Blasius Thätter
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Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird der Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen in Zweiter Lesung beraten und auf den Weg gebracht. Dabei sind das Förderschulwesen und Bemühungen um Integration an den Schulen ein wesentlicher Teil der vorgesehenen Änderungen.
Mit den Passagen zur Integration werde ich mich etwas ausführlicher beschäftigen, denn hierbei handelt es sich um einen vorläufigen Abschluss einer Entwicklung, die vor Jahren eingeleitet wurde. Vor rund sechs Jahren haben wir uns aufgemacht, zum bestehenden Förderschulwesen in Bayern zusätzliche Möglichkeiten integrativer Beschulung zu finden.
Schon 1998 und nicht erst im Jahr 2002 wurden wesentliche Beschlüsse gefasst, die sich mit diesem Thema befassten.
Zu der Integrationsdebatte ist grundsätzlich Folgendes festzustellen: Nach der schrecklichen Zeit des Nationalsozialismus wurde in Bayern vor rund 40 Jahren intensiv damit begonnen, Behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche zu beschulen. Diese Beschulung wurde immer weiter verbessert, um eine bestmögliche Förderung zu erreichen. Ich möchte in diesem Zusammenhang gerade heute deutlich herausstellen: Es wurde in Bayern ein herausragendes System für eine bestmögliche Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufgebaut. Es wurde versucht, in einem aufgegliederten För
derschulsystem gezielt Förderung zu geben, und es wurde und wird in diesen Schulen gute Arbeit geleistet.
Bei der Änderung des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes geht es nicht darum, das Förderschulwesen in Bayern zu ersetzen und alle Kinder in integrativen Einrichtungen zu beschulen, wie es aus dem Gesetzentwurf, den die SPD eingebracht hat und der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, herauszulesen ist.
Viele Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf – es sind wohl zwischen 80% und 90% der Eltern – sehen in der Förderschule die beste Möglichkeit für ihr Kind. Aus diesem Grund wollen sie, dass die Förderschulen nicht nur erhalten bleiben, sondern auch gut ausgebaut und versorgt werden. Man macht es sich zu leicht, wenn man argumentiert, diese Eltern seien nicht aufgeklärt und hätten noch nichts von Integration gehört. Man macht es sich auch zu leicht, wenn man in Anträgen und an runden Tischen das Förderschulsystem abschaffen möchte und bei Gesprächen mit Betroffenen dieses verneint.
Natürlich stimmt das.
Vielmehr gehört es zu unseren wesentlichen Aufgaben, diesen Eltern die Angst zu nehmen, dass durch die Integrationsbemühungen Finanzmittel und Personal für das Förderschulwesen verloren gehen werden. Die Anträge der Landeselternvereinigung, die morgen im Ausschuss behandelt werden und die Verbesserungen in den Schulen zur geistigen Entwicklung bringen sollen, sind ein ernst zu nehmender Beitrag in dieser Hinsicht.
Aus diesem Grund wollen wir bei der Einschulung der Kinder flexibel bleiben. Ursprünglich hatte der Entwurf den Ansatz, dass alle Kinder zur Einschulung bei der Regelschule angemeldet werden. Die Regelschule sollte dann entscheiden, ob das einzelne Kind dort erfolgreich beschult werden kann. Wir waren der Meinung, damit einen großen Schritt in Richtung Integration zu tun. Wir wollten sozusagen ein Zeichen für unsere Integrationsbemühungen setzen. Aber es kam großer Widerstand von der Elternschaft und von den Schulen im Hinblick auf die geistige Entwicklung. Sie argumentierten, die Kinder sollen nicht Negativerlebnisse durchmachen müssen, bevor sie an die Schule kommen, die für sie die richtige ist. Diese Argumente sind nicht falsch, da über Frühförderung und Schulvorbereitung mit Tests und Gutachten der sonderpädagogische Förderbedarf des einzelnen Kindes festgestellt ist und die Einschulung in die Förderschule sofort erfolgen könnte, wenn die Förderschule als richtig angesehen wird. Deshalb wollen wir es nun so machen, dass das Problem über entsprechende Ausführungsbestimmungen gelöst wird.
Warum eigentlich überhaupt seit einigen Jahren das Ringen um die Veränderungen im EUG? – Das Thema ist von zwei Seiten zu sehen:
Erstens. Unsere Gesellschaft hat sich verändert, und damit haben sich die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Schulbesuch vieler Kinder verändert bzw. verschlechtert. Ging man früher von 3% bis 5% der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus, so kommt man nach neueren Erfahrungen auf einen Anteil dieser Kinder zwischen 15% und 20%. Bei solchen Zahlen ist nicht die Sonderbeschulung der richtige Weg, sondern eine rechtzeitige präventive Erfassung bei der Frühförderung in den schulvorbereitenden Einrichtungen und eine stützende Begleitung in der Regelschule, zum Beispiel mit den mobilen Diensten. Genau das machen wir in Bayern. Wir nehmen damit auch eine wesentliche Forderung auf, die sich aus den Erkenntnissen der PisaStudie ergeben hat.
Dass aber nicht sofort mit jeder zusätzlichen Maßnahme jeder Förderbedarf abgedeckt werden kann und dass die Lernziele der jeweiligen Schulen nicht immer erreicht werden können, sondern dass die Ziele zwar vorhanden, aber die Qualität der erreichten Leistung durchaus unterschiedlich sein kann, dass auch eine intensive Förderung nicht jedem Förderbedarf gerecht werden kann, ist ein wesentlicher Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Deshalb ist im neuen EUG erfolgreiches Lernen nicht mit dem Erreichen der Lernziele gleichzusetzen. Vielmehr soll der Besuch einer Regelschule möglich sein, wenn das Kind sich aktiv am Unterrichtsgeschehen beteiligen kann, wenn es den Unterrichtsformen der allgemeinen Schule folgen kann und wenn es dabei schulische Fortschritte erzielt.
Es geht um schulische Fortschritte und nicht mehr um die Formulierung, dass erfolgreiches Lernen von dem Erreichen festgesetzter Lernziele abhängig sei. Entscheidend ist, dass der richtige Förderort gesucht wird und dass die Wahl des richtigen Förderortes immer vom einzelnen Kind ausgeht. Bei der Abwägung, welcher der richtige Förderort ist, müssen allerdings auch die organisatorischen, personellen und sachlichen Möglichkeiten der einzelnen Schule berücksichtigt werden. Das endgültige Abrücken von der so genannten Lernzielgleichheit ist ein großer Schritt in die Richtung, integrative Beschulung verstärkt zu ermöglichen.
Zweitens. Seit Jahren diskutieren wir über die Möglichkeiten, Kinder mit großem sonderpädagogischen Förderbedarf in wohnortnahe Regelschulklassen aufzunehmen. Gerade Eltern, die voller Verantwortung ihr behindertes Kind annehmen und in das Leben der Familie einbeziehen, erwarten das auch von der Gesellschaft. Diese Erwartung beinhaltet auch den Wunsch nach dem gleichen Lernort, den auch die Geschwister, die Nachbarskinder und die Spielkameraden besuchen. Auch hier eröffnet das Gesetz neue Möglichkeiten.
Wenn allerdings eine Mitarbeit in der Klassengemeinschaft nicht möglich ist und wenn nur mit Zweitlehrkraft und mit zusätzlichen Hilfskräften mit diesem Kind gearbeitet werden kann, dann ist eine integrative Beschulung fragwürdig; denn räumliche Anwesenheit allein ist nicht Integration. Hier bietet das neue EUG bessere Möglichkeiten an, sei es in Außenklassen oder in speziellen Kooperationsklassen. Allerdings soll dabei der Sachaufwandsträger gehört werden, und die finanziellen Mög
lichkeiten der Kommune sollen in die Entscheidung einbezogen werden.
Einwände und Befürchtungen von kommunaler Seite in Bezug auf etwaige Kostenentwicklungen sollen durchaus ernst genommen werden. Deshalb wollen wir, dass zwei Jahre nach dem In-Kraft-Treten der Gesetzesnovelle geprüft wird, ob finanzielle Mehr- oder Minderbelastungen entstehen. Auf dieser Basis soll nach dem Konnexitätsprinzip ein Ausgleich erfolgen. Anders ist es bei den schulvorbereitenden Einrichtungen. Hier war im ursprünglichen Entwurf der Haushaltsvorbehalt festgeschrieben. Wir meinen aber, dass präventive Arbeit beim Übergang in die Schule von großer Bedeutung ist. Deshalb haben wir durchgesetzt, dass diese Arbeit nicht vom Haushaltsvorbehalt betroffen ist. Allerdings wollen wir auch erreichen, dass die Arbeit auf dem vorschulischen Sektor fachlich verankert wird; denn wir wollen eine gezielte, von Sachkenntnis getragene Arbeit.
So legen wir Wert darauf, dass schulvorbereitende Einrichtungen Bestandteil von Volksschulen zur sonderpädagogischen Förderung sind und dass der Schulleiter auch Leiter der schulvorbereitenden Einrichtung ist. Schulorganisatorisch soll es so sein, dass die schulvorbereitende Einrichtung einer Förderschule mit entsprechendem Förderschwerpunkt zugeordnet wird. Das heißt, dass zum Beispiel eine schulvorbereitende Einrichtung mit dem Förderschwerpunkt Sprache nicht einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung angegliedert wird.
Gerade in schulvorbereitenden Einrichtungen, in denen Kinder mit einem unterschiedlich ausgeprägten Bedarf an verschiedenartiger Förderung zusammenkommen, ist die fachliche Leitung von Förderzentren her geradezu notwendig; denn hier muss ein Netzwerk an Fachlichkeit aufgebaut werden.
Nun zur Stellung der Eltern: Es gibt jetzt schon ein förmliches Beteiligungsverfahren der Eltern. Die Eltern werden eingebunden, wenn es Probleme mit dem Kind gibt und wenn ein Gutachten ansteht. Die Eltern werden auch wieder hinzugezogen, wenn es um den richtigen Förderort geht, wenn die Frage lautet, was das Beste für das Kind ist. In der Neufassung des EUG werden die Eltern in einem mehrstufigen Verfahren an der Entscheidung über den richtigen Förderort beteiligt, und es werden einschließlich der Revisionsinstanz mehrere voneinander unabhängige Gremien den Einzelfall sorgfältig prüfen. Mehrere Schritte auf dem Weg zum richtigen Förderort bei verstärkter Beteiligung der Eltern sind vorgesehen.
Auch wenn letztlich keine Einigung mit den Eltern erzielt wird und die staatliche Stelle über den Schulort entschei
det, so sind doch mit der Anhörung der Erziehungsberechtigten bei der Erstellung des Gutachtens, mit der Einbeziehung der Eltern in die Entscheidungsfindung, durch die Beratung aller am Prozess Beteiligten bei der Wahl des Förderorts, mit der Möglichkeit der Anrufung einer überörtlichen unabhängigen Fachkommission wesentliche Gewichtungen von Elternrechten eingebracht.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Haushaltsvorbehalt bei der Umsetzung wesentlicher integrativer Maßnahmen in den Schulen sagen. Zwar wäre es wünschenswert, wenn wir alle Wünsche an integrativen Einrichtungen realisieren könnten, aber die Wirklichkeit ist anders. Gerade in Zeiten, in denen ein massiver Verteilungskampf um die zurückgegangenen Steuereinnahmen auf allen Ebenen stattfindet, in Zeiten, in denen man sogar in Sorge um die notwendigen Mittel zur Grundversorgung der Menschen sein muss, wäre es nicht zu verantworten, zu hohe Forderungen anzumelden. Vielmehr müssen wir Prioritäten neu durchbuchstabieren und versuchen, vom Wichtigen das Wichtigste zu tun, wie es unser Fraktionsvorsitzender gesagt hat.
Zum Haushaltsvorbehalt möchte ich noch auf die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1997 eingehen. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass eine Benachteiligung erfolgt, wenn der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte. Zugleich stellt das höchste deutsche Gericht aber ebenso fest, dass integrative Unterrichtung dann erfolgen soll, wenn einerseits der individuelle Förderbedarf des Kindes erfüllt werden kann und andererseits die organisatorischen, personellen und sachlichen Gegebenheiten es erlauben. Die Richter ergänzen diese Beurteilung mit dem Hinweis, dass der Gesetzgeber von einer Gesamtschau seiner Aufgaben ausgehen muss, dass er alle Belange der Gemeinschaft berücksichtigen muss und begrenzt verfügbare Mittel auf diese Belange verteilen muss. Genau durch diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts werden wir hier in Bayern in dieser hier zu beschließenden Gesetzesvorlage der Staatsregierung bestätigt.
Mit dieser Gesetzesvorlage tun wir einen großen Schritt in Richtung einer weiteren Öffnung der Regelschule für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, in Richtung der Einbeziehung der Eltern durch gemeinsame Beratung und in Richtung Mitsprache der Eltern. Wir tun das aber in dem Bewusstsein, dass das bestehende Förderschulsystem seine eigene Wertigkeit hat, die in unseren Überlegungen berücksichtigt werden muss. Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen danken, die dieses Vorhaben über lange Jahre hinweg positiv begleitet haben. Denn Sonderpädagogik ist ein Randbereich, mit dem sich nicht alle auseinandersetzen können. Meine Fraktion war aber immer dabei. Vor allem Alois Glück hat die Sache sehr unterstützt. Auch unser Referent Herr Denneborg und Herr Graf vom Kultusministerium haben sich hohe Verdienste um diese Gesetzesvorlage erworben. Wir schaffen mit diesem Gesetz eine neue Flexibilität, an der weitergearbeitet werden muss; denn auch in der Pädagogik und in Fragen der Schule bleiben wir nicht stehen; auch da sind wir immer auf dem Weg.
Die CSU-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Staatsregierung in der Fassung, wie sie im Ausschuss formuliert und beschlossen wurde, und mit der Änderung, die von der CSU-Fraktion eingebracht wurde, zustimmen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum Gesetzentwurf der Staatsregierung betreffend die Errichtung der Stiftung
bayerischer Gedenkstätten aus der Sicht des Stimmkreisabgeordneten des Landkreises Dachau einige kurze Anmerkungen machen.
Eine Stadt wie Dachau, die Träger von Zeugnissen der schrecklichen zwölf Jahre des Nationalsozialismus ist und die aufgerufen ist, die Erinnerung an diese Unrechtsherrschaft wach zu halten und die aus den geschichtlichen Erfahrungen heraus gewonnenen Erkenntnisse weiterzutragen, steht in einer besonderen Situation. Den Menschen in der Stadt Dachau und im Umfeld von Dachau ist es in den Jahrzehnten seit dem Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht immer leicht gefallen, sich dieser Aufgabe zu stellen. Sie fühlten sich oft allein gelassen, glaubten, alleine für etwas verantwortlich gemacht zu werden, was über sie gekommen war, was sie aber nicht gewollt hatten.
Der „Lernort Dachau“ ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die Einrichtung der Gedenkstättenstiftung eine große Chance. Jetzt wird eine Stiftung des öffentlichen Rechts ins Leben gerufen, die einen weit umfassenden Überbau erhält und dadurch den gesamtgesellschaftlichen Aspekt deutlich heraus-stellt. Eine Stiftung, bei der die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern, Gebietskörperschaften wie die Stadt Dachau, die Kirchen, Vertreter der Häftlingsorganisationen und ebenso die Fachwissenschaft eingebunden sind, bietet die Möglichkeit, fundierte Arbeit zu leisten. Die Stadt Dachau selbst ist durch den Oberbürgermeister im Stiftungsrat vertreten. Sie wird also an der Erstellung der grundsätzlichen Leitlinien der Gedenkstättenarbeit direkt beteiligt sein. Es ist richtig und notwendig, dass sich die Stadt selbst dieser Aufgabe annimmt und damit Irritationen, wie sie in der Vergangenheit oft entstanden sind, vermieden werden können.
Abschließend möchte ich allen danken, die an der Erstellung des Gesetzentwurfes mitgearbeitet haben. Ich möchte allen drei Fraktionen des Bayerischen Landtags für ihren sorgsamen Umgang mit diesem sensiblen Thema danken. Vor allem möchte ich meinem Kollegen Dr. Spaenle danken. Er hat das Thema zuerst in unserer Fraktion, dann im Ausschuss und auch heute mit großem Fachwissen und hoher Intensität bearbeitet.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin selbst Mitglied des Dachauer Kreistags und dort seit zwölf Jahren Fraktionssprecher der CSU. Bis Ende der letzten Woche sind wir davon ausgegangen, dass alle Mitglieder des neugewählten Dachauer Kreistags rechtmäßig gewählt wurden. Davon gingen wir im Übrigen auch bei der Sitzung des Innenausschusses am 24. April dieses Jahres aus.
Deshalb hat sich der Kreistag in Dachau auch konstituiert und seine Arbeit aufgenommen. Wir haben bei unseren Sitzungen immer wieder betont, dass wir uns danach richten werden, falls rechtlich fundierte Untersuchungen eine andere Sachlage ergeben. Das wissen Sie alle. Wir haben nie gemauert, was die Aufklärung betrifft.
Wir haben auf Aufklärung gewartet. Wir haben die Staatsanwaltschaft mehrmals gebeten, schneller zu handeln. Es ist aber selbstverständlich, das sich die Staatsanwaltschaft nicht von der Politik beeinflussen lässt.
Bis Ende letzter Woche waren das alles nur Annahmen, Verdächtigungen und Wunschvorstellungen.
Jetzt aber wissen wir, Herr Maget, dass bei der Wahl am 3. März Unregelmäßigkeiten und Manipulationen stattgefunden haben.
Wir nehmen die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde an, mit der die Stadtratswahl und die Kreistagswahl in der Stadt Dachau für ungültig erklärt werden. Wir halten es für richtig, dass Nachwahlen angesetzt werden. Am Montag hat die CSU in Dachau und am Dienstag hat die CSU-Kreistagsfraktion einstimmig beschlossen, die Nachwahl für die richtige Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde zu halten und sich in der Stadt Dachau den Nachwahlen zu stellen.
Wir haben immer wieder betont, das ist im Protokoll auch nachzulesen, dass wir nicht nur die Nachwahlen akzeptieren, sondern dass wir es auf das Schärfste verurteilen, dass Manipulationen und strafbare Handlungen stattgefunden haben.
Mitglieder der CSU, die daran teilgenommen haben, haben in unserer Partei keinen Platz mehr. Die schließen wir aus.
Das ist auch schon geschehen. Aber, meine Damen und Herren, es muss umfassend aufgeklärt werden und nicht nur in Richtung Briefwahlfälschung.
Es müssen auch die Ungereimtheiten im Rathaus aufgeklärt werden, die noch unter der Führung des damaligen Oberbürgermeisters Piller stattfanden. Ich denke dabei zum Beispiel an die kopierten Stimmzettel, die auf seinem Schreibtisch lagen und die er dort vierzehn Tage lang liegen ließ. Ich denke an die 3500 verschwundenen Wahlscheine, an das Umlagern von Wahlunterlagen von einem Raum in den anderen, an das Verschwinden der Wahlunterlagen in Müllsäcken, an das Auffinden von Stimmzetteln am städtischen Bauhof. Das ist doch alles logisch nicht nachvollziehbar.
Übrigens hat es auch Herr Dr. Gantzer mit den Zahlen nicht sehr genau genommen.
Er hat von 800 Hausbesuchen gesprochen. Die gingen aber niemals über die Zahl von 370 hinaus. Herr Dr. Gantzer hat übersehen, dass man in der Presse 370 Stadtratszettel und 370 Kreistagszettel, also insgesamt 740 Zettel, zu rund 800 Zetteln zusammengefasst hat. So hat es ausgesehen. Das sollten Sie auch annehmen.
Noch etwas ist zu sagen, Herr Dr. Gantzer. Bei den Stimmzetteln zur Kreistagswahl ist man durchaus nicht bei der CSU geblieben, sondern man hat quer durch alle Parteien gewählt.
Es hat also nicht nur die CSU davon profitiert. – Wobei ich das aber ebenfalls verurteile. Das möchte ich ganz deutlich sagen.
Die Wahrheit muss man natürlich auch hören mögen, Herr Maget.
Ich komme zum hauptsächlichen Streitpunkt im Augenblick: zum Oberbürgermeister. Ich kann verstehen, dass die übrigen Parteien in Dachau den Oberbürgermeister nicht haben wollen, weil er von der CSU ist. Aber Peter Bürgel ist nach allen bisherigen Erkenntnissen über die Stichwahl rechtmäßig gewählt.
Die Unregelmäßigkeiten und Manipulationen haben bei der Erstwahl stattgefunden. Bisher gibt es keinen rechtmäßigen Ansatz für einen Rücktritt des Oberbürgermeisters. Er könnte nicht einmal von sich aus ohne weiteres zurücktreten.
Nein, er stellt immer auf diese Frage ab. Das ist doch Unsinn, Herr Kollege! Ich habe den Oberbürgermeister bisher in all meinen Ausführungen nicht erwähnt,
erst in meinem letzten Satz. Dass es dem ganzen Haus nur um den Oberbürgermeister in Dachau gehe, darüber sind wir schon längst hinaus. Das haben die Ausführungen unserer Kollegen vorhin, in denen wirklich Wahlkampf pur gemacht wurde, gezeigt.
Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft auch diese Dinge noch aufklären wird.
Ich würde gerne noch zu Ihnen reden. – Ich meine schon, wenn ich wieder auf den Oberbürgermeister zurückkommen darf, dass es undemokratisch ist, demokratisch erfolgte Entscheidungen zu missachten. Und ich möchte noch einmal betonen, was mir wichtig erscheint.
Die Verfehlungen in Dachau sind Verfehlungen Einzelner und nicht der Partei der CSU. Das ist eine Tatsache.
Das haben auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben, und die zuständigen Rechtsbehörden, das Landratsamt für den Stadtbereich und die Regierung von Oberbayern für den Kreisbereich, haben nach Vorlage der Ermittlungen sofort gehandelt und die erforderlichen Entscheidungen getroffen.
Auch ein Innenminister oder vielleicht sogar der Ministerpräsident kann eine rechtmäßige Entscheidung vor Ort nicht korrigieren bzw. in sie eingreifen. Das wäre gesetzeswidrig.
Unser Staatsaufbau ist föderal. So ist es auch folgerichtig, dass die Behörden vor Ort in angewandter Subsidiarität nach Recht und Ordnung entscheiden. Nun die Parteispitze anzuprangern und im Voraus das Handeln von Dr. Edmund Stoiber zu verlangen, ist reines Wahlkampfgetöse, ganz gleich, ob von Dachau her oder von Ihrer Seite, Herr Maget.
Herr Staatssekretär, hält die Staatsregierung die vom Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Franz Maget, in der Presse erhobene Forderung nach Neuwahlen für das Amt des Oberbürgermeisters in Dachau bzw. zum Dachauer Stadtrat zum gegenwärtigen Zeitpunkt für rechtlich überhaupt umsetzbar?
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatssekretär.
des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes können Nachwahlen nur dann von der Rechtsaufsichtsbehörde angeordnet werden, wenn diese die entsprechende Wahl im Zuge der Wahlprüfung oder der Wahlanfechtung bestandskräftig für ungültig erklärt hat. Dies setzt voraus, dass Wahlvorschriften nachweislich verletzt worden sind und dass bei deren Einhaltung möglicherweise ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre. Eine Ungültigerklärung „auf Verdacht“ oder zur Beseitigung von Zweifelsfragen ist rechtlich unmöglich.
Ferner kommt eine Ungültigerklärung der Wahl – und damit Nachwahlen – nur in Betracht, wenn eine Berichtigung des Wahlergebnisses nicht möglich ist.
Ob es in Dachau tatsächlich zu derartigen Unregelmäßigkeiten gekommen ist, welche Wahlen diese betreffen und ob eine Berichtigung möglich ist, kann erst nach Feststellung des Sachverhalts im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens beantwortet werden.
Grundvoraussetzung für eine Wahlprüfung oder eine Wahlanfechtung ist im Übrigen, dass das Wahlergebnis festgestellt worden ist. Der Wahlausschuss der Stadt hat sich aber bisher geweigert, das Ergebnis der Stichwahl zum Oberbürgermeister und das Ergebnis der Stadtratswahl festzustellen. Das Landratsamt Dachau hat dieses Verhalten mit Bescheid vom 2. April 2002, der für sofort vollziehbar erklärt wurde, beanstandet und die Stadt aufgefordert, die Ergebnisse bis zum 25. April 2002 festzustellen, sowie für den Fall, dass die Stadt dieser Aufforderung nicht nachkommt, die Ersatzvornahme angedroht, da das Ergebnis vor Beginn der neuen Amtszeit bzw. Wahlzeit am 1. Mai 2002 festgestellt sein muss.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Zusatzfragen? – Keine. Dann rufe ich Herrn Prof. Dr. Gantzer auf.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reformen haben nicht nur zur sechsstufigen Realschule geführt, die vielen Kindern gerecht wird, voll angenommen wird und einen passenden Weg zur Berufsfindung anbietet, sondern sie haben auch für die Hauptschule entscheidende Änderungen mit sich gebracht. Die Reformen an den Hauptschulen sind nach unserer Meinung eine gute Chance für einen hohen Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler in Bayern. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir immer noch in weiten Teilen unseres Landes 30% Gymnasiasten, 30% Realschüler und ca. 40% Hauptschüler als realistisch annehmen können. Jedenfalls ist das in meinem Landkreis so, der ein Landkreis des Ballungsraumes München ist, nämlich Dachau. Da kann man keineswegs davon reden, dass die Hauptschule eine Restschule wäre.
Bei der Vorbereitung unserer Reformen haben wir sehr wohl Vergleiche mit Baden-Württemberg angestellt. Dort herrschen ähnliche Verhältnisse. Das Beispiel der dortigen Werkrealschule, die unseren M-Zügen gleichkommt, zeigt, dass von den an der Hauptschule verbleibenden Schülern etwa 5 bis 10% für den mittleren Abschluss geeignet sind. Unserer Meinung nach ist es in unserem gegliederten Schulsystem wichtig, die Kinder dort zu fördern, wo sie am besten gefördert werden können. Immer wieder wird behauptet, dass die Hauptschule wegen der R 6 in den fünften und sechsten Klassen die so genannten Leistungsträger verliere. Das ist zum Teil richtig. Verantwortungsbewusste Schulleute sagen aber auch, es komme entscheidend darauf an, wie sehr die Hauptschule bereit sei, in der fünften und sechsten Klasse eine neue Leistungsspitze aufzubauen. In einer gut geführten Hauptschule sollten in der fünften und der sechsten Klasse die besten und engagiertesten Lehrer eingesetzt werden. Es ist auch ganz wichtig, wie sehr die Schule dazu bereit ist, den mittleren Abschluss über die M-Züge zu propagieren.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die erste Schulreform in Bayern in den siebziger Jahren oft nur halbherzig durchgeführt worden ist, und dadurch sind viele Teilhauptschulen entstanden, die heute fast nicht mehr existenzfähig sind. Dafür ist nicht nur die Realschule Ursache, sondern Ursache sind auch die Bevölkerungsentwicklung und die alten Sünden, die ich gerade genannt habe.
Nun kurz zu den Anträgen der SPD: Der Antrag auf Drucksache 14/8421 will, dass ab der fünften Klasse in Form von Regionalschulen M-Züge gebildet werden sollen in der Hoffnung, dass damit die Hauptschule erhalten werden könnte. Wir sehen aber darin die Gefahr, dass die Hauptschule dadurch eher geschwächt wird. Wenn dadurch Schüler abgezogen würden, wäre das eine Konkurrenz zu den einzelnen Hauptschulen. Besser wäre es wohl, an den kleineren Hauptschulen bei den Kursangeboten zu bleiben und ab der neunten Klasse an größeren Schulen die Klassenform zu wählen. Nach unserer Meinung sollen ohnehin die Kommunen und der Landkreis selbst je nach den örtlichen Verhältnissen entscheiden? Das hängt wiederum stark von der Bewusstseinsbildung aller Beteiligten ab, von den Eltern, von der Schule oder der Wirtschaft.
Im Antrag auf Drucksache 14/8417 werden flächendeckende M-Angebote gefordert. Das geht, wie gesagt, an der Wirklichkeit vorbei. Derzeit sind in Bayern bereits 412 Hauptschulen mit M-Klassen ausgestattet. 116 Hauptschulen sind voll mit M-Klassen ausgestattet; das sind insgesamt über 1000 Klassen. 20 weitere Schulen waren dafür vorgesehen, aber hier sind die notwendigen Schülerzahlen nicht erreicht worden. Darüber hinaus gibt es 227 Kurse an 132 Standorten. In der Praxis stellt sich oft heraus, dass zwar die Politiker, vor allem die Kommunalpolitiker vor Ort, M-Angebote einführen wollen, aber die Schulleute dem entgegenhalten, dass dafür nicht die richtigen Schüler vorhanden sind und es besser wäre, die geeigneten Schüler an einzelnen Standorten
zusammenzufassen, um ein gutes Angebot zu gewährleisten. Generell werden Klassen einfach Kursen vorgezogen. Der Unterricht in Klassen ist, da er in allen Fächern gegeben wird, für das erhöhte Anforderungsniveau besser geeignet.
Im Antrag auf Drucksache 14/8420 wird die Ausweitung des Arbeitsweltbezugs an Hauptschulen gefordert. Wir alle wissen, dass das, was hier gefordert wird, schon in die Tat umgesetzt ist. Der Lehrplan sieht für das Fach Arbeitslehre handlungs- und projektbezogenen Unterricht vor, sieht eine Kooperation mit der Berufsberatung und der Arbeitsverwaltung vor sowie Betriebspraktika und Praxistage in Betrieben, Werkstätten und Bildungswerken; auch eine Kooperation von Schule und Wirtschaft ist vorgesehen. Die Lehrerbildung ist darauf ausgerichtet; ich sage das, weil dazu ein weiterer Antrag vorliegt.
Weiter wird gefordert, eine Klassenhöchststärke von 25 Schülern festzulegen. Es kommt aber nicht so sehr darauf an, ob eine Schulklasse 23, 25 oder 28 Kinder hat, sondern entscheidend ist, ob umfassende Stundentafeln, aus qualifizierten Lehrplänen erarbeitet, vorhanden sind, ob qualifizierte Lehrkräfte vorhanden sind und ob ein positives Lernklima besteht.
Auch die finanzielle Seite darf man nicht übersehen. Bei einem Durchschnitt von 25 Schülern wären 3800 neue Klassen zu bilden, was immerhin 110 Millionen Euro kosten würde.
Weiter wird gefordert, dass die Mindestzahl für die Klassenbildung bei 12 Schülern liegen soll. Wir wissen alle, dass die Stundentafel in der Hauptschule viele Differenzierungen vorsieht. Diese wären dann nicht mehr möglich. Möglicherweise würde nur noch ein Fach gewählt werden können. Von der Kostenfrage ganz zu schweigen.
Herr Egleder hat die Ganztagsschule angesprochen. Wir meinen, wir brauchen nicht die Ganztagsschule, sondern wir brauchen die Ganztagsbetreuung unserer Kinder. Wir brauchen den Tag über einen Rhythmus, der von Lernen, Üben und Erholen von kognitiven sowie von kreativen und musischen Teilen geprägt ist. Es wäre falsch, zu glauben, dass schulische Leistung, Erziehung und Bildung durch Ganztagsbeschulung allein erreicht würden. Der Rhythmus muss stimmen. Deshalb ist eine Ganztagsbetreuung mit schulischen Angeboten auch am Nachmittag notwendig. Wir muten den Schülern im Tagesrhythmus jetzt schon mehr zu als jedem Arbeitnehmer im Betrieb. Das sollte man nicht vergessen.
Mit der Ganztagsbetreuung wird in den nächsten Jahren schwerpunktmäßig an Brennpunkten begonnen. In einem Programm wird über fünf Jahre hinweg die Ganztagsbetreuung an 750 Schulen eingerichtet.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Narnhammer?
Ja, bitte.
Das Grundproblem bei der Definition ist, dass man versucht, die Ganztagsschule auf die Seite des Kultusministeriums zu schieben. Wir meinen aber, dass Ganztagsangebote Schule und Betreuung umfassen. Das heißt, beide Ressorts müssen zusammenarbeiten. Zum schulischen Unterricht muss in einem guten Rhythmus Sozialarbeit und die Betreuung in Erholungszeiten und Freizeiten hinzukommen. Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage beantwortet. Es sind zwei Ressorts, die hier ineinandergreifen müssen, was sie im Übrigen tun.
Ich komme zu den Praxisklassen. Die Praxisklassen in den Hauptschulen erfordern großes Engagement, denn Schüler, die den Bezug zur Schule an sich verloren haben, sollen zurückgeholt werden. Entscheidend ist dabei nicht allein die Ausrichtung auf Praxisteile im Unterricht, sondern der Bezug zur Arbeitswelt durch Praktika und Praxistage in jeder Woche. Nur so können eine positive Einstellung des Schülers zur Schule und eine positive Einstellung der Betriebe und der Betriebsleiter zum Schüler und damit die Eingliederung in die Berufs- und Arbeitswelt erreicht werden. In jedem Fall ist dabei eine sozialpädagogische Begleitung vonnöten. Auch das wird eingeführt.
Leider konnten die Praxisklassen nicht überall dort, wo sie notwendig gewesen wären, eingerichtet werden, aber das liegt nicht hauptsächlich an denen, die sie einrichten wollen, nämlich an der Politik, sondern es fehlt am Interesse.
Abschließend und zusammenfassend möchte ich feststellen, die Hauptschulreform ist an sich eine gute Chance für einen Großteil unserer Schüler, aber es ist Bewußtseinsbildung notwendig, nicht nur bei den Schülern, sondern ebenso bei den Eltern, bei den Lehrern und vor allem bei der Wirtschaft.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Münzel.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allen Bemühungen um Integration entsteht die grundsätzliche Frage, was man unter Integration versteht. So verhält es sich auch bei den vorliegenden Anträgen der SPD. Wird darunter ein Unterricht verstanden, bei dem die Schüler einer Klasse am gleichen Lernstoff arbeiten, aber in der Bewältigung des Stoffes Lernziele in verschiedenen Höhen möglich sind? Oder handelt es sich um einen Unterricht, bei dem die Schüler zwar räumlich im selben Zimmer anwesend sind, aber an völlig verschiedenen Lernstoffen arbeiten, was verschiedene Lernziele bedeutet? Das aber wollen wir nicht, denn es ist erwiesen, dass soziale Integration nur über einen gemeinsamen Unterricht wirklich stattfinden kann. Räumliche Anwesenheit allein in einer eigenen Betreuung führt zur Isolation.
In der Problemdarstellung des SPD-Entwurfs wird auf das Grundgesetz Bezug genommen und festgestellt, das Bayerische EUG verstoße gegen das Benachteiligungsverbot. Zu dieser Problemlage besteht seit Oktober 1997 eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Darin wird begründet, dass eine Benachteiligung durch öffentliche Gewalt gegeben sei kann, wenn der Ausschluss von der Regelschule nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird. Wann dies der Fall ist, wird regelmäßig von Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und prognostischen Einschätzungen abhängen. Der Staat ist grundsätzlich gehalten, für behinderte Kinder und Jugendliche schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen.
Zusammenfassend kann ich dazu sagen, dass sich aus dem Grundgesetz allein kein generelles Recht auf einen gemeinsamen Unterricht ableiten lässt. Allerdings darf auch nach dem Grundgesetz nicht generell getrennt werden. Aus der derzeitigen Situation heraus, dass immer mehr Kinder mit mehr oder weniger massivem sonderpädagogischem Förderbedarf zur Schule kommen, sind präventive Maßnahmen notwendig, um sie an der Regelschule halten zu können. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stehen Eltern, die ihr behindertes Kind in ihrem Sosein ohne Wenn und Aber annehmen und das auch von der Gesellschaft erwarten und dadurch die Beschulung an der Regelschule für notwendig erachten.
Wir haben dieses Problem seit 1996 bearbeitet und 1998 Beschlüsse gefasst, durch die mehr Flexibilität erreicht werden kann. Wir haben die Umsetzung in die Praxis drei Jahre lang beobachtet und wissen unterdessen, dass Änderungen im Bayerischen Unterrichts- und Erziehungsgesetz notwendig sind, um mehr Klarheit und Sicherheit in den Entscheidungen zu erreichen.
Die Formulierungen, die der Entwurf der SPD enthält, können wir aber nicht akzeptieren. Wir gehen bei integrativer Beschulung von einer aktiven Teilnahme des einzelnen Kindes am gemeinsamen Unterricht aus. Der Gesetzentwurf der SPD verfolgt dagegen das Ziel, allen Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Möglichkeit zu eröffnen, am Unterricht der allgemeinen Schulen teilzunehmen. Der Besuch der Förderschule
soll demnach nur auf Antrag erfolgen. Integration würde also nur noch das Beisammensein im gleichen Unterrichtsraum und in der gleichen Schule bedeuten. Integration würde aber auch bedeuten, dass Schüler mit starken Verhaltensauffälligkeiten gegen den Willen der Eltern nicht mehr in eine Förderschule überwiesen werden dürfen. Wenn die Eltern schon das Wahlrecht zwischen allgemeiner Schule und Förderschule haben sollen, ist es nicht mehr nachzuvollziehen, dass nach dem SPD-Entwurf noch die Entscheidung durch die Schulaufsichtsbehörde und die Bildung von Förderausschüssen erforderlich sein sollen.
Wenn die Vorstellungen der SPD durchgesetzt würden, müsste zweitens davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Kinder an den Förderschulen massiv zurückgeht. Dann aber wäre die Bildung von Schulsprengeln für Teilgebiete von Bezirken möglich, und dann könnte der Bezirk Sachaufwandsträger dieser Schulen werden. Dabei übersieht die SPD aber völlig, dass 90% der Eltern von behinderten Kindern über die bestehenden Einrichtungen froh sind und befürchten, dass durch die Integrationsbemühungen wohnortnahe Förderschulen in Gefahr geraten oder zumindest in der personellen und sachlichen Ausstattung Einbußen erleiden könnten. Auf jeden Fall ist zu erwarten, dass durch eine Regelung auf Bezirksebene viel längere Schulwege entstehen. Vor allem würden wir gegen den Willen der Eltern handeln.
Zur pädagogischen Problematik wird auch noch die Pisa-Studie herangezogen. Es ist richtig, dass die skandinavischen Länder im Hinblick auf die Förderung lernschwacher Kinder bessere Ergebnisse haben. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass bei der Pisa-Studie bayerische lernschwache Schüler überhaupt nicht getestet wurden. Zudem erfolgte der Pisa-Test deutschlandweit, und in Deutschland gibt es in vielen Ländern eine integrative Beschulung an allgemeinen Schulen, sodass gerade darauf die schwachen Ergebnisse zurückzuführen sind.
Einen Satz noch. Letztendlich ist daraus schon zu ersehen, dass nicht die integrative Beschulung zu besseren Ergebnissen bei der Pisa-Studie führen würde, sondern dass ganz andere Voraussetzungen erfüllt sein müssen.
Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Sie heute etwas mit sonderpädagogischer Fachsprache belasten, aber das ist wohl nötig, weil doch durch manche Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft die Sonderpädagogik eine immer größere Bedeutung gewonnen hat.
Es ist nicht so, dass wir von der CSU mit der Integration auf Kriegsfuß stehen, und wir haben auch nicht Schritte verhindert, sondern wir meinen, dass die Schritte in die richtige Richtung gehen sollen.
Die vorliegenden Anträge der SPD laufen unter dem Obertitel „Aufbruch zur zieldifferenten Integration“. Aufbruch? Ich meine, wir müssen in diesem Bereich nicht aufbrechen; wir sind eigentlich schon eine geraume Zeit auf dem Weg, und unsere jetzige Aufgabe ist es, den richtigen Weg im Auge zu behalten und sich vor allem über das Ziel des Weges im Klaren zu sein.
Was wir seit etwa 1995 in Bewegung gesetzt haben, ist viel. Auf jeden Fall haben wir neben der beispielhaften Ausgliederung des Förderschulsystems hier in Bayern und der damit verbundenen speziellen Förderung je nach Behinderungsart zudem vielerlei Möglichkeiten der
integrativen Beschulung behinderter, gestörter und bedrohter Kinder eröffnet.
Im Juli 1998 haben wir dann ein ganzes Paket von Beschlüssen verabschiedet, durch die unsere Intentionen in die Praxis umgesetzt werden sollen. Wir haben die ersten Ergebnisse dieser flexiblen Beschulung behinderter Kinder abgewartet und sind jetzt dabei, diese Ergebnisse zu verwerten. Das ist mit ein Grund dafür, warum wir nach der Anhörung vor gut einem Jahr nicht sofort gehandelt haben:
weil eben diese Ergebnisse aus der Praxis noch nicht so vorlagen.
Jetzt ist es an der Zeit, die entsprechenden Artikel des EUG zu durchleuchten und eventuell Änderungen vorzunehmen.
Allerdings muss dabei klar festgehalten werden, was zieldifferente Integration bedeuten soll, und das ist nämlich genau das Problem. Wir meinen – wir wissen, was wir meinen –, wenn behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam in einer Klasse unterrichtet werden, dann sollen sie an den gleichen Lerninhalten arbeiten. Es können und müssen diese Lerninhalte aber nicht in gleicher Höhe zur gleichen Zeit in gleicher Schnelligkeit erreicht werden. So ist es übrigens in jeder Schulklasse.
Unter erfolgreichem Lernen verstehen wir, dass das Kind in der Lage ist, sich aktiv am Unterricht der Klasse zu beteiligen, dass es dem Unterricht folgen kann. Das Kind soll also nicht nur im Raum anwesend sein. Nach unseren Vorstellungen soll aber nicht in einer Klasse an verschiedenen Lerninhalten nach verschiedenen Lehrplänen unter Aufgliederung in verschiedene Gruppen Unterricht erteilt werden. Damit ist ein Modell mit zwei oder drei Lehrern gemeint, bei dem verschiedene Gruppen ein Eigenleben führen.
Ich möchte auch begründen, warum wir dagegen sind: Sie sind dann untereinander sozial isoliert. Ziel wäre aber gerade die soziale Integration durch gemeinsamen Unterricht.
Hier behält die Ideologie die Oberhand über das Wohl des Kindes.
Ich stelle das hier deutlich fest, weil letzte Woche am Runden Tisch unserer Behindertenbeauftragten, Frau Stein, gerade in diese Richtung diskutiert wurde und unter Integration durch zieldifferenten Unterricht solche Modelle angedacht wurden.
Es wird auch so gern von Diskriminierung gesprochen. Dabei werden das Grundgesetz, die Bayerische Verfas
sung und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Dabei sagt das Urteil eindeutig, es ist in jedem Fall zunächst zu prüfen, ob der festgestellte sonderpädagogische Förderbedarf an der allgemeinen Schule unter deren Rahmenbedingungen und mit Unterstützung durch mobile sonderpädagogische Dienste gedeckt werden könne. Erst wenn diese Fördermaßnahmen an der allgemeinen Schule nicht durchführbar seien, so sei an eine Förderschule zu überweisen.
Das ist in den Beschlüssen vom Juli 1998 berücksichtigt. Überhaupt ist nahezu alles, was in den heute vorliegenden Anträgen der SPD eingefordert wird, 1998 angegangen und durch Beschlüsse geregelt worden.
Nun zu den einzelnen Anträgen. Zur Drucksache 14/4903, „Zielsetzung von Begutachtungsverfahren“.
Dieser Antrag läuft ins Leere. Die dort verfolgten Ziele sind schon festgelegt und werden fachlich berücksichtigt. Der Umsetzungsprozess findet statt. Wir gehen von einem ganzheitlichen Ansatz aus. Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs wird nicht defizitorientiert durchgeführt. Vielmehr soll er im Zusammenhang mit den Kräften und Stärken der Person, den Lebensumständen und der sozialen Grunderfahrungen gesehen werden. Er hängt aber auch von den Aufgaben, den Anforderungen und den Fördermöglichkeiten der jeweiligen Schule ab. Der Förderplan wird auf der Basis einer Analyse der Person und des Umfeldes erstellt. Dabei geht es nicht um Aussonderung, sondern um die Integration des Kindes in die individuell richtige Schullaufbahn auf der Grundlage einer umfangreichen Diagnostik und Beratung. So wurde es jedenfalls im Jahre 1998 beschlossen.
Nun zum Antrag auf Drucksache 14/4905, mit dem Förderausschüsse für Grundschulen gefordert werden. In diesem Antrag wird erklärt, die Eltern würden ausgesperrt und vor vollendete Tatsachen gestellt. In schwierigen Fällen sollte in einer Gemeinschaftsleistung entschieden werden. Auch hier ist die Hausaufgabe bereits erledigt. In den Beschlüssen von 1998 ist festgelegt, dass alle an der Entscheidung Beteiligten – also die Fachärzte, die schulpsychologischen Dienste, die Schulbehörden, die aufnehmende Schule und vor allem die Eltern selbst – sich zusammensetzen und einen intensiven Beratungsprozess durchführen. Dabei ist entscheidend, dass eine bedarfsorientierte Gruppe aus dem Umfeld des Kindes gebildet wird, nicht eine schwerfällige Institution.
Dies ist der einzige Unterschied zum SPD-Antrag. Dieser Unterschied ist aber entscheidend.
Nun zum Antrag auf Drucksache 14/4906, mit dem erweiterte Aufgaben und die Ausstattung der mobilen sonderpädagogischen Dienste gefordert wird. Dieser Antrag umfasst fünf Punkte:
Erstens. Die MSD sollen für zieldifferenten Unterricht eingesetzt werden. Wenn dabei unter dem Begriff „Zieldifferenz“ das verstanden wird, was ich soeben dargelegt habe, wäre dies abzulehnen.
Zweitens. Der Ausbau der MSD ohne eine Reduzierung der Lehrerstunden an den Förderschulen. Dieser Ausbau wird ständig fortgesetzt. Seit 1995 sind aus 2600 Lehrerstunden 7700 geworden. Das entspricht in etwa 300 vollzeitbeschäftigten Lehrern. Die mobilen sonderpädagogischen Dienste sind in jedem Jahr aufgestockt worden. Bei Personalnot mobile sonderpädagogische Dienste an der Förderschule abzuziehen und mobile Dienste stillzulegen, entspricht nicht unserer Intention. Deshalb haben wir das Aktionsprogramm „Förderschulen“ eingebracht.
Drittens. Die mobilen sonderpädagogischen Dienste sollen den allgemeinen Schulen angegliedert werden. Wir meinen, Lehrer im mobilen Dienst sollen weiterhin zum Teil in der Sonderschule unterrichten, damit sie für die pädagogischen Belange beider Schularten sensibel bleiben. Wegen des Ziels der gegenseitigen Kommunikation und Kooperation muss die jetzige Regelung beibehalten werden; denn wir wollen das gegliederte System.
Viertens. Die MSD sollen deutlich aufgestockt werden. In den Beschlüssen aus dem Jahr 1998 ist ausgeführt: „Der weitere Ausbau der MSD ist ein wesentlicher Teil der Prävention und Integration.“ So haben wir es beschlossen. Die vorher genannten Zahlen beweisen, dass wir diesen Beschluss auch umsetzen.
Fünftens. Mobile Dienste brauchen externe und interne Fortbildung. Seit Jahren finden für die MSD auf allen Ebenen Fortbildungsmaßnahmen statt. Neben schulinternen Angeboten werden auch zentrale Angebote gemacht, vor allem in Dillingen.
Im Antrag auf Drucksache 14/4907 wird die Berücksichtigung von außerschulischen Gutachten gefordert. In diesem Antrag ist ausgeführt, dass oft ein wesentlicher Unterschied zwischen den schulischen Gutachten und den von außerschulischen Fachleuten erstellten Gutachten bestehe. Es müsse die Möglichkeit gegeben werden, auch solche Gutachten einzubringen und zu berücksichtigen. Dazu ist zu sagen, dass es durchaus üblich ist, dass Eltern außerschulische Gutachten einbringen, weil die Erziehungsberechtigten durch die Beschlüsse aus dem Jahre 1998 in die Findung des richtigen Förderortes für das einzelne Kind eingebunden werden. Dies schließt auch ein, dass die Eltern in ihrem Auftrag erstellte Gutachten vorlegen. Allerdings ginge es zu weit, wenn von Haus aus verlangt würde, dass diese Gutachten berücksichtigt werden müssten. Den Fachgremien muss es nämlich möglich sein, in sorgsamer Abwägung den richtigen Weg zu finden.
Wenn ich an die Eingabenbehandlungen in unserem Ausschuss denke, stelle ich fest, dass es schon längst Praxis ist, dass wir Gutachten verschiedener Art einbeziehen, um Entscheidungssicherheit zu erlangen.
Mit dem Antrag auf Drucksache 14/4908 wird die Integration pädagogischer Aus– und Fortbildung aller Lehr
ämter gefordert. Ich darf dazu den Punkt 10 der Beschlüsse aus dem Jahre 1998 zitieren:
Lehrer müssen im Rahmen ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung dazu in die Lage versetzt werden, Auffälligkeiten der Lern- und Leistungsentwicklung sowie des Erlebens und Verhaltens zu erkennen, die auf eine Behinderung oder drohende Behinderung hinweisen. In diesem Zusammenhang muss die Lehrerbildung im Studium, im Vorbereitungsdienst und in der Fortbildung den Bedürfnissen der schulischen Praxis angepaßt werden.
Deutlicher kann man es nicht sagen. Das Lehrerbildungsgesetz regelt die Förderung von Schülern mit besonderen Lern- und Erziehungsvoraussetzungen, mit sozialen Konflikten, mit Lern- und Leistungsstörungen sowie mit Störungen im Sozialverhalten und in der Persönlichkeitsentwicklung. Im umfangreichen Paket des neuen Lehrerbildungsgesetzes soll der Lehrer befähigt werden, auf diese Probleme einzugehen. Dazu gehören entwicklungspsychologische und pädagogische Beobachtungs- und Erstdiagnosekompetenz. Für das Erkennen der Hilfsbedürftigkeit eines Schülers ist jedoch die Sensibilität des einzelnen Lehrers entscheidend. Es wäre auf keinen Fall sinnvoll, einen Universallehrer mit einer Kompetenz für alle Fachrichtungen anzustreben. Dies wäre praktisch nicht umzusetzen.
Abschließend möchte ich Folgendes feststellen: Veranstaltungen mit Betroffenen wie zum Beispiel unsere Klausurtagung im Mai dieses Jahres haben deutlich gezeigt, dass die Beschlüsse aus dem Jahre 1998 einen Grundstock bilden, der alle Teilbereiche der Integration und der Sonderpädagogik umfasst. Auf dieser Grundlage kann weiter gearbeitet werden. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass in der Ausführung und in der Umsetzung der Beschlüsse noch Probleme bestehen. Die Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung in den Schulverwaltungen muss noch vertieft werden. Die Erfahrungen haben aber auch gezeigt, dass die gesetzlichen Formulierungen überprüft werden müssen. Für unsere Bemühungen zur Integration brauchen wir unzweideutige gesetzliche Formulierungen. Die Erfahrungen haben schließlich gezeigt, dass Integration nur gelingen kann, wenn die räumlichen und personellen Ressourcen dem jeweiligen Anspruch angepaßt werden. Das Gelingen der Integration darf nicht von der Ableistung einer gewaltigen Mehrarbeit abhängig gemacht werden. Ich stelle aber ausdrücklich fest, dass der Förderschulbereich in den letzten Jahren verstärkt bei der Verteilung der Ressourcen bedacht worden ist.
Ich schlage allen in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien vor, die letztgenannten Probleme gemeinsam anzugehen; denn dann können wir endgültig das umsetzen, was wir in den letzten Jahren mit den Beschlüssen aus dem Jahre 1998 begonnen haben. Die Anträge der SPD sind überflüssig, da in den Beschlüssen aus dem Jahre 1998 das Thema umfassend behandelt ist. Wir lehnen deshalb die Anträge der SPD ab.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Vorschlag der SPD-Landtagsfraktion lautet das Thema der heutigen Aktuellen Stunde: Bayerns Schulen brauchen Hilfe – Handeln statt Ankündigen.
Das ist ein gutes Thema für die CSU-Fraktion und die Bildungspolitiker in meiner Fraktion. Man kann manches zurechtrücken, was gerade behauptet wurde. Dieses Thema gibt uns auch Gelegenheit, auf unser Handeln in den letzten beiden Wahlperioden einzugehen. Ich werde versuchen, dieses Handeln anhand der Entwicklung der
Förderschulen kurz darzustellen. Das sind Tatsachen und keine Sonntagsreden.
Die Förderung dieser Schulart hat seit 1990 um 47% zugenommen. Wenn man bedenkt, dass die Schülerzahlen in allen Schularten insgesamt um 14,5% gestiegen sind, so ist das eine Steigerung, die weit über den Durchschnitt hinausgeht. Wir haben seit 1995 bei der Schaffung neuer Planstellen den Anstieg im Förderschulbereich immer entsprechend berücksichtigt. Einige Zahlen: 1995 45 Planstellen, das sind 60% der Planstellen für die Förderschulen, 1996 130 Planstellen, 16%, 1997 133 Planstellen, 1998 100 Zweidrittelstellen, 20%, 1999 105 Zweidrittelstellen, 21% und im Jahr 2000 60 Stellen, 12%.
An diesen Prozentzahlen sieht man übrigens auch, dass in den anderen Schularten massiv Planstellen dazugekommen sind.
Ich nenne noch eine Zahl, die bezeugt, dass wir handeln: Im Jahr 2000 sind 1,211 Milliarden DM für die Förderschulen im Staatshaushalt angesetzt. Das sind nahezu 9% der Gesamtausgaben für rund 6% der Kinder und Jugendlichen im Schulbereich.
Die Ausgaben sind aber auch notwendig, denn der massive Anstieg der gestörten, gefährdeten und von Behinderung bedrohter Kinder hat uns mit Sorge erfüllt. Wir haben gehandelt. Mit der Einführung und der Stärkung der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste präventive Maßnahmen ergriffen. Diese Sonderschullehrer, die an Regelschulen arbeiten, dort diagnostisch betreuend und beratend tätig sind, tragen dazu bei, dass viele Kinder an den Regelschulen aufgefangen werden und dort verbleiben können. Derzeit sind es 300 Sonderschullehrer mit 7700 Stunden, die dort arbeiten. Das Konzept soll noch weiter ausgebaut werden.
Trotz dieser vielen Maßnahmen stellt sich die Situation nicht mehr so günstig dar, wie im Jahr 1990. Es ist zu Engpässen im Förderschulbereich gekommen.
Wir haben noch einmal gehandelt: Mit dem zusätzlichen Aktionsprogramm „Förderschule“ für den Haushalt 2001/2002 und den Haushalt 2002/2003 werden noch einmal 26,3 Millionen DM bereitgestellt. In den nächsten beiden Jahren sollen noch 163 Sonderschullehrer zusätzlich eingestellt werden. Das sind übrigens alle vorhandenen Sonderschullehrer. Damit werden die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste ausgeweitet, wird die mobile Reserve aufgestockt und die schrittweise Verbesserung der Versorgungssituation in den Schulen selbst angegangen. Allmählich zurückgehende Schülerzahl werden diese Aufgabe etwas erleichtern.
Noch ein Thema: In Bayern wurde in den letzten 30 Jahren ein hervorragendes Förderschulsystem aufgebaut. Dieses System berücksichtigt alle Behinderungsarten und gibt jedem Kind eine Chance zur bestmöglichen Förderung.
Es entstand eine Gegenbewegung. Es gibt Eltern, die ihr behindertes Kind ohne Wenn und Aber so annehmen, wie es ist. Sie erwarten, dass das auch die Gesellschaft tut und ihr Kind schulisch integriert wird. Wir haben auch dieses Thema besetzt. Nach einer langen Phase der Vorbereitung haben wir im Juli 1998 Beschlüsse gefasst, die der Einschulung behinderter Kinder flexible Möglichkeiten eröffnen. Die Umsetzung in die Praxis ist oft nicht einfach. Bewusstseinsbildung ist immer noch auf allen Seiten notwendig. Manchen hier im Haus gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Aus diesem Grunde haben wir vor ungefähr einem Jahr eine Anhörung zum Thema Integration veranstaltet. Wir haben versucht, die Erkenntnisse daraus nicht vorschnell umzusetzen, sondern wir haben zudem die Ergebnisse aus der Umsetzung der Beschlüsse aus dem Jahr 1998 abwarten und verwerten wollen.
Bei einer zweitägigen Klausurtagung in der vorletzten Woche in Wildbad Kreuth ist das geschehen. So, wie wir 1998 gehandelt haben, werden wir auch jetzt handeln. Wir werden die Problematik der Erreichung der Lernziele anders fassen. Wir meinen, dass ein Kind nicht nur körperlich in einer Schulklasse anwesend sein soll, sondern dass es erfolgreich lernen soll, das heißt, aktiv handelnd am Unterricht teilnehmen soll. Es soll ein gemeinsamer Unterricht stattfinden. Wir werden auch die strenge Aufrechnung von zusätzlichen Förderstunden für behinderte Kinder an Regelschulen hinterfragen, wir werden auch die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste konzeptionell überarbeiten, um sie noch attraktiver und effektiver zu machen. Wir müssen das Dilemma überwinden, dass die Regelschulen allmählich leerer werden und die Förderschulen immer voller. Ich meine, dass wir auch weiterhin handeln und das umsetzen, was wir ankündigen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich heute in der Debatte über den Entwurf für den Einzelplan 05 über das Förderschulwesen sprechen kann, möchte ich die Gelegenheit nutzen zu danken. Ich danke dafür, dass ein kleiner, aber schwieriger Teil der Schullandschaft, der eher an deren Rand liegt, hier im Parlament stets hohe Beachtung findet. Ich danke auch dafür, dass die Staatsregierung bemüht ist, die Vorstellungen des Parlaments in die Praxis umzusetzen. Was die Förderschulen angeht, ist in den letzten Jahren viel geschehen. Eigentlich sind wir mit unseren Bemühungen auf einem guten Weg. Doch weil in der
letzten Zeit Irritationen im Lande aufgekommen sind, erlaube ich mir einige grundsätzliche Ausführungen.
Nach langer Vorarbeit haben wir durch unsere Beschlüsse im Juli 1998 erreicht, dass die sonderpädagogische Förderung im bayerischen Schulwesen neue Flexibilität erlangt hat. Es gilt nicht mehr das Entwederoder, also Regelschule oder Förderschule, sondern ein Sowohl-alsauch: Regelschule und Förderschule sind zur verstärkten Kooperation aufgerufen. Der Förderort kann völlig individuell gewählt werden. Bei der Einschulung wird zuerst der sonderpädagogische Förderbedarf des einzelnen Kindes ermittelt. Dann ist der richtige Förderort auszuwählen; die Eltern werden zur Beratung und zur Entscheidung hinzugezogen. Dieser Ansatz berücksichtigt die Vorstellungen verantwortungsbewusster Eltern, hat aber vor allem das Wohl des einzelnen Kindes im Auge.
Wir meinen, ein Kind soll in der Schule, die es besucht, erfolgreich lernen. In einer Schulklasse erfolgreich zu lernen, das bedeutet unserer Meinung nach, dass das Kind aktiv am Unterrichtsgeschehen teilnimmt, dass es in das Unterrichtsgeschehen eingebunden ist. Das hat nichts mit dem Erreichen gleicher Lernziele zur gleichen Zeit zu tun. Allerdings bedeutet nach unserer Auffassung nicht schon die bloße Anwesenheit in einer Klasse soziales Lernen.
Ich komme zu einem weiteren Schwerpunkt unserer Förderschularbeit: Wir versuchen mit starkem Einsatz, Integration durch Prävention zu erreichen. Dazu haben wir in den letzten Jahren die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste ständig aufgestockt. Allein schon die steigenden Schülerzahlen, vor allem aber der dramatische Anstieg der Zahl von Kindern, die gefährdet, verstört oder von Behinderung bedroht sind und in die Schule kommen, verlangen wirksame Maßnahmen. Negative gesellschaftliche Entwicklungen schlagen hier massiv durch. Es wäre nicht sinnvoll, 15 bis 20% der Schüler an Förderschulen zu überweisen – neue Schulhäuser müssten gebaut werden –, während in Regelschulen Räume leer stehen; mit einer wohnortnahen integrativen Beschulung hätte derlei nichts zu tun.
Deshalb wird versucht, diese Kinder durch den Einsatz der mobilen Dienste – hierbei handelt es sich um Sonderschullehrer, die an Regelschulen die Betreuung problematischer Kinder mit übernehmen – gleichsam aufzufangen und ihnen den Verbleib an der Regelschule zu ermöglichen. So ist die Besetzung dieser Dienste von 102 Stellen im Schuljahr 1995/1996 auf 287 Stellen im laufenden Schuljahr aufgestockt worden. Dies entspricht einer Steigerung um 181%. Wir müssen uns allerdings darüber im Klaren sein, dass die Anstrengungen auf diesem Gebiet noch verstärkt werden müssen, wenn ein effizienter Einsatz dieser Dienste auf Dauer gewährleistet werden soll. Noch etwas muss klargestellt werden: Mobile Dienste sind an Förderschulen installiert und betreuen von dort aus die Regelschulen. Diese Betreuung muss das ganze Jahr über garantiert sein. Die Stellen müssen das ganze Jahr über besetzt bleiben. Die entsprechenden Lehrer dürfen nicht bei Engpässen in der Unterrichtsversorgung abgezogen werden.
Ich möchte nicht verhehlen, dass die Situation an den Förderschulen zurzeit nicht einfach ist. Obwohl die Förderschulen über Jahre hinweg bei der Personalzuweisung bevorzugt wurden, stehen wir im Vergleich zu den anderen deutschen Ländern nicht gut da, was die Zahl der Schüler pro Klasse, die Zahl der Schüler je Lehrer und die Zahl der Unterrichtsstunden je Schüler anbelangt. Der deutliche Anstieg der Zahl der zu betreuenden Schüler hat zu dieser ungünstigen Situation geführt. Wir lassen keinen schwächeren Schüler einfach ohne Betreuung in der Regelschule. So stehen die Schulleiter oftmals vor dem Problem, dass sie vom Stundenbudget her große Klassen in Kauf nehmen müssen, wenn sie noch Möglichkeiten der Differenzierung im Unterricht gewährleisten wollen. Die Aufgliederung des Unterrichts durch Differenzierung ist in den Förderschulen sehr wichtig. Es entspricht aber nicht der Wirklichkeit, wenn von einem Notstand die Rede ist, der den Unterricht an den Förderschulen in Frage stellen würde. Engpässe sind aber durchaus möglich, wenn beispielsweise verstärkt Krankheitsfälle beim Lehrpersonal auftreten.
Ich glaube, man sollte als Beleg für die Anstrengungen des bayerischen Staates zugunsten der Förderschulen einfach die entsprechenden Zahlen nennen. Die Kinder und Jugendlichen in den Förderschulen machen zirka 5% der Schülerschaft aus. Im laufenden Haushalt werden 1,9 Milliarden DM für sie ausgegeben. Das entspricht 8,9% der Ausgaben im Haushalt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Es trifft zu, dass die gezielte Förderung und Betreuung der Kinder in Fördereinrichtungen mit einem gewissen Mehraufwand verbunden ist. Es ist gut zu wissen, dass diese zusätzlichen Mittel tatsächlich aufgewendet werden. Andere Schularten jedenfalls müssen mit viel weniger leben. So müssen die 6,2% der Schülerschaft, die die viel diskutierten Realschulen besuchen, mit 839 Millionen DM auskommen.
Das schon erwähnte „Aktionsprogramm Förderschulen“ ist ein weiterer Schritt, um Engpässen in der Unterrichtsgestaltung, im Einsatz von mobilen Diensten und in der mobilen Reserve abzuhelfen. So werden von September 2000 bis zum Jahre 2002 insgesamt 204 Stellen geschaffen werden. Zusätzlich ist die Einführung des Arbeitszeitkontos an Förderschulen ab dem Jahr 2001 geplant. Gerade diese Maßnahme wird beachtliche Zuwächse bringen.
Schulen zur individuellen Lebensbewältigung klagen über Kürzungen bei den Pflegekräften. An sich handelt es sich hierbei nicht um direkte Kürzungen. Aber die Erhöhung der Schülerzahl und eine veränderte Schülerschaft bringen Schwierigkeiten. So hat man es mit immer mehr Kindern aus anderen Ländern zu tun, die noch nie eine Schule gesehen haben. Pflegekräfte sind aber nötig, um den Unterricht an solchen Schulen kindgerecht gestalten zu können. Seit einiger Zeit gibt es eine Auseinandersetzung über die Zuständigkeit für die Pflege im Unterrichtsgeschehen. Das Kultusministerium argumentiert, eigentlich seien dafür Einrichtungen gemäß BSHG und die Pflegekassen zuständig; wenn das Land 760 Vollzeitkräfte finanziere, geschehe dies auf freiwilliger Basis, nämlich aufgrund einer Kannbestimmung. Wir sollten versuchen, hier bald Klarheit zu schaffen, damit
auch in Zukunft schwerbehinderte Kinder die Hilfe bekommen, die ein erfülltes Leben gewährleistet. An dieser Stelle möchte ich deutlich herausstellen: Es entspricht nicht der Wahrheit, wenn angenommen wird, dass wegen der Integrationsbeschlüsse der letzen Jahre die Ressourcen für die Förderschulen gekürzt würden und die Versorgung der integrativ geschulten Kinder auf Kosten des Förderschulwesens erfolgte.
Dass gemäß dem „Aktionsprogramm Förderschulen“ die Mittel für den privaten Schulbau im Jahre 2001 um 7,7 Millionen DM und im Jahre 2002 um 5,5 Millionen aufgestockt werden sollen, ist ein deutliches Zeichen. Denn gerade in puncto Förderung leisten private Einrichtungen sehr viel.
Damit wird deutlich, dass der Ausbau und Erhalt eines leistungsfähigen Förderschulsystems weiterhin unser Ziel ist.
Ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg sonderpädagogischen Bemühens ist letztendlich, inwieweit ein Kind an ein selbst bestimmtes Leben herangeführt und eine berufliche Eingliederung bestmöglich gefördert werden können. Wir haben in der Folge der Einführung der Praxisklassen in der Regelschule in diesem Jahr zusätzliche Möglichkeiten des Praxisbezugs für Schulabgänger in den Förderschulen geschaffen. Auch Förderschüler sollen in Zukunft verstärkt Betriebspraktika besuchen. Sie können auch den wöchentlichen Praxistag annehmen, um durch den Praxisbezug in der Berufsfindung gegenüber den Schülern der Praxisklassen in den Hauptschulen nicht benachteiligt zu werden. Für die berufliche Eingliederung leisten auch die Sonderberufsschulen eine wichtige Arbeit. Hier ist es zu Personalengpässen gekommen. Aber auch hier wird durch das „Aktionsprogramm Förderschulen“ ein Zeichen gesetzt. Durch die Umschichtung von Mitteln werden 48 Stellen für Lehrer an Berufsschulen für Behinderte geschaffen.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir haben in Bayern ein Förderschulsystem mit vielen Gliedern, das immer wieder ausgeformt wurde und mit dem 90% der Eltern zufrieden sind. Daneben haben wir die Möglichkeit der integrativen Beschulung geschaffen. Ein behindertes Kind kann je nach Höhe des sonderpädagogischen Förderbedarfs an einer Regelschule, an einer Außenklasse der Förderschule, an einer Diagnose- und Förderklasse oder an einer Klasse der Förderschule unterrichtet werden. Wir wollen keine Billigintegration. Wir haben in Bayern ein hohes Leistungsniveau an den Grund- und Hauptschulen, was sicher manchmal schwächeren Schülern zu schaffen machen kann. Aber wir gehen jetzt in eine neue Lehrerbildung, die für die Lehrer an Regelschulen sonderpädagogische Ausbildungsinhalte bringen wird, um der veränderten Schülerschaft gerecht werden zu können. Wir sollen auf dieses Förderschulwesen und seine Vielfalt stolz sein und vor allem versuchen, in einer Zeit, in der die Schülerzahlen zurückgehen werden, im Förderschulwesen die gewonnen Positionen zu halten und den Besitzstand zu wahren, um dann die Arbeit im Förderschulbereich noch integrativer, individueller und innovativer zu gestalten.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schneider.