Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Nein! –Wir haben eine Reihe tarifvertraglicher oder branchenbezogener Regelungen, zum Beispiel innerhalb der Bauwirtschaft, wo es völlig unbürokratisch läuft, in einer Branche, die sich in einer dramatischen Krise mit dramatischen Arbeitsplatzabbau befindet und wo dennoch die Ausbildungsplatzquote gehalten werden konnte.

Auch das neue Umlagensystem, das im Gesundheitsbereich eingeführt worden ist, ist angesprochen worden. Auch dies geht ohne großen Aufstand und funktioniert. Die anderen europäischen Beispiele sind alle keine sozialistisch regierten Länder, sondern teilweise Länder, die Sie als Beispiel anführen, dass dort notwendige Arbeitsmarktreformen, die in der Bundesrepublik Deutschland noch ausstehen, schon frühzeitig durchgeführt worden sind, und auch dort ist nicht der Weltuntergang eingetreten.

Wenn es gelingt, die Ausbildungsplatzabgabe durch die Eigenanstrengung der Wirtschaft überflüssig zu machen, dann ist das gut so. Vielleicht haben wir ja auch

Bm Wolf

Münteferings Ausspruch, die Solidarität in Deutschland müsse allen Jugendlichen gelten, ist richtig. Schlussfolgerung kann aber nur sein, dass die Strafsteuer gar nicht kommen darf. Selbst in der rot-grünen Koalition – zahlreiche Ministerpräsidenten und der Wirtschaftminister wurden schon genannt – wächst so langsam die Erkenntnis, dass diese Strafsteuer keinen einzigen Ausbildungsplatz schaffen würde.

eine ähnliche Entwicklung wie in den 70er oder 90er Jahren. Als die Regierung Schmidt in den 70er Jahren über dieses Thema zu diskutieren begonnen hatte, stand interessanterweise am Ende der Diskussion eine Steigerung der Ausbildungsleistung der privaten Wirtschaft. Erinnere ich mich richtig, hatten wir im Jahr 1996 einen Vorstoß meiner Amtsvorgängerin Christine Bergmann, die die Ausbildungsplatzabgabe thematisiert hatte. Auch danach hatten wir einen erfreulichen Anstieg der betrieblichen Ausbildungsplätze. Vielleicht haben wir eine ähnliche Entwicklung in diesem Jahr. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Herr Senator Wolf! – Wir kommen zur zweiten Rederunde mit bis zu fünf Minuten pro Fraktion. Es beginnt die CDU. Das Wort hat der Kollege Kai Wegner. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Senator Wolf! Natürlich ist es eine große gesellschaftliche Aufgabe, diesem Problem Herr zu werden. Natürlich ist es eine gesellschaftliche Aufgabe für Politik, Wirtschaft, Arbeitnehmern – und ich ergänze: Schule, Bildung und Familien.

Herr Wolf, ich höre Ihre starken Worte, und es hört sich auch alles ganz gut an. Mehrere Redner aus der Koalition und von den Grünen sagen in der heutigen Debatte, dass Ausbildung nicht von der konjunkturellen Lage in Deutschland abhängig sein kann. Aber, meine Damen und Herren, wovon denn sonst? Unternehmen können doch nur dann Ausbildungsplätze finanzieren und ausbilden, wenn sie Einnahmen haben und die konjunkturelle Lage stimmt. Alles andere wäre in der Tat Verstaatlichung der Ausbildung. Das kann doch nicht in unserem Interesse sein.

[Beifall bei der CDU]

Zu Ihrer Verantwortung, Herr Wolf, und wie Sie mit dem öffentlichen Dienst umgehen: Kollege Henkel hat mir das Beispiel Polizei genannt, und wie Sie dort mit den Ausbildungsplätzen und Übernahme der Absolventen umgehen. Darauf will ich hier gar nicht eingehen. Aber, Herr Wolf, Sie beriefen sich auf den Anstieg der Ausbildungsplätze, die hier entstanden sind, und für die im Rahmen einer IHK-Initiative gekämpft wurde, die maßgeblich von den mittelständischen Mitgliedsbetrieben der IHK erreicht worden sind.

Das Problem ist, Herr Wolf, dass diese Initiativen der IHK leider nicht das kompensieren können, was auf Grund Ihrer falschen Politik in dieser Stadt wegfällt. Statt diesen mittelständischen Unternehmen Zuversicht, Hoffung, bessere Rahmenbedingungen und – vor allen Dingen – Planungssicherheit zu geben, bestrafen Sie die Wirtschaft einmal mehr mit einer neuen Steuer, die die Wirtschaft wieder belasten wird. Die mittelständischen Unternehmen in dieser Stadt quietschen mittlerweile. Statt die Ursachen an der Wurzel zu packen und Lösungsansät

ze zu erarbeiten, lenken Sie von Ihrem Scheitern ab und schieben die Verantwortung auf die Wirtschaft.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

Im Gegenteil – das belegt die Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages –: Viele Unternehmen, die es sich leisten können, Frau Pop, werden sich in der Tat von ihrer Verantwortung freikaufen. Andere, die ohnehin schon nicht mehr ausbilden können, werden in die Insolvenz gehen, und zwar durch eine solche unsinnige Strafsteuer.

Die Umlage wird dazu führen, dass im Ausbildungswesen bürokratische Parallelstrukturen aufgebaut werden. Noch mehr Jugendliche werden in betriebsfernen Bildungseinrichtungen ausgebildet. Dies wäre in der Tat ein Rückfall in die Planwirtschaft, der weder den Auszubildenden noch der Wirtschaft helfen würde.

Die Strafsteuer widerspricht auch allen Ankündigungen der Bundesregierung, die Lohnkosten senken zu wollen. Sie belastet Unternehmen weiter. Dafür, dass Sie schlechte Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen und Unternehmen in der Folge nicht mehr ausbilden können, wollen Sie jetzt auch noch die Unternehmen bestrafen. Es ist unsäglich, wie Sie damit umgehen.

[Beifall des Abg. Gram (CDU)]

Die konjunkturell schwierige Lage, Frau Pop, führt dazu, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen in dieser Stadt seit Monaten und Jahren ums Überleben und gegen die Insolvenz kämpfen. Eine Frage interessiert mich, Frau Pop, die Sie vorhin nicht beantwortet haben: Wie sollen diese Unternehmen, die bereits jetzt nicht ausbilden können und schon gegen die Insolvenz kämpfen, die Strafsteuer bezahlen? – Vor diesem Problem stehen diese Unternehmen.

[Zuruf der Frau Abg. Pop (Grüne)]

Lenken Sie nicht von Ihrem Scheitern ab! Bestrafen Sie nicht die Wirtschaft für Ihre verfehlte Politik! Ich appelliere an alle hier im Hause, nicht den Ausbildungskonsens in Berlin aufzukündigen. Die langjährige Tradition der Gemeinsamkeit von Politik, Wirtschaft und Arbeitnehmern in Berlin darf nicht verlassen werden. Schaffen Sie bessere Rahmenbedingungen und Planungssicherheit! Stimmen Sie diesem Gefälligkeitsgesetz von Herrn Müntefering nicht zu! Es ist ausschließlich als Beruhigungspille für die Kritiker der Agenda 2010 eingebracht worden. Ich fordere Sie dazu im Interesse der Jugendlichen und der wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin auf.

Neben dem Bund und der Bundesagentur für Arbeit müssen wir – die Länder – öffentliche Mittel für schulische Angebote oder Ersatzmaßnahmen ausgeben. Das sind die großen Kostenpunkte in unserem Haushalt. Sie wissen, wie viel Geld wir dafür in den Berliner Haushalt einstellen müssen. In den letzten Haushaltsdebatten wurde noch einmal eine Million € für die Ausbildungsverbünde draufgelegt. Und dann haben immer noch die Jugendlichen, die in einem dualen System ausgebildet wurden, eine wesentlich bessere Chance, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Es ist kurios, dass die Wirtschaft die Jugendlichen nach einer schulischen Ausbildung nicht gerne nimmt. Sie erwartet eine duale Ausbildung, schafft aber keine Ausbildungsplätze. Das ist kurios.

Vor diesem Hintergrund ist es vertretbar, die Kosten anders zu verteilen. Es geht nicht um die Bestrafung von Betrieben, die nicht ausbilden. Es geht einzig und allein um eine gerechtere Verteilung der Kosten auf mehr Schultern.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niedergesäß?

Welches Problem haben Sie denn, Kollege Niedergesäß?

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Wegner! – Für die SPD-Fraktion fährt die Kollegin Grosse fort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wegner! Wir reden heute nicht über eine Strafsteuer.

[Zurufe von der CDU und der FDP]

Herr Lindner, Sie sind jetzt nicht dran. Sie können eine Kurzintervention machen. –

[Beifall bei der SPD]

Lieber Kollege Wegner! Ich hoffe Sie sind wieder etwas ruhig und lassen auch eine Rednerin ausreden.

[Dr. Lindner (FDP): Reden Sie doch, Sie haben das Mikro!]

Soll ich Sie überschreien? Das ist nicht meine Art. – Lieber Kollege Wegner! Wir reden heute nicht von einer Strafsteuer, sondern über die Zukunft junger Menschen. Lassen Sie mich deshalb noch einmal ganz deutlich machen: Ausbildung ist und bleibt die Voraussetzung für den Einstieg ins Berufsleben. Eine fehlende oder mangelhafte berufliche Erstausbildung bedeutet für jeden jungen Menschen den Weg in die Perspektivlosigkeit, die Gefahr, beruflich und persönlich ins Abseits zu geraten, und für die Gesellschaft entstehen zunehmende soziale und finanzielle Lasten. Das merken wir ganz besonders in Berlin. Für die Wirtschaft bedeutet es den fehlenden Facharbeiternachwuchs von morgen. Das sollten Sie auch einmal bedenken.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Das sind die Folgen eines nicht ausreichenden Ausbildungsstellenangebots. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, das auch noch abzusichern.

Ich muss mich sehr wundern, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie von Unterstützung des Lieblingskindes der SPD sprechen. Das ist eine Verniedlichung der Situation. Das wissen Sie. Sie wissen auch, dass die Ausbildungsoffensive 2003 nicht gegriffen hat. Die Wirtschaft hat es nicht geschafft, ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen bereitzustellen. Sie ist ihrer Verantwortung wieder einmal nicht nachgekommen, und zwar zum wiederholten Mal.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Herr Lehmann, nur noch 23 % der Betriebe bilden aus. 1990 waren es immerhin noch 28,7 %. Hier hat sich nichts verbessert. 77 % profitieren davon, dass andere ihre künftigen Mitarbeiter qualifizieren, ohne sich selbst an den Kosten zu beteiligen. Ist das gerecht? – Das System der dualen Ausbildung ist dadurch massiv bedroht. Dem entgegenzuwirken, ist unsere Aufgabe.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Reden Sie nicht wie in der Gewerkschaftsschule!]

Frau Grosse, können Sie sich vorstellen, dass es mehr Ausbildungsplätze geben könnte, wenn man die Auszubildendenentgelte herunterfahren würde?

Lieber Gott! Herr Kollege Niedergesäß, das sind abgedroschene Phrasen. Aber ich antworte dennoch gerne darauf: Sie wissen, dass die Auszubildenden heute nicht mehr wie früher im Haushalt ihrer Familie leben. Sie leben heute alleine und müssen eine existenzsichernde Grundlage haben. Kommen Sie nicht immer mit dem alten Hut: Runter mit den Kosten, und schon bilden die Betriebe mehr aus. – Das ist so abgedroschen, Herr Niedergesäß. Leider habe ich auch nichts anderes erwartet.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Nun behaupten Sie, mit einer Ausbildungsumlage ließen sich keine zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätze schaffen. Ich halte dem entgegen: 56 % aller Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland könnten ausbilden. Es bilden aber nur noch 23 % aus. Demnach könnten immerhin noch fast 500 000 weitere Betriebe ausbilden. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Betriebe überlegen werden, ob sie das Geld für die Umlage nicht lieber in die eigene Ausbildung stecken sollen. Wer aber zahlen will, der trägt immerhin dazu bei, das dadurch neue Ausbildungsplätze in anderen Betrieben gefördert werden. Das ist gerecht.

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Verehrter Senator Wolf! Ich hatte eben schon den Eindruck, dass Sie das Wort Ausbildungsplatzabgabe vermieden haben, zumindest im ersten langen Teil Ihrer Rede, und dass das eigentlich eine Rede gegen die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe war. Außerdem sagten Sie, Sie seien daran interessiert, an dem dualen System festzuhalten. Da haben wir alle etwas gemeinsam. Es gibt hier nämlich nichts Besseres. Aber es ist die Frage – wenn wir erst einmal eine Umlage haben: Was finanzieren wir dann? Wirklich betriebliche Ausbildungsplätze? – Ich sage eher, da nimmt wieder Vater Staat das Geld in die Hand und verteilt um. Das kann es nicht sein. Dieser Vater Staat hat oft genug bewiesen, insbesondere in dieser Stadt, dass das nicht mehr so richtig funktioniert.

Frau Grosse, Sie sagten eben so nett, es gebe keinen weiteren Verwaltungsaufwand. Wir sind es doch nicht gewesen, die die Zahl von 51 Millionen € in die Welt gesetzt haben. Das war Rot-Grün auf der Bundesebene. Da können Sie doch nicht sagen, es gebe keinen Verwaltungsaufwand. Wenn z. B. jedes Jahr geprüft werden muss, dann wird dieses Monstrum jedes Jahr mindestens 51 Millionen € kosten.