Die taktische Überlegung der Neinsager, ob es nicht klüger wäre, zu Hause zu bleiben, wenn man dagegen ist, entfällt in Zukunft.
Zweitens: In der Vergangenheit gab es vonseiten des Senats und der Landespolitik immer wieder Zweifel an der Zulässigkeit einzelner Bürgerbegehren. Deshalb regeln wir jetzt das Verfahren zur Ausübung der Rechtsaufsicht durch den Senat, der nun die Möglichkeit erhält, schon vor der Genehmigung eines Bürgerbegehrens tätig zu werden,
Drittens: Bürgerbegehren – das liegt in der Natur der Sache – dienen stets einseitigen Interessen. Deshalb ist Transparenz darüber, welche Spender die gleichen Interessen haben, unabdingbar.
Herr Felgentreu! Wie verträgt sich diese Prüfung durch den Senat mit Ihrem Wahlprogrammentwurf, worin geschrieben steht, dass Sie Doppelarbeiten und Doppelstrukturen abschaffen wollen?
Na, ganz hervorragend, weil es wesentlich besser ist, der Senat sagt vorher, warum er der Auffassung ist, dass ein Bürgerbegehren rechtlich unzulässig ist, als dass hinterher die irreparablen Ergebnisse eingeholt werden müssen. Das verhindert Doppelarbeit und ist deswegen eine sehr vernünftige Maßnahme.
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Thomas Birk (Grüne): In den Bezirken gibt es auch Juris- ten, und die werden gut bezahlt!]
Transparenz ist unabdingbar, gerade weil Bürgerbegehren, Volksentscheide, Volksbegehren aus der Logik der Sache heraus stets nur einseitigen Interessen dienen. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, welche großen Spender die gleichen Interessen teilen. Damit ist überhaupt keine Unterstellung verbunden, es ist vollkommen legitim, Interessen zu haben und sich für diese einzusetzen, aber der Bürger sollte es wissen, bevor er seine Stimme abgibt. Deswegen wird es in Zukunft eine Sofortveröffentlichung von Großspenden ab 5 000 Euro geben. Kollege Gram! Sie haben vollkommen recht: Dieser Schwellenwert von 5 000 Euro ist niedriger als der im Parteiengesetz, der liegt bei 10 000 Euro.
Das macht aber auch Sinn, denn der politische Raum eines Bezirks ist so viel kleiner als der politische Raum, den das Parteiengesetz abdeckt – immerhin die gesamte Bundesrepublik Deutschland –, dass man dort mit weniger Geld mehr bewirken kann, und deswegen ist es sinnvoll, bereits über geringere Beträge öffentlich Rechenschaft abzugeben. Das haben wir uns ganz gut überlegt, und das ist vernünftig ausgestaltet.
Die Menschen werden in Zukunft wissen, aus welchen Quellen sich große Kampagnen finanzieren, und genau das wollen wir erreichen. Aus dem gleichen Grund, Kollege Gram, ist es auch sinnvoll, das Zustimmungsquorum nicht zu hoch zu machen, weil auch innerhalb eines Bezirks die Dinge, die von einem Bürgerbegehren erfasst werden, oft nur Teilbereiche des Bezirks befassen,
und da ist es schon notwendig, dass auch eine Chance besteht, dass die, die sich wirklich dafür interessieren, etwas politisch verändern können.
Deswegen sind 10 Prozent ein vernünftiger Wert, der sich auch mit den Ergebnissen erfolgreicher Bürgerbegehren in Berlin deckt.
Im Ergebnis erwartet die SPD-Fraktion von der Novelle eine Stärkung der Abläufe und der Verbindlichkeit direkter Demokratie auf Bezirksebene. Wir sind sehr gespannt auf die nächsten Initiativen und auf die politischen Debatten, die aus ihnen erwachsen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeordneter Lux das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sehen an dieser Debatte den Rückkehr zur demokratiepolitischen Normalität, wir sehen das, was von dem übrig geblieben ist, was Sie vorhin noch in der Aktuellen Stunde an großem Aufgemuskel von sich gelassen haben. Der Regierende Bürgermeister, der sich im Oktober ein Referendum wünschte, das der Senat einleiten kann, Herr Wolf, der diesen Gedanken aufgegriffen hat und sagte, wir wollen ein Referendum – was ist von all dem übrig geblieben? – Nichts bis auf die Tatsache, dass der Innensenator im Innenausschuss die Gedanken seiner Senatskollegen einholen musste und sagen musste: Referenden, mehr Beteiligung, das wird es alles nicht geben, das ist alles Quatsch. – So verlottert ist dieser Senat, dass er keine klare Haltung in diesen Fragen hat!
Zurück zur ganz praktischen Politik: An den Taten wollen wir Sie messen, nicht an Ihren Reden, und ich gestehe zu, das hat Kollege Zotl zu Recht gesagt, es gibt leichte, im Detail kleine technische Fortschritte im Bereich des Bezirksverwaltungsgesetzes.
Da haben die BVV-Vorsteherinnen und -Vorsteher, da hat Mehr Demokratie e. V. gute Arbeit geleistet, und dafür bedankt sich meine Fraktion auch. Nur: Umgesetzt haben Sie davon fast gar nichts! Der Berg kreißte und gebar eine kleine graue Maus. Im Bereich des Zustimmungsquorums sind Sie unserem Vorschlag gefolgt, den ich vor zwei
Jahren hier geäußert habe – damals, Herr Felgentreu, waren Sie noch dagegen. Es ist gut, dass Sie dort umgeschwenkt sind, es ist gut, dass das Beteiligungsquorum kommen wird. Auch mehr Transparenz ist richtig, doch Sie können nicht erklären, weshalb Sie eine eidesstattliche Versicherung von den Trägerinnen und Trägern von Bürgerbegehren wollen. Sie treiben sie in die Strafbarkeit, selbst wenn sie nur fahrlässig eine falsche Angabe machen. Beim „Wassertisch“ haben wir doch gesehen, wie wenig Ressourcen, wie wenig Finanzkraft teilweise dabei ist. Diesen Leuten muten Sie zu, sich möglicherweise unbeabsichtigt in die Strafbarkeit zu treiben – das ist keine Erleichterung von direkter Demokratie!
Man muss sich aber auch mal anschauen, welche Ideen für mehr Beteiligung, mehr Demokratie und mehr Transparenz sonst noch auf dem Markt existieren. Da gibt es das Wahlalter 16 – meine Fraktion hat es damals eingebracht, es steht seit langem im SPD-Wahlprogramm, dass wir hier aber eine Zweidrittelmehrheit haben, das ist nicht selbstverständlich. Umgesetzt haben Sie das in den letzten neun Jahren auch nicht. An Ihren Taten wollen wir Sie messen, und auch hier ist festzustellen: Es ist nichts passiert!
Das ist auch bei den Bürgerentscheiden so. Wir haben den Vorschlag auf den Tisch gelegt, ein Wahlrecht auch für nicht EU-Bürgerinnen und -Bürger einzuführen. Auch das steht, glaube ich, im Koalitionsvertrag von Rot-Rot. Getan haben Sie dafür nichts – an den Taten wollen wir Sie messen! Die Taten sind gleich null!
Im Bereich Transparenz geht es ja noch weiter – da hat Herr Nußbaum eine erstaunliche Argumentation geliefert, dass er im Bereich Transparenz den Vertrag mit der BIH zur Veräußerung der BIH-Fonds nicht schließen wollte, weil es keine Transparenz gegeben hätte. Aber die SPD war die erste, als wir bei der Novelle des IFGs darüber gestritten haben, ob wir die Wohnungsbauunternehmen oder die Fonds der Wohnungswirtschaft mit hineinnehmen wollen, die klar gesagt hat, dass sie das nicht will. Und jetzt sagt sie, sie sei für mehr Transparenz. Hier widersprechen sich sogar Ihre Worte, und Ihre Taten sind gleich null.
Bei den verbindlichen Bürgerentscheiden muss man sich einfach nur fragen, warum die vielen Hunderttausend Unterschriften, die es in den Bezirken für Bürgerentscheide gab, nicht genauso viel wert sind wie die im Land Berlin für andere Gegenstände. Warum sind die nicht genauso viel wert wie bei Volksentscheiden? Sind denn die Bürgerinnen und Bürger in den Bezirken weniger wert als die Bürgerinnen und Bürger im Land Berlin? – Nein, sie sind es nicht, und deswegen muss es auch verbindliche
Bürgerentscheide geben, deswegen muss auch die BVV verbindlich entscheiden können, statt nur Empfehlungen und Ersuche machen zu können.
Wenn man sich also anschaut, was Sie sagen, dann ist es tatsächlich sehr, sehr viel mehr als das, was Sie getan haben. Die Transparenz im Bereich mehr Demokratie ist auf ein Mindestmaß zusammengeschrumpft, das uns gerade so zu einer Enthaltung treibt. Aber die Frage, ob man Ihnen beim Wahlalter mit 16 oder der Stärkung der Bezirke noch glauben kann, ist die gleiche Frage wie die, ob man Ihnen einen Gebrauchtwagen abkaufen oder mit Ihnen eine Beziehung eingehen würde oder ob man Sie im September wählen sollte. Darauf kann man nur mit nein antworten. Vor diesem Hintergrund sind wir dankbar für jeden kommunalpolitisch Interessierten, der sich unter Ihrer Flagge in die Bezirksverordnetenversammlung setzt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lux! Ich denke, an dieser Stelle kann man etwas abrüsten. Dieses Thema eignet sich nicht so sehr für die große demokratietheoretische Generalabrechnung mit der Koalition.
Ich glaube, dass weder das, was die Koalition, noch das, was die Grünen vorgelegt haben, der große Wurf ist. Deshalb muss man ehrlich sein mit dem, was man hier beiträgt.
Und da, Herr Dr. Felgentreu, muss man eins konstatieren, und dazu bin ich gerne bereit: Herr Dr. Zotl hat sich über alle Maßen verdient gemacht, indem er auf alle Fraktionen in diesem Hause zugegangen ist und gesagt hat: Wir wollen einen offenen Dialog über das führen, was wir gemeinsam bei der bezirklichen Verwaltung und der dortigen Demokratietheorie und -praxis erreichen wollen. Hier hat Dr. Zotl einen wichtigen Beitrag geleistet.