Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

Berliner Verlag vor dem journalistischen Ausverkauf?

Bitte schön, Frau Ströver!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie beurteilt der Senat den Verkauf des Berliner Verlags durch die Verlagsgruppe Holtzbrinck an reine Finanzinvestoren?

2. Was kann und will der Senat unternehmen, um auch bei einem Verkaufsgeschäft im privaten Mediensektor Verkäufer und Käufer auf die Notwendigkeit der Sicherung von journalistischer Qualität und redaktioneller Unabhängigkeit zur Vielfaltsicherung des Berliner Zeitungsmarktes hinzuweisen?

Danke schön, Frau Kollegin! – Zur Beantwortung hat der Wirtschaftssenator, so vermute ich, das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, dass sich der Senat im Zusammenhang mit den Verkaufsverhandlungen des Berliner Verlags wegen des Erwerbs durch einen Finanzinvestor durchaus kritisch geäußert hat. Wir haben auch die Befürchtungen, die aus dem Verlag von den Chefredaktionen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst kamen, zur Kenntnis genommen. Diese waren, Herr Lindner, vor dem Hintergrund nicht völlig unbegründet, als es Informationen darüber gab, welche Strategie dieser Finanzinvestor in Großbritannien bei der Übernahme des „Daily Mirror“ gefahren hat und dass es dort in der Tat zu einer journalistischen Ausdünnung und einem radialen Kostenreduzierungsprogramm kam, das auf Kosten der journalistischen Qualität ging.

[Doering (Linkspartei.PDS): Das weiß Herr Lindner doch nicht! Das interessiert ihn nicht!]

Insofern fand ich es begrüßenswert, dass es eine breite Diskussion in der Stadt über die Notwendigkeit für einen Investor gegeben hat, beim Erwerb des Berliner Verlags auch journalistische Qualität zu garantieren.

[Dr. Lindner (FDP): Wie bei der „Frankfurter Rundschau“! – Doering (Linkspartei.PDS): Auch das interessiert Herrn Lindner nicht!]

Wie Sie wissen, ist der Verkauf jetzt vor wenigen Tagen vollzogen worden. Erfreulicherweise haben David Montgomery und die Mecom-Gruppe jetzt erklärt, dass sie – wohl auch vor dem Hintergrund dieser Diskussion – journalistische Qualität als ein Erfolgsrezept betrachten und darauf achten. Das ist eine Aussage, an der man den Investor in der Zukunft wird messen müssen, wo man ihn beim Wort nehmen sollte.

Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass in den Aufsichtsrat des Berliner Verlags neben David Montgomery, dem Chef der Mecom-Gruppe, auch Gerd Schulte-Hillen eingesetzt wurde. Er war langjähriger Vorstandsvorsitzender von Gruner+Jahr, ist also jemand, der aus der Branche kommt. Ich hoffe, dass durch diese Personalentscheidung jemand im Aufsichtsrat sitzt, der den journalistischen Aspekt genau verfolgen und darauf achten wird, dass journalistische Standards und die Zusage von Montgomery, dass die journalistische Qualität verbessert und nicht verschlechtert werden solle, eingehalten werden.

Zu der Frage nach dem Pressefusionsrecht: Es gab unter anderem im Zusammenhang mit dem Erwerb des Berliner Verlags durch die Holtzbrinck-Gruppe und der Diskussion über eine Ministererlaubnis, die es damals gab, eine Gesetzesinitiative der rot-grünen Bundesregierung, die vom Berliner Senat unterstützt wurde. Sie hatte die Zielsetzung, die Aufgreifschwelle für Presseverlage zu reduzieren, und zwar von 25 auf 50 Millionen € zu verdoppeln und damit die Schwelle herabzusetzen, aber im Betrag zu erhöhen, eine Bagatellklausel einzuführen und Freistellungsmöglichkeiten für Kooperationen zwischen Zeitungsverlagen in den Bereichen Anzeigen, Druck und Vertrieb mit der Zielsetzung Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Diese Novelle ist im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss gescheitert. Es wird die Frage sein, inwieweit das Thema Novellierung des Pressefusionsrechts von der neuen Bundesregierung wieder aufgegriffen wird. Für das Thema Berliner Verlag hat dies keinerlei Auswirkungen mehr.

Zu Ihrer Frage, Frau Ströver, was der Senat tun könne und tun werde: Zunächst ist Pressefreiheit ein hohes Gut, insofern sind der Politik sehr enge Grenzen gesetzt. Wir – sowohl der Regierende Bürgermeister als auch ich – haben aber in der Diskussion der letzten Wochen deutlich gemacht, dass wir von Seiten des Senats klar das Interesse artikulieren, dass journalistische Qualität und Medienvielfalt am Standort Berlin, einem zugegebenermaßen schwierige Pressemarkt, ausgebaut werden. Wir werden das intensiv beobachten und selbstverständlich in diesem Sinn auch das Gespräch mit den Neuerwerbern des Berliner Verlags suchen.

Nachfragen des Kollegen Hoff, der Kollegin Ströver? – Frau Ströver, bitte schön!

Herr Senator! Daraus abgeleitet eine Frage: Welche Möglichkeiten der Sicherung der innerbetrieblichen redaktionellen Unabhängigkeit, z. B. durch eine gesetzliche Landesregelung im Pressegesetz zur Einführung von Redaktionsstatuten, sehen Sie angesichts der jüngsten Entwicklungen beim Berliner Verlag und der zu erwartenden Entwicklung, dass der Tendenzschutz eine ganz andere Bedeutung bekommt, wenn es außerhalb von klassischen Verlegern jetzt neue Eigentümer bei den Printmedien gibt?

Herr Senator Wolf – bitte!

Frau Ströver! Wir werden die Diskussion sicherlich zum Anlass nehmen, um noch einmal zu prüfen, ob wir hier zum Ersten weitergehende Möglichkeiten haben und zum Zweiten weitergehende Notwendigkeiten sehen. Das haben wir im Detail noch nicht geprüft.

Danke schön, Herr Senator! – Herr Hoff hat noch eine Nachfrage. – Bitte schön!

Herr Wolf! Sie haben gesagt, sofern die Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode nach ihrer Wahl eine entsprechende Initiative einbringen würde, würde sich das Land Berlin an einer derartigen Debatte wieder zustimmend beteiligen. – Gibt es Verabredungen mit anderen Ländern, möglicherweise aus dem Bundesrat heraus eine Initiative zu beginnen? Oder wartet man nur darauf, dass die Bundesregierung möglicherweise aktiv wird?

Herr Senator Wolf – bitte!

Herr Hoff! Zur Klarstellung: Ich habe nicht gesagt, dass das Land Berlin, wenn die Bundesregierung eine Initiative ergreift, sich auf jeden Fall daran beteiligen wird, sondern erst nach Prüfung des Inhalts der Initiative der Bundesregierung. Aber ich denke, darüber sind wir uns einig.

Zum Zweiten: Auf Grund der intensiven Diskussion, die es gegeben hat, und der Tatsache, dass es keine Lösung gegeben hat, die wenigstens mehrheitsfähig ist, glaube ich, dass es im Moment nicht sinnvoll ist, von Seiten des Landes Berlin eine eigene Initiative zu ergreifen, sondern dass das vor allem ein bundespolitisches Thema ist, auch weil wir in Berlin momentan keinen akuten Handlungsbedarf mehr haben, nachdem die Entscheidung um den Berliner Verlag getroffen worden ist.

Jetzt hat der Kollege Buchholz das Wort. – Bitte schön, Herr Buchholz!

Herr Senator! Da Herr Montgomery angekündigt hat, dass er den Berliner Verlag als Grundlage für weitere publizistische Aktivitäten in Deutschland sieht: Haben Sie oder der Regierende Bürgermeister schon einen Termin mit ihm vereinbart, um ihm die Vorzüge des Medienstandorts Berlin-Brandenburg aufzuzeigen?

Herr Senator Wolf – bitte schön!

Herr Buchholz! Ich gehe davon aus, dass jemand, der in einen Berliner Verlag investiert, also einen Verlag, der den Namen Berlin trägt, durchaus davon überzeugt ist, dass Berlin ein interessanter Medienstandort und auch ein lukrativer Markt ist. Sonst würde ich als Finanzinvestor dort nicht investieren. Dass Herr Montgomery etwas von seinem Geschäft als Finanzinvestor versteht, ist, glaube ich, unbestritten. Ich habe vorhin schon gesagt, wir werden sicherlich den Gesprächsfaden mit ihm aufnehmen. Es gibt von meiner Seite, da die Entscheidung sehr jung ist, noch kein Gesprächsangebot. Inwieweit es das vom Regierenden Bürgermeister zurzeit schon gibt, weiß ich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir beide den Kontakt aufnehmen und alle interessierenden Fragen gemeinsam erörtern, weil es das übliche Verfahren ist, wenn ein neuer Investor in die Stadt kommt, dass man das Gespräch sucht und sondiert, welche gemeinsamen Interessen es gibt.

Danke schön, Herr Wolf! – Jetzt hat der Kollege Dr. Lindner das Wort für eine Nachfrage.

Herr Senator! Sie sprachen vorhin die Aktivitäten von Herrn Montgomery in Großbritannien zur Gewinnmaximierung von Verlagsunternehmen an. Ist Ihnen bekannt, dass das auch in Deutschland nicht unüblich ist, dass vor allem die SPD-eigene DDVG Verlagsholding beispielsweise die „Frankfurter Rundschau“ gekauft hat, dort ein Drittel der vormals 1 100 Arbeitsplätze abgebaut,

[Niedergesäß (CDU): Heuschrecken!]

die Leute gekündigt und gleichzeitig etwa 6 Millionen € Gewinn an die SPD zur Finanzierung von deren Parteizentrale abgeführt hat?

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Die „Frankfurter Rund- schau“ hat aber nie Gewinne gemacht!]

Herr Senator Wolf – bitte schön!

Herr Lindner! Mir ist bekannt, dass es durchaus unterschiedlich agierende Unternehmen in der Bundesrepublik und international gibt. Mir ist auch bekannt, wer die „Frankfurter Rundschau“ erworben hat. Mir ist auch bekannt, dass in Sanierungsfällen radikale Maßnahmen ergriffen werden. Mir ist auch bekannt, dass nicht jedes Verlagsunternehmen Garant dafür ist, dass die journalistische Qualität weiterentwickelt wird.

Jetzt geht es weiter mit der Frau Abgeordneten Jantzen von den Grünen mit einer Anfrage zu dem Thema

Verschwinden behinderte Menschen wieder hinter Mauern?

Bitte schön, Frau Jantzen, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Wie stellt der Senat sicher, dass es durch die den Bezirken von Rot-Rot auferlegten Einsparungen bei den Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen durch das geplante Fallmanagement und die Budgetierung nicht zu Einschränkungen der notwendigen Hilfen und einer verstärkten Unterbringung behinderter Menschen in Heimen kommt?

2. Was wird der Senat unternehmen, um den von der Firma con_sens in der „Bestands- und Bedarfsanalyse Wohnen für Menschen mit einer Behinderung aus Berlin“ prognostizierten Bedarf von jährlich rund 180 bis 200 zusätzlichen Wohnplätzen in den kommenden Jahren in den ambulanten Wohnformen zu decken?

Frau Senatorin Knake-Werner beantwortet die Frage und hat dazu das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Jantzen! Gestatten Sie mir eine kleine Vorbemerkung. Ich war etwas irritiert über die Überschrift Ihrer Anfrage: „Verschwinden behinderte Menschen wieder hinter Mauern?“. Ich denke, bei aller kritischen Auseinandersetzung mit Senatsentscheidungen sollten wir beide uns, die wir uns nicht absprechen, dass wir uns für Menschen mit Behinderungen engagiert einsetzen, diese Ebene der Auseinandersetzung verbieten.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Nun zu Ihrer Frage 1: Sie kennen das Projekt Modellsozialamt 2005, und Sie wissen, dass im Rahmen dieses Projekts ein Fallmanagement im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen entwickelt wird. Ich sage es mit allem Nachdruck und sehr deutlich: Mit der Einführung dieses Fallmanagements wird es nicht zu Einschränkungen der notwendigen Hilfen kommen, und eine verstärkte Unterbringung von Menschen in Heimen ist überhaupt nicht vorgesehen und auch nicht anzunehmen. Das ganze Gegenteil ist der Fall, das kann man an dieser Stelle einmal herausstellen. Es ist nämlich gelungen, für den Doppelhaushalt 2006/2007 erstmalig bei der Bemessung der bezirklichen Globalsummen für die Eingliederungshilfe Fallzahlsteigerungen von 3 % zu berücksichtigen. Das, finde ich, ist durchaus ein Erfolg, weil es ermöglicht, dass die Bezirke ihre Arbeit auskömmlich finanzieren können.

Die Einführung des Konzepts Fallmanagement in der Eingliederungshilfe soll etwas ganz anderes bewirken: Sie soll zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität in der Behindertenhilfe und dazu beitragen, dass es eine bessere fachliche Steuerung des Einzelfalls gibt. Es soll sehr viel mehr zugeschnitten auf den individuellen Fall gearbeitet werden. Dafür sollen Fallmanagerinnen und Fallmanager bereitstehen, die für ihre Arbeit gut qualifiziert sind. Dazu haben wir ein Qualifizierungskonzept entwickelt. Es wird auch notwendig sein, die Arbeit einheitlich zu planen und zu evaluieren.

Bei der Umsetzung des Konzepts sind, wie ich finde, moderate Einsparungen vorgesehen, für die die durchschnittlichen Fallausgaben bei der Bemessungsgrenze herangezogen werden. In einer Zielvereinbarung mit den einzelnen Bezirken ist das festgelegt worden. Diese Einsparungen betragen für 2006 1 % und in den Jahren danach 2 %. Ich bin überzeugt davon – da bin ich mir durchaus einig mit einer ganzen Reihe von Fachleuten auf diesem Gebiet –, dass diese Einsparpotentiale durch die Effektivität und durch Effizienzreserven im Einzelfall zu realisieren sind. Wenn es gelingt, zielgenauer die Hilfen im Einzelfall auszurichten, wenn es gelingt, regelmäßig ihre Wirksamkeit und ihre Zielgenauigkeit zu überprüfen, dann kann es gelingen, dass trotz professioneller Leistungserbringung Einsparreserven realisierbar sind. Die Zielvereinbarung – das will ich ausdrücklich sagen, weil das in den letzten Wochen auch eine Rolle gespielt hat –, das richtet sich an alle bezirklichen Geschäftsbereiche Soziales, ist nicht als Beitrag dafür gedacht, dass die besonderen und strukturbedingten finanziellen Defizitprobleme einzelner Bezirke gelöst werden. Dafür ist das in der Tat nicht vorgesehen.

Im Übrigen ist eine verstärkte Unterbringung behinderter Menschen in Heimen auch mit dem Gesetz nicht vereinbar. Das wissen Sie. § 13 SGB XII schreibt den Vorrang ambulanter Leistungen fest. Wir halten uns als Land genau an diesen Grundsatz, indem wir sagen: ambulant vor teilstationär und stationär. – Ich bin überzeugt davon, dass sich die Bezirke in ihrer eigenen Zuständigkeit und Verantwortung an diesem Grundsatz orientieren.

Zu Frage 2: Der Senat hat die am 18. Oktober 2005 präsentierten Ergebnisse der Studie der Firma Konsens mit großem Interesse aufgenommen. Die Studie basiert auf Ausgangsfragestellungen, die zwischen der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und den betroffenen Verwaltungen abgestimmt worden sind. Genauso werden wir auch bei der Bewertung der vorliegenden Ergebnisse verfahren. Diese Ergebnisse sollen mit allen Detailinformationen als Gesamtbericht Mitte November vorliegen. Dann werden wir sie gemeinsam auswerten und gemeinsam die Analyse dieser Ergebnisse vorlegen. Dann werden sie in die Arbeitsplanung für das Jahr 2006 eingehen. Wir haben verabredet, dass das sicherlich auch Gegenstand auf einer Fachkonferenz sein wird, die wir unter Beteiligung der Spitzenverbände der Liga am 14. Dezember durchführen wollen. Das ist dann auch der

richtige Zeitpunkt, sich zu dieser Befragung, zu dieser Umfrage zu äußern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Frau Senatorin! – Frau Jantzen hat eine Nachfrage. – Bitte schön!