1. Aus welchen Gründen haben Insassen des Abschiebungsgewahrsams Grünau erneut zum drastischen Mittel Hungerstreik gegriffen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen?
2. Warum befinden sich Menschen palästinensischer Herkunft mit ungeklärter Staatsangehörigkeit seit mehreren Monaten im Abschiebungsgewahrsam, obwohl klar ist, dass sie nicht in den Libanon abgeschoben werden können?
Danke schön! – Das Wort zur Beantwortung hat der Senator für Inneres, Herr Dr. Körting. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Frau Kollegin Villbrandt! Zur Zeit nehmen elf Abschiebehäftlinge die amtlich angebotene Nahrung nicht an. Ob sie im Hungerstreik sind, lasse ich dahinstehen, weil eine private Eigenversorgung durch Nahrungs- und Genussmittel natürlich möglich ist und von uns auch nicht kontrolliert werden kann, da keine Einzelbewachung stattfindet.
Diese Häftlinge haben sich in einem Schreiben über folgende Punkte beklagt: Erstens haben sie sich über die rechtlichen Vorschriften des Aufenthalts- und Zuwanderungsrechts beklagt; zweitens über lange Wartezeiten bei der Bearbeitung von Einzelfällen durch die Ausländerbe
hörde; drittens über angebliche körperliche Übergriffe auf Häftlinge, Verletzungen der Menschenrechte sowie eine mangelhafte ärztliche Versorgung. Soweit es die rechtlichen Bestimmungen des Aufenthalts- und Asylverfahrensrechts betrifft, sind diese bindend. Soweit es die anderen Fragen betrifft, hat eine Überprüfung stattgefunden, die keine Hinweise auf eine Bestätigung der formulierten Behauptungen brachte.
Der zweite Punkt ist die palästinensische Herkunft mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Nach geltender Weisungslage werden keine Haftanträge für Palästinenser und Kurden aus dem Libanon gestellt, soweit ihre Identität feststeht und solange sie nicht im Besitz eines gültigen Dokuments de voyage sind. Das ist die geltende Lage. Allerdings gilt eine Ausnahme dann, wenn wir Abschiebungen im Wege der Amtshilfe für andere Behörden machen. Dann wird die Abschiebehaft auch bei uns für andere Behörden vollzogen. Die Ausländerbehörde wird dann von unserer Verfahrenspraxis in Kenntnis gesetzt – das ist dann eine andere, das ist nicht die Berliner Ausländerbehörde –, und sie muss darauf hingewiesen werden, dass sie die entsprechenden Dokumente vorlegt, sonst werden die Betreffenden von uns aus der Abschiebehaft entlassen.
Eine völlige Freistellung von Palästinensern von einer möglichen Abschiebung gibt es de facto auch heute nicht. Die libanesische Botschaft hat im Jahr 2004 für drei Palästinenser entsprechende Dokumente ausgestellt, so dass die Abschiebungsvoraussetzungen erfüllt waren. Auch im Jahr 2005 hat die libanesische Botschaft für einen Palästinenser ein entsprechendes Dokument ausgestellt und für einen zweiten Palästinenser eine Passzusage erteilt. Das heißt, man kann nicht mit absoluter Klarheit sagen, für Palästinenser kann es in keinem Fall eine Abschiebung in den Libanon geben, das ist eine Frage des Einzelfalls. Im Regelfall haben Sie Recht, dass der Libanon sich schwer tut mit der Rücknahme von Palästinensern und dass deshalb im Regelfall – wenn für uns die Frage klar ist – natürlich auch keine Abschiebehaft verhängt wird.
Danke, Herr Präsident! – Ist der Senat bereit, angesichts der noch ungeklärten Frage, wann und wie die Rücknahme von Palästinensern in einem Abkommen zum Beispiel mit dem Libanon geregelt werden wird, von ihrer Inhaftnahme einstweilen abzusehen?
Unsere Praxis hat im Moment mit dem Rücknahmeabkommen, das beabsichtigt oder ausgehandelt ist, aber noch nicht unterschrieben worden ist, noch nichts zu tun. Wenn es ein derartiges Rücknahmeabkommen gibt, existiert eine neue Situation. Im Regelfall gehen wir davon aus, dass Palästi
nenser nicht in Abschiebehaft genommen werden. Aber außerhalb dieses Regelfalls gibt es jedoch Fälle, zum Beispiel solche, wo wir Zweifel an der Identität und Zweifel an der Behauptung haben, denen wir nachgehen, und wenn diese Zweifel geklärt sind, wird sofort aus der Abschiebehaft entlassen. Aber die bloße Behauptung, wenn wir jemanden aufgreifen: Ich bin Palästinenser, deshalb darf ich nicht in Abschiebehaft! –, reicht nicht. Es muss eine klare Sachverhaltsaufklärung sein, um von Seiten der Ausländerbehörde den Fall entscheiden zu können.
Wenn wir ein Abkommen ratifiziert oder unterschrieben bekommen, ergibt sich eine neue Situation auch für die Rückführung von Palästinensern in den Libanon. Aber das auch nur für den Zeitraum derjenigen, die neu kommen bzw. ab dem Jahr 200 gekommen sind.
Danke schön, Herr Kollege! – Jetzt gibt es eine Nachfrage des Kollegen Ratzmann, der nun auch das Wort hat. – Bitte!
Herr Präsident! Herr Körting! Habe ich Sie richtig verstanden, dass, selbst wenn es zu einer Unterzeichnung eines Rückführungsabkommens kommen sollte, diejenigen palästinensischer Abstammung, die seit vor dem Jahr 2000 in Berlin leben, nicht damit rechnen müssen, plötzlich eine Aufforderung zu erhalten, in den Libanon oder ein anderes Land reisen zu müssen?
Herr Kollege Ratzmann! Als im Vermittlungsausschuss auch bundesratsseitig diskutiert wurde, wie wir mit dem Zuwanderungsgesetz umgehen, spielte die Frage eine nicht unwichtige Rolle, wie man mit Kettenduldungen, mit Leuten, für die es keine Dokument gibt, mit denjenigen, die in einem Staat nicht wieder angenommen werden, umgeht. Das betraf insbesondere Palästinenser aus dem Libanon. Deshalb hat man sich beim Zuwanderungsgesetz auf den § 25 Abs. 5 verständigt, der sagt: Wenn feststeht, dass die Rückführung tatsächlich nicht möglich ist, dann sollen die Leute hier auch nicht sozusagen auf einem Wartestand über viele Jahre gehalten werden, sondern dann soll man ihnen auch eine Aufenthaltserlaubnis geben.
Das war der Konsens, den wir im Vermittlungsausschuss gehabt haben. Der wird jetzt gegenzuchecken sein, wenn das feststeht mit dem beabsichtigten Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Republik Libanon. Das hängt aber davon ab, was dort im Einzelnen nachher unterschrieben wird. Bisher ist mir bekannt, dass beabsichtigt ist, alle neuen Fälle zu nehmen, also alle, die jetzt kommen, zurückzunehmen. Weiter ist mir bekannt, dass man auch Altfälle ab dem Jahr 2000 zurücknimmt, aber nicht davor. Aber, wie gesagt, das Abkommen ist nicht unterschrieben, das Abkommen ist nicht ratifiziert, wir müssen abwarten, was letztlich herauskommt.
1. Welche Maßnahmen hat der Senat auf Bundesebene ergriffen, um in der Umsetzung des Abgeordnetenhausbeschlusses vom 17. März 2005 Änderungen des Strafgesetzbuches, des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Aufenthaltsgesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat herbeizuführen?
Frau Schubert, die Senatorin für Justiz, hat das Wort zur Beantwortung und auch das Mikrofon. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Kleineidam! Es ist richtig, dass am 17. März 2005 das Abgeordnetenhaus den Senat gebeten hat, sich auf Bundesebene für Gesetzesänderungen im Strafrecht, im Bürgerlichen Recht und im Ausländerrecht einzusetzen, um Opfer von Zwangsheirat besser schützen und die Zwangsheirat als solche bekämpfen zu können.
Zu diesem Zweck hatte ich Mitte März den badenwürttembergischen Justizminister Professor Dr. Goll angerufen und ihn gefragt, ob er sich vorstellen kann, dass die bereits von Baden-Württemberg im Oktober letzten Jahres eingeleitete Bundesratsinitiative so abgeändert werden könnte, dass sich Berlin auch mit dahinter finden könnte, um entsprechend eine gemeinsame Bundesratsinitiative im Bundesrat zu beginnen. Baden-Württemberg hatte im vergangenen Jahr seine Initiative zurücknehmen müssen, weil sie keine Mehrheit gefunden hatte.
Die einzelnen Vorschläge aus Berliner Sicht, die in den verschiedenen Ausschüssen des Abgeordnetenhauses erarbeitet worden waren, hatte ich dann mit Schreiben vom 17. März dieses Jahres Prof. Dr. Goll mitgeteilt. Wir hatten vereinbart, dass er sie kurz prüft und mir dann kurzfristig Bescheid gibt, ob sich Baden-Württemberg unseren Änderungsvorschlägen, die deutlich weiter gehen als die Gesetzesinitiative des Landes Baden-Württemberg, anschließen könnte.
Unsere Vorschläge waren die Erhöhung der Mindeststrafandrohung im Tatbestand der Zwangsheirat von drei auf sechs Monate, die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung einer Zwangsehe von einem auf drei Jah
re, die Erweiterung des Ausschlusses des Erbrechts auf jeden, der durch Drohung auf den zur Ehe gezwungenen Ehegatten eingewirkt hatte, Änderungen des Aufenthaltsgesetzes zur Verbesserung des Rechts auf Wiederkehr von ausländischen Opfern, die vor der Zwangsverheiratung im Ausland ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatten: Diesen sollte ermöglicht werden, innerhalb einer angemessenen Frist seit Beendigung der Zwangslage nach Deutschland zurückzukehren. Dazu fanden sich in der ehemaligen Gesetzesinitiative des Landes Baden-Württemberg keinerlei Regelungen, so dass wir gesagt haben, eventuell wäre Baden-Württemberg bereit, es mitzutragen; so jedenfalls die Aussage von Prof. Dr. Goll am Telefon mir gegenüber.
Nachdem ich ihm unsere Vorschläge unterbreitet hatte, habe ich habe nichts gehört bis auf eine Presseerklärung des Justizministeriums von Baden-Württemberg vom 18. April, in der mitgeteilt wurde, dass die dortige Landesregierung beabsichtige, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die bis zum Jahresende Vorschläge unterbreiten solle. Ich habe von Prof. Dr. Goll auf unseren ausformulierten Gesetzesantrag keinerlei Antwort erhalten.
Deswegen haben wir in der vergangenen Woche im Rechtsausschuss erörtert, ob wir nicht eine eigene Initiative beginnen sollten. Wir haben diese zurzeit in der Mitzeichnung. Wir werden sie dem Senat vorlegen, denn wir sind in Berlin der Auffassung, dass gegen Zwangsheirat zügig vorgegangen werden muss, dass wir es uns nicht leisten können, bis zum Jahresende abzuwarten, ob dann eventuell eine einigungsfähige Vorlage von BadenWürttemberg vorliegt oder unsere Vorlage mitgetragen werden kann. Das heißt, wir werden versuchen, mit der Senatsvorlage noch vor der Sommerpause in den Bundesrat gehen zu können, um dann auch aus Berliner Sicht Flagge zeigen zu können, dass von uns aus Zwangsheirat kein Thema ist, dass sie zu bekämpfen ist und dass wir den Opfern von Zwangsheirat eine Rückkehrmöglichkeit oder ein eigenständiges Aufenthaltsrecht hier in Berlin einrichten müssen.
Danke schön, Frau Kollegin Schubert. – Gibt es eine Nachfrage des Kollegen Kleineidam? – Nein. – Dann kommt der Kollege Ritzmann mit einer Nachfrage an die Reihe!
Frau Senatorin! Sind Sie mir für den Zusatz dankbar, dass das Land Baden-Württemberg seinen eigenen Antrag nicht etwa zurückgezogen, sondern so lange vertagt hat, bis eine Sachverständigenanhörung im Bundesrat stattgefunden hat?
Soweit ich mich daran erinnern kann, wie das im Oktober 2004 im Rechtsausschuss des Bundesrats gelaufen ist, wo ich selbst nicht anwesend war, sondern nur ein Vertreter unseres Hauses, ist der Antrag nicht in das Ple
num des Bundesrats gelangt, weil bei der Vorababstimmung im Rechtsausschuss keine Mehrheit für diesen Antrag zu erwirken war. Wir haben dann Gespräche geführt, auch damals schon, ob durch eine Veränderung der baden-württembergischen Initiative eine größere Mehrheit im Bundesrat zu erreichen sei. Diese Gespräche waren ergebnislos, so dass wir in unserem Haus zusammen mit der Senatverwaltung für Inneres und verschiedenen Ausschüssen des Abgeordnetenhauses einen eigenen Vorschlag erarbeitet haben, der jetzt allerdings schon seit dem 17. März in Baden-Württemberg im Ministerium liegt, ohne dass man sich von dort bisher bemüßigt gefühlt hat, uns auch nur eine Antwort zuteil werden zu lassen.
Ich denke, wir werden jetzt allein vorangehen und hoffen, dass dieses wichtige Vorhaben von den anderen Ländern auch mit Mehrheit im Bundesrat verabschiedet wird.
1. Wie beurteilt der Senat die Äußerungen von Abgeordneten der Regierungskoalition, dass fälschungssichere Identitätsausweise im Baubereich, so genannte Chipkarten, im Kampf gegen die ausufernde Schwarzarbeit in der Stadt eingesetzt werden sollen im Hinblick auf die Aussage des Wirtschaftssenators vor zwei Wochen, eine solche Karte würde nicht eingeführt werden?