Protokoll der Sitzung vom 20.01.2011

Noch einmal vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie mir die Entscheidung abgenommen haben. Ich hatte erwartet, insbe

sondere von der CDU Dresche zu kriegen, wenn ich in das Maßnahmenpaket hineinschreibe: Wir wollen eine legislaturmäßige Berichterstattung. - Unter dem Aspekt des Bürokratieabbaus ist das natürlich so zu sehen.

Wir werden das Anliegen also gern aufnehmen. - Schönen Dank für die Initiative!

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort.

(Frau Schulz-Höpfner [CDU]: Ich verzichte!)

- Alle sind nett heute - der Tag der netten „diesigen“ Fraktionen.

Wir kommen demzufolge zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/2661, eingereicht durch die Fraktion der CDU, „Bericht ,Familienfreundliche Verwaltung‘ als Bestandteil des Programms Familienfreundliches Brandenburg“. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Sehe ich nicht. Enthaltungen? - Kann ich auch nicht erkennen. Demzufolge ist einem CDU-Antrag einstimmig gefolgt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Leiharbeit begrenzen und sozial fair gestalten

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/2667

Eröffnet wird die Aussprache von der Abgeordneten Wöllert von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Leiharbeit begrenzen und sozial fair gestalten“ - das ist der Titel unseres Antrages. Dieser Antrag hat einen guten Grund.

Leiharbeit hat in den letzten Jahren immer stärker Verbreitung gefunden. Sie gilt, wenn man sie überhaupt als Branche bezeichnen kann, als eine der Wachstumsbranchen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl bundesweit verdreifacht. Im Jahr 2008 waren es 800 000 Beschäftigte, im Oktober 2010 waren es bereits 923 000 Beschäftigte. Die Institute gehen davon aus, dass zum Jahresanfang 2011 die Millionengrenze bereits überschritten ist.

Man könnte denken, das sind gute Nachrichten. Es sind aber keine guten Nachrichten, denn es ist gleichzeitig die Branche, in der es die größte Anzahl von Menschen in prekärer Beschäftigung gibt, die von ihrer Hände oder ihres Kopfes Arbeit nicht leben können, obwohl sie täglich acht Stunden tätig sind, und das oftmals in schwerer Arbeit.

Es handelt sich vor allem um keine neuen oder zusätzlichen Arbeitsplätze, sondern um die Ersetzung gut bezahlter Arbeit durch schlecht bezahlte Arbeit. Genau das ist die Tendenz, die wir aufhalten müssen. Deshalb haben wir heute hier diesen Antrag vorgelegt, denn auch die Menschen bei uns im Land Brandenburg sind betroffen. Nicht wenige dieser Menschen, die in Leiharbeitsfirmen beschäftigt sind, benötigen staatliche Transferleistungen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Das ist angesichts des Wirtschaftswachstums eher ein Skandal. Deshalb müssen die politischen Rahmenbedingungen anders gesetzt werden. Dazu wollen wir hier einen Beitrag leisten.

(Beifall DIE LINKE)

Solche Niedriglöhne, die über Leiharbeitsfirmen zum Standard gemacht werden, gibt es im Übrigen inzwischen in fast allen Bereichen. Das betrifft den Handel genauso wie den sozialen Bereich, den Pflegebereich und die Industrie, nach jüngsten Veröffentlichungen sogar einen großen Wohlfahrtsverband.

Leiharbeit bedeutet aber auch, dass das viel gepriesene unternehmerische Risiko zu einem guten Teil auf die Beschäftigten verlagert wird. Der Sinn von Leiharbeit, nämlich das Abfangen kurzfristiger, zusätzlicher Beschäftigungsbedarfe, zum Beispiel Auftragsspitzen, hat sich völlig verkehrt zum Instrument der Tarifflucht und des Lohndumpings. Etwa jeder neunte Leiharbeitnehmer ist ergänzend auf Hartz IV angewiesen. Das habe ich vorhin schon gesagt.

Wie prekär diese Beschäftigungsverhältnisse sind, hat übrigens die Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt. In diesem Zeitraum ist die Zahl der Beschäftigten in der Leiharbeit um ein Drittel zurückgegangen. Das waren die Menschen, die zuerst entlassen wurden. Die Entwicklung in Richtung Deregulierung und Flexibilisierung ist politisch nicht erst von der jetzigen Bundesregierung eingeleitet worden, sondern schon unter Rot-Grün. Angesichts der beschriebenen Erfahrungen muss inzwischen aber allen klar sein: Leiharbeit muss begrenzt und sozial gerecht reguliert werden.

Was wir als Brandenburger Koalition darunter verstehen, ist im vorliegenden Antrag aufgezählt. Das möchte ich hier nicht alles vorlesen. Inzwischen gibt es für die nordwestdeutsche Stahlindustrie einen Tarifvertrag mit einer sogenannten Fairnessgarantie für Leiharbeiter. Das heißt: Beachtung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Wir halten es darüber hinaus für erforderlich, dies auch in geltendes Recht umzusetzen. Die Bundesregierung will nun unter dem Druck der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger und Bürgerinnen der neuen EU-Staaten sozusagen auf den letzten Drücker etwas regeln. Sie hatte als Konsequenz auf das Urteil im Fall Schlecker, wo die Beschäftigten in eine unternehmenseigene Leiharbeitsfirma mit deutlich niedrigeren Löhnen gezwungen wurden, zugesagt, neue gesetzliche Regelungen zu finden. Insgesamt sind die Vorschläge bisher aber sehr bescheiden ausgefallen. Ich kann deshalb nur hoffen, dass mehr Druck im Sinne der Beschäftigten gemacht wird, zum Beispiel vom DGB in Form eines Aktionstages am 24. Februar, aber auch von den Ländern. Dumpinglöhne und Zweiklassenbelegschaften müssen endgültig der Vergangenheit angehören. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Wir kommen zum Beitrag der CDU-Fraktion. Die Abgeordnete Schier erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Oktober 2007 gab es schon einmal einen Antrag der Fraktion DIE LINKE, der damals hieß „Leiharbeit sozial gerecht regulieren“. Dass Frau Wöllert jetzt in ihrem Redebeitrag aufgegangen ist, verstehe ich. Ich möchte aber, gerichtet an die SPDFraktion, zwei Zitate zu eben diesem Antrag bringen. Frau Dr. Schröder sagte damals:

„Ich denke, ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Thema wird auf Bundesebene praktiziert. Wir brauchen uns mit diesem aus meiner Sicht überflüssigen Antrag hier nicht zu befassen.“

Frau Ministerin Ziegler sagte:

„Sie kommen damit zu spät; denn das Thema ist sowohl auf EU- als auch auf Bundesebene bereits besetzt, und zwar in positivem Sinne.“

Wie wahr, wie wahr! Denn es gab im Dezember im Bund einen entsprechenden Kabinettsbeschluss über das Erste Gesetz zur „Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“. Dieser Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Richtlinie 2008/104 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit, die am 5. Dezember 2008 in Kraft getreten ist. Die Umsetzung hat bis spätestens 5. Dezember dieses Jahres zu erfolgen.

Ich möchte die SPD-Fraktion noch an etwas anderes erinnern. Insbesondere durch die Umsetzung der Vorschläge der Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - die ganzen Hartz-Gesetze - unter rot-grüner Bundesregierung hat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gravierende Veränderungen erfahren. Die Leiharbeit sollte durch Personalserviceagenturen flächendeckend eingesetzt werden, um Arbeitslose wieder schneller in Beschäftigung zu bringen. Es wurde damit ein neues Bild der Arbeitnehmerüberlassung kreiert. Leiharbeit sollte den Arbeitsmarkt flexibilisieren: alles rot-grüne Regierung und Hartz-IV-Gesetze.

(Zuruf von Minister Baaske)

- Das ist ja auch nicht falsch, Herr Minister, überhaupt nicht. Es hatte tatsächlich einen positiven Effekt. Mit der Leiharbeit können Unternehmen auf schwankende Arbeitslagen reagieren. Der Bedarf an Arbeitskräften wird mit den entliehenen Arbeitnehmern abgedeckt. Im besten Fall entsteht aus solch einem Beschäftigungsverhältnis eine dauerhafte Anstellung.

Ich bin mir ganz sicher, dass viele von Ihnen diese Klebeeffekte bei dem einen oder anderen durchaus festgestellt haben.

Ein paar Zahlen: 56,3 % der neuen Zeitarbeitsverhältnisse im II. Halbjahr 2009 wurden von Personen aufgenommen, die unmittelbar zuvor nicht beschäftigt waren. 8,5 % waren vorher

langzeitarbeitslos, und 7,6 % hatten zuvor noch nie eine Beschäftigung.

Zurück zu Ihrem Antrag: Sie sprechen die Begrenzung des Arbeitsverhältnisses auf die Dauer des Einsatzes im Einsatzbetrieb an. Nach dem deutschen Modell der Arbeitnehmerüberlassung haben die Leiharbeiter ein Arbeitsvertragsverhältnis zum Verleiher, welches rechtlich unabhängig von dem Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher ist. Das heißt: Endet die Überlassung an den Entleiher, endet damit nicht automatisch das Arbeitsverhältnis zum Verleiher.

Es ist Aufgabe des Verleihers, sich um eine Einsatzmöglichkeit für den Leiharbeiter zu bemühen. In der verleihfreien Zeit haben die Leiharbeiter Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgeltes. Für das Arbeitsvertragsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeiter gelten grundsätzlich die gleichen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften - einschließlich des Kündigungsschutzgesetzes und des Teilzeit- und Befristungsgesetzes - wie für andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung will zudem den Drehtüreffekt verhindern, der dazu führte, dass Arbeitnehmer entlassen und als Leiharbeiter wieder eingestellt werden. Ohne Zweifel gab es das in der Vergangenheit. Es gibt hier jetzt aber Gott sei Dank ein Umdenken in Bezug auf die Bezahlung der Leiharbeiter.

Ich kann Ihnen eine große Firma nennen, die 2010 bereits 7,50 Euro gezahlt hat, die 2011 8,50 Euro zahlt und die für 2015 angekündigt hat, 9 Euro zahlen zu wollen. Firmen, die Leiharbeiter beschäftigen, haben längst begriffen, dass sie die Arbeitnehmer brauchen. Damit bin ich wieder beim Beginn meiner Rede bzw. bei dem Zitat von Ministerin Ziegler: Das Thema ist bereits besetzt, und zwar im positiven Sinne. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schier. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Baer.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Deutschland sind derzeit etwa 900 000 Leiharbeiter eingesetzt. Alleine in Brandenburg sind das etwa 12 000. Eine Einkommensanalyse der Bundesagentur für Arbeit belegt: Das mittlere Einkommen eines Zeitarbeitnehmers in Vollzeit betrug 2009 weniger als die Hälfte dessen, was eine Stammkraft im gleichen Betrieb erhalten hat - und das, obwohl die meisten Zeitarbeitnehmer heutzutage eine Ausbildung haben.

Frau Schier, Sie haben Recht: Es ist nicht zu bestreiten, dass die Reform der Leiharbeit unter Rot-Grün eine Fehlentwicklung begünstigt hat, aber diese Fehlentwicklung gilt es jetzt zu korrigieren.

Frau Wöllert hat darauf hingewiesen, dass Leiharbeit seinerzeit eingeführt wurde, um Auftragsspitzen aufzufangen oder kurzfristige Ausfälle auszugleichen. Inzwischen ist aber ein Formund Funktionswandel eingetreten. Immer mehr Unternehmen

versuchen, Leiharbeit verstärkt als ein strategisches Instrument der Profitsteigerung zu nutzen. Dieses Instrument wird dauerhaft eingesetzt und umfasst alle Arbeitsbereiche. Für gleiche Arbeit wird ungleicher Lohn bezahlt. Es entstehen Belegschaften erster und zweiter Klasse. Tarifverträge werden unterlaufen. Mitbestimmung wird abgebaut. Diese Missstände gilt es nun zu korrigieren. Es gilt, die Leiharbeit zu einem vernünftigen arbeitsmarktpolitischen Instrument auszubauen und zu überführen.

Seit einem Jahr kündigt die Bundesregierung an, etwas in Sachen Missbrauch in Bezug auf die Leiharbeit zu tun, um der geforderten Umsetzung der diesbezüglichen europäischen Richtlinie, die hier schon angesprochen worden ist, Rechnung zu tragen.

Wenn die Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier aber nicht handelt, ist sie verantwortlich dafür, dass Hunderttausenden Menschen eine Perspektive auf eine gesicherte Zukunft und ein ordentliches und gutes Leben verwehrt wird. Sie ist dann auch für die Folgekosten verantwortlich, die das nach sich zieht.

Das sind Folgekosten durch geringeren Konsum. Das sind Folgekosten durch geringere Einnahmen bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Das betrifft Folgekosten durch geringere Steuereinnahmen sowie Folgekosten durch geringere Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Auf der Internetseite des Bundesarbeitsministeriums heißt es: Rund 50 % der Zeitarbeitsverhältnisse dauern nicht länger als drei Monate. Eine Lebensplanung unter diesen Bedingungen, meine Damen und Herren, ist wohl nur schwer möglich.

Herr Abgeordneter Baer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bretz zu?