Protokoll der Sitzung vom 23.09.2004

Wie fest glaubt Rot-Rot an den Religionsunterricht?

Bitte schön, Frau Senftleben!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat: Wird der Senat den Vorschlag des SPD-Landeschefs Müller und die langjährige Forderung der FDP-Fraktion aufgreifen und endlich ein Wahlpflichtfach Religion als ordentliches Schulfach bis Ende 2006 einführen?

[Heiterkeit bei der PDS]

Da möchte ich Ihnen zunächst mitteilen, dass dieser Senat – wie übrigens alle Senate – nicht im Glauben vereint ist,

[Beifall bei der SPD und der PDS – Brauer (PDS): Wir stehen fest im Glauben!]

[Dr. Lindner (FDP): In Unfähigkeit!]

in der Treue zur Verfassung und dem Amtseid auf die Verfassung und zu Recht und Gesetz. Das ist die Grundlage. In diesem Fall ist die Handlungsgrundlage des Senats § 13 Schulgesetz, eines Gesetzes, das dieses Parlament im Februar dieses Jahres verabschiedet hat.

Das Zweite: Ihnen, Frau Abgeordnete, ist bekannt – wie auch mir und wichtigen politischen Persönlichkeiten – auch diejenigen, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben –, dass es in den Schulen vielerlei Bedenken und Diskussionen dazu gibt, ob die gegenwärtige Konstruktion das erreicht, was wir erreichen wollen. In diesem Zusammenhang hat der Fraktionsvorsitzende der SPD und haben auch andere Persönlichkeiten gebeten, mich dazu zu äußern. Das werde ich zu gegebener Zeit auch tun. Dann müssen die Fraktionen entscheiden, was sie mit diesen Äußerungen machen bzw. ob und welche gesetzgeberischen Folgen sie daraus ziehen.

Danke schön, Herr Senator! – Frau Senftleben mit einer Nachfrage – bitte!

Herr Senator Böger! Sie haben sich bereits in der letzten Woche zu der Thematik geäußert. Es war nicht nur der Fraktionsvorsitzen

Danke schön, Herr Senator! – Frau Senftleben mit einer Nachfrage – bitte!

de Müller, der diese Diskussion angestoßen hat. Deswegen frage ich konkret: Können wir mit einer Ernsthaftigkeit rechnen, dass Sie das Problem, das Sie selbst sehen, angehen, oder haben wir es mit Populismus zu tun?

Herr Senator Böger – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete, wenn Sie das Wort „Populismus“ in dem Zusammenhang verwenden, sage ich: Populär in Berlin, einer Stadt, in der Religion in einer Diasporasituation ist, wäre eine andere Auffassung, weil die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner – zu meinem persönlichen Bedauern – nicht Mitglied in einer christlichen Kirche ist. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Der Vorwurf des billigen oder wie auch immer gearteten Populismus kann hier gar nicht zutreffen.

[Frau Senftleben (FDP): Die Frage war ernsthaft gemeint!]

Ich bin dankbar, dass Sie mir immer Ernsthaftigkeit unterstellen.

[Frau Senftleben (FDP): Bei einem Senator gehe ich davon aus!]

Spaßvögel soll es auch in Ihrer Partei sehr viele geben. Jedenfalls gibt es die im Senat bei dieser Frage nicht. Sie können bei mir wirklich unterstellen, dass ich ernsthaft an dieser Frage interessiert bin, mir ernsthaft über Konstellationen, insbesondere in einigen Schulen, Sorgen mache. Ich nehme auch aufmerksam Berichte von Schulleiterinnen und Schulleitern entgegen, die mit der jetzigen Regelung nicht zufrieden sind. Darüber muss man reden, ernsthaft. Dann muss das Parlament entscheiden, ob es daran etwas ändern will, gegebenenfalls, was es ändern will.

Bei Zeitungsberichten, verehrte Frau Kollegin Senftleben, möchte ich jenseits von Kritik – die muss man ja hinnehmen wie das Wetter – nur auf eines hinweisen: Mich macht zunehmend fuchsig, dass in Zeitungen etwas als Zitat ausgegeben wird, was ich nicht gesagt habe oder dass Zeitungen insinuieren, ich hätte ein Gespräch mit ihnen geführt, dabei habe ich gar kein Gespräch mit ihnen geführt. Ich weiß genau, was ich dazu gesagt habe, auch in Interviews, dazu stehe ich auch. Dass ich hier, um es auf den Punkt zu bringen, eine etwas andere Meinung habe, als es die gegenwärtige Rechtslage ist, das ist lange bekannt. Bei dieser Haltung bleibe ich auch. Aber es kommt in der Politik vor, dass man eine bestimmte Auffassung hat, die nicht von einer Mehrheit getragen wird, dann muss man eben darum ringen und sagen, das kann sich ändern oder nicht ändern.

Noch etwas möchte ich anmerken: Was in diesem Zusammenhang in manchen Zeitungen steht, ist kompletter Unfug. Da steht z. B. es werde darüber diskutiert, die Pflicht zum Religionsunterricht einzuführen. Das kann es gar nicht geben, weil das grundgesetzwidrig ist. Es gibt keine Pflicht zum Religionsunterricht in Berliner Schulen,

übrigens auch nicht in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland. Was es geben kann – das wissen Sie, und ich weiß es auch –, ist eine Alternative zwischen nichtreligiösem Angebot, einem kenntnisorientierten Ethik/Philosophieunterricht einerseits, und Religionsunterricht andererseits. Nur dieses Modell gibt es, alles andere ist sowieso falsch.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es ist völlig klar, dass es hier um die Alternative Religionsunterricht oder auch Religionen – ich beziehe auch Islamkunde mit ein – und Ethik/ Philosophie geht. Das ist richtig. Aber um auf Ihre Ernsthaftigkeit zu kommen, mit der Sie auch hier auftreten und sagen, Sie wollten es prüfen: Gibt es irgendwie Hoffnung oder ein Ziel, das Sie sich selbst gesetzt haben, das bis 2006 auf die Reihe zu kriegen?

Herr Senator Böger – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Senftleben! Jetzt kommen wir wieder in den christlichpersönlichen Bereich. Sie fragen: Gibt es Hoffnung?

[Frau Senftleben (FDP): Das habe ich nicht gefragt! Das ist lustig!]

Ich lebe immer in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Ich habe auch in dieser Frage immer Hoffnung und werde in meiner Haltung klar bleiben und zur gegebenen Zeit dem Fraktionsvorsitzenden das abliefern, was er angefordert hat.

Danke schön, Herr Senator! – Der Kollege Mutlu ist jetzt mit einer Nachfrage dran. – Bitte schön, Herr Mutlu!

Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die Presse alles erfindet, aber egal. – Herr Senator! Ist der Senat mit mir der Meinung, dass in einer mulikulturellen und multireligiösen Stadt wie Berlin ein verpflichtendes Fach ähnlich LER in Brandenburg bitter notwendig wäre, um den Dialog und den Austausch der Religionen, Kulturen und der Weltanschauungen zu gewährleisten, statt eines nach Konfessionen getrennten Religionsunterrichts, der die Andersartigkeit der Schülerschaft manifestiert und bei der gegenwärtigen Debatte um den Islam gar schädlich ist?

Herr Senator Böger – bitte!

[Frau Senftleben (FDP): Sagen Sie einmal etwas dazu!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Mutlu! Zunächst einmal will ich darauf hinweisen, dass Ihre Fragestellung in eine grundsätzlich andere Richtung

Sen Böger

Danke schön, Herr Senator! – Damit hat die Fragestunde ihr Ende gefunden. Die heute nicht beantworteten Fragen werden gemäß § 51 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung mit einer Beantwortungsfrist von bis zu drei Wochen schriftlich beantwortet.

auf. Die Wortmeldungen erfolgen zunächst in der Reihenfolge der Stärke der Fraktionen mit je einem Mitglied. Frau Abgeordnete Harant von der Fraktion der SPD hat zunächst das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Frage richtet sich an den Bildungssenator. – Was halten Sie von dem Vorwurf, der heute in einer Berliner Zeitung erhoben wird, dass 25 %, also jeder vierte Berliner Schüler, als rechenschwach einzustufen ist und dass auf diese Problematik nicht ausreichend reagiert werde?

zielt als die Fragestellung der sehr geschätzten Kollegin von der FDP.

[Dr. Lindner (FDP): „Sehr geschätzt“, haben Sie das gehört?]

Der Senat ist auf Recht und Gesetz verpflichtet. Der § 13 Schulgesetz gibt nicht die Lösung vor, die Sie anstreben. Das ist sicher eine Frage der Diskussion, die man ernsthaft stellen muss, ob es angelegen sein kann, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler zunächst einmal Information und Kenntnisse über verschiedene Glaubensinhalte, Philosophien, Lebensentwürfe bekommen mit dem Ziel, dass in der Berliner Schule auch das, was im Artikel 1 des Schulgesetzes steht, versucht wird zu verwirklichen. Das ist eine Überlegung, die man anstellen kann. Ich selbst teile Ihre Auffassung nicht. Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig und bedeutsam ist, die christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften zur Geltung kommen zu lassen.

Danke schön, Herr Senator! – Frau Dr. Tesch hat eine Nachfrage. Sie haben das Wort!

Danke schön, Herr Präsident! – Herr Senator! Sind Sie mit mir der Meinung, dass die angebliche Forderung nach einem Wahlpflichtfach des Fraktionsvorsitzenden der SPD eine Zeitungsente aus dem „Tagesspiegel“ war bzw. eine Fehlinterpretation und dass Herr Müller lediglich ein Wertefach

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

gefordert hat, wie es auch in anderen Zeitungen zu lesen war und dass diese Forderung nichts Neues beinhaltet?

Herr Senator Böger – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bekomme jetzt schon den Zeigefinger aus verschiedensten Richtungen des Hauses gezeigt. – Geschätzte Kollegin! Ich halte das für ein äußerst kompliziertes Pingpongspiel, fast wie Billard, wenn ich über Ihre Fragestellung den geschätzten Fraktionsvorsitzenden und was er wirklich meint, erläutern soll. Erlauben Sie mir den Hinweis, da gäbe es direktere Wege und Fragemöglichkeiten!

[Beifall bei der SPD und der FDP]

Aber wenn Sie mich schon so fragen, möchte ich dabei gleich etwas klarstellen: Ich habe nicht gesagt „Fehl- und Falschmeldung von Zeitungen“, sondern ich habe gesagt, ich hätte manches Mal den Eindruck, dass eine Zeitung meldet, sie hätte ein Gespräch mit mir gehabt, das in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat. Da fände ich den Ausdruck richtig. Richtig ist in jedem Fall, und das bewerte ich nicht als Falschmeldung, sondern finde es ausgesprochen sympathisch, dass der von Ihnen erwähnte Fraktionsvorsitzende sehr stark daran interessiert ist, dass an der Berliner Schule Werte vermittelt werden,

[Frau Senftleben (FDP): Ja, das tut er!]

dass er sich Sorgen macht, dass das in dem gegenwärtigen System nicht in jedem Fall gelingt. Diese Auffassung teile ich.