Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

[Zurufe bei der FDP]

außer dem, dass die FDP meint, dass das, was in vielen Kommunen Deutschlands gute Praxis ist und was in Berlin über Jahrzehnte gut funktioniert hat, organisierte Unverantwortlichkeit sei.

[Björn Jotzo (FDP): Verantwortungslosigkeit!]

Das mag Ihre Sichtweise sein. Ich habe für meine Fraktion mehrfach dargelegt, dass wir mehrheitlich zu einer anderen Auffassung gekommen sind. Wir haben auch nichts Neues gehört, was lohnt, diese Position noch einmal zu überdenken.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für die CDU-Fraktion hat nun Kollege Rissmann das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Kleineidam! Ich könnte mich eigentlich auf Ihre gerade getätigten Aussagen beziehen. Sie haben diesmal ausnahmsweise vollkommen recht. Ich beziehe mich auf das, was ich vor genau zwei Wochen im Plenum an dieser Stelle zu diesem Tagesordnungspunkt und vor acht Tagen im Rechtausschuss dazu gesagt habe. Lieber Herr Schmidt! Neuigkeiten sind seitdem nicht eingetreten – übrigens auch nicht in Ihren Ausführungen. Insofern kann man es kurz halten und sagen: Die besseren Argumente sprechen für die Beibehaltung des Proporz-Bezirksamtes, und deshalb werbe ich für diese Anträge.

Zwei Anmerkungen möchte ich aber doch zu diesen eher unsachlichen Argumenten machen, die die FDP-Fraktion vorträgt. Ein Argument ist, das Proporz-Bezirksamt sei nicht demokratisch. Dann muss ich ja feststellen, dass wir in Berlin über Jahrzehnte einen undemokratischen Zustand auf Bezirksebene hatten,

[Beifall bei der FDP]

aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dort einen Aufschrei der Bürgerrechts- und Rechtsstaatspartei FDP gegeben hätte.

[Beifall bei der CDU – Sebastian Czaja (FDP): Sie müssen hinhören!]

Die zweite Anmerkung in dem Zusammenhang kann dann auch nur sein: Verehrter Kollege Schmidt! Rufen Sie bitte

den Verfassungsgerichtshof an! Wenn Sie so davon beeindruckt sind, dass eine Regelung, die wir seit Jahrzehnten praktiziert haben, nunmehr auf einmal undemokratisch ist, dann müssen Sie bitte das Verfassungsgericht bemühen, damit die Bevölkerung davor geschützt wird, dass hier elementare Staatsprinzipien außer Kraft gesetzt werden.

Der zweite Punkt: Wir hören von der FDP, es gehe uns darum, Posten zu sichern.

[Beifall bei der FDP – Björn Jotzo (FDP): Ja!]

Dann darf ich uns allen vielleicht kurz vor Augen führen: Vielleicht geht es der Partei, die als einzige im Moment gar keine Bezirksstadträte stellt, eher darum, sich dann für die Zukunft Posten zu sichern. Oder Herr Schmidt?

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Nun hat der Abgeordnete Dr. Lederer das Wort für die Linksfraktion. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon alles gesagt, und zwar auch schon von allen – bereits im Sommer, dann vor zwei Wochen, hier im Plenum, am vergangenen Mittwoch im Rechtsausschuss. Wenn nun erneut im Plenum die Argumente wiederholt werden, macht das die Entscheidungsfindung für das Haus nicht tiefgründiger. Kommunale Verfassungstradition hat unterschiedliche Wurzeln. Proporz-Dezernate oder Mehrheitsregierungen sind seit Jahrzehnten anerkannte und praktizierte Formen der Kommunalverwaltung. Durch die Trauer darüber, dass die FDP auch zukünftig in Berlin keine Bezirksstadträtinnen und Bezirksstadträte stellen wird, weil es sich hierbei um eine Splitterpartei in der Stadt handelt,

[Zurufe von der FDP: Oh, oh!]

sollten Sie sich nicht zu Denunziationen der bewährten Form des Proporz-Bezirksamtes hinreißen lassen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der CDU]

Nun hat Kollege Birk das Wort für die Fraktion der Grünen. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Gefallen, den jetzt vielleicht viele erwarten, hier nur eine EinMinuten- oder Zwei-Minuten-Rede zu halten, werde ich Ihnen nicht tun.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Das haben wir auch nicht erwartet!]

Wenn die FDP hier so wenig dazu zu sagen hat, erstaunt mich das zwar, aber wir sind in dieser Sache völlig einer Meinung. Ich möchte noch einmal betonen, was ich bereits beim letzten Mal ausgeführt habe – diesmal mit weiteren Belegen: Das politische Bezirksamt war Teil eines Gesamtkonzepts in Berlin. Es ging darum, eine umfassende Verwaltungsreform in Berlin durchzuführen. Das ist in den 90er-Jahren auf den Weg gebracht worden. Dazu gehören die Globalsumme, die Abschaffung der Fachaufsicht und – auch wenn wir uns kritisch damit auseinandergesetzt haben – die Gebietsreform. Als es darum ging, die Gebietsreform überhaupt mitzumachen, hat die SPD sich damals nur darauf eingelassen, wenn auch das politische Bezirksamt dazu gehört – wenn auch am St. Nimmerleinstag, der allerdings jetzt kommt, nämlich im damals verabredeten Jahr 2010.

Das soll nun alles nicht mehr gewesen sein. Man möchte sich nicht mehr zu seinem Wort von damals bekennen, und deswegen zitiere ich, was 1997 gesagt wurde. Herr Dr. Zotl hat sich z. B. als glühender Verfechter des politischen Bezirksamtes gezeigt, indem er sagte:

Die Zustimmung der SPD zur Bezirksreduzierung wurde damals an die Politisierung der Bezirke, an eine Aufgabenneuverteilung zugunsten der bezirklichen Selbstverwaltungsorgane, an die drastische Eindämmung der Vorschriftenflut sowie vor allem an die Einführung des politischen Bezirksamts gebunden. Diese inhaltlichen Forderungen fanden und finden die Zustimmung der PDS. Herauskommen sollen 12 Bezirke mit Großstadtdimension, aber ohne entsprechende politische, rechtliche und finanzielle Kompetenz. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus.

Und das bleibt es noch.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Deswegen hielt er auch die unverzügliche Einführung des politischen Bezirksamts für bitter notwendig. Und Kollege Lorenz vergoss damals bittere Krokodilstränen, weil ja nur die CDU die SPD daran hinderte, das politische Bezirksamt sofort einzuführen. Er sagte damals:

Sie werden sich auf Dauer mit einem Proporz nicht regieren lassen.

Nämlich die Bezirke! – Und er kündigt dann noch an:

Wenn wir bei der nächsten Wahl, Herr Schellberg,

das war der Abgeordnete der Grünen –

dank der großen und populären Politik, die Sie machen, die Zweidrittelmehrheit haben, dann können wir das alles ändern. Sie werden uns an Ihrer Seite finden.

Tja! Wir sind an Ihrer Seite, aber Sie sind leider nicht mehr da und nehmen sogar in Ihrer Not noch die CDU

wieder mit ins Boot, nur um zu verhindern, was Sie damals politisch unbedingt wollten. Das ist ein Armutszeugnis.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Björn Jotzo (FDP): Opportunismus! ]

Das ist auch ein trauriger Schlusspunkt der gesamten Verwaltungsreform in Berlin. Denn was war denn damals das Ziel? – Man hat die Bezirke in die dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung gegeben, damit sie über politische Zielvereinbarungen oder wenigstens über Verwaltungszielvereinbarungen gesteuert werden konnten. Aber das hat in der Praxis leider wenig Anwendung gefunden, und schon gar keine Anwendung hier im Senat. Nur eine Senatsverwaltung, die Innenverwaltung, bemüht sich zwar gerade, in einer Rahmenzielvereinbarung mit den Bezirken zu Bürgerdiensten und Ordnungsämtern, aber alle anderen Verwaltungen haben einen Stillstand in Sachen Verwaltungsreform angetreten. Das beklagen wir schon lange.

Was wir auch unbedingt brauchen in dieser Stadt, und da verweigern Sie sich auch, ist eine Aufgabenkritik. Es gibt eine Steuerungsgruppe beim Regierenden Bürgermeister, die nennt sich Aufgabenkritik und Abgrenzung.

[Björn Jotzo (FDP): Was, die gibt’s?]

Ja, die gibt es. – Die wurde aufgrund des Koalitionsvertrags gegründet. Sie sollte schon zum letzten Doppelhaushalt ihren Abschlussbericht vorlegen, damit darauf der Doppelhaushalt abgebildet werden konnte. Wir haben den Abschlussbericht heute noch nicht, denn diese Gruppe hat nur zweimal getagt und sich über die Nummer 115 berichten lassen, ansonsten inhaltlich überhaupt nicht gearbeitet. Wir brauchen diese Ergebnisse dringend. Wir werden darauf dringen, dass endlich eine Aufgabenkritik in dieser Stadt stattfindet.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Herr Kollege! Nach unserer Zeitmessung sind Sie am Ende Ihrer Redezeit.

Ich bin auch am Ende meiner Rede. – Hier ist auch von Entbürokratisierung die Rede gewesen. Auch da warten wir auf den Abschlussbericht. Denn wenn Sie in dieser Legislaturperiode noch etwas auf den Weg bringen wollen, dann müssen Sie auch da endlich Ihre Arbeit machen, damit die Gesetze überhaupt noch geändert werden können. Alles, was Sie heute beschließen, ist ein Abgesang auf die Verwaltungsreform, und das bedauern wir sehr.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Zum Antrag der Grünen Drucksache 16/2496 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen die Grünen die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind alle anderen Fraktionen. Dann ist der Antrag abgelehnt.

Zum Gesetzesantrag der Fraktionen von SPD, CDU und Linke Drucksache 16/2807 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen Grüne und FDP die Annahme. Gemäß Artikel 100 der Verfassung von Berlin erfordert eine Verfassungsänderung auch hier wiederum eine Mehrheit von zwei Dritteln der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses, also ein Quorum von mindestens 100 Ja-Stimmen. Wer dem Gesetzesantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Linke, SPD und CDU. Wer ist dagegen? – Die Grünen und die FDP. Enthaltungen sehe ich nicht. Dann ist so erkannt und die Änderung der Verfassung von Berlin mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich schlage vor, die unter Tagesordnungspunkt 3 b beschlossene Verfassungsänderung mit der soeben beschlossenen Änderung in einem Zehnten Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin zusammen auszufertigen und zu verkünden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.