Protokoll der Sitzung vom 25.06.2009

[Beifall bei den Grünen]

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Kleineidam das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute geltende Rechtslage läuft am Ende dieses Jahres aus, die die bisherige Regelung zur Bildung von Bezirksämtern beinhaltet. Damit gibt es ab dem nächsten Jahr nicht mehr das sogenannte Proporzbezirksamt. Ab dem 1. Januar 2010 könnte ein Bezirksamt vollständig allein durch eine einfache Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung gewählt werden, das sogenannte politische Bezirksamt. Die Grünen weisen zu Recht darauf hin, das ohne weitere Gesetzesänderung eine Regelungslücke entstehen würde: zum einen vom 1. Januar 2010 bis zum Ende der 16. Wahlperiode, weil unklar ist, wie dann beispielsweise beim Rücktritt, einer Abwahl eines Bezirksamtsmitglieds zu verfahren wäre, aber auch, wenn man die gesetzliche Regelung zum politischen Bezirksamt belassen würde, ergibt sich Gesetzesänderungsbedarf, weil viele Regelungen, die wir im Bezirksverwaltungsgesetz haben, auf ein Proporzbezirksamt zugeschnitten sind. Einiges hat der Kollege Birk bereits angesprochen. Auch wenn man sich grundsätzlich für ein politisches Bezirksamt entscheidet, muss man einige Gesetze ändern.

Sie wissen, dass sich meine Partei wie auch die Grünen und die Linken im letzten Jahr intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. In der SPD gab es eine lange, kontroverse Debatte. Sie nannten einige Beispiele aus dieser Debatte, Herr Kollege Birk. Es ist übrigens gut, wenn es in solchen Debatten ganz unterschiedliche Überlegungen gibt. Wir haben uns am Ende dieser Debatte für die Beibehaltung des bisherigen Prinzips ausgesprochen. Auch die Koalition hat sich inzwischen auf dieses Prinzip verständigt und wird dazu einen Gesetzesentwurf vorlegen.

Die Debatte über das Verhältnis zwischen den Berliner Bezirken und dem Land Berlin ist so alt wie die Berliner Bezirke selbst. Die im Grundsatz mit dem Groß-BerlinGesetz von 1920 festgelegte Rechtsstellung der Bezirke als Selbstverwaltungseinheiten Berlins ohne Rechtspersönlichkeit führt im Grunde genommen dazu, dass die Berliner Bezirke eine Art Zwitterstellung haben. Weder sind sie eigenständige Kommunen noch einfach Teile der Berliner Verwaltung, sondern sie erfüllen ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung. Ich sehe im Augenblick niemand in diesem Haus, der diese Grundlage ernsthaft in Frage stellen will. Allerdings ergibt sich daraus auch, dass alle Modelle, die man diskutieren kann, schwierig im Detail sind, weil es eben die besagte Zwitterstellung der Bezirke gibt.

Sie haben mit Ihrem Antragspaket konsequent den Versuch unternommen – das gestehe ich Ihnen gerne zu –, sogenannte politische Bezirksämter zu stärken, die Regelungen dem Grundgedanken eines politischen Bezirksamts anzupassen. Ihre Lösungsvorschläge machen aber auch deutlich, zu welch merkwürdigen Lösungen man bei diesen Überlegungen kommt. Sie wollen zum Beispiel für einen Rat der Bezirksämter ein Vetorecht gegenüber vom Parlament beschlossenen Gesetzen einführen. Sie haben gerade gesagt, Herr Birk, damit solle die politische Kraft der Bezirke gestärkt werden. Aber auch ein politisches Bezirksamt ist Teil der Verwaltung. Sie haben hier schlicht und einfach das Prinzip der Gewaltenteilung übersehen. wenn sie der Exekutive ein Vetorecht gegenüber der Legislative einräumen wollen. Das kann nicht sinnvoll sein, einmal abgesehen davon, dass es sicher auch nicht verfassungsgemäß ist.

Wenn Sie die politische Arbeit der Bezirke wirklich stärken wollen, dann sollten Sie auch in diesem Haus einmal selbstkritisch Ihre eigene Antragsarbeit überprüfen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich glaube, es gibt kaum eine Fraktion in diesem Haus, die hier so gerne BVV-Themen thematisiert, wenn ihr gerade das nicht passt, was in irgendeinem Bezirk beschlossen wurde.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wenn man politische Bezirksämter haben will, dann muss man auch die politischen Gremien im Bezirk respektieren. Man muss sagen können: Dann macht eben Bezirk X irgendetwas völlig anderes als die anderen Bezirke oder

Thomas Birk

die Landesebene, wenn es nur im Rahmen der Gesetze bleibt. Nur stellt gerade Ihre Fraktion immer wieder unter Beweis, dass das nicht gewollt ist.

Fraglich erscheint mir auch Ihr Antrag, die bezirklichen Aufgaben explizit festzuschreiben. Wir haben uns im Land Berlin nach langen Diskussionen darauf verständigt, im Grunde genommen einen Grundsatz „Allzuständigkeit der Bezirke“ festzulegen, die als bürgernahe Verwaltungseinheiten für alles zuständig sind, was nicht explizit der Landesebene zugeordnet ist. Diesen Grundsatz hebeln Sie mit Ihrem Antrag auf. Ich glaube nicht, dass das bürgerfreundlich wäre, denn auch bei noch so guter Arbeit, die wir hier gemeinsam, alle fünf Fraktionen, leisten können, wird es immer Sachverhalte im Leben geben, an die man nicht gedacht hat. Wenn es eine Allzuständigkeit gibt, dann sind die Bezirke in der Lage, vor Ort konkrete Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Wenn neue Fragen auftreten, können sie bürgernah für die Menschen da sein. Mit Ihrem Modell ist das nicht möglich.

Sie haben weiter einige Fragen zur rechtlichen Stellung von BVV-Fraktionen aufgeworfen. Da kann ich mir durchaus auch Veränderungen vorstellen. Ich denke, das sollten wir in den Ausschüssen im Detail diskutieren.

In der Grundfrage allerdings, Proporzbezirksamt oder Mehrheitsbezirksamt, macht mir Ihr Antragspaket eher deutlich, dass meine Partei die richtige Grundentscheidung für ein Proporzbezirksamt getroffen hat. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege! – Jetzt kommt eine Kurzintervention des Kollegen Birk. – Bitte, Herr Birk!

Sie wird auch wirklich kurz sein! – Herr Kleineidam! Sie haben uns falsch aus dem Gesetz zitiert. Ich möchte das richtigstellen.

Wir wollen nicht ein Vetorecht gegen beschlossene Gesetze hier im Abgeordnetenhaus durch den Rat der Bezirksämter. Das würde wahrhaftig zu weit gehen! Das kann keiner wollen. In unserem Entwurf steht:

Lehnt der Rat der Bezirksämter einen vom Senat vorgelegten Entwurf einer Rechts- und Verwaltungsvorschrift mit zwei Dritteln der Anzahl der Bezirke ab, bedarf eine Inkraftsetzung eines Abweisungsbeschlusses des Abgeordnetenhauses.

Es geht also vor allem um Verordnungen und dergleichen, die aus dem Senat kommen, im RdB eingebracht werden und Entwürfe sind. Insofern soll dann der RdB ein Vetorecht haben, damit sich das Abgeordnetenhaus in solchen Konfliktfällen, die ziemlich hochgezogen sein müssen, wenn zwei Drittel der Bezirke sie ablehnen, damit befas

sen muss und ihnen dann entsprechend zustimmen oder sie ablehnen muss. Wenn es um Gesetzentwürfe geht, dann geht es nur darum, einer vom RdB bestimmten, beauftragten Person auf Verlangen die Teilnahme an der Sitzung des Senats mit Rederecht einzuräumen. Das heißt, zu Gesetzentwürfen, die aus dem Parlament kommen und in der Regel im Senat beraten werden, soll im Senat ein Mitglied des Rats der Bezirksämter seine Position vortragen können. Die Änderungen in § 16a AZG sind nur geringfügig. Da haben wir einfach nur festgestellt, dass der Rat der Bezirksämter zu einem Gesetzesantrag dem Abgeordnetenhaus eine Stellungnahme zuleiten kann. Ansonsten ändert sich an der Stelle nichts. Ich möchte nur, dass richtig zitiert wird, was wir vorschlagen. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege! – Herr Kollege Kleineidam, möchten Sie replizieren? – Nein! – Dann hat der Kollege Statzkowski jetzt das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute in I. Lesung ein Gesetz, eine Gesetzesänderung und zwei Anträge zum Thema „starke Bezirke für Berlin“ zu diskutieren. Aus Sicht der CDU-Fraktion ist das Beste an den Anträgen, dass wir heute eine intensive Debatte über die Struktur der Berliner Bezirke führen. Wir stimmen mit den Überschriften durchaus überein.

Allerdings ist es unserer Auffassung nach wichtig, das konkret mit den Bezirken, in Form des Versuchs einer konsensualen Lösung, nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern über Parteigrenzen hinweg, zum Beispiel auf Bezirkskongressen, zu thematisieren, ausführlich zu diskutieren und es nicht in Form der vorgelegten Anträge zu realisieren. Außerdem muss man sich sehr wohl die Frage stellen, ob es richtig und gut ist, wenn wir eine weitere Politisierung der Strukturen der Berliner Bezirke auf den Weg bringen. Wir legen als CDU Wert auf eine Orientierung an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger.

[Beifall bei der CDU]

Das heißt mit anderen Worten, wir wollen gemeinschaftliche Lösungen über Parteigrenzen hinweg. Wir wollen Lösungen suchen, die sich an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientieren, und lehnen dementsprechend das politische Bezirksamt für die Berliner Bezirke ab.

Es gibt einiges in den Anträgen, worüber man durchaus reden kann. Beispielsweise über den Wegfall der Altersgrenze oder ob es nicht besser wäre, das Bezirksamt mit sechs Personen zu besetzen und es nicht – wie in der Diskussion jetzt vorgesehen – auf fünf zu reduzieren.

Thomas Kleineidam

Eine Stärkung der Bezirke liegt durchaus im Interesse der CDU-Fraktion.

Es gibt andere Themen, mit denen wir unsere erheblichen Schwierigkeiten haben. Dazu gehört das politische Bezirksamt. Ich sage hier nichts Neues, dass im Gegensatz zur SPD und anderen Fraktionen hier im Haus bei der CDU an dieser Stelle von vornherein eine hohe Übereinstimmung festzustellen war. Wir haben uns als CDUFraktion, als CDU-Partei, in der Vergangenheit immer wieder für den Beibehalt des kollegialen Bezirksamts eingesetzt.

Die Frage ist, ob eine Umgestaltung des Rats der Bürgermeister, wie es Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagen haben, uns weiterbringt. Ich halte die hier vorgesehene Organisation mit der Besetzung durch zwei Mitglieder pro Bezirk im RdB für problematisch. Nichtsdestotrotz könnte ich mir vorstellen, dass wir in einem längeren Diskussionsprozess über die Inhalte dessen, was die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erreichen will, durchaus auch Übereinstimmungen erreichen können.

Erhebliche Schwierigkeiten hat die CDU-Fraktion mit einer erleichterten Abwahl von Bezirksamtsmitgliedern. Wir sind der Auffassung, dass die Bezirksstadträte Mut zur Entscheidung haben sollten. Gleichzeitig muss aber gewährleistet sein, dass eine Kontinuität der Arbeit sichergestellt ist. Es darf kein dauerhaftes Schielen nach politischen Mehrheiten im Bezirk geben, sondern die Sacharbeit muss im Vordergrund stehen, orientiert an dem – wie ich bereits sagte – Wohl der Bürgerinnen und Bürger.

[Beifall bei der CDU]

Bei der Festlegung der Aufgaben bin ich der Auffassung, dass es eher besser wäre, den Passus, der jetzt im Bezirksverwaltungsgesetz festgeschrieben ist, mit Leben zu erfüllen, ihn ernst zu nehmen. Das vermisse ich bei RotRot. Hier wird die Zuständigkeit in den Berliner Bezirken immer wieder infrage gestellt. Man versucht immer wieder, die Zuständigkeiten zu reduzieren, den Bestand der Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung zur Diskussion zu stellen. Nein, wir sollten diese Regelung durchaus beibehalten, aber wir sollten sie mit Leben erfüllen, wir sollten sie zur Maxime unseres politischen Handelns machen. Das ist das Entscheidende, was auch den Bezirken weiterhilft, und keine Änderung der Festlegung im Bezirksverwaltungsgesetz.

Dementsprechend kommen wir zur Ablehnung der Anträge von Bündnis 90/Die Grünen. Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, in einem gemeinsamen Diskussionsprozess an dem einen oder andern Punkt in der Zukunft Lösungen zu finden. Ich glaube, dass wir inhaltlich nicht so weit voneinander entfernt sind. In der jetzigen Situation werden wir Ihre Anträge in der Form ablehnen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Statzkowski! – Für die Linksfraktion hat Dr. Zotl das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Grünen gratulieren.

[Oh! von den Grünen]

Über viele Jahre war Ihnen nur wichtig, wie die Bezirksämter gebildet werden. Was sie politisch bzw. was sie nicht zu entscheiden haben, war Ihnen in diesem Zusammenhang so ziemlich egal.

[Nö! von den Grünen]

Sie wollten um jeden Preis Bezirksämter – das haben wir hier und in anderen Gremien oft diskutiert –, die durch politische Koalitionen gebildet werden. Dieser Ansatz nährte immer den Verdacht, dass es Ihnen nur darum ging, mehr Posten in den Bezirksämtern zu bekommen, auch wenn Ihnen diese durch die Wahlergebnisse nicht zustehen.

[Benedikt Lux (Grüne): Sehr getrübte Wahrnehmung!]

Sie haben es ja auch praktiziert, Beispiel Hohenschönhausen 1992.

Nun haben Sie mit Ihren Anträgen offensichtlich einen Prämissenwechsel vollzogen. Jetzt fordern Sie im Zusammenhang mit dem politischen Bezirksamt auch die politische Stärkung der Bezirke. Damit nähern Sie sich, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge, der Position an, die wir bereits seit über zehn Jahren einnehmen. Dazu sage ich Ihnen Glückwunsch und herzlich willkommen. Wenn ich „in umgekehrter Reihenfolge“ sage, meine ich damit, dass wir allerdings zuerst eine deutliche Kompetenzerweiterung der Bezirke wollen. Und dann soll – so ist unsere Position – geprüft werden, ob ein politisches Bezirksamt sinnvoll ist. Das ist ein realistisches Herangehen. Es hat sich aber gezeigt, dass es zugleich sehr kompliziert und sehr langwierig ist. So klingt die auch von Ihnen erhobene Forderung scheinbar ganz simpel: Es soll eine klare Aufgabenzuordnung an Hauptverwaltung bzw. an Bezirksverwaltungen vorgenommen werden. Im Konkreten – wir probieren das gegenwärtig – ist das höchst widersprüchlich, zumal wenn man – was wir sicherlich gemeinsam wollen – eine Flut von Aufgabensplittungen vermeiden will.

Die logische Konsequenz aus dieser nicht unkomplizierten Situation besteht darin, dass die Bildung von politischen Bezirksämtern ab der nächsten Legislaturperiode noch nicht möglich ist. Deshalb erübrigt sich auch Ihr Antrag zur Verlängerung des jetzigen Systems bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode, weil wir zu Beginn der nächsten Wahlperiode eine Änderung im System der Bezirksamtbildung nicht für angemessen halten.

Andreas Statzkowski

Aber auch in anderer Hinsicht stehen wir Ihren Anträgen kritisch gegenüber. Da stimme ich in diesem Punkt ausnahmsweise mit dem überein, was Kollege Statzkowski sagt. Wenn politische Bezirksämter eingeführt werden sollen, muss es überall, aber vor allem in den Bezirken selbst, für sinnvoll gehalten und gewollt werden. Genau das ist mit großer Mehrheit nicht der Fall.