmal deutlich machen, was das heißt. Während fast 1,4 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland aufstockende Hartz-IV-Leistungen erhalten - das ist die Lebensrealität, für Beschäftigte im Niedriglohnsektor ist das quasi normal -, wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von den vollständigen Lebensunterhaltssicherungskosten abhängig gemacht. Dass dies in der Regel gar nicht leistbar ist, müsste eigentlich jedem und jeder klar sein.
Weiterhin geht es um eine Aufenthaltserlaubnis auch für Menschen, die beispielsweise krank, alt oder traumatisiert sind oder eine Behinderung haben oder weil sie Angehörige pflegen oder Kinder erziehen. Bei besonders verletzlichen Personen wie unbegleiteten, minderjährigen, traumatisierten Menschen und Opfern von rassistischen Übergriffen sind zudem die Aufenthaltszeiten als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis so meinen wir jedenfalls - deutlich zu verkürzen.
Bei Menschen, die traumatisiert sind, bestätigen alle Experten, dass ein gesichertes Aufenthaltsrecht die zwingende Voraussetzung für eine Genesung ist. Das ist eigentlich auch logisch. Wir alle wissen aber, dass ganz viele Menschen hier mit ganz unterschiedlichen traumatischen Erfahrungen ankommen und es oftmals sehr lange dauert, bis sie darüber sprechen können, weil die Erfahrungen sehr schlimm sind, sehr tief liegen und es gerade, wenn man in ein fremdes Land kommt, nicht unbedingt das Erste ist, was man Fremden oder behördlichen Stellen berichtet.
Wir meinen weiterhin, es darf keine überzogenen Mitwirkungspflichten geben. An die Erfüllung von Mitwirkungspflichten dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Allenfalls fortgesetzte, vorsätzliche und schwerwiegende Verletzungen von Mitwirkungspflichten können unseres Erachtens zum Ausschluss von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führen. Insbesondere die überaus spannende und häufige Frage, ob eine Passlosigkeit - also dass jemand keine Papiere hat - selbst verschuldet ist, ist oftmals nicht eindeutig zu beantworten. Asylfolgeanträge sind in vielen Fällen aufgrund der politischen Entwicklung im Herkunftsland oder einer Änderung der Rechtsprechung sinnvoll, gerechtfertigt und auch notwendig. Das Ausschöpfen des Rechtsweges darf in einem Rechtsweg niemals negativ sanktioniert werden. Das ist jedenfalls unsere Grundüberzeugung.
Ein weiterer Punkt, den wir sehr wichtig finden, ist, dass es keine „Sippenhaft“ - ich nenne diesen Begriff mal so - geben darf. Im Hinblick auf Straftaten als Ausschlussgrund sollte niemals die ganze Familie aufgrund einer Straftat durch ein Familienmitglied von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen bleiben.
Es ist insbesondere für die Kinder, aber oft auch für die Frauen beispielsweise besonders tragisch, was wir im Moment erleben. Die humanitären Erwägungen gerade mit Blick auf die fortgeschrittene Entfremdung der Kinder vom ursprünglichen Herkunftsland der Eltern greifen auch in diesen Fällen. Zudem sollte das Gewicht der Straftaten und natürlich auch berücksichtigt werden, wie sich der- oder diejenige entwickelt hat. Das wird jetzt oftmals sehr pauschal gehandhabt. Wir wissen alle, dass schon die Verletzung der Residenzpflicht mitunter ein Grund dafür war, dass jemand keine Aufenthaltserlaubnis bekommen hat. Das kann aus unserer Sicht nicht sein.
Vorhandene deutsche Sprachkenntnisse sollten nicht zur Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemacht werden, viele langjährig geduldete Personen verfügen zumindest über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Wir wissen aber auch, dass gerade Asylbewerberinnen in der Regel gar keinen Zugang zu Integrations- oder Sprachkursen haben. Das heißt, sie stehen da eher Schlange, und wenn man dann sagt, ihr müsst die Sprache erst können, man hat aber gar kein Kursangebot, dann ist das schon in gewisser Weise zynisch. Insoweit sollte allen die Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen ermöglicht werden. Zudem muss klargestellt sein, dass die Aufenthaltserlaubnis auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, denn hier beißt sich die viel zitierte Katze auch gern in den Schwanz, dass man gar keine Erlaubnis zum Arbeiten hat; derjenige, der seinen Unterhalt sichern muss, aber gar nicht arbeiten darf. Das funktioniert natürlich nicht. In Thüringen leben sehr viele gut integrierte Menschen, Familien ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in ständiger Angst, Deutschland kurzfristig verlassen zu müssen. Eine qualifizierte Betreuung dieser Menschen in ihren Ursprungsländern ist oftmals nicht gewährleistet. Sie dann nach hohem Integrationsaufwand in ein Land abzuschieben, das ihre Kinder oft nur aus Erzählungen kennen und dessen Sprache sie nicht sprechen, ist aus unserer Sicht jedenfalls nicht vertretbar.
Ich sage aber auch, auch wenn ich dankbar bin, dass wir hier die Debatte zu einer Bleiberechtsregelung führen, wir müssen den Antrag der FDP ablehnen. Dazu will ich drei Punkte als Begründung benennen. Die so oft angesprochene Willkommenskultur wird gegenüber Menschen ohne Bleiberecht noch sehr viel weniger gelebt als gegenüber Menschen mit Bleiberecht. Ich möchte hier auch noch mal an die Studie erinnern, die durch die Ausländerbeauftragte erst vor Kurzem vorgestellt wurde und die sehr anschaulich zeigt, woran es in Thüringen hapert. Die seitens der FDP geforderte aktive Integration ist ohne Bleiberecht schlichtweg nicht möglich. Wenn kein Bleiberecht erteilt wird, kann also auch kein Asylbewerber oder auch keine Asylbewerberin die von der FDP für ein Bleiberecht geforderten Grundlagen erfüllen. Die Forderungen an ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht der FDP sind aus unserer Sicht überzogen und zeugen von der oft wiederholten - ich nenne es einmal so - Nützlichkeitslogik der FDP, die ich hoch problematisch finde
und die wir ablehnen. Ich will das mal an einem Beispiel noch verdeutlichen. Wenn beispielsweise das Bleiberecht davon abhängig gemacht wird,
dass die Kinder gute Schulerfolge verzeichnen, dann ist das eine unbillige Härte und ist das auch ein Druck, der hier auf Kinder aufgebaut wird, weil die Existenz der gesamten Familie davon abhängt,
was schlichtweg nicht vertretbar ist. Von diesem Geist ist Ihr Antrag leider durchweg getragen und deswegen müssen wir diesen ablehnen. Wenn er allerdings im Ausschuss beraten werden soll, dorthin überwiesen wird zur Beratung, stimmen wir dem gern zu, denn vielleicht ist ja dann auch noch eine Änderung des Antrags in eine etwas andere Richtung möglich. Vielen herzlichen Dank.
Danke, Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich. Das Wort hat jetzt die Frau Abgeordnete Holbe für die CDU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der vorgelegte Antrag der FDP zum Bleiberecht beinhaltet ja hier in erster Linie wiederum Regelungen der Bundesgesetzgebung zum Aufenthaltsgesetz. Schon jetzt gibt es eine Reihe von Regelungen für langfristig geduldete Ausländer, die bei uns leben und unter bestimmten Voraussetzungen einen Aufenthaltstitel erwirken können.
Sicherlich hat hier die FDP die Bundesratsinitiativen der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zum Anlass genommen, um unsere Landesregierung aufzufordern, sich aktiv hier in die Debatte im Bundesrat mit einzubringen. Sie haben hier die stichtagsunabhängige Regelung mit Verknüpfung zur Integrationsleistung beschrieben. Im konkreten Fall ist ja auch ein Antrag des Landes Niedersachsen, der jetzt kürzlich erst eingereicht wurde, in diesem Sinne geschrieben, dass ausreisepflichtige Ausländer, die sich bereits vier Jahre in Deutschland aufhalten, einmalig eine zweijährige Duldung mit garantiertem Abschiebestopp erhalten und zuerkannt bekommen, aber Voraussetzungen zur Integration zeigen.
Ich denke, man sollte in jedem Fall darüber reden und ich möchte auch schon jetzt die Überweisung an unseren Innenausschuss mit anregen und gerade auch zu diesen Voraussetzungen noch einmal debattieren. Die Kriterien, die hier angefügt sind, sind ja mitunter auch nicht so bestimmt und bestimmte Rechtsbegriffe lassen viele Deutungen zu. Deshalb ist das auch wichtig, zum Beispiel was gerade angesprochen worden ist, Sprachkenntnisse,
Schulabschlüsse, Absicherung des Lebensunterhalts durch selbstständige Arbeit, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und sicher auch ein Thema darin Niedriglohnsektor und Aufstocker, das sehe ich genauso. Aber es ist wichtig, das wirklich im Detail zu beleuchten. Wichtig ist natürlich auch die Rechts- und Gesetzestreue der Betroffenen, das sage ich nach wie vor, denn bei straffällig gewordenen Ausländern gibt es, glaube ich, kein Überlegen, diese abzuschieben, natürlich nicht die Strafen, will ich sagen, eine Verletzung der Residenzpflicht, sondern wirklich Straftaten.
Wir haben hier ein Regelbedürfnis, wir haben in den letzten Jahren schon in dieser Richtung vonseiten des Bundes gesehen, dass hier viel an Ergänzung eingebracht worden ist in dieses Gesetz, zum Beispiel § 23 a - Aufenthaltsgewährung in Härtefällen -, § 25 a - Aufenthalt aus humanitären Gründen -, § 104 a - die Altfallregelung stichtagsbezogen - und ab dem 01.07.2011 die bestehende Regelung in § 104 - Aufenthalt für integrierte Kinder geduldeter Ausländer. Dennoch gibt es die Probleme dieser Kettenduldung, die fehlenden Aufenthaltsperspektiven, so dass die bestehende Bleiberechtsregelung sicherlich geprüft werden muss. Wir denken, nicht alle Gesetze sind so starr, dass man sie nicht verändern kann. Gerade weil jetzt sehr viel in Richtung Bundesrat passiert - gestern müsste im Bundesratsinnenausschuss dazu ein Antrag von Schleswig-Holstein behandelt worden sein, das Ergebnis liegt uns noch nicht vor - wäre es also sehr schön, wenn wir das im Ausschuss behandeln und mit einfließen lassen könnten. Ich bitte auch die Regierung, uns hier auf dem Laufenden zu halten, damit dann schon im Ausschuss mit besprochen werden kann, was auf Bundesebene passiert. Wie gesagt, ich beantrage die Überweisung und bitte Sie um Zustimmung. Danke.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Holbe. Ich rufe jetzt Frau Abgeordnete Berninger für die Fraktion DIE LINKE auf.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren von der FDP, in der Begründung Ihres Antrags haben Sie auf die Delegationsreise in den Kosovo, über die wir vorhin schon debattiert haben, abgehoben und schreiben, ich zitiere: „Ein pauschaler Abschiebestopp für Menschen aus dem Kosovo bietet keine nachhaltige Lösung für alle in Deutschland lebenden Menschen, die keine Aufenthaltserlaubnis haben.“ Ich will hier noch mal betonen, darum ging es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und uns auch gar nicht. Wir hatten eben gerade die Zielgruppe der Minderheitenangehörigen aus dem
Kosovo, Serbien, Montenegro und Albanien im Blick. Hier geht es aber jetzt tatsächlich um mehr Flüchtlinge.
Seit mehr als zehn Jahren fordern Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften und leider nur ein sehr kleiner Teil der politischen Parteien ein humanitäres Bleiberecht, das Flüchtlingen eine Lebensperspektive einräumt, nachdem sie keinen Aufenthaltstitel erhalten haben und dennoch - Frau Rothe-Beinlich hat es auch schon angesprochen - aus den verschiedensten Gründen nicht in ihr Heimatland oder Herkunftsland zurückkehren können. Das fordern diese Organisationen, weil es inhuman ist, Menschen viele Jahre lang ohne einen rechtmäßigen Aufenthalt und mit einem verweigerten soziokulturellen Integrationsanspruch in einer ungewissen Bleibeperspektive leben zu lassen. Da muss ich Astrid Rothe-Beinlich ein kleines bisschen widersprechen, weil viele der geduldeten Flüchtlinge überhaupt nicht die Möglichkeit haben, Integrationsangebote anzunehmen.
Die Folgen für die freie Persönlichkeitsentfaltung, für die Gesundheit und insbesondere für die Entwicklung von zum großen Teil in der Bundesrepublik geborenen Kindern und Heranwachsenden sind eigentlich gar nicht zu beschreiben. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des sogenannten Zuwanderungsgesetzes, dessen tatsächlicher Titel „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ deutlicher die Zielsetzung dieses Gesetzes offenbart, ist der Versuch unternommen worden, die bis dato zu verzeichnenden Kettenduldungen, die meine beiden Vorrednerinnen auch schon angesprochen haben, also die immer wieder kurzzeitige Verlängerung des geduldeten Aufenthalts ohne legalen Aufenthaltstitel, mit dem § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes abzuschaffen.
Bereits ein Jahr später musste aber beispielsweise Dieter Wiefelspütz von der SPD feststellen, dass in Sachen Kettenduldungen - Zitat - „nicht einmal im Ansatz das erreicht worden sei, was der Gesetzgeber ursprünglich geplant habe“. Immerhin gab es dann im Jahr 2006 eine Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz und im Herbst 2007 eine gesetzliche Altfallregelung, die beide mit festen Stichtagen und einem Ausschlusskatalog versehen das Problem der Langzeitgeduldeten zwar temporär entschärft, aber nicht wirklich im Interesse der betroffenen Menschen gelöst haben. Jedes Jahr ist die Zahl der langjährig geduldeten Flüchtlinge weiter angewachsen. Ältere und kranke Menschen sind aufgrund nicht einlösbarer Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung von einem Bleiberecht weitgehend ausgeschlossen.
Von der IMK-Bleiberechtsregelung ebenso wie von der gesetzlichen Altfallregelung konnten lediglich 60 Prozent von rund 100.000 theoretisch begünstigten Flüchtlingen ein wiederum nur befristetes Aufenthaltsrecht erhalten, von denen etwa 20.000 Menschen das erteilte Aufenthaltsrecht zum Ende des Jahres 2011 entweder schon wieder verloren haben oder wo infolge eines drohenden Arbeitsplatzverlustes der Rückfall in die Duldung droht. Erst im Juli 2011 wurde in § 25 a des Aufenthaltsgesetzes eine stichtagsfreie Bleiberechtsregelung verankert mit dem Ziel, Qualifikation und vorhandene Ressourcen junger Menschen zwischen 15 und 20 Jahren für den deutschen Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu nutzen. Gegenwärtig leben etwa 90.000 Menschen mit dem Duldungsstatus in der Bundesrepublik, davon sind - das hat Frau Rothe-Beinlich schon angedeutet - 60 Prozent bereits seit mehr als sechs Jahren hier und von diesen 60 Prozent wiederum mehr als die Hälfte bereits seit zehn Jahren in der Bundesrepublik. Und - am Rande erwähnt - weitere 4.000 Menschen leben seit über sechs Jahren ohne rechtskräftige Entscheidung über ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland.
Nun liegen seit einigen Wochen gleich mehrere Anträge im Bundesrat zur Schaffung einer gleitenden Bleiberechtsregelung vor. Niedersachsen hatte einen weiteren Vorschlag angekündigt und die Eckpunkte wurden durch den Innenminister bereits öffentlich vorgestellt. Die FDP beantragt in Thüringen, die Gesetzesvorschläge zu unterstützen. Allen, den Antragstellerinnen und -stellern sowohl im Bundesrat als auch der FDP hier im Thüringer Landtag, ist eines gemein, die vorgeschlagenen Bleiberechtsregelungen bedienen inländische ökonomische Interessen. Sie sind leider nicht an den menschlichen Belangen der betroffenen Flüchtlinge orientiert. Das ist kritikwürdig, meine Damen und Herren, zumindest aus unserer Sicht. Bewegung in die Bleiberechtsdebatte ist erst gekommen, als der Fachkräftemangel und „brachliegende Ressourcen“ vonseiten der Wirtschaft lauter formuliert wurden. Das besonders Perfide daran, finde ich, ist, während diese inländischen ökonomischen Interessen als notwendig und legitim anerkannt werden, werden Flüchtlinge, die aufgrund existenzieller Angst um das eigene Überleben aus ihren Herkunftsländern flohen, als Wirtschaftsflüchtlinge diskreditiert. Wie deutlich nationale ökonomische Interessen im Sinne der wirtschaftlichen Verwertungslogik im Flüchtlingsrecht zutage treten, kann man dann anhand der im Antrag der FDP und der Bundesratsinitiativen enthaltenen Voraussetzungen, die auch nahezu wortgleich sind, ganz deutlich nachvollziehen. Es wird nämlich eine faktisch vollzogene Integration gefordert, die durch folgende Kriterien untersetzt ist: hinreichende deutsche Sprachkenntnisse, langjähriger Aufenthalt in Deutschland, überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts durch aktive Teilnahme
am Arbeitsmarkt, Partizipation am sozialen Leben, Unterstützung der schulischen Integration der Kinder und Jugendlichen durch ihre Eltern, Erfüllung der Mitwirkungspflichten gegenüber den Ausländerbehörden, um einer Identitätstäuschung keinen Vorschub zu leisten, grundsätzlich gegebene Straffreiheit, das Bekenntnis zur FdGO der Bundesrepublik Deutschland und das Vorhandensein von Kenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse hier im Land.
Meine Damen und Herren, mit diesem Kriterienkatalog werden Menschen, die als Kriegsversehrte, Traumatisierte, Kranke, Alte nicht erwerbsfähig sind, von dem Bleiberecht faktisch ausgeschlossen. Mit anderen Worten, wer gut integriert ist und gemeint ist, wer gut qualifiziert ist und die Gewähr bietet, dem deutschen Staat Steuern zu zahlen, der erhält eine Chance zu bleiben, solange er seinen Lebensunterhalt selbst sichern kann. Wer diese Chance aber aufgrund der Verfolgungen und sozial und ökonomisch ausschließender Verhältnisse in den Herkunftsländern, wer aufgrund seines Alters oder seiner körperlichen Fähigkeiten keine Chance auf einen existenzsichernden Arbeitsplatz mehr hat, der soll ungeachtet seiner Fluchtgründe, ungeachtet seiner Fluchtbiografie und ungeachtet seiner individuellen Schutzbedürfnisse und Schutzrechte gnadenlos abgeschoben werden. Dazu zählen auch Menschen, die aufgrund der ausgrenzenden Flüchtlingspolitik in der Bundesrepublik über Jahre jeder Chance beraubt wurden.
Flüchtlinge unterliegen für ein Jahr einem kategorischen Arbeitsverbot. Für mindestens drei weitere Jahre sind sie aufgrund des geltenden Nachrangigkeitsprinzips vom Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen. Berufliche Qualifizierungen sind ihnen meist ebenso verwehrt. Wenn überhaupt eine Arbeitsmöglichkeit bestand nach der Nachrangigkeitsprüfung, dann war diese meist im Niedriglohnsektor angesiedelt. Unter diesen Prämissen aber dann zu verlangen, dass die Betroffenen ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie dauerhaft eigenständig sichern - und da muss ich dasselbe Wort gebrauchen wie Astrid Rothe-Beinlich -, ist zynisch, wenn nämlich gleichzeitig genau eben der Zugang zum Arbeitsmarkt über viele Jahre verwehrt wurde.