Udo Wolf

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Jetzt haben wir durchgehalten und haben uns die Rede von Herrn Dregger angehört. Das war auch ziemlich hart.
Herr Dregger! Sie zeichnen hier ein Bild von der Stadt und der Politik hier in der Stadt, das sich falscher Zahlen bedient, falsche Zusammenhänge herstellt und das in fast allen Politikfeldern Ursache und Wirkung verwechselt.
Die Rede zeigt vor allem eines, wie weit die Berliner CDU von der Lebensrealität der Menschen in der Stadt entfernt ist.
Lassen Sie mich als ehemaliger Innenpolitiker hinzufügen, Sie haben da etwas verwechselt. Sie haben versucht, aus der Fraktionsvorsitzendenrunde zum Gesamthaushalt eine Fachpolitikerrunde Innenpolitik zu machen.
Ehrlich gesagt, das war fachlich auch ziemlich unter aller Sau.
Mit diesem Haushalt setzt die rot-rot-grüne Koalition ihren vor drei Jahren begonnenen Weg fort.
Unser gemeinsames Ziel – Raed Saleh hat von einer gemeinsamen Erzählung gesprochen – ist die solidarische Stadt.
Sie soll klimagerecht, demokratisch und weltoffen sein. In ihr sollen alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können, egal welcher Herkunft, ob hier geboren, hierher gezogen oder hierher geflüchtet, egal ob in der Innenstadt oder am Stadtrand, ob Frau, Mann oder divers, ob noch Kind oder schon im Seniorenalter, ob mit oder ohne Behinderung. Ihnen allen soll die Stadt gehören.
Die CDU und der Rechtsblock in diesem Haus setzen dem nur das alte gescheiterte Dogma des Wirtschaftsliberalismus entgegen, garniert mit ein bisschen ewig gestrigem Law and Order und ein paar Geschenkideen für Lobbyisten.
Sie, Herr Dregger, haben von einem Leitbild gesprochen. Diese Idee des Wirtschaftsliberalismus mit Law and Order ist nicht viel als politische Idee, und es taugt vor allem nicht als Leitbild für unsere Stadt.
Ich finde schon, dass man sich da ein bisschen mehr Mühe als Opposition geben kann, Sie bekommen schließlich auch Geld dafür.
Weltweit und eben leider auch in Berlin wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. R2G versucht da gegenzusteuern. Der Kollege Saleh nennt es die die bezahlbare Stadt und ja, freie Fahrt für alle Kinder im öffentlichen Nahverkehr, beitragsfreie Kitas, kostenloses Mittagessen in den Schulen,
Preissenkungen bei Sozialtickets sind keine Wahlgeschenke, auch der freie Eintritt an einem Sonntag in die
(Burkard Dregger)
Museen unserer Stadt nicht. Das alles ist ganz praktische Armutsbekämpfung.
Dass die Rechte in diesem Haus das denunziert, überrascht mich nicht, weil Sie einfach nur auf Spaltung setzen, auf Neid in der Gesellschaft und auf Ausgrenzung.
R2G steht für das Gegenteil. Wir stehen für Solidarität, und wir stellen mit diesem Haushalt die Mittel bereit, damit es kein leeres Wort bleibt.
Gustav Heinemann hat einmal gesagt:
Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt.
Deshalb bin ich stolz, dass diese Koalition nicht die Obdachlosen bekämpft, sondern die Obdachlosigkeit.
Mit diesem Haushalt unterstützen wir erneut die Ausweitung der Wohnungslosenhilfe.
Geld ist da wichtig, aber gar nicht so entscheidend. Entscheidend ist vielmehr der Paradigmenwechsel, den R2G vollzogen hat. Hilfsangebote müssen möglichst greifen, bevor jemand die Wohnung verliert, weil es einfach besser ist, Obdachlosigkeit zu vermeiden, statt Obdachlosigkeit zu versorgen. Wenn aber Obdachlosigkeit eingetreten ist, müssen sich Hilfsangebote vor allem an den Bedürfnissen der obdachlosen Menschen orientieren, nicht an denen der Verwaltung. Das neue Projekt Housing First zeigt wie es gehen kann.
Neu ist auch die Nacht der Solidarität. Mit dieser bundesweit noch nie da gewesenen Aktion machen wird deutlich, dass wir hinschauen und nicht wegschauen.
Die riesige Unterstützung, die es dafür gibt, macht Mut. Das zeigt, Solidarität lebt in unserer Stadt. Dafür will ich an dieser Stelle auch einmal danke sagen.
Wer eine solidarische Stadt will, der muss für gute Arbeit eintreten. Deshalb geht die Koalition hier mit gutem Beispiel voran. Ich freue mich, dass R2G in Berlin mit dem neuen Landesmindestlohn, mit dem neuen Vergabegesetz eine bundesweite Vorreiterrolle einnimmt. Es muss endlich Schluss sein mit Dumpinglöhnen. Man muss von Arbeit leben können. Unser Ziel ist keine Res
pektrente, unser Ziel sind Löhne und Gehälter, die verhindern, dass man nach 35 oder 40 Jahren Arbeit in die Altersarmut entlassen wird.
12,50 Euro sind dafür das Minimum. Deshalb soll es auch überall dort mindestens gezahlt werden, wo wir darauf Einfluss haben.
Mit diesem Doppelhaushalt sichern wir auch, dass R2G ein Versprechen hält, dass die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst am Ende dieser Legislaturperiode wieder den Durchschnitt der anderen Bundesländer erreichen. Aber vor allem hat R2G begonnen, endlich Personalentwicklungspolitik zu betreiben und auch zu finanzieren.
Meine Damen und Herren von der CDU! In der vergangenen Legislaturperiode, als Sie das zu verantworten hatten, ist da nichts, null Komma nichts, passiert. Da gab es nur folgenlose Bekenntnisse, wie jetzt auch wieder, zu Polizei und Feuerwehr im Kampf gegen das Böse. Personal dafür und für die öffentliche Verwaltung gab es aber nicht. Nichts. Es gab nur hohle Worte.
Aber die wachsende Stadt, der Staat, die Umsetzung von Investitionen braucht gut ausgebildetes, motiviertes Personal. R2G schafft mit diesem Doppelhaushalt über 4 770 neue Stellen im Land und in den Bezirken. Diese Stellen auch zu besetzen, wird sicher eine riesige Herausforderung. Dafür muss ich Berlin als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. Da gibt es zugegebenermaßen auch noch Luft nach oben. Aber ein zusätzlicher Baustein könnte da die neue Hauptstadtzulage sein, über deren genaue Ausgestaltung wir natürlich noch im Gesetzgebungsverfahren reden müssen.
Außerdem hat die Koalition mit dem Haushalt die Mittel bereitgestellt, damit die freien Träger endlich Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst nachvollziehen können. Wir wollen aber auch, dass das jetzt möglichst schnell umgesetzt wird. Denn die Menschen, die hier einen großen Teil der sozialen, bildungs- und kulturellen Arbeit in unserer Stadt leisten, haben es verdient, besser bezahlt zu werden. Deshalb ist es auch gut, dass wir jetzt die Honorare und die Zahl der Festanstellungen an den Musikschulen erhöhen. Auch das stärkt den sozialen Zusammenhalt in der Stadt.
Steigende Löhne und Gehälter bringen allerdings wenig, wenn sie von der nächsten Mieterhöhung aufgefressen werden. Als wir am Anfang von R2G erklärt haben, dass wir das Drehen der Mietspirale beenden wollen, wurde das noch von vielen mit einem müden Lächeln zur
Kenntnis genommen. Die einen haben an unserem ernsthaften Willen gezweifelt, die anderen an unseren Möglichkeiten. Aber es hat sich gezeigt, es gibt die Möglichkeiten, und wir werden sie nutzen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, da hilft auch keine Kampagne mit bezahlten Claqueuren und Fake-Accounts, der Mietendeckel kommt.
Eine Wohnung ist für Menschen mehr als einfach nur vier Wände. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich das Bundesverfassungsgericht:
Eine Wohnung bildet den Lebensmittelpunkt der Einzelnen und ihrer Familien und soll nicht allein der Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse, sondern auch der Freiheitssicherung der Persönlichkeitsentfaltung dienen.
Herr Czaja, hören Sie einmal zu. Das war ein Zitat vom Bundesverfassungsgericht. Da können Sie viel lernen über die Verfassungsgerechtigkeit in unserem Land.
Ich will das hier noch einmal mit aller Deutlichkeit festhalten. Das Bundesverfassungsgericht sagt, die Wohnung ist keine x-beliebige Ware. Deshalb unterliegt das Eigentum an Wohnraum eben auch einer besonderen sozialen Verpflichtung. Weiter erklärt das Bundesverfassungsgericht – hören Sie genau zu, es ist ein bisschen komplizierter für Sie, dass ist nicht so schlecht:
Der Gesetzgeber kann sich
auf das gesellschaftspolitische Interesse an einer durchmischten Wohnbevölkerung in innerstädtischen Stadtvierteln berufen. Als langfristige Folge der Verdrängung einkommensschwächerer Mieter aus stark nachgefragten Stadtvierteln droht eine Aufteilung der Wohnbevölkerung auf einzelne Stadtteile nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Mit Blick auf diese, durch spätere Maßnahmen nur schwer zu beseitigenden Folgen einer Verdrängung einkommensschwächerer Mieter aus einzelnen Stadtvierteln kommt der … Verhinderung der Gentrifizierung als Gemeinwohlbelang ebenfalls Gewicht zu.
Sie regen sich bei diesem Thema immer wieder auf. Sie reden dann beim Mietendeckel über DDR, Mauerbau und Kommunismus. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht, rede über das Grundgesetz, und ich rede über die Lebensbedingungen der Menschen in Berlin.
Der Auftrag des Grundgesetzes ist eindeutig. Politik hat die Aufgabe, dort regulierend einzugreifen, wo der Markt zu unsozialen Verwerfungen führt. Die Aufregung über solche Selbstverständlichkeiten sagt viel über die aufgeregten Apologeten des freien Marktes aus, aber wenig über die Verfassungslage.
Vergangene Woche warnten auf einer Anhörung der Opposition Vertreter der Immobilienbranche vor enormen Einnahmeverlusten. Mal kurz überlegen: Wer hätte denn diese Einnahmen bezahlt? Bedeuten diese Einnahmeverluste der Immobilienunternehmen nicht automatisch mehr Geld für die Mieterinnen und Mieter?
Mit dem Mietendeckel wollen wir die Berlinerinnen und Berliner in den kommenden Jahren um geschätzt 2,5 Milliarden Euro entlasten – Geld, das die Menschen für andere Dinge ausgeben können.
Handel, Gewerbe und Dienstleistungen werden davon profitieren, dass viele Berlinerinnen und Berliner mehr Geld in der Tasche haben und dass dieses Geld zum Beispiel nicht in den Pensionskassen von Zahnärzten in Schleswig-Holstein oder auf den Konten internationaler Investoren landet, sondern im Berliner Einzelhandel. Konjunkturpolitisch ist das ein riesiger Gewinn. Das sollten übrigens auch die Wirtschaftsfreunde endlich mal verstehen.
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Raed Saleh (SPD) – Sebastian Czaja (FDP): Ihre Senatorin rät doch, das Geld nicht auszugeben, weil das Gesetz unsicher ist!]
Ebenso unbegründet dürfte die Sorge sein, dass in der Baubranche Zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Wir erreichen mit diesem Haushalt ein Investitionsvolumen von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, und ein nicht unerheblicher Anteil davon fließt in Bauprojekte. Außerdem haben wir Vorsorge getroffen, dass wir auch nach 2020/2021 weiterhin mindestens auf diesem Niveau investieren können.
Das ist auch angesichts des nach wie vor vorhandenen Sanierungsstaus bei den öffentlichen Infrastrukturen
dringend nötig. Die Hoffnung also, dass Berliner Handwerker und Bauleute in absehbarer Zeit mehr Termine frei haben, dürfte unbegründet sein.
Grund und Boden sind in vielerlei Hinsicht die Basis für die Gestaltung der sozialen Stadtentwicklung. Das betrifft nicht nur Flächen für den Wohnungsbau, sondern genauso Grünflächen, Gewerbeflächen und Flächen für soziale Infrastruktur von Schulen bis zu Schwimmbädern, Krankenhäusern oder Kulturstandorten. Angesichts der natürlichen Begrenztheit der Ressource Boden hat diese gerade unter den Bedingungen einer wachsenden Stadt strategische Bedeutung. Das wissen wir nicht erst, seitdem HansJochen Vogel das Thema auch aus München heraus untersucht. Die grassierende Spekulation mit Grund und Boden muss bekämpft werden.
Deshalb ist es auch richtig, dass wir in diesem Haushalt einen Bodenankaufsfonds in Höhe von 250 Millionen Euro einrichten.
Mit diesem Haushalt werden wir wieder erhebliche Mittel für den Um- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bereitstellen. Niemand mit klarem Verstand bestreitet noch, dass der Personenverkehr in der wachsenden Hauptstadtregion nicht mehr durch das Auto zu bewältigen ist, übrigens auch nicht durch das E-Auto. Deshalb hat der Ausbau des schienengebundenen Nahverkehrs für uns absolute Priorität. Wir setzen dabei neben der Taktverdichtung bei U-, S- und Regionalbahn vor allem auf den Ausbau des Straßenbahnnetzes.
Wir tun das vor allem aus einem Grund: Nicht nur, weil das im Vergleich zu den anderen Zügen preiswerter ist, sondern vor allem, weil es auch schneller geht.
Zumindest könnte es das, wenn dieser Aufgabe endlich wirklich Priorität eingeräumt würde, und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir mit dem momentanen Stand unzufrieden sind. Der wird aber auch nicht besser, wenn die wenigen Verkehrsplaner dann auch noch mit Machbarkeitsstudien für den U-Bahn-Ausbau beschäftigt werden. Ich habe nichts gegen die U-Bahn, Herr Dregger. Ich finde U-Bahn toll, und ich freue mich auch, dass wir nach zehn Jahren Bauzeit und nur einem Jahr Verspätung endlich zwei neue Kilometer mit drei neuen Stationen in Betrieb nehmen können.
Aber das ist die Kür. Damit können wir uns beschäftigen, wenn die Hausaufgaben erledigt sind. Ich sage das auch, weil es ja immer heißt: Wir müssen bauen, bauen, bauen!
Und hier noch ein Entwicklungsgebiet, und da noch eine Bürgerstadt! – Wir können da ganz viele Planspiele veranstalten, aber wenn es nicht gelingt, diese Gebiete auch an das Nahverkehrsnetz anzuschließen, dann werden die Menschen dort nicht zu ihrer Arbeit und wieder zurückkommen oder nur mit dem Auto und dann täglich stundenlang im Stau stehen. Und das will ja nun keiner. Die Verkehrswende gelingt mit der Straßenbahn und mit dem Ausbau des Radwegenetzes, und dafür ist das Geld jetzt auch da.
Wenn wir über eine solidarische Stadt sprechen, dann sprechen wir auch immer über eine weltoffene Stadt, eine Stadt, in der kein Platz ist für Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Rechtsextremismus.
Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit müssen bekämpft werden. – Ja, Sie haben richtig gehört. Ich meine auch Sie auf der rechten Seite dieses Hauses. Auch Sie müssen mit aller Entschiedenheit bekämpft werden.
[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Gunnar Lindemann (AfD): Das sagt die Mauermörderpartei! – Franz Kerker (AfD): Die SED-Funktionärspartei! – Weitere Zurufe von der AfD]
Deshalb haben wir auch die Mittel für die entsprechenden Projekte noch einmal verstärkt. Wenn die Bundesregierung tatsächlich glaubt, bei Modellprojekten gegen Rechtsextremismus kürzen zu müssen, dann ist das ein fatales Zeichen. In Zeiten, in denen zunehmend der Holocaust relativiert wird, in Zeiten antisemitischer Attentate, rechtsextremer Morde und einer unaufgeklärten Terrorserie in Neukölln muss doch zuallererst die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus gestärkt werden. RotRot-Grün wird hier den Ausfall des Bundes kompensieren. 2,6 Millionen Euro stellen wir zur Verfügung, um Berliner Projekte aufzufangen, die keine Förderung mehr über das Bundesprogramm bekommen.
Zivilgesellschaftliches Engagement muss gefördert werden, anstatt es zu behindern.
Und das muss dann hier auch gesagt werden: Es ist ein absolutes Unding, dass dem Bundesverband des VVNBdA, einer Organisation, die 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager gegründet wurde,
vom Berliner Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzogen worden ist, und das nur aufgrund einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern.
Auch wenn seit gestern der Steuerbescheid wegen unbilliger Härte ausgesetzt ist: Das muss dringend grundsätzlich korrigiert werden.
Dieser Haushalt erfüllt sicher nicht alle Wünsche, aber er ist ein ausgewogener Kompromiss, und er adressiert die großen Herausforderungen der Stadtgesellschaft. R2G finanziert da nicht nur die Versprechen des Koalitionsvertrages, sondern wir gehen in vielen Punkten auch darüber hinaus und auch deutlich über die Perspektive nur einer Wahlperiode hinaus auf dem Weg zur solidarischen Stadt.
Danke, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Berliner Abgeordnetenhaus diskutiert über Europa und 70 Jahre Grundgesetz. Die AfD redet über sich selbst.
Das war erwartbar widerlich und faktenbefreit.
Und jetzt zum Thema: Dass auf einer Metaebene sich alle demokratischen Parteien zum Grundgesetz und zum Zukunftsprojekt Europa bekennen, ist ja erst mal gut.
Aber unterhalb der allgemeinen Bekenntnisse zu Europa gibt es ja auch starke politische Differenzen zwischen den Parteien, wie sich die Politik in Europa – Danke, keine Zwischenfragen! – und die EU weiterentwickeln sollen.
Eine der Grundfragen lautet doch: Begreifen wir Europa in erster Linie nur als gemeinsamen Wirtschaftsraum? Ist Europa nur das Kampffeld ökonomischer und nationalstaatlicher Interessen, oder sollte in Anerkenntnis leidvoller europäischer Geschichte Europa nicht in erster Linie ein demokratischer Sozialraum sein, in dem die Ökonomie der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet wird. Wir sind fest davon überzeugt, dass die EU auf Dauer nur erfolgreich sein kann, wenn sie demokratischer, wenn sie sozialer, wenn sie ökologischer wird.
Die Troika-Politik der letzten Jahre dagegen, also die Machtpolitik des ökonomisch starken Kerneuropas auf Kosten der Peripherie, hat der europäischen Idee schweren Schaden zugefügt. Das europäische Erstarken des Rechtspopulismus ist ja kein Naturgesetz. Dafür gibt es ja Gründe.
Und da, Frau Bentele, Herr Dregger, Herr Czaja, schauen wir aus aktuellem Anlass mal nach Österreich! Es soll Ihnen eine Lehre sein.
Wer dem verheerenden Nationalismus, den sozialdarwinistischen Ideen und der rechtspopulistischen Hetze nicht entschieden entgegentritt,
sondern wie Ihre Schwesterpartei, Herr Dregger, Herr Wansner, die ÖVP, dafür Verständnis zeigt, so etwas befördert und obendrein mit diesen FPÖ-Leuten koaliert, der muss sich über Euro-Skeptizismus nicht wundern.
Und was mich am allermeisten erschüttert, ist der Umstand, dass es erst dieses Ibiza-Video gebraucht hat, dass Kurz diese Truppe von Obskuranten, Rechtsextremen und Identitären aus der Regierung wirft.
Und wegen dieser Straches, Salvinis, Orbáns und ihren deutschen Ablegern ist es so wichtig, immer wieder und nicht nur vor Europawahlen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus entschieden entgegenzutreten.
Es ist wichtig, das nicht nur mit Reden in diesem Parlament zu tun, sondern immer wieder auch im Alltag und auf der Straße. Nationaler Egoismus und Nationalismus sind vollkommen untauglich für die Lösung der Probleme, vor denen wir stehen. Das ist die Botschaft der Zehntausende, die am vergangenen Sonntag auf die Straße gegangen sind. Das ist die Botschaft von „Fridays for Future“. Das ist die Botschaft der Flüchtlingsinitiativen, der Gewerkschaften,
(Georg Pazderski)
der Unteilbar-Demonstration und vieler anderer Initiativen, die aktiv an einem solidarischen Europa arbeiten.
Die Abschottungspolitik der Europäischen Union ist grundfalsch.
Sie ist nicht nur inhuman, sie ist nicht nur unchristlich, sie wird auch nicht funktionieren. Egal, wie hoch die Mauern sind,
egal, wie gefährlich die Wege und wie abschreckend die Grenzen sind, die Menschen werden weiter vor Krieg, Verfolgung und Hunger flüchten,
und wem Humanität keine Floskel ist, der muss diesen Menschen auch Asyl und Perspektive gewähren.
[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Georg Pazderski (AfD): 4 Milliarden Menschen! – Kurt Wansner (CDU): Über Flüchtlinge wissen Sie ja Bescheid!]
Und zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes, Herr Dregger, muss eben auch gesagt werden, dass vor 27 Jahren das Grundrecht auf Asyl zum ersten Mal massiv eingeschränkt wurde. Ein sehr bitteres Kapitel der 70-jährigen Verfassungsgeschichte!
Das Grundrecht auf Asyl in der Verfassung war eine Lehre aus dem Faschismus, und die Verfassungsänderung vor 27 Jahren geschah vor dem Hintergrund rechtsextremer Wahlerfolge und Mobilisierung. Merken Sie was?
Rechtspopulisten und Rechtsextreme gibt es immer noch,
die heißen jetzt nur anders, aber Verfassung und Verfassungswirklichkeit sind dadurch deutlich ärmer geworden. Daraus sollte man lernen. Man bekämpft Rechtsextreme und Rechtspopulisten nicht dadurch, indem man einen Teil ihrer Forderungen erfüllt.
Berlin steht mit seiner Weltoffenheit, Diversität und Liberalität gegen dumpfen Nationalismus und Rechtspopulismus. Berlin steht für die Idee eines solidarischen Europa.
Und Berlin ist nicht allein. Es sind überall in Europa die großen Städte, die sich dem nationalistischen Trend in ihren Ländern in den Weg stellen und in denen Menschen für mehr Integration, für mehr Demokratie, für soziale Grundrechte und gegen nationale Abschottung eintreten, und deshalb macht es auch Sinn, dass sich die europäischen Städte in dieser Auseinandersetzung enger zusammenschließen und dass sie sich auch klar positionieren.
Berlin ist Anfang des Jahres dem Netzwerk „Solidarity Cities“ beigetreten. Berlin hat sich bereit erklärt, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufzunehmen.
Am 13. und 14. Juni findet im Roten Rathaus der Kongress „Sichere Häfen“ statt. Ich freue mich sehr, dass der Regierende Bürgermeister die Schirmherrschaft für den Seebrücken-Kongress übernommen hat.
So traurig der Grund für dieses Treffen ist, so ermutigend ist, wie Menschen überall in Europa nicht wegschauen, sondern unter hohen persönlichen Risiken handeln und helfen. Danke dafür!
Und wir erwarten selbstverständlich, dass Seehofer endlich seine Blockade aufgibt und uns das tun lässt, wozu wir uns bereit erklärt haben, nämlich Menschen zu retten, statt sie an Europas Grenzen sterben zu lassen. Wir können uns doch gar nicht genug bedanken für die Arbeit der zivilen Seenotrettung von Sea-Watch und Seebrücke. Sie zu kriminalisieren, ist eine Schande.
Und die Menschen, die im Mittelmeer andere Menschen vor dem Ertrinken retten, die retten auch den menschlichen Anstand und die Seele Europas.
Viele Menschen in Europa verfolgen mit Interesse, wie Mieterinnen und Mieter sich in unserer Stadt gegen steigende Mieten wehren. Immobilienspekulation, spekulativ
getriebene Mietsteigerungen sind natürlich kein exklusives Berliner Problem.
Das alles hat auch damit zu tun, wie die Europäische Union heute verfasst ist.
Es ist das Ergebnis einer Politik, die europaweit auf die Deregulierung der Märkte gesetzt hat und die aus der Finanzmarktkrise nicht wirklich gelernt hat.
Frau Bentele! Herr Dregger! Da kommt nach dem Asylrecht wieder der 70-jährige Geburtstag des Grundgesetzes ins Spiel, denn die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren weit weniger marktgläubig als die Konstrukteure des europäischen Binnenmarkts. Ich finde zwar, dass es dem Grundgesetz noch an einigem mangelt, insbesondere an sozialen Grundrechten, aber einen wichtigen Grundsatz kennt das Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Das heißt, Eigentümer dürfen eben nicht einfach alles machen, was sie wollen.
Das Grundgesetz sieht vor, dass der Staat eingreifen kann oder soll, wo durch den Gebrauch des Eigentums das Wohl der Allgemeinheit verletzt wird, und das Grundgesetz nennt dafür auch Instrumente, zum Beispiel Artikel 14 und 15.
Die Debatte über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat uns in den vergangenen Wochen
einen tiefen Einblick in das Verfassungs- und Demokratieverständnis in einigen Teilen unserer Gesellschaft gewährt.
Da geht es zuweilen skurril zu. Die Chefin des BBU schrieb uns sogar, dass der Artikel 15 zwar im Grundgesetz steht, aber in Berlin nicht gilt. Teile des Grundgesetzes sollen in Berlin nicht gelten? Ist Berlin wieder eine
selbstständige politische Einheit? Haben wir irgendetwas verpasst?
Die FDP will ganz auf Nummer sicher gehen und den Artikel kurzerhand abschaffen. Na, da hätte ich mir schon ein bisschen mehr Verfassungstreue gewünscht, Herr Czaja.
Ja, verschiedene Verfassungsgüter müssen in einer rechtsstaatlichen Demokratie immer wieder miteinander abgewogen werden.
Aber Artikel 14 und 15 stehen als Grundrechte in der Verfassung. Das ist ja nicht Pillepalle.
Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und die Instrumente zu ihrer Durchsetzung stehen aus konkreter historischer Erfahrung und nicht ohne Grund im Grundgesetz, und das ist auch gut so.
CDU und FDP müssen selbst wissen, ob die Rosinenpickerei beim Grundgesetz oder beim gemeinsamen Europa ihre Glaubwürdigkeit erhöht.
Der Wert des Bekenntnisses zur Verfassung im Ganzen zeigt sich eben oft im konkreten Umgang mit den Einzelnormen.
Weder Europa noch das Grundgesetz müssen mit Pathos besungen werden. Wir müssen damit ernsthaft arbeiten.
Der gemeinsame Markt braucht Regulierung. Europa braucht eine soziale Säule. Wir brauchen gemeinsame Steuer-, Sozial- und Umweltstandards und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte.
Ich komme zum Schluss. – Freiheitsrechte brauchen zum Geburtstag keine folgenlosen Bekenntnisse, sie müssen durchgesetzt und verteidigt werden.
Meine Damen und Herren draußen an den Endgeräten! Sie hören wahrscheinlich diese ganze Pöbelei von der rechten Seite nicht. Deswegen möchte ich Sie doch ganz herzlich bitten, am kommenden Sonntag wählen Sie bitte proeuropäisch,
wählen Sie demokratisch,
am besten wählen Sie links, auf jeden Fall bitte links von der Mitte! Das ist aktuell und auch künftig der beste Schutz für die Verfassung. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dregger! Mit dieser unsäglichen Gleichsetzung von Rechts und Links
angesichts der Bilder, die wir aus Chemnitz und Köthen gesehen haben, gehen Sie einen sehr gefährlichen Weg.
Dieser gefährliche Weg besteht darin, dass Sie letztendlich damit auch, mit dieser Gleichsetzung
die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren und kleinreden. Sie sollten sehr genau aufpassen, was Sie da tun.
Und angesichts der Entwicklungen in Europa und der Bundesrepublik, dieser Rechtsverschiebung von Diskursen, wird sich auch die bürgerliche Mitte und auch die Union entscheiden müssen, in welchem Team sie spielen will, im Team der Demokraten oder im Team der Antidemokraten.
Wer angesichts der Vorkommnisse in Chemnitz die Aussage macht, Migration sei die Mutter aller Probleme, stellt sich argumentativ an die Seite des rechtspopulistischen, rechtsextremen Mobs in Chemnitz und bestätigt ihn auch noch.
Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten pauschal für vermeintliche oder reale Missstände verantwortlich zu
(Burkard Dregger)
machen, diese Pauschalisierung erfüllt den Tatbestand des Rassismus nach fast jeder gängigen Definition des Begriffs. Geflüchtete, Arbeitsmigrantinnen und -migranten waren und sind nicht verantwortlich für die Probleme in unserer Gesellschaft. Sie sind nicht schuld an der Verteilung des Reichtums, an den Problemen auf dem Arbeitsmarkt, nicht an Hartz IV, am Gesundheitssystem, an Dieselgate und dem spekulationsgetriebenen Mietenwahnsinn. Wer sich seriös, Herr Dregger, mit Kriminalitätsstatistiken auseinandersetzt, wird feststellen müssen, dass auch das Vorurteil, mehr Flüchtlinge oder Migration bedeute auch mehr Kriminalität, politisch herbeigeredeter Unsinn ist.
Migrantinnen und Migranten haben einen riesigen Beitrag dafür geleistet, dass Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist. Sie dafür zu beleidigen und zu diskriminieren, ist eine unglaubliche Schande.
Und last not least: Ein Bundesinnenminister, der so hemmungslos rassistische Stereotype bedient, hat auf diesem Posten einfach nichts verloren.
Der Umstand, dass in Chemnitz und Köthen Neonazis, rechtsextreme Hooligans, Pegida, Pro Chemnitz und AfD gemeinsam demonstrieren, ist nicht weiter überraschend. Dass aus dem Nazi-Mob heraus Hitlergrüße gezeigt werden, Journalisten beschimpft und angegriffen werden und dass vermeintlich anders aussehende Menschen durch die Stadt gejagt werden, das ist sicher ekelhaft und widerlich, aber nicht wirklich neu. Ein jüdisches Restaurant, dessen Besitzer werden attackiert, Geflüchtete verlassen aus Angst vor Angriffen das Haus nicht mehr, das ist in hohem Maße beängstigend, aber leider auch in Deutschland nicht mehr überraschend.
Neu und überaus beängstigend ist aber die Menge an Menschen, die Enttabuisierung roher Menschenfeindlichkeit, die Geschwindigkeit, mit der Stimmungen geschürt werden und eskalieren. Und überraschend und besorgniserregend ist die Tatsache, auf welche kreuzgefährliche Art und Weise relativiert und verharmlost wird, wie sich die Narrative der Rechtsextremen bis in die demokratischen Parteien und Institutionen, ja bis in die Sicherheitsorgane des demokratischen Rechtsstaates festsetzen.
Über Seehofer habe ich schon gesprochen. Die Aussage von Herrn Kubicki von der FDP, die Wurzeln für die Ausschreitungen in Chemnitz lägen im „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Merkel, ist ein weiterer Beleg.
Da wird der wohl anständigste Satz, den Frau Merkel jemals gesagt hat, quasi als entschuldigende Erklärung für den braunen Mob denunziert. Das ist doch Wahnsinn.
Der sächsische Ministerpräsident stellt die steile These auf, dass es gar keinen Mob und keine Hetzjagd in Chemnitz gegeben hat. Dem sekundiert darauf der oberste Verfassungsschützer mit Verschwörungstheorien.
Auch Maaßen bezweifelt, dass es in Chemnitz Hetzjagden auf ausländisch aussehende Menschen gegeben habe. Er faselt sogar davon, dass Videos, die solche zeigen, gezielte Falschinformationen seien, um die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken. Dieses aluhutverdächtige Gerede übernimmt damit die Interpretation der Rechten und bestätigt quasi deren Gerede von der sogenannten Lügenpresse. Und jetzt tut er so, er sei missverstanden worden, jetzt kommt die Flucht in die Semantik. Sollen wir ernsthaft darüber streiten, ob in Chemnitz der Begriff Hetzjagd korrekt ist? Sollen wir ernsthaft darüber reden, dass Wutbürger, die sich an Flüchtlingen stören, aber nicht daran, dass sie neben hitlergrußzeigenden Nazis demonstrieren, ob man da Mob sagen darf?
Man bekämpft diese gefährliche Entwicklung nicht, indem man ihr mit Verständnis und Verharmlosung, indem man Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie mit Zugeständnissen entgegenkommt. Alle Beispiele, wo das versucht wurde, in Österreich, Frankreich, Italien, Ungarn, zeigen, wer dem Rechtsextremismus und Rechtspopulismus und deren Forderungen entgegenkommt, stärkt ihn. Nein, man muss ihm entgegentreten.
Die Unentschlossenen bei den sogenannten besorgten Bürgern holt man am ehesten auf die Seite der Demokraten zurück, wenn man klare Kante zeigt. Nicht wegsehen, widersprechen, aufklären, das ist notwendig. Und in diesem Sinne müssen alle Demokratinnen und Demokraten radikaler werden. Ich finde, da hatte die Kollegin Chebli völlig recht, an dem Wort ist überhaupt nichts auszusetzen.
Es bedeutet im Wortsinne: an die Wurzel gehen, ganz und gar, vollständig, gründlich. Ich möchte Menschenfeindlichkeit ganz und gar, vollständig und gründlich bekämpfen. Ich hoffe, irgendwann macht auch die CDU dabei mit.
Es macht Hoffnung, dass es noch viele Menschen gibt, die sich all dem Wahnsinn in diesen Tagen entgegenstellen. All diesen Menschen will ich danken, nicht nur den Bands und Gruppen, die unter dem Motto „Wir sind
mehr“ kurzfristig ein Konzert in Chemnitz auf die Beine gestellt haben. Ich will auch denen danken, die sich Tag für Tag den Nazis entgegenstellen, überall in der Republik, auch in den Dörfern und Kleinstädten, eben auch dort, wo sie leider im Alltag schon nicht mehr wirklich mehr sind.
Herr Dregger! Wir dürfen nicht zulassen, dass Antifaschistinnen und Antifaschisten als linksextreme potenzielle Gewalt- und Straftäter denunziert werden. Antifaschismus kennt viele Wurzeln und Traditionen, christliche, jüdische, antirassistische, gewerkschaftliche, sozialdemokratische, kommunistische, bürgerliche, anarchistische und andere mehr.
Angesichts der rechtspopulistischen, rechtsextremen Bewegungen in Europa sollten wir uns immer wieder bewusst machen: Keine Gesellschaft ist, selbst nach so einem historischen Zivilisationsbruch wie dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg, aus sich heraus auf Dauer dagegen immun. Wenn wir gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie erfolgreich kämpfen wollen, wenn wir Demokratie und Freiheit erfolgreich verteidigen wollen, dürfen wir Demokratinnen und Demokraten uns nicht spalten lassen.
Carola Bluhm und ich sind Vorsitzende einer Fraktion aus bekennenden Antifaschistinnen und Antifaschisten. Und wir sind sehr froh, in einer Regierungskoalition zu sein, die sich einem antifaschistischen Grundkonsens verpflichtet fühlt.
Herr Czaja! Sie werden verstehen, dass Ihre Aussage, Antifaschisten sind auch Faschisten, für uns eine unglaubliche Beleidigung darstellt.
Aber abgesehen davon, wie kann man denn so einen dermaßen unverfrorenen und geschichtsvergessenen Unsinn erzählen? Willy Brandt, Sophie Scholl, Hildegard Hamm-Brücher, Beate Klarsfeld, um nur einige Namen zu nennen, Menschen, die gegen die Faschisten in der französischen Resistance, bei den italienischen Partisanen gekämpft haben, die Aufständischen im Warschauer Ghetto, im KZ Buchenwald, alle auch Faschisten? Und in der „Morgenpost“ legitimieren Sie dann diesen geschichtslosen Unsinn mit dem Verweis auf Straftäter aus der Rigaer Straße. Das kommt bei Ihnen alles in einen Topf.
Herr Czaja! Faschisten sind Leute, die eine nationale oder völkische Einheit beschwören und Menschen aufgrund
ihrer Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder auch sexuellen Orientierung ausgrenzen, im schlimmsten Fall vernichten wollen. Antifaschisten sind Leute, die genau das verhindern wollen. Eine Entschuldigung, Herr Czaja, wäre das Mindeste.
Ich komme zum Schluss. Ich glaube, der Hashtag „Wir sind mehr“ stimmt noch. Wir als Demokratinnen und Demokraten sind aufgerufen, dafür zu sorgen, dass das so bleibt und dass wieder mehr Leute auf die Seite der Demokratinnen und Demokraten gehen. In diesem Sinne stärkt Rot-Rot-Grün die Zivilgesellschaft. Wir rufen gemeinsam dazu auf: Beteiligen Sie sich spätestens am 13. Oktober an der Demonstration „#unteilbar“ hier in Berlin! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Da Sie jetzt hier erneut eine Klage angekündigt haben, Herr Czaja, fände ich es ganz gut, wenn Sie jetzt einfach mal zur Sache reden würden, was der Senat eigentlich noch mehr an Anstrengungen hätte unternehmen sollen, um dem Volksbegehren noch gerechter werden zu können, als er es schon getan hat. Also: Was hätte mehr noch getan werden sollen, insbesondere im Verhältnis zu den beiden Gesellschaftern?
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Luthe! Was Sie hier getan haben, ist wirklich in höchstem Maße beschämend für das Haus hier,
und zwar, weil wir wissen, dass es eine historische Singularität des Völkermords an den Juden gibt. Und weil wir wissen, welche besondere Verantwortung wir in Berlin und in diesem Haus dafür tragen, gegen jede Form von Antisemitismus einzutreten, haben wir hier gemeinsam versucht, eine Entschließung zu erarbeiten und zu verabreden. Das wissen Sie auch.
Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, das sei in der Textformulierung von langer Hand geplant, um in irgendeiner Art und Weise den Holocaust zu relativieren, dann ist das eine unglaubliche Frechheit gegenüber der Mehrheit in diesem Haus.
Sie haben außer Ihren semantischen Anmerkungen keinen Beleg und keinen Hinweis dafür, dass der Umstand, dass wir jede Form von menschenfeindlicher Gewalt, sei sie religiös oder sonst wie motiviert, verurteilen, nicht zutreffen würde. Dafür findet sich auch kein Hinweis in dem Entschließungsantrag. Diesem Umstand geschuldet ist das deutliche Zeichen, dass wir hier tatsächlich, wie es der Kollege Dregger gesagt hat, eben nicht mit zweierlei Maß messen wollen, sondern dass wir hier in einer weltoffenen Gesellschaft gemeinsam gegen Antisemitismus, gegen religiös motivierte menschenfeindliche Gewalt einstehen wollen. – Ich bitte Sie ernsthaft, liebe FDP
Fraktion: Stellen Sie das in den Mittelpunkt Ihrer Reden, anstatt kleinlich zu versuchen, sich hier gegen angebliche sozialistische Koalitionen zu profilieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ja nicht wenige, die den Volksentscheid Tegel zum Volksentscheid über den rot-rot-grünen Senat umdeuten wollen. Die Absicht war vor dem 24. September klar, und mancher Beitrag – wie auch heute schon gehört – zum Ausgang ist auch so doof, dass man sich schon wundert, warum Leute, ohne noch mal auf die Zahlen zu schauen, so hanebüchenen Unsinn erzählen.
Es gab Bundestagswahlen, und es gab einen Volksentscheid. In Berlin haben sich die drei Parteien der rechten Opposition mit dem Volksentscheid Mitnahmeeffekte für ihr Bundestagswahlergebnis erhofft. Und ein Blick auf die Zahlen zeigt: Während in der Bundesrepublik insgesamt ein erschreckender Rechtsruck zu verzeichnen ist, bleibt Berlin anders, und das ist auch gut so.
Die Parteien von Rot-Rot-Grün kommen zusammen auf 49,3 Prozent, die Parteien der rechten Opposition und Unterstützer des Tegel-Volksentscheids kommen zusammen auf 43,6 Prozent. Und, liebe Jamaica-Freunde in den Redaktionsstuben, Jamaica käme in Berlin auch nur auf 44,2 Prozent und hätte keine Mehrheit.
Und nur mal wegen der Vollständigkeit: Die Berliner CDU hat eben trotz ihres klugen und geschickten Wendehalswahlkampfs auch massive Verluste zu erklären, Herr Graf!
Und die Berliner FDP ist ganz deutlich unter dem Bundesdurchschnitt eingelaufen, Herr Czaja. Also kein Grund, hier allzu sehr auf die Sahne zu hauen.
Die Ergebnisse belegen also eher, dass bei aller Kritik, die es an Rot-Rot-Grün geben könnte, die Wählerinnen und Wähler in Berlin gar keine andere Regierungsmehrheit ermöglichen wollen.
(Georg Pazderski)
Was richtig ist: Den Volksentscheid haben wir nicht gewonnen. Eine Mehrheit will, dass der Senat sich für die dauerhafte Offenhaltung Tegels einsetzen soll.
Dass bei Volksentscheiden auch Dinge entschieden werden können, die man selbst falsch oder sogar gefährlich findet, liegt in der Natur der Sache. Als Verfechter der direkten Demokratie waren wir zu rot-roten Zeiten mit Grünen und anderen daran beteiligt, die Hürden für Volksentscheide zu senken – aus voller Überzeugung, weil wir dieses demokratische Instrument außerordentlich wichtig finden.
Deswegen ist es für uns selbstverständlich, dass wir das Ergebnis des Volksentscheides sehr, sehr ernst nehmen und respektieren.
Was kann und muss jetzt konkret geschehen? – Raed Saleh hat es noch einmal gesagt: Die Kanzlerin hat vor der Bundespressekonferenz – also Ihre Kanzlerin, es wird ja möglicherweise eine Konstanze, eine Konstante bleiben,
auch nach der Bundestagswahl –, die Kanzlerin hat vor der Bundespressekonferenz und das Bundesverkehrsministerium hat vor der Wahl noch einmal eindeutig bestätigt: Die Rechtslage ist eindeutig.
Die durch den Volksentscheid beschlossene Bemühenszusage hat daran nichts geändert.
Sie selbst wissen ganz genau, dass Berlin diese Entscheidung nicht allein treffen kann.
Alle wissen, dass Berlin eine Offenhaltung Tegels nur erreichen kann, wenn es eine Zustimmung Brandenburgs und des Bundes gibt. Und auch dann nur unter Überwindung einiger weiterer schwerwiegender juristischen Hürden.
Selbst dann, diese aus meiner Sicht eher unwahrscheinliche Zustimmung des Bundes und Brandenburgs vorausgesetzt, am Ende langer juristischer Auseinandersetzungen, ist eine neue Betriebsgenehmigung für TXL – um es vorsichtig zu formulieren – sehr unwahrscheinlich bis ausgeschlossen.
Keine Zwischenfragen!
Deshalb kann der Senat erst einmal nur – und das hat Michael Müller bereits am Montag erklärt – so schnell wie möglich das Gespräch mit den beiden anderen Gesellschaftern suchen – und zwar um zu klären, ob es überhaupt eine Bereitschaft gibt, diesen in vielerlei Hinsicht riskanten Weg zu gehen.
Das erste Signal des Ministerpräsidenten Woidke war klar. Aber natürlich wird das nicht über die Medien verhandelt, sondern selbstverständlich wird man sich dazu ernsthaft zusammensetzen. Gleiches gilt für die Bundesregierung. Dann werden wir sehen, ob das Wort der Bundeskanzlerin auch noch nach der Wahl gilt.
Und wir werden sehen, wie realistisch es ist, dass Brandenburg und/oder die Bundesregierung alle jahrelangen Planungen komplett über den Haufen werfen und die enormen finanziellen und rechtlichen Risiken einzugehen bereit sind.
Ihr Dringlichkeitsantrag hingegen, Herr Czaja und Herr Graf, ist dermaßen inkonsistent und abenteuerlich, dass er nur abgelehnt werden kann, wenn man kein unauflösbares Chaos anrichten will.
Nur ein Beispiel: Der Senat kann nicht einfach umstandslos ohne Brandenburg schon einmal vorab den Widerruf des Widderrufs beschließen,
aber das wissen Sie ja selbst. Außerdem beantragen Sie Dinge, die weit, weit über das hinausgehen, was beim Volksentscheid beschlossen worden ist.
Wir haben als Koalition darum gekämpft, die Berlinerinnen und Berliner mit Argumenten zu überzeugen, nicht nur mit juristischen, sondern auch, weil wir glauben, dass Tegel zu schließen ein Gewinn für die gesamte Stadt ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz besonders den Bürgerinitiativen, dem Bündnis „Tegel schließen“, den Anwohnerinnen und Anwohnern rund um den TXL herzlich danken.
Sie haben eine großartige und unermüdliche Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet. Danke dafür!
Nicht nur das. Wir sind Ihnen auch weiterhin verpflichtet, Ihr berechtigtes Interesse an Sicherheit, an Schutz vor Fluglärm ist nach dem Volksentscheid nicht obsolet geworden. Die Interessen der 300 000 vom Lärm betroffenen Menschen
werden auch im weiteren Verfahren eine gewichtige Rolle spielen.
Aber genauso müssen wir uns darum kümmern, dass die Menschen im Südosten zu Ihrem Recht kommen. Dazu gehört, dass wir den dort versprochenen Lärmschutz auch zügig und möglichst unbürokratisch umsetzen.
Es kann nicht sein, dass Menschen dort über Monate mit Behörden streiten müssen, um den von ihnen benötigten Schallschutz zu bekommen. Das muss sich dringend ändern.
Der Volksentscheid hat aber auch gezeigt, wenn Rot-RotGrün gemeinsam mit Bürgerinitiativen für etwas kämpft, kann das mobilisieren.
Es ändert nichts am Ergebnis, aber ich bin schon stolz darauf, dass das Tegel-schließen-Bündnis und R2G gegenüber den Umfragewerten zu Beginn der Kampagne noch an die 20 Prozent aufgeholt hat.
Hätten wir diese gemeinsame Mobilisierungsfähigkeit,
die offensive Auseinandersetzung gegen den billigen Populismus schon früher und entschlossener in die Waagschale geworfen, wer weiß, wie es ausgegangen wäre.
Die Tegel-Debatte, aber viel mehr noch die Bundestagswahl haben gezeigt: Unsere Gesellschaft ist tief gespalten.
Es ist erschreckend, wie zynisch und egoistisch Debatten geführt werden. Es gibt eine massive Entsolidarisierung in der Gesellschaft,
eine Brutalisierung der öffentlichen Debatten und Diskurse.
Gemeinwohlinteressen werden zunehmend belächelt oder ganze gesellschaftliche Gruppen einfach davon ausgegrenzt.
Jahrzehnte neoliberaler Bundespolitik haben ihre Spuren hinterlassen. Wenn Erfahrungsberichte von Menschen, denen im Minutentakt die Flieger über den Kopf donnern, mit „Dann zieh‘ doch weg!“, beantwortet werden, dann ist das schon ein harter Ausdruck einer gesellschaftlichen Entsolidarisierung.
Wenn Menschen, denen es schlecht geht oder die Angst vorm sozialen Abstieg haben, sich vor allem wünschen, dass es anderen, insbesondere Flüchtlingen, aber dann noch schlechter gehen soll, und sie das Gerechtigkeit nennen, dann wird mir schlecht. Wenn Geschichtsrevisionisten und Nazis mit der AfD in den Deutschen Bundestag einziehen,
wenn Wehrmachtsverbrechen relativiert werden,
wenn Gedenken an den Holocaust als Schuldkult diffamiert werden, dann meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
sollten wir uns eines bewusst machen: Wir tragen hier in Berlin gemeinsam eine große Verantwortung,
diesen gesellschaftlichen Rechtsruck – –
Nein, keine Zwischenfragen, Herr Präsident! – Wir tragen hier in Berlin eine gemeinsame große Verantwortung.
Diesem gesellschaftlichen Rechtsruck, dem Rassismus, der Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit können wir nur wirksam begegnen, indem wir zusammenhalten.