Protokoll der Sitzung vom 05.03.2009

Jetzt kommen wir zu dem spannendsten Thema überhaupt, § 4 a Abs. 1 Nr. 3 „Speisenverabreichung, Speisenzubereitung in der getränkegeprägten Kleingastronomie“. – Das ist eine wunderbare Begrifflichkeit! – Zum einen ist klar, dass vor Ort nicht gekocht werden darf. Damit ist jedoch ein Streitpunkt, darf man eine Bulette warm machen oder gar ein Bockwürstlein, nicht geklärt. Zum anderen öffnet jedoch die Formulierung, dass keine vor Ort zubereiteten Speisen verabreicht werden dürfen, der Kreativität Tor und Tür. So darf man danach Speisen aller Art verabreichen, die nicht vor Ort zubereitet sind. Das kann das Eis aus dem Supermarkt bis hin zu ganzen Menüs sein, die für die Gäste von anderen Herstellern herbeigebracht werden. Oder Mutti kocht im Obergeschoss, und die Speisen werden über den Aufzug oder ähnliches in die Gaststätte gebracht.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Genau! Mitbringen!]

Ich persönlich halte diese Formulierung für ungemein listig und für den Erfindungsgeist für förderlich. Oder ist es womöglich doch nur ein Versehen oder ein Übertragungsfehler aus dem Koalitionsprotokoll? Jedenfalls entspricht diese Formulierung nicht dem Urteil des Bun

desverfassungsgerichts, auf das sich meine Kollegin Winde von der SPD immer wieder in der Öffentlichkeit beruft.

Lassen Sie uns das alles noch weiter im Ausschuss besprechen, damit mehr Klarheit in den Nichtraucherschutz in Berlin kommt! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Das wünsche ich mir auch!]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat jetzt Herr Dr. Albers. – Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich sehe schon an den Reaktionen hier zum Teil, z. B. vom Kollegen Hillenberg – der ist ja gar nicht da! –, dass diese Initiative für Genuss offensichtlich auch in unser Abgeordnetenhaus eingezogen ist nach dem Motto: Fröhlich und frei und selbstbestimmt in die Arteriosklerose. – Als Chirurg sage ich Ihnen ganz ruhig: Warten wir mal ab, wir sprechen uns noch!

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil ein striktes Rauchverbot in Gaststätten ausdrücklich für verfassungskonform erklärt und den Gesundheitsschutz eindeutig und unmissverständlich vor die wirtschaftlichen Interessen der Gaststättenbesitzer und die Verhaltensfreiheit der Raucher gestellt. Wir müssen ganz nüchtern feststellen – Herr Thärichen hat es schon getan –, dass es zurzeit für eine solche Lösung in unseren Fraktionen keine Mehrheit gibt, ob uns das gefällt oder nicht. Politisch sind von einer Mehrheit Ausnahmeregelungen vom Rauchverbot gewollt. Dazu hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil die Auflage gemacht, dass, wenn Ausnahmeregelungen in das Gesetz aufgenommen werden, dann diese zu keiner Ungleichbehandlung führen dürften. Wir waren deshalb aufgefordert, unser Berliner Nichtraucherschutzgesetz zu überarbeiten. Dem sind wir gefolgt, indem wir für die sogenannte – was für eine Wortschöpfung! – getränkegeprägte Kleingastronomie eine Ausnahme vom Rauchverbot zulassen, wenn – auch das ist erwähnt – die Gaststätte nicht über einen abgetrennten Nebenraum verfügt und die Grundfläche des Gastraums maximal 75 qm beträgt.

Wichtig ist uns, dass der Betrieb dieser Raucherkneipen bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausnahmeregelung der zuständigen Behörde anzuzeigen ist. Das macht Sinn, weil die Vertreterinnen und Vertreter des Ordnungsamts nicht anfangen können, nachts Räume auszumessen und zu prüfen, ob die Kriterien für die Ausnahmeregelung tatsächlich vorliegen – und das ist notwendig, um die Definitionshoheit darüber, was eine Raucherkneipe ist, nicht den Betreibern allein zu überlassen.

Eine besondere Beachtung hat in den Medien der Passus mit den vor Ort zubereiteten Speisen erhalten, die nicht verabreicht werden dürfen. Dazu will ich auf einen Aspekt hinweisen. Der Bundesgesetzgeber hat es bis heute nicht fertiggebracht, über die bundesweit geltende Arbeitsstättenverordnung ein allgemeines Rauchverbot am Arbeitsplatz durchzusetzen. Immer noch gibt es den § 5 Abs. 2, nach dem der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen in Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr nur insoweit zu treffen hat, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung das zulassen. Damit ist der Nichtraucherschutz für die Beschäftigten im Gaststättengewerbe ausgehebelt. Dem wollten wir entgegenwirken. Unsere Formulierung zielt unter anderem darauf ab, dass kein Küchenpersonal beschäftigt werden kann. Der zuständige EU-Kommissar Spidla hat im Oktober des letzten Jahres angekündigt, die Arbeitsstättenrichtlinien der EU im Sinn eines allgemeinen Rauchverbots an Arbeitsplätzen in 2009 zu verändern. Wir hoffen trotz der anstehenden Wahlen auf die Umsetzung dieser Absichtserklärung, ansonsten müssten wir prüfen, ob nicht eine Bundesratsinitiative zur Änderung der Arbeitsstättenverordnung Erfolg haben könnte.

Ich will zum Schluss noch etwas zum öffentlichen Umgang mit diesem Gesetz sagen. Kritik kommt vor allem von denen, die sagen, wir seien mit unserem Gesetz nicht weit genug gegangen und seien vor der Tabakindustrie eingeknickt. Niemand ist hier eingeknickt! Wir reden über eine Ausnahmeregelung für vielleicht noch 500 Berliner Eckkneipen. Das ist kein Einbrechen, das ist allerdings ein Tribut an die Lebenswirklichkeit dieser Stadt. Ich verhehle es nicht, ich bin und bleibe ein Befürworter des strikten Rauchverbots. Deshalb ist die Regelung, die wir hier jetzt getroffen haben, nur die zweitbeste Lösung. Es macht also in diesem Zusammenhang keinen Sinn, tapfer und unentwegt auf die Köpfe jener einzuschlagen, die im Prinzip das Gleiche wollen. So bedient man allenfalls das eigene Sendungsbewusstsein. So schafft man keine gesellschaftliche Akzeptanz, und so verändert man keine Mehrheiten.

Auch ein Wort an jene, die nach der gesamten damaligen Diskussion um Sinn und Zweck eines Nichtraucherschutzgesetzes überhaupt die erneute Diskussion nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Anlass nehmen, hinter den in dieser Diskussion erreichten Konsens zurückzufallen. Sie beweisen damit, dass sie den Sinn des Gesetzes immer noch nicht begriffen haben, indem sie wirtschaftliche Einwände gegen das Gesetz geltend machen.

Dazu sage ich ganz offen: Diese wirtschaftlichen Einwände tangieren mich höchst peripher. Einmal abgesehen davon, dass sich diese Argumente durch keinerlei verwertbare Zahlen – auch nicht in dieser Stadt – belegen lassen und auch die volkswirtschaftlichen Kosten der Auswirkungen des Nikotinmissbrauchs nicht gegengerechnet werden, hat das Bundesverfassungsgericht dazu eine glasklare Ansage gemacht und erklärt, dass wirtschaftliche Interessen hinter das hohe Anliegen des Schut

Schutzes der Gesundheit zurückzutreten hätten. Höflich gesagt: Es bleibt über die Gesetzesänderung hinaus reichlich zu tun, um den Sinn des Nichtraucherschutzes in den Köpfen durchzusetzen. Dann löst sich das Problem mit den Kneipen wahrscheinlich über kurz oder lang von allein. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Kosche. – Bitte!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit gut zwei Jahren wird das Nichtraucherschutzgesetz für Berlin diskutiert, und die erste rot-rote Novellierung des derzeitigen Gesetzes, die durch die SPD als Priorität eingebracht wird, ist ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen. Als wir 2007 den ersten Entwurf des Nichtraucherschutzgesetzes für Berlin diskutierten, taten wir das hier im Haus und auch in der Öffentlichkeit unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes. Alle Diskussionen und Beiträge stellten die Gefahren – besonders für die Nichtraucherinnen und Nichtraucher durch das Passivrauchen – in den Mittelpunkt. Die 3 300 Toten pro Jahr und die heftigen Krankheiten, die durch passives oder aktives Rauchen entstehen, sollten verhindert werden. Der Zweck des Berliner Gesetzes ist es, die Berliner Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen. Das können wir alle im § 2 nachlesen. Die Berliner Gesundheitssenatorin sprach sogar von radikalen Lösungen damals. Was Juristen heute aus dem Gesundheitsschutz machen, mussten wir eben erleben.

Immer schon ist uns Grünen die Liste der Ausnahmen von diesem Gesetz zu lang gewesen. Auch die Art der Ausnahmen haben wir kritisiert: Da ist die Nebenraumpolitik mit den Möglichkeiten, Nebenräume in Gaststätten zum Rauchen einzurichten, die die Haupträume kontaminieren. Das Rauchen in Nebenräumen von Sportgaststätten, in denen besonders viele Jugendliche sind, haben wir kritisiert und ebenso, dass Chefärzte in Krankenhäusern das Rauchverbot aufheben können. All das ist uns nicht genehm.

Zu dem rot-roten Änderungsantrag, der uns heute vorliegt, vorweg: Wir Grünen bedauern, dass mit der ersten Regierungsnovellierung nicht die Möglichkeit ergriffen wird, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aufgezeigt hat, nämlich einen strikten, ausnahmslosen Nichtraucherschutz für Berlin.

[Beifall bei den Grünen]

Zu der langen Liste von Ausnahmen, die ich eben erwähnt habe, kommen durch die Novellierung neue wesentliche hinzu. Wie gesagt: Der § 4, die Liste der Ausnahmen, ist die längste Passage in diesem Gesetz. Da ist zunächst die

Genehmigung der Wasserpfeifenlokale. Das ärgert mich besonders, weil Raucherinnen und Raucher von Wasserpfeifen überwiegend jung sind. Sie begreifen sich aber wegen der Äpfel und anderer gesunder Zusätze, die in dem Shisha-Tabak enthalten sind, nicht als Tabakkonsumentinnen und -konsumenten.

Die WHO – die Weltgesundheitsorganisation – rechnet uns aber vor, dass ein User in einer Wasserpfeifensitzung so viele Schadstoffe zu sich nimmt wie beim Rauchen von 100 Zigaretten. Das scheint Rot-Rot nicht zu stören.

[Christian Gaebler (SPD): Sollen die Shisha-Lokale alle geschlossen werden?]

Ich frage mich, was diese weiteren Ausnahmen mit dem Zweck des Gesetzes – § 2 – zu tun haben.

[Beifall bei den Grünen]

Zweitens, die genehmigten Raucherkneipen: Ich nenne nur ein Beispiel von den wirren Zahlen und Vorstellungen, die uns alle vorgetragen wurden. Es soll künftig staatlich genehmigte Raucherkneipen geben, mit den bekannten Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht genannt hat – es wurde vorgetragen: 75 qm, von Wand zu Wand, kein Nebenraum möglich usw. Unter anderem heißt es dort: „keine vor Ort zubereiteten Speisen“. Heißt das, dass zum Beispiel eine Durchreiche im Lokal zu einem Raum neben der Raucherkneipe, in dem Speisen zubereitet werden, oder ein Raum im Nebengebäude oder Hinterhof oder eine Cateringfirma genügen, um dem Gesetz zu entsprechen? Meiner Meinung nach sind Raucherkneipen damit langfristig im Vorteil gegenüber Gaststätten, die einen rauchfreien Service anbieten wollen, denn Raucherkneipen bieten beides an: Rauchen und Speisen. Das ist die falsche Richtung.

[Beifall bei den Grünen]

Fazit: Heute, nach zwei Jahren und auch nach der jetzt vorgelegten Novellierung wird hauptsächlich über die Ausnahmen geredet, nicht mehr darüber, wie wir den Gesundheitsschutz am besten umsetzen. Noch mehr Ausnahmen sind aber das Signal in die falsche Richtung. Das Gesetz, das vor den Gefahren des Passivrauchens schützen soll, wird immer löchriger und hat immer mehr Ausnahmen. Es wird immer mehr Verwirrung und Durcheinander in der Stadt geben, was eigentlich gilt, was möglich ist. Der Schutz vor dem Passivrauchen bleibt auf der Strecke.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kosche! – Das Wort für die FDPFraktion hat der Kollege Gersch!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute beraten wir die lange angekündigten Änderungen zum Nichtraucherschutzgesetz – Änderungen, die nicht aus Einsicht,

sondern auf höchstrichterliche Anordnung vorgenommen werden müssen. Dabei hätte sich die Koalition diese peinliche Schlappe ersparen können. Sie hätte auf die FDPFraktion hören sollen, die ihr genau diese Entwicklung prognostiziert hat. Lesen Sie es nach! Doch statt aus Fehlern zu lernen, will Rot-Rot den eingeschlagenen Weg der Gastronomenquälerei unbeirrt weitergehen. Wie anders kann man sich die Regelung erklären, dass die vor Ort erwärmte Bockwurst oder Boulette untersagt wird, die angelieferte Pizza aber erlaubt bleibt? Wer von der Koalition kann überhaupt erklären, was der Nichtverzehr von Speisen überhaupt mit Nichtraucherschutz zu tun hat?

[Beifall bei der FDP – Christian Gaebler (SPD): Das Bundesverfassungsgericht! – Uwe Doering (Linksfraktion): Einfach mal lesen!]

Statt Klarheit zu schaffen, schaffen Sie wieder Unsicherheiten bei den Wirten, Herr Gaebler. Das brauchen Sie nicht wegzudiskutieren. Das machen auch Sie mit System, Herr Doering. – Ihnen ist bewusst, dass Sie Interpretationsspielräume schaffen, die die Wirte und Ordnungsamtsmitarbeiter mit individuellen Lösungen – je nach Laune – unter sich ausmachen müssen. Sie schaffen nicht nur Verwirrung bei den Kneipeninhabern, sondern auch bei den Kontrolleuren. – Wurde die Stulle vor Ort geschmiert oder angeliefert? Ist die Mikrowelle zum Erwärmen von Milch benutzt worden oder zur kriminellen Boulettenbearbeitung? Muss der Schankraum um 0,3 qm verkleinert werden, weil er um diesen Wert zu groß ist? Das sind nur einige Beispiele für Situationen, die nach Ihrem Willen bald Gesetz sein werden. Meine Damen und Herren vor der Koalition, was denken Sie sich eigentlich dabei, wenn Sie uns das als schonenden Ausgleich verkaufen wollen?

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Sie produzieren Willkür, und das scheinbar mit großem Lustgewinn. Sie spielen mit Existenzen – insbesondere die Linke tut das mit großem Lustgewinn. Es ist Ihnen auch völlig egal. – Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus.

Nicht zu vergessen, dass wir bei all dem über Privaträume reden. Nicht das Land zahlt die Kneipenmieten, sondern der Wirt. Seine Gäste sichern ihm die Existenz. Die wollen Zigarette, Bier und Boulette.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Und Haschisch und Heroin!]

Herr Doering, Sie sind sehr unsachlich bei dem Thema.

[Beifall bei der FDP]

Für den Nichtraucherschutz ist es völlig ausreichend, wenn wir eine verbindliche Kennzeichnung machen. Wir reden über Kneipen bis – nach Ihrem Wunsch – 75 qm. Wir reden nicht über große Säle. Wir wünschen als Liberale, dass die Eckkneipe das bleibt, was sie ist, nämlich ein Treffpunkt von Menschen und – wie man es auch umschreiben kann – ein Kulturgut. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Das war die letzte Wortmeldung zu diesem Tagesordnungspunkt. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung federführend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 5 c:

Vorlage – zur Kenntnisnahme –

Festsetzung des Abstimmungstages für den Volksentscheid „Wir wollen Wahlfreiheit! Für die Einführung des Wahlpflichtbereichs Ethik/Religion!“

Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drs 16/2147