Ich eröffne die I. Lesung. Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt. Das Wort erhält der Kollege Birk. – Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! SPD und Linkspartei möchten mithilfe der CDU klammheimlich und in Windeseile dem politischen Bezirksamt eine Beerdigung dritter Klasse verpassen und damit einen unrühmlichen Schlusspunkt unter eine jahrzehntelange Diskussion setzen.
Mit unserer Anmeldung dieses Themas im Prioritätenblock wollen wir unserer heftigen Kritik an diesem Vorgehen Ausdruck verleihen.
Das politische, durch die Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung gewählte Bezirksamt war einmal ein breit getragenes Ziel dieses Hauses. In der Verfassung, die 1995 von der Bevölkerung durch eine Volksabstimmung bestätigt wurde, stand, dass die jetzige Regelung der Bezirksamtswahl – nach Proporz und mit Zählgemeinschaften für das Bürgermeisteramt – mit der Wahl 1999 auslaufe. An dessen Stelle sollte nach dem Willen aller Fraktionen – außer der CDU – das politische Bezirksamt treten. Dann gab es die sehr umstrittene Verfassungsänderung zur Bezirksgebietsreform 1998. Hier setzte sich die CDU durch und schob das politische Bezirksamt auf das Jahr 2010. Immerhin war der SPD das
Neben uns Bündnisgrünen war es vor allem die Partei des demokratischen Sozialismus, die damals für das politische Bezirksamt kämpfte und zur Bedingung einer wie auch immer gearteten Bezirksgebietsreform machte. 1998 sagte von dieser Stelle Carola Freundl – heute Bluhm –:
Neben der Zahl und dem Zuschnitt der Bezirke halten wir allerdings die Frage nach der kommunalpolitischen Stellung der Bezirke in Berlin für die entscheidende. Wir treten für politisch starke Bezirke ein, ohne die Einheitsgemeinde auflösen zu wollen, und wir wollen eine deutliche Erweiterung der Willensbildungsrechte der Bezirksverordnetenversammlungen und das politische Bezirksamt.
Mit der Umbenennung der Partei des Demokratischen Sozialismus in Die Linke scheint Ihnen in dieser Frage ein demokratischer Anspruch verlorengegangen zu sein.
Sie von der Linken geben endgültig und bedingungslos die politische Stärkung der Bezirke auf, nachdem Sie in den letzten acht Jahren tatkräftig daran beteiligt waren, die Bezirke auszubluten, und Sie nichts dafür getan haben, ihnen mehr politisches Gewicht zu verleihen. Um das in der Verfassung unumkehrbar zu verankern, bedienen Sie sich auch noch der Hilfe der CDU, die dieses unrühmliche Spiel genauso bedingungslos mitspielt.
Wie stark muss die Gier nach Macht und Posten sein, dass sich hierzu diese politischen Pole zusammenfinden?
Wir dagegen fordern damals wie heute, was Frau Bluhm für die PDS damals aufgelistet hat: Stärkung der Bezirke durch das politische Bezirksamt, Ausweitung der Entscheidungsrechte der BVV auf alle bezirklichen Aufgaben und damit automatisch eine bindende Wirkung bei bezirklichen Bürgerentscheiden, Aufwertung des RdB als Rat der Bezirksämter mit einem aufschiebenden Vetorecht gegen Verwaltungsvorschriften. Dazu schlagen wir eine Rückführung des Eingriffsrechts bei der Bauleitplanung auf das sonst übliche Normalmaß vor – so, wie es die SPD übrigens letztes Jahr auf ihrem Parteitag beschlossen hat.
Dies alles haben wir bereits in einem Gesetzespaket im Sommer eingebracht, und zu einem solchen oder einem
ähnlich gelagerten Paket hätte es eine Mehrheit in diesem Hause geben können. Aber dazu sind die beiden anderen linken Parteien zu hasenfüßig oder zu machtversessen.
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christoph Meyer (FDP) – Michael Müller (SPD): Wer ist denn die dritte linke Partei?]
Ein solches Paket hätte zu mehr Transparenz bei bezirklichen Entscheidungen geführt. Politische Blockaden innerhalb des Bezirksamtes würden durch das politische Bezirksamt aufgelöst, und damit würde das Verwaltungshandeln beschleunigt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen, dass die gewählte Mehrheit der BVV oder bei Bürgerentscheiden dann auch das politische Handeln des Bezirks bestimmt.
Übrigens ist eine Verfassungsänderung dazu keineswegs zwingend erforderlich. Das hätten Sie mal von der Linkspartei aus prüfen sollen, denn 1972, als das politische Bezirksamt abgeschafft und das Proporzbezirksamt nach Höchstzahlverfahren eingeführt wurde, blieb die Verfassung auch unberührt, und es hieß einfach nur: Die BVV wählt die Mitglieder des Bezirksamts. Das Nähere regelt das Gesetz. – Das sollten Sie noch einmal dringend prüfen, bevor Sie die Verfassung ändern.
[Beifall bei den Grünen und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Was steht denn jetzt in der Verfassung?]
Denn wenn die Verfassung einmal geändert ist, dann schlagen Sie alle Türen zum politischen Bezirksamt zu. Dann nützen Ihnen auch Parteitagsbeschlüsse nichts mehr wie der, den Sie auf Ihrem letzten Parteitag zu diesem Thema gefasst haben und wo Sie gesagt haben, das politische Bezirksamt wäre im Prinzip sinnvoll, wenn die Bezirke wieder mehr Kompetenzen erhielten. Das können Sie sich für alle Zeiten abschminken.
[Beifall bei den Grünen und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Machen Sie sich erst einmal sachkundig, bevor Sie so etwas erzählen!]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits vor fünf Sitzungen haben wir das Pro und Contra von poli
tischem Bezirksamt bzw. Proporzbezirksamt ausführlich diskutiert. Ich gestehe, ich habe mich vor der heutigen Debatte – und nachdem ich gehört habe, die Grünen melden es als Priorität an –
gefragt, was wir an neuen Aspekten diskutieren wollen. Seinerzeit, als Sie Ihr Antragspaket eingebracht haben, sind die Argumente ausgetauscht worden.
Nein! – Wir haben in Berlin seit 1920, seit dem Gesetz über Groß-Berlin, immer wieder die Diskussion gehabt, wie die Konstruktion der Berliner Bezirke sein sollte. Ich behaupte: Es gibt kein absolut richtig oder falsch, weil die Berliner Bezirke eine Art Zwitterstellung zwischen echter Kommune und Teil der Verwaltung haben. Deshalb – und das gestehe ich Ihnen gern zu – gibt es auch gute Argumente für ein politisches Bezirksamt. Aber es gibt auch gute Argumente für das Proporzbezirksamt.
Meine Partei hat noch einmal einen sehr langen und intensiven Diskussionskurs durchlaufen, um die Argumente abzuwägen. Wir haben uns – das wissen Sie, das war öffentlich auf einem Landesparteitag – mit einer relativ knappen Mehrheit, aber einer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass wir das Proporzbezirksamt fortsetzen wollen. Dass die Grünen jetzt sagen, das Motiv für eine solche an Sachargumenten abgewogene Entscheidung könne nur Gier nach Macht und Posten sein, sagt vielleicht mehr über die eigene politische Motivation als über die der anderen, denen sie das unterstellen. Da sollten Sie mal über sich selber nachdenken.
Dass man das dann als unrühmlichen Schlusspunkt einer Diskussion bewertet, weil man sich mit den eigenen Positionen nicht durchsetzen konnte, spricht auch eher für Ihr Demokratieverständnis als gegen unseren Antrag.
[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Typisch Grün! Ramona Pop (Grüne): Ihr seid doch umgefallen! – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Moorburg!]
Wir werden mit dem Antrag für Rechtsklarheit ab dem 1. Januar nächsten Jahres sorgen, denn ab diesem Zeitpunkt ist die Rechtslage ungeklärt. Deshalb hoffe ich, dass wir es in diesem Haus gemeinsam hinbekommen, die Beratungen zu diesem Antrag zügig durchzuführen.
Danke schön, Herr Präsident! – Herr Kleineidam! Könnten sie noch etwas zu der Aussage des Kollegen Birk sagen, dass es nicht erforderlich ist, das politische Bezirksamt in der Verfassung auszuschließen? Könnte man sich nicht so weit einigen, dass man das wie 1972 – oder wann das war – in der Verfassung offenlässt und dann, wenn man Ihrem Anliegen schon nachkommen muss, das einfach-gesetzlich festlegt, um in Zukunft bei der Gestaltung der politischen Bezirksämter und der Bezirke, deren Zwitterstellung Sie zu Recht herausgehoben haben, mit einfachen gesetzlichen Mehrheiten zu Veränderungen zu kommen?
Herr Kollege Lux! Ich habe große Zweifel, ob es Sinn machen würde, diese Diskussion permanent weiterzuführen. Uns ist daran gelegen, Rechtssicherheit herzustellen, und ich denke, das tun wir mit dem Antrag.