Ja! – Insofern bitte ich die Opposition bei ihren zum Teil sehr wünschenswerten Vorschlägen um entsprechende Berücksichtigung und um Vorlage entsprechend gestalteter Vorschläge. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon vor drei Jahren entsprechende Anträge in das Berliner Parlament eingebracht. Damals wurden sie noch mit der Begründung: „Wir prüfen noch.“ abgelehnt. – In der Tat, Herr Czaja, vor fast genau einem Jahr stand ich hier an dieser Stelle und habe angesichts steigender Infektionszahlen für eine Aktuelle Stunde zum Thema HIV/Aids geworben und unseren Antrag „Berlin braucht ein Gesamtkonzept für sexuelle Gesundheit“ vorgestellt. Nach vielen Monaten des intensiven Werbens kann ich heute feststellen, dass das Thema endlich in der Mitte dieses Parlaments angekommen ist. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung!
Es bleibt dabei: Wir haben in Berlin – gegen den Bundestrend, das wurde eben schon gesagt – steigende Zahlen von Neuinfektionen.
Dieses Jahr werden es vermutlich 500 sein. Es gab seit dem Jahr 2001 insgesamt weit mehr als eine Verdoppelung der HIV-Neuinfektionen. Bei den Männern, die Sex mit Männern haben, sogar eine Verdreifachung. Sie machen nach wie vor den weitaus größten Anteil aus, bis zu 90 Prozent. Das ist weit über dem Durchschnitt, wie uns Herr Marcus vom Robert-Koch-Institut erklärte.
Es wäre jedoch verkürzt, nur über HIV zu sprechen. Es gibt auch sehr hohe Infektionszahlen bei Hepatitiden und Syphilis, was wiederum die Ansteckungsgefahr für HIV erhöht. Auch das hat uns Herr Marcus im Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz verdeutlicht. Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch ein Gesamtkonzept für sexuelle Gesundheit.
Nun hat die Koalition einen eigenen Antrag vorgelegt, der zwar einige drängende Probleme benennt, der aber in den Forderungen an den Senat leider nicht über Prüf- und Berichtsaufträge hinausgeht. Das ist uns zu wenig! Wir hätten gern Taten gesehen und nach dem langen Vorlauf auch mehr erwartet.
Ich muss die Kollegin Winde ausdrücklich in Schutz nehmen, denn nach unseren kollegialen Gesprächen weiß ich, dass sie mehr wollte. Aber es ist die Verwaltung, die mauert. Ich kann Sie nur auffordern, Frau Lompscher, machen Sie im eigenen Haus Druck! Es geht um die Rettung von Menschenleben, nicht mehr und nicht weniger! Allein in diesem Jahr werden in Berlin wieder hundert Menschen an den Folgen von Aids sterben. Wir erwarten flexibles Handeln von Ihnen und Ihrer Verwaltung.
Nehmen Sie sich ein Beispiel am Bund! Es gibt einen nationalen Aidsaktionsplan. Die Mittel wurden auf Bundesebene aufgestockt und nicht – wie in Berlin in den letzten Jahren – gekürzt. Es gibt die erste bundesweite Präventionskampagne bezogen auf schwule Männer „Ich weiß, was ich tu!“. An diese müsste sich Berlin dringend andocken, und zwar schnell, denn die Kampagne ist nur für drei Jahre geplant.
Aber es gibt noch mehr in Berlin zu tun, in der Prävention und in der Versorgung. Es gilt, das vorbildhafte Schöneberger Modell, die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Gesundheitsdienst mit freien Trägern, Schwerpunktpraxen und den Spezialkliniken in seiner Substanz zu sichern und zu erneuern. Stattdessen sind in mehreren Bausteinen des Modells Kürzungen und Einschränkungen vorgenommen worden. Eine Kürzung ist nun, auch dank des einstimmigen Beschlusses dieses Hauses und Ihrer Aktivität, Frau Lompscher, vorerst abgewehrt worden, die Streichung der Aidspauschale der Schwerpunktpraxen. – Dazu herzlichen Glückwunsch, Frau Lompscher!
Aber da, wo Sie und der Senat selbst zuständig sind, handelt der Senat nicht anders, als es die Kassen planten. Er hat genau da gekürzt und Strukturen zerstört, wo der Bedarf gestiegen ist. Das hat in der Summe fatale Folgen.
Erstes Beispiel: Die bezirklichen Aidsberatungsstellen wurden von sechs auf jetzt vier Zentren für sexuelle Gesundheit reduziert, angeblich ohne Verlust für die Klienten. Aber das neugebildete Zentrum am Hellersdorfer Stadtrand nimmt im Schnitt nur 70 HIV-Testungen im Monat vor, während Kreuzberg mit 240 monatlichen Testungen über der Belastungsgrenze liegt. Was ist das für eine Ressourcenverschwendung, denn in Hellersdorf muss gleichfalls die identische Infrastruktur vorgehalten werden! Jetzt überlegen die Hellersdorfer, im Bezirk Lichtenberg Außenstellen einzurichten, und das, nachdem in Lichtenberg die Aidsberatungsstelle geschlossen worden
Zweites Beispiel: Die freien Träger haben erkannt, dass HIV- und Syphilisschnelltests als niedrigschwelliges Angebot der Prävention, verbunden mit Beratung in den Einrichtungen wie Mann-O-Meter oder der Berliner Aidshilfe, angeboten werden sollten. Mann-O-Meter macht das sehr erfolgreich. Dafür aber gab es kein Geld. Nur über Lottomittel und viel ehrenamtliche Selbstausbeutung kann dieses Angebot zweimal im Monat aufrechterhalten werden, das in Städten wie München, Köln, Düsseldorf selbstverständlich öffentlich gefördert wird. Peinlich für Berlin!
Ja! – Wir fordern, dass die flächendeckende Aufklärung in den Berliner Schulen wieder überall und nicht mehr rudimentär in einzelnen Regionen der Stadt erfolgt. Die Evaluation zum integrierten Gesundheitsvertrag hat ergeben, dass im Handlungsfeld HIV/Aids die Politik mehr steuern soll. Damit sollten wir endlich beginnen. Wir sind schon lange dazu bereit. – Vielen Dank!
Danke! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HIV und Aids stellen eine der größten Herausforderungen der medizinischen Geschichte dar. Neben den unmittelbaren gesundheitlichen Konsequenzen für die Betroffenen sind die psychologischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Auswirkungen für sie und die Gesellschaft insgesamt von Bedeutung. Aufklärung sowie neue Nachweis- und Behandlungsmethoden führten dazu, dass in den 90er-Jahren die Neuinfektionsraten in Deutschland zunächst nicht mehr anstiegen. Eine Heilung ist aber leider trotz Hoffnung weckender Einzelberichte nicht möglich, wenngleich sich für die meisten Patienten unter Behandlung die Lebenserwartung erheblich verlängert und die Lebensqualität verbessert hat.
Vor diesem Hintergrund ist es umso alarmierender, dass sich in Berlin in den letzten fünf Jahren die Neuinfektionsraten verdoppelt haben. Zu den Ursachen zählt der Wandel in der Therapieplanung, die Veränderung der Schutzstrategien und die Wiederzunahme anderer sexuell
erworbener Infektionen. Für viele mag auch der therapeutisch veränderte Krankheitsverlauf zu einer Verschiebung der Prioritäten im sexuellen Verhalten geführt haben. Dabei können medizinischer Fortschritt und die höchst berechtigte Sehnsucht nach Entstigmatisierung in eine fatale Sorglosigkeit im Verhalten gerade junger Menschen münden, die allzu gerne schon in einer Zeit leben würden, in der HIV kein Thema mehr ist. Leider ist es im Hier und Jetzt aber noch eins, und zwar ein ganz großes.
Diese Erkenntnis ist alles andere als neu, und umso mehr fragt man sich, wieso diese Koalition lange brauchte, um mit einem nicht nur verspäteten, sondern auch halbherzigen Antrag zu reagieren. Es ist ja schön, dass Sie alles prüfen wollen. Was schon geprüft wurde, und zwar von der Wirklichkeit, ist Ihre Politik, und deren Ergebnis ist verheerend.
Frau Winde! Wir stimmen Ihnen ausnahmsweise zu, als Sie gegenüber dem „Tagesspiegel“ sagten, das Thema Aids sei vernachlässigt worden. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! – Frappierend ist nur, dass die Infektionsrate mit einem tödlichen Virus erst fünf Jahre lang kontinuierlich ansteigt, bevor Sie aufwachen. Daraus muss man schließen, dass der Senat mit seiner Verantwortung für die Gesundheit der Menschen in Berlin überfordert ist.
Statt die Ursache zu bekämpfen, wurde während des Anstiegs der Infektionen die Mittel für Prävention und Betreuung gekürzt. Das ist ungefähr so intelligent, wie bei einem abstürzenden Flugzeug auch noch die Triebwerke abzustellen.
Von den gleichgeschlechtlich liebenden Menschen, die in Berlin 90 Prozent der HIV-Infizierten ausmachen, hätten sich sicher viele gewünscht, dass sich gerade der Regierende Bürgermeister mit seiner Vita mit dem Thema beschäftigt und nicht nur repräsentative Aufgaben übernimmt.
Ich fordere vom Senat, die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitszentren, Ämtern, freien Trägern, den niedergelassenen Ärzten und den Kliniken strukturell wie finanziell ergebnisorientiert und effizient zu organisieren. Selbst wenn der Senat findet, dass das Thema HIV die richtige Stelle zum Sparen ist, frage ich Sie: Glauben Sie denn wirklich, dass die langfristigen Kosten steigender Infektionszahlen durch heutige Einsparungen im Programm auszugleichen sind? – Nein! Ihre Politik ist ein doppelter Verlust für Berlin, ein ethischer und finanzieller. Jeder Euro, den wir heute in effektive Programme investieren, zahlt sich in Zukunft hundertfach aus. Der Senat muss sich stärker engagieren als bisher. Er sollte ein zielgruppenspezifisch differenziertes Präventionskonzept vorlegen, das den brutalen Charakter dieser tödlichen Erkrankung vermittelt und die gesellschaftliche Stigmatisierung der Betroffenen bekämpft. Engmaschig verfügbare
und kostenlose HIV-Tests, Unterstützung von Organisation und Finanzierung von Peer-Education, die Kooperation mit Migrantenverbänden, ein energischer Einsatz an der Seite der HIV-Schwerpunktpraxen gegen die existenzbedrohenden Honorarkürzungen, und zwar nicht erst in letzter Sekunde und auf Druck von außen, sondern nachhaltig über den April 2009 hinaus sowie ein neues Aufklärungskonzept unter Einbeziehung anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen sind dringend geboten.
Wir werden den Antrag der Grünen sowie letztlich auch den Antrag von Rot-Rot unterstützen. Wir werden das aber kritisch tun und hoffen, dass Berlin endlich auf den richtigen Weg kommt. – Danke!
Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz hatten Sie bereits bestätigt.
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Für die Beratung stehen wieder jeweils fünf Minuten pro Fraktion zur Verfügung. Für die Grünen hat der Kollege Ratzmann das Wort. – Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Deutsche Institut für Wirtschaft hat jüngst eine Studie veröffentlicht, in der es das Engagement der Länder für klimapolitische Ziele untersucht hat. Jetzt dürfen Sie mal raten, auf welchem Platz Berlin gelandet ist.
Richtig bzw. nicht ganz richtig! Berlin liegt nämlich nicht auf dem letzten, sondern auf dem vorletzten Platz.