Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Entsprechend ist auch die Wahlbeteiligung!]

Alle Fraktionen dieses Hauses – bis auf die kleine FDP – stehen zur Einführung der Umweltzone in Berlin. Auch die CDU! Das ist begrüßenswert, das war nicht immer so und hat sich erst in dieser Legislaturperiode gewandelt. Herr Wilke und Herr Pflüger! Das muss ich ausnahmsweise mal anerkennen. Wenn es angebracht ist, sollte man das tun. Sie haben an der Stelle etwas dazugelernt, und das freut uns.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der Luftreinhalte- und Aktionsplan, den wir in Berlin aufgestellt haben, war mustergültig für viele andere Städte. Auch grüne Ratsherren habe ihn gern abgeschrieben. Dieser Luftreinhalte- und Aktionsplan ist ein vernünftiger Fahrplan. Das bedeutet: Übergangsfristen klar definieren, damit sich die Leute darauf einstellen können. Wer nachweisen kann, dass er das als „Kleiner“ wirtschaftlich nicht stemmen kann oder dass es technisch keine Nachrüstmöglichkeiten gibt, bekommt eine Ausnahmegenehmigung, und zwar zunächst einmal für anderthalb Jahre. Das ist doch deutlich mehr als nichts. Sie tun so, als würde alles gleich am 1. Januar 2008 eingeführt.

Wir müssen auch Folgendes sehen: Nur durch diese politischen Grenzsetzungen haben wir erreicht, dass die Industrie bzw. die Hersteller von Dieselfahrzeugen, von Transportern und Bussen gelernt haben, richtige Dieselfilter anzubieten. Diesen Fortschritt schafft man nur über politische Vorgaben, aber dazu muss man dann auch in der Praxis stehen, und zwar mit einer Umweltzone. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Herr Schmidt von der FDP-Fraktion hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Buchholz! Sie haben an dem entscheidenden Punkt vorbeigeredet, und das ist die Frage: Bringt die Umweltzone überhaupt etwas?

[Beifall bei der FDP]

Auch wenn alle anderen das machen, denen nichts Besseres einfällt – genauso wenig wie Ihnen –, bleibt die Frage: Bringt das was? – Aber zu dieser Frage haben Sie kein Wort gesagt. Sie können auch nicht die FDP dafür angreifen, dass Ihnen nicht mehr einfällt. Die Umweltzone bringt nichts. Dafür gibt es genügend Beispiele. Schauen wir in zwei Jahren, wie es aussieht. Ich wette mit Ihnen, dass es nichts bringt.

[Beifall bei der FDP]

Herr Buchholz hat das Wort zu einer Erwiderung. – Bitte!

Herr Schmidt! Wir haben vielleicht ein Kommunikationsproblem miteinander.

[Michael Dietmann (CDU): Oho!]

Die Alternative zur Einführung der Umweltzone wäre erstens die Sperrung von Hauptverkehrsstraßen in Berlin. Sie wissen, dass es Gerichtsverfahren gibt, weil Anwohner geklagt und praktisch den Senat fast schon dazu verdonnert haben, hier zu handeln. Eine zweite Alternative wäre „Tempo 30“ flächendeckend in der Stadt. Das wäre dann aber eine völlig neue Forderung der Berliner FDP.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Dazu haben Sie sich noch nicht so richtig durchgerungen. Herr Schmidt! An der Stelle müssen Sie Farbe bekennen. Jetzt alle deutschen Großstädte – außer Hamburg – mitsamt den Regierungen zu Idioten zu erklären, das geht doch ein bisschen weit. Sie sollten dann doch überlegen, ob Sie oder die anderen außerhalb des allgemeinen Überzeugungsraumes stehen. Das müssen Sie sich an der Stelle einmal fragen.

[Volker Thiel (FDP): Das ist nicht unser Sprachgebrauch! Was Sie da gesagt haben, würden wir nie so formulieren!]

Sie würden es nicht so formulieren. Herr Thiel! Man muss aber die Gedanken, die die Mitglieder der FDPFraktion haben, auch einmal zu Ende denken, und dann kommen flächendeckende Sperrungen heraus. Das ist Verhinderungspolitik à la FDP. Das ist nichts für eine rotrote Koalition.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Nun hat Herr Melzer für die CDU-Fraktion das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Buchholz! Ein kurzer Satz zu dem, was Sie eben gesagt haben: Sie haben gesagt, sie wurden zum Handeln verdonnert, weil Leute geklagt haben. Dass Leute geklagt und Recht bekommen haben, bedeutet für die rot-rote Koalition aber nicht immer, dass sie auch handelt. Es wäre zwar schön, wenn Sie dann immer handeln würden, aber meistens ist es so, dass Sie dann einfach Ihren Stiefel weitermachen.

Sei’s drum: In 109 Tagen – am 1. Januar 2008 – wollen Sie die Umweltzone in Berlin starten. Die Auswirkungen

dieses Projekts sind aber in großen Teilen nicht hinreichend genug abgeschätzt worden, und der Senat setzt es lieber gegen die Betroffenen statt mit vielen Betroffenen um. Dieses Projekt ist weder sozial- noch wirtschaftsverträglich ausgestaltet, wie wir es auch in unseren Anträgen geschrieben haben. Dieses Projekt ringt nach wie vor um Akzeptanz und wirft täglich mehr Fragen auf, als es Lösungen anbietet.

Dennoch bekennen wir uns als CDU-Fraktion grundsätzlich zu den umwelt- und gesundheitspolitischen Zielen, die mit der Umweltzone verfolgt werden. Gleichzeitig sagen wir aber auch: Wenn man so etwas einführt, dann muss man das Projekt zu Ende denken und nicht in der Mitte aufhören.

Wie fing es also in diesem Jahr an? – Im Januar konnte die zuständige Senatorin Lompscher im Fachausschuss selbst die einfache Frage nicht beantworten, wie viele private und wie viele gewerbliche Fahrzeuge vom Fahrverbot in der Innenstadt überhaupt betroffen sein werden. Zunächst, Frau Lompscher, sagten Sie, man könne noch keine Zahl nennen. Einige Minuten später waren es dann schon 70 000 Fahrzeuge. Wirklich auskunftsfähig ist das nicht. Es kursierten auch immer wieder andere Zahlen. Das Einzige, was festzustellen ist, ist, dass die Zahl der Betroffenen rasant zu wachsen scheint.

Deswegen appellieren wir, nicht mit vagen Schätzungen und Vermutungen zu operieren, sondern vor der Einführung der Umweltzone bereits eine stichhaltige Folgenabschätzung durchzuführen. Dazu gehört zunächst eine klare Aussage zur Anzahl der betroffenen Fahrzeuge, zur Anzahl der betroffenen Unternehmer und Berliner. Eine solche Analyse muss auch die Grundlage einer vernünftigen wissenschaftlichen Begleitung der Umweltzone sein. Wir haben das heute beantragt und wollen sicherstellen, dass in dieser Begleitung das Verkehrsaufkommen in der Stadt, die Entwicklung des Verkehrsaufkommens in der Stadt, die Auswirkungen auf den ÖPNV und die Feinstaubbelastung wirklich untersucht werden. Sie stehen letztlich in der Verantwortung, bereits jetzt und nach Einführung der Umweltzone detailliert und verlässlich zu arbeiten und offene Fragen zu klären.

In anderen Städten – das ist gerade angeklungen – arbeitet die Verwaltung mit den Wirtschaftsverbänden konstruktiv gemeinsam mit dem Ziel, eine praktikable Umsetzung der Umweltzone zu garantieren. Köln, München, Hamburg, Stuttgart und andere Städte wurden genannt. Nur die Berliner Landesregierung hat sich dazu entschieden, die Umweltzone nicht mit, sondern eher gegen die betroffene Wirtschaft durchzuboxen. Eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat einige interessante Fakten zutage gebracht. Die Handwerkskammer spricht allein in ihrem Bereich von 44 500 betriebsnotwendigen Fahrzeugen, bei denen ohne sinnvolle Regelungen ab 2010 die Räder stillstehen. Das sind 95 Prozent aller Handwerksbetriebe, die betroffen wären.

Der Verband Verkehr und Logistik hat für seinen Bereich 14 000 Fahrzeuge gezählt. Allein auf dem Bau sind 3 000 Arbeitsplätze gefährdet. Zur Nachrüstung aller Fahrzeuge schätzt die Investitionsbank Berlin den Investitionsbedarf auf 1,25 Milliarden €. Eine so gewaltige Summe wird kurzfristig von den vielen Unternehmen und Kleinunternehmen für Neuinvestitionen mit Sicherheit nicht zur Verfügung gestellt werden können. Spätestens an dieser Stelle müssen Sie doch einmal aufwachen und aus wirtschaftspolitischer Vernunft auch überdenken, ob das, was Sie bisher vorgebracht haben, wirklich das Allheilmittel ist.

[Daniel Buchholz (SPD): Mit den Ausnahmegenehmi- gungen haben sie zwei Jahre Zeit!]

Es sind noch nicht einmal zwei Jahre, Herr Buchholz, es sind 18 Monate. Die Ausnahmegenehmigungen sind so eng, dass man kaum damit arbeiten kann.

Herr Kollege! Es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Meyer von der FDP-Fraktion.

Nein, danke. Ich möchte gern fortfahren und noch einmal zur SPD-Fraktion kommen. – Der Landes- und Fraktionsvorsitzende Müller schlägt zur Unterstützung der Wirtschaft ein IBB-Kreditprogramm vor. Wirtschaftssenator Wolf lehnt das ab. Selbst Herr Buchholz hat einmal im Ausschuss gesagt, dass dies nicht finanzierbar sei. Dies könne nicht gemacht werden. Auch in dieser Frage herrscht also in der Koalition Umweltzonenmeinungschaos.

Tatsächlich glauben wir, dass das IBB-Kreditprogramm nichts bringt. Es ist nicht das gepriesene Allheilmittel, sondern ein Placebo. Die geringe Akzeptanz der Umweltzone in der Bevölkerung wäre etwas, das man bekämpfen und woran Sie arbeiten müssten. Drei von vier Berlinern lehnen laut einer Infratest-Dimap-Umfrage eine Umweltzone ohne sinnvolle Ausnahmegenehmigungen ab. Sie hätten beispielsweise die Festlegung der Zeitplanungen und die Staffelung der Schadstoffgruppen, die technischen Daten der Fahrzeuge viel früher in die Überlegungen einbeziehen müssen, so wie wir es in unseren Anträgen gefordert haben. Dazu waren Sie nicht in der age. L

Herr Kollege! Sie müssen leider zum Schluss kommen! Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich bin sofort so weit. – Viele Anreizsysteme, die wir in unseren Anträgen vorgeschlagen haben, z. B. steuerliche Abschreibungszeiten zu berücksichtigen, lassen Sie ebenfalls ungenutzt. Sie haben jetzt noch 109 Tage Zeit bis zur Einführung der geplanten Umweltzone. Täglich ergeben

sich mehr Fragen. Kaum gibt es angebotene Lösungen von Ihnen. Wir fordern Sie deshalb auf, die verbleibende Zeit zu nutzen, die Berliner Umweltzone wirtschafts- und sozialverträglich zu gestalten und an praxisnahen Lösungen zu arbeiten. In Anbetracht der bisherigen Gestaltungskraft in dieser Frage glauben wir aber, dass dieses Vorhaben nur schwerlich gelingt.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat die Abgeordnete Frau Marion Platta.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erstes komme ich noch einmal zu den Zahlen. Nach den Informationen aus der Senatsverwaltung gibt es die Einschätzung, dass lediglich sieben Prozent von den derzeit 1,2 Millionen in Berlin angemeldeten Fahrzeugen von der Umweltzone 2008 betroffen sind. Darüber sollte man noch einmal nachdenken und darauf achten, wie sich das weiter entwickeln kann.

Im Ausschuss sind eindeutige Zahlen genannt worden. Es sind 70 000 Fahrzeuge bei den Pkws und 30 000 im Gewerbebereich, sodass klar wird, wohin die Linie geht. Die Umweltzone entwickelt sich zum Dauerbrenner und zum Glück, ohne Feinstaub und Stickoxide zu produzieren, sonst hätten wir noch mehr Probleme. Der Feinstaub wird zunehmend als Umweltproblem erkannt und thematisiert. Auch Biofilter für Feinstaub und Stickoxide werden nicht erst seit der Diskussion zur Umweltzone untersucht.

Untersuchungen zur Wirkungsweise von Luftschadstoffen auf Pflanzen und Moose gibt es seit mindestens den Sechzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts. Die Untersuchungsmethoden haben sich verfeinert. Die Ergebnisse werden konkretisiert. Nicht zuletzt dadurch erhält die Vegetation gerade in der Stadt einen neuen Stellenwert. Das ist unbestritten. Auch in Berlin hat sich das Stadtbild vielerorts in wesentlich mehr Grün gehüllt. Damit meine ich nicht nur die begrünten Straßenbahngleise. Trotzdem gibt es auch CDU-Stadträte, die manchmal – wie bei uns in Lichtenberg – von nutzlosem Grün sprechen. Wir haben es stets anders gesehen.

[Mario Czaja (CDU): In Lichtenberg gibt es keinen CDU-Stadtrat!]

Es war zu Beginn der Neunziger Jahre. Erinnern Sie sich daran, dass es sehr wohl einen CDU-Stadtrat gab.

[Mario Czaja (CDU): Dann ist Ihre Rede wohl zehn Jahre alt!]

An den Universitäten Karlsruhe und Essen wird die Filterwirkung von Luftschadstoffen auf Bäume und anderen Vegetationssystemen entlang der Straßen untersucht. Seit Jahren wird an der Uni in Bonn zu Moosen geforscht. Ein ausgewachsener Laubbaum soll bis zu 1 000 kg Staub dank seiner bezogen auf die Bodenfläche rund zehnmal

größeren Blattoberfläche binden können. Die Moose sind noch viel besser dran. Sie speichern nämlich die Stickoxide in ihren Partikeln und sind sogar wegweisend. Es gibt welche, die absterben und andere, die geradezu fressartig die Stickoxide benötigen.

Vielfältige Berichte deuten an, dass die Wirkung einer üppigen Vegetation die technischen Möglichkeiten von Partikelfiltern deutlich übersteigen könnte. Das Problem ist allerdings, dass die Wirkungsweise an die Wachstumsphase gekoppelt ist. Sie von der FDP werden nicht leugnen können, dass dies wohl nur in den Sommermonaten wirklich Wirkung zeigen kann. Das ist auch an den Messreihen der 15 Messstation des BLUME-Netzwerk über den Jahresverlauf zu entnehmen. Unbestritten ist die hervorragende Wirkung der Vegetation für die Verbesserung der stadtklimatischen Bedingungen. Es ist nachweislich bis zu sieben oC kühler in Waldgebieten gegenüber benachbarten dicht besiedelten Gebieten in den heißen Sommermonaten.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scholz von der CDU-Fraktion?

Bitte! Wenn ich sie beantworten kann.

Frau Kollegin! Glauben Sie, dass es irgendeinen Handwerker, der seine Existenz aufs Spiel setzen muss, weil er nicht unter die Härtefallregelung fällt oder die Ausnahmegenehmigung erwirken kann, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen und von der Selbständigkeit direkt in Hartz-IV übergleiten muss, in irgendeiner Form interessiert, was Sie uns hier berichten?