Protokoll der Sitzung vom 21.06.2007

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn das Ziel dieser neuen Partei die Systemüberwindung ist, stellt sich, Herr Kollege Lindner, in der Tat mit Recht die Frage, ob sie noch auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erlebt, dass Menschen in unserer freiheitlichen Ordnung unser freiheitliches System überwinden wollten. Das waren die Terroristen der RAF, und das sind gleichzeitig die Funktionäre und Anhänger von NPD, DVU und Republikanern. Deshalb ist die Haltung der CDU klar und unmissverständlich: Wir stehen für diese demokratische Ordnung und für unser freiheitliches System. Wir bekämpfen Rechtsradikale und Rechtsextremisten in gleicher Weise wie linke Systemüberwinderer.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Den Beweis sind Sie schuldig!]

Wenn also die Systemüberwindung politisches Ziel der sogenannten neuen Linken ist, stellt sich die Frage – ich habe es gesagt –, ob sie auf dem Boden der Grundordnung stehen. Wenn daran Zweifel bestehen, ist der Innensenator aus Verfassungsgründen verpflichtet, das zu untersuchen und dem Parlament Mitteilung zu machen. Wenn dieser zu dem Ergebnis kommt, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht, wollen wir darüber öffentlich debattieren. Wenn er jedoch zu dem Ergebnis kommt, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat er die verfassungsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohlmeier?

Ich wüsste nicht, wozu das gut wäre. Herr Kohlmeier gehört zu den Leuten, deren Koordinatensystem verrutscht ist. Worüber wollen wir reden?

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das grenzt an Unzurechnungsfähigkeit!]

Abschließend möchte ich ein Wort zu Ihnen sagen, Herr Wowereit. Wir haben bei diversen Gelegenheiten gehört, dass Sie einer Linksaußenkoalition im Bund nicht abgeneigt sind. Ihre Bundespartei will das aber nicht. Durch Ihr Anbiedern an die PDS als Koalitionspartner, durch Ihren unkritischen Umgang mit den Postkommunisten –

was einzig und allein Machterwerb und Machterhalt diente –, haben sie den SED-Nachfolger erst salonfähig gemacht. Das schadet der gesamten SPD und ist einer der Gründe, warum Ihr Vorsitzender Kurt Beck inzwischen in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden droht.

Ich sage Ihnen hier in aller Deutlichkeit, dass wir eine klare und harte Linie gegenüber den radikalen Elementen der Linken auch in Berlin brauchen. Die CDU hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass auf Bundesebene rechts von ihr keine radikale Partei stark werden konnte. Wir haben Koalitionen mit den Rechtsradikalen stets klar und deutlich eine Absage erteilt. Wir werden das auch in Zukunft tun.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Diese Rolle, Herr Wowereit, muss auch die Sozialdemokratie zur Eindämmung des linkes Randes endlich wieder annehmen. Ich fordere Sie daher auf, Herr Regierender Bürgermeister, distanzieren Sie sich von den linkspopulistischen Sprengmeistern, erklären Sie sich zu den Positionen Ihres Koalitionspartners und trennen Sie sich von ihm, falls Sie sich noch ein Fünkchen Anstatt und sozialdemokratisches Traditionsbewusstsein bewahrt haben. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Kohlmeier.

[Der Abgeordnete geht mit seinem Laptop an das Rednerpult – Heiterkeit]

Liebe Kollegen! Ich möchte doch ein wenig zur Aufhellung dessen beitragen, was Herr Henkel gerade gesagt hat. Die Doppelzüngigkeit, mit der die CDU hier spricht, ist ekelhaft. Sie haben vorhin gesagt, was Sie alles ekelhaft finden. Ich möchte zur Aufhellung für Sie und Ihre Partei darauf aufmerksam machen, was in Ihren eigenen Landesverbänden und Kreisverbänden geschieht, weil immer so getan wird, als sei die PDS so verbiestert und verbohrt. Dort arbeiten Sie mit der PDS zusammen; sie wählen sogar gemeinsam die Bürgermeisterin, obwohl im „Berliner Kurier“ geschrieben wird, dass diese möglicherweise für die Stasi gearbeitet hat.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das kommt hier nicht zur Sprache. Sie versuchen, auf die Linke einzuschlagen, weil sie sich einen neuen Namen gegeben hat. In Ihren Kreisverbänden arbeiten Sie hingegen locker, flockig zusammen.

[Dr. Frank Steffel (CDU): Mach den Fernseher aus!]

Zur weiteren Aufhellung, lieber Kollege Henkel, möchte ich noch einen Satz Ihres ebenfalls Geschäftsführers Ma

rio Czaja vortragen. Der schreibt in einem netten Bürgerbrief:

Ohne eine wie auch immer geartete Koalition mit der PDS eingegangen zu sein, gelang es uns, mit der PDS als stärkster Fraktion in der BVV konkrete Arbeitsschwerpunkte zu fixieren.

Was ist denn unter einer Fixierung der Arbeitsschwerpunkte zu verstehen? Auf Bezirksebene gehen Sie eine Koalition ein. Hier im Land stellen Sie sich hin und versuchen, der PDS einzureden, wie schlimm sie ist. Das ist eklig, Herr Henkel.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Ich sehe zu diesem Beitrag keine weitere Reaktion.

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Kein Wunder! Da war er wieder mal sprachlos, der Kollege Henkel!]

Das Wort hat jetzt für die Linksfraktion der Abgeordnete Dr. Lederer!

Er war nicht nur sprachlos. Wahrscheinlich hat er noch an Herrn Schill gedacht. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktualität dieser Besprechung hatte ich nicht zu begründen. Die FDP ging es ebenso, sie wird schon ihre Gründe dafür gehabt haben. Ich bin aber schon erstaunt, dass Sie heute keine anderen Themen aufzubieten haben. Zugestanden, die FDP ist angefressen. Unser Gründungsparteitag hat Ihren eigenen Parteitag in der Presseberichterstattung auf die Seiten 3 oder 5 verbannt. So ist das manchmal in einer pluralen Demokratie. Nehmen Sie es leicht. Wenn ich mir aber die Eiferei von Herrn Lindner hier anhöre, so habe ich den Eindruck, dass es für den eitlen Herrn Lindner eine persönliche Niederlage gewesen zu sein scheint.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Zu Ihrem Thema will ich fünf Anmerkungen machen. Erstens: Gesellschaftliche Veränderung spielt sich permanent ab. Sie wird von vielen verschiedenen Kräften ständig konflikthaft vorangetrieben. Die FDP – der Kollege Gaebler hat schon darauf hingewiesen – stellt permanent und ständig die Systemfrage. Ich will Ihnen das einmal vorführen, indem ich noch etwas ergänze. Das FDPPräsidium beschwört per Beschluss vom 26. August 2005 den Übergang von der Objekt- zur Subjektförderung und spricht von einem Systemwechsel. Auf den Hochschulpakt wolle die hessische FDP gar einen kompletten Systemwechsel hin zu Bildungsgutscheinen. Und wieder melden sich die hessischen Liberalen: Rundfunkgebühren müssen alle zahlen. Die FDP fordert einen Systemwechsel. Gleich wieder geht es weiter: Privat geht vor Staat. Die Liberalen wollen den Systemwechsel. Zu den jüngsten Ärzteprotesten sekundiert FDP-Chef Westerwelle mit der Forderung nach mehr Wettbewerb und mahnt was an?

Genau, es ist wieder ein Systemwechsel. Ganz einfach ist das. Was schließen wir daraus? Muss man die Liberalen vom Verfassungsschutz beobachten lassen?

[Zurufe von der Linksfraktion: Ja!]

Muss man ihnen Berufsverbot erteilen?

[Zuruf]

Ach, Sie sind der Verfassungsschutz? Das ist spannend. Darauf kommen wir gleich noch zu sprechen.

Zweitens: Da sich die einzelnen Teilsysteme der Gesellschaft permanent umwälzen und verändern, befindet sich auch das Gesamtsystem ständig in Bewegung. Wer wollte behaupten, dass Deutschland heute noch so wäre wie vor 50 Jahren? Die Transformation vom nationalstaatlichen Industriesektor unter strikter staatlicher Regulierung, klassischer Kleinfamilie, autoritärem innenpolitischen Etatismus hin zu einer ausdifferenzierten Gesellschaft mit Vielfalt der Lebensweise, aber auch globalisierter Marktökonomie und zunehmender sozialer Desintegration. Wenn das kein Systemwechsel war, was ist dann ein Systemwechsel?

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Drittens: An diesem Wechsel haben Liberale zum Teil vorbildlich in Sachen Bürgerrechte mitgewirkt: Baum, Hirsch, Hamm-Brücher, Verheugen, Karl Flach. Das sind alles Namen, die sich damit verbinden. Es gab eine Zeit, da beteiligte sich die FDP an gesellschaftlicher Bewegung, die unter der Überschrift stand: Mehr Demokratie wagen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Lesen Sie einmal die Freiburger Thesen der FDP von 1972! Erinnern Sie sich – der Kollege Gaebler hat es schon hervorgehoben – an die Beteiligung der FDP an der Anti-Strauß-Kampagne! Strauß führte seinen Wahlkampf bekanntlich unter dem Titel: Freiheit statt Sozialismus. Vollziehen Sie den Austritt der Jungdemokraten 1982 aus der FDP nach! Standen sie, liebe Freidemokraten, in den siebziger Jahren außerhalb des Grundgesetzes? Und Sie, meine Herren und meine Damen von der CDU, standen Sie bei der Verabschiedung des Ahlener Programms außerhalb des Grundgesetzes? Das klingt ein wenig debil, lieber Kollege Henkel, was Sie hier eben zu diesem Thema ausgeführt haben. Da ist ein wenig Geschichtsvergessenheit am Start, so scheint es mir.

Viertens: Man kann es beantworten. Nein, die Freidemokraten standen nicht außerhalb des Grundgesetzes. Das Grundgesetz geht von einer grundsätzlich offenen Gesellschaftsentwicklung aus. Der moderne Staat wird durch die Gewährleistung des Rechts legitimiert. Recht ist aber an Bedingungen gebunden. Auch die Wahrnehmung von Rechten ist übrigens an Bedingungen gebunden. Auch hält der Staat die Grenzen, die ihm durch legitime Herrschaft gezogen sind, nicht immer ein. Er kann Ordnungen erzeugen oder schützen, die als ungerecht empfunden werden. Er kann auch Menschen entrechten, ihnen den Status von Bürgern nehmen und so weiter. Gesetzlichkeit

und gerechtes Recht sind zu unterscheiden. Auch materielle und bloß formelle Rechtstaatlichkeit sind zu unterscheiden. Der Streit über diese Frage ist in unserem Land erlaubt, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das Bundesverfassungsgericht spricht von der für eine Demokratie „schlechthin konstituierenden“ Funktion der Kommunikationsgrundrechte. Die Geschichte der Bundesrepublik war auch von Auseinandersetzungen durchzogen, die diese Fragen betrafen, die „Spiegel“-Affäre, Notstandsgesetzgebung, polizeiliche Willkür gegen Protestbewegungen. All das sind Stichworte. Heute könnte man als Beispiele aufführen: soziale Deklassierung und Ausgrenzung durch zunehmende Privatfinanzierung der Sozialsysteme und durch Privatisierung öffentlicher Gewalt, globale Entsolidarisierung durch Bildung der Festung Europa, Verschärfung der sogenannten präventiven Sicherheitspolitik wie Tornado-Einsätze zur Demonstrationsbeobachtung.

Das Grundgesetz fordert die geistige Auseinandersetzung in der Gesellschaft als grundsätzlich staatsfreien Prozess. Das setzt geistige Auseinandersetzung voraus.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Das Grundgesetz setzt den Pluralismus in der Gesellschaft voraus. Es kann ihn aber nicht selbst gewährleisten,

[Zuruf von Michael Braun (CDU)]

denn der Staat ist im Verhältnis zur Gesellschaft gleichzeitig Gewährleistungsinstanz und Beteiligter. Der Staat handelt also nie objektiv; er entwickelt ein Staatsinteresse. Die gesellschaftliche Autonomie ist deshalb auch in der formellen Demokratie tendenziell gefährdet. Hier sieht die Linke für sich eine wichtige Rolle beim Schutz der Bürgerrechte.