Protokoll der Sitzung vom 22.03.2012

Tagesordnungspunkt 19

Ausstellungsvergütungen für bildende Künstlerinnen und Künstler

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0193

Die Fraktionen haben eine Redezeit von bis zu fünf Minuten. Es beginnt der Kollege Brauer für die Fraktion Die Linke. – Herr Brauer, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 94 Prozent aller in Deutschland arbeitenden Selbstständigen sind bildende Künstler. Etwa 6 000 davon leben und arbeiten in Berlin. Die Stadt ist Hauptstadt der bildenden Kunst. Auch der Kultursenator betont dies immer wieder und erklärt dankenswerterweise, welche Rolle Kunst und Künstlerinnen und Künstler in und für Berlin haben. In Wirklichkeit ist Berlin aber auch die Stadt der Selbstausbeutung, der prekären Beschäftigung und der Armut,

auch von gut ausgebildeten oft mit akademischem Abschluss versehenen Kreativen. Deren reale Lebenssituation steht häufig in einem diametralen Gegensatz zu den gern verteilten goldenen Satzbausteinen von Eröffnungsreden und gedruckten Grußworten.

Der derzeitige Jahreseinkommensdurchschnitt der in der Künstlersozialkasse versicherten bildenden Künstlerinnen und Künstler liegt bei – bitte hören Sie genau zu – 13 185 Euro, bei Frauen sind es gar nur 11 103 Euro. Bildende Künstler beziehen ihre Einnahmen einzig und allein aus dem Verkauf ihrer Werke und gegebenenfalls der kommerziellen Verwertung von Abbildungen ebendieser – auf den ersten Blick ein normaler Vorgang.

Aber wechseln wir zum Vergleich einmal die Kunstgattung. Die Sopranistin Anna Netrebko ist eine auf Berliner Bühnen gern gesehene Sängerin. Selbstverständlich verkauft sie die Tonträger ihrer Aufnahmen. Selbstverständlich erhält Frau Netrebko Tantiemen bei der kommerziellen Verwertung eben dieser Aufnahmen. Einen Unterschied gibt es: Sie bekommt auch für ihre Auftritte an landeseigenen Bühnen selbstverständlich ein Honorar. Natürlich denkt die Staatsoper überhaupt nicht daran, Frau Netrebko an den Kosten für das Bühnenbild oder gar der anschließenden Premierenfeier zu beteiligen.

Bei bildenden Künstlern ist das genau umgekehrt. Nicht nur erhalten Sie für ihre öffentlichen Auftritte wie etwa Ausstellungen keinerlei Vergütung, sie müssen sich oft auch noch an den Ausstellungskosten beteiligen, ihre Bilder selbst hängen und auch noch den Rotwein und das Selterswasser für die Vernissage häufig allein bezahlen und heranschleppen. Ich rede von kommunalen und öffentlichen Einrichtungen; ich rede nicht von kommerziellen Galerien.

Bislang vertrat der Berliner Kultursenator die Position, dass es genug der Honorierung wäre, wenn die Künstler ausstellen dürften. Von dieser Position, mit der er auch Vorstöße aus der eigenen Fraktion abblockte, ist er inzwischen dankenswerterweise abgerückt. Das ist ein Erfolg des öffentlichen Diskurses – die SPD bekannte sich noch im Wahlkampf zur Zahlung von Ausstellungsvergütungen für Künstlerinnen und Künstler, die in kommunalen und landeseigenen Instituten ausstellen.

Inzwischen wird das Thema im Deutschen Bundestag diskutiert. Es liegt ein von der Linken unterstützter Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vor, bei durch den Bund geförderten Ausstellungen ebensolche Ausstellungszahlungen quasi beispielsetzend vorzunehmen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung empfahl zur Anwendung in Deutschland das schwedische Modell. In Schweden wird den in staatlichen Museen ausstellenden Künstlerinnen und Künstler eine solche Vergütung gezahlt – übrigens durch Gesetz einer sozialdemokratischen Regierung, Herr Regierender Bürgermeister!

Wir meinen, dieser Schritt ist in Berlin, der selbst ernannten Hauptstadt der bildenden Kunst, längst überfällig. Das hätte mitnichten den Eintritt in das Schlaraffenland für die Künstlerinnen und Künstler zur Folge, aber es würde ihre Situation verbessern helfen. Es wäre beispielsetzend.

[Beifall bei der LINKEN]

Wenn in einem Bericht des Senats an den Hauptausschuss festgestellt wird, dass „eine Begrenzung nur auf den öffentlichen Ausstellungsbetrieb in ihrer Wirkung für die bedürftigen zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler nur wenig nachhaltig einzuschätzen sei“, dann kann ich das nur als Versuch werten, die bisherige Strategie des Nichtstuns fortzusetzen. Es geht hier nicht um Almosen an bedürftige Künstler, es geht um die Akzeptanz künstlerischer Arbeit, um die Akzeptanz menschlicher Arbeit überhaupt. Es geht zudem nicht an, ständig mit den Fingern auf andere zu zeigen und sich so um die eigene Verantwortung herumzumogeln.

Herr Wowereit! Sankt Florian ist der Schutzheilige der Feuerwehr. Als Schutzheiliger der Kulturpolitik taugt er überhaupt nicht. Herr Regierender Bürgermeister! Bitte beenden Sie diesen unwürdigen Zustand! Und um der Bitte Herrn Obergs entgegenzukommen: Am Montag werden wir dem Fachausschuss die entsprechenden Finanzierungsvorschläge selbstverständlich vorlegen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich danke Ihnen, Herr Kollege! – Ich erteile jetzt Frau Kollegin Harant für die Fraktion der SPD das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin Harant!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brauer! Das schwedische Modell hat eines gezeigt, nämlich, dass existenzielle Probleme von bildenden Künstlern mit diesem Modell keineswegs gelöst werden können. Denn ein Künstler stellt in seinem Leben oft nur ein- oder zweimal aus. Da bekommt er auch in Schweden – wo offensichtlich alles so viel besser ist – gerade mal etwa 2 000 Euro. Das ist zwar schön, aber leider bringt es uns nicht viel weiter.

Ich komme zu Ihrem Antrag, der wirklich gut gemeint ist – davon gehe ich aus. Sie wollen die Benachteiligung der bildenden Künstler in den Fokus nehmen. Auch wir können selbstverständlich das Ansinnen, hier ein angemessenes Honorar zu zahlen, grundsätzlich mittragen, aber ich denke, da muss man genauer hinschauen.

Die Idee ist nicht neu. Sei mehr als 30 Jahren fordern Verbände im Bereich der bildenden Kunst ein solches

Ausstellungshonorar. Auch die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ hat solch ein Verfahren empfohlen. Jetzt frage ich mich: Warum wird es dann nicht umgesetzt? – Da sind wir an dem Punkt, dass das alles nicht so einfach ist. Der gute Wille ist das eine, das gute Tun das andere. Da gibt es noch eine ganze Menge Probleme.

Natürlich spricht für eine Vergütung, dass der Aussteller, der Künstler Urheber eines Werkes ist. – Achtung, liebe Kollegen von den Piraten: Urheberrecht! – Der Urheber eines Werkes hat grundsätzlich einen Anspruch auf Entgelt. Andererseits: Natürlich liegt es im Interesse eines jeden Künstlers, seine Werke einem größeren Publikum vorzuführen und dadurch Kaufinteressenten zu gewinnen. So gesehen, ist eine Ausstellung immer auch eine kostenlose Werbung.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Das ist kein Widerspruch! – Kunstschaffende sind in der Regel sehr erfreut über jede Ausstellungsmöglichkeit. Gerade die, die noch wenig bekannt sind, werden es nicht wagen, auch noch Honorarforderungen zu stellen. Sie würden womöglich freiwillig darauf verzichten, wenn sie nur ausstellen können. Was heißt das? – Bekannte und begehrte Kunstschaffende können es sich leisten, Honorare zu verlangen. Mit ziemlicher Sicherheit, Herr Brauer, werden die wenigen etablierten Künstlerinnen und Künstler von Ausstellungshonoraren auch profitieren, weil sie öfter als die Masse der unbekannten Künstler ausstellen. Damit sind wir wieder bei der Frage, wer den Vorteil hat: Das sind am ehesten die, die sowieso ganz gut verdienen, und am wenigsten die, die große Sorgen haben.

Man könnte auch eine Verpflichtung zur Zahlung einführen. Die Erfahrungen in anderen Ländern sprechen dagegen. Österreich hat sich von einer solchen Regelung wieder verabschiedet. In Schweden – Ihr Beispiel – sind die Ergebnisse auch zwiespältig. Gerade kleinere Galerien mit einem begrenzten Ausstellungsbudget müssen die Anzahl der Ausstellungen reduzieren, und Ausstellungen mit vielen Künstlern sind für sie kaum noch finanzierbar.

Ich will dieses Thema nicht grundsätzlich vom Tisch wischen. Es gibt ja auch in Berlin Versuche, Ausstellungshonorare zu zahlen. Ich erinnere an „based in Berlin“, wo das der Fall war, allerdings weiß ich nicht, in welcher Höhe. Auch die Kulturverwaltung hat ein Konzept erarbeitet. Die Fachgruppe bildende Kunst bei Verdi fordert seit Langem verpflichtende Ausstellungsvergütungen und bezieht sich dabei auf das Urheberrecht. Das Thema ist also auf vielen Ebenen präsent. Aber es ist ziemlich sperrig, und die Umsetzung ist gar nicht so leicht.

Schauen wir noch einmal nach Schweden: Da gibt es seit 2009 die Ausstellungsvergütungen. Dort wurde auch das Budget der Galerien aufgestockt, denn Ausstellungshonorare müssen finanziert werden.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Haben Sie unserer Antrag gelesen?]

Fakt ist: Im Berliner Haushalt ist dafür kein Geld eingestellt.

Sie müssen zum Ende kommen, Frau Kollegin!

Abschließend: Wir haben ein Herz für die bildende Kunst. Das zeigt sich im Haushalt. In den nächsten zwei Jahren werden hier 2 Millionen Euro mehr ausgegeben. Es wird zusätzliche Ateliers und eine Aufstockung für Ausstellungspräsentationen geben. Ich denke, das macht klar, wo wir Schwerpunkte setzen. – Über das Thema Ausstellungshonorare sollten wir noch einmal sprechen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich danke Ihnen! – Die Kollegin Bangert hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Brauer! Schade, dass Die Linke im Rahmen ihrer immerhin zehnjährigen Regierungsbeteiligung nicht schon längst diese Initiative ergriffen hat, sondern erst von der Oppositionsbank aus.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Das ist Blödsinn, Frau Bangert!]

Danke schön! – Nicht einmal im Entwurf für den Haushalt 2012/2013, den die Linken noch vor der Wahl mit der SPD eingebracht haben, war eine Position zu finden, über die diese Honorarzahlung von den landesgeförderten Kunsteinrichtungen hätten geleistet werden können. Ihr jetzt geforderter Ausstellungsfonds war auch nicht im Ansatz enthalten. Im aktuellen Haushaltsentwurf von Rot-Schwarz wurden dafür auch keine Mittel eingestellt, und dies, obwohl die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU sich vor der Wahl zu Ausstellungshonoraren bekannt haben.

Wir müssen dringend etwas zur Verbesserung der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern in Berlin leisten. Die Bezahlung von Ausstellungshonoraren ist sicher ein Punkt.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Gerade aber bei den Ausstellungshonoraren bitte ich um Ehrlichkeit in der Debatte. Das bedeutet, dass wir die daraus folgenden Konsequenzen benennen müssen. Will

man in Berlin tatsächlich eine Ausstellungsvergütung umsetzen, ist doch wohl allen klar, dass dies mit den im Antrag der Linken geforderten 200 000 Euro nicht getan ist. Dafür brauchen wir mindestens die doppelte Summe. Eine Umsetzung könnte daher nur zulasten der Ausstellungsorte gehen. Zukünftig wäre noch weniger Berliner Künstlerinnen und Künstlern die Chance gegeben, ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zu zeigen.

Es ist auch nicht notwendig, dass wir uns nur auf die Ausstellungshonorare fokussieren, denn es gibt viel kreativere Lösungen, die nachhaltig zu einer besseren Situation von in Berlin lebenden Künstlerinnen und Künstlern beitragen. Wir müssen endlich realisieren, dass sich auch die künstlerische Praxis gewandelt hat. Die strikte Trennung zwischen Produktion bzw. Arbeitsprozess und Präsentation wird mehr und mehr aufgehoben. Folgerichtig muss die Verbesserung der Produktionsbedingungen und Präsentationsorte für Berliner Künstlerinnen und Künstler im Vordergrund stehen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir brauchen in Berlin eine gezielte Kultur- und Förderpolitik, die unter anderem der Betreuung von freien Projekträumen und Initiativen gerecht wird. Hier gilt es, deutliche Prioritäten zu setzen, und zwar durch Programme wie Arbeitsstipendien und Vergütungen für spartenübergreifende Kooperationsprojekte, denn diese werden den Bedürfnissen der sich wandelnden künstlerischen Praxis viel mehr gerecht als Ausstellungshonorare. Dazu werden wir entsprechende Änderungsanträge im Rahmen der Haushaltsberatungen einbringen.

Wir unterstützen das Atelierprogramm, das erfreulicherweise im aktuellen Haushalt aufgestockt wurde und hoffentlich künftig noch ausgebaut werden kann. Hier müssen wir dringend nachlegen, auch vor dem Hintergrund, dass sich nur ein kleiner Teil der bildenden Künstlerinnen und Künstler ein eigenes Atelier leisten kann. Und wir müssen im Rahmen einer gezielten Liegenschaftspolitik notwendige und sinnvolle Infrastruktur zur Verfügung stellen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir müssen Produktions- und Ausstellungsorte für Künstlerinnen und Künstler sichern. Daher setzen wir uns für den Erhalt der vielen freien Projekträume, aber auch für die bestehenden landesgeförderten Kultur- und Kunstinstitutionen ein.

Um die bildende Kunst in Berlin nachhaltig zu stärken, brauchen wir mehr Vernetzung unter den Akteuren, eine stärkere Zusammenarbeit mit den Galerien, Vermarktungsforen und -formen. Die Absage für das Art Forum, die von der Messegesellschaft im Alleingang entschieden wurde und von der der für Kultur zuständige Regierende Bürgermeister durch die Presse informiert wurde, zeigt ein weiteres Mal, wie wenig im Bereich der bildenden Kunst in den vergangenen Jahren seitens des Senats ko

operativ gestaltet wurde. Hier warten wir noch immer auf ein Signal des Senats, wie es weitergeht. Wir wollen gemeinsam mit den Akteuren der bildenden Kunst die Entwicklung der bildenden Kunst in Berlin fördern und befördern, denn nur so sehen wir die Chance, die Künstlerinnen und Künstler in dieser Stadt zu halten, ihre soziale und berufliche Situation zu verbessern und ihnen Raum zu bieten, um ihre Potenziale für eine Kunstmetropole optimal einzubringen. Nur mit einem konsequenten Umbau der Kulturförderung und einer qualitativen Analyse des kulturellen Angebots wird Berlin seine Vielfalt auch in Bereich der bildenden Kunst erhalten und international attraktiv bleiben. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Bangert! – Der Kollege Schlede hat jetzt für die Fraktion der CDU das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht noch einmal der Bezug zu dem, worüber wir eigentlich reden, nämlich über die Ausstellungshonorare: Der Berufsverband Bildender Künstler, der immerhin bereits eine beachtliche Vernetzung repräsentiert – die Sie gerade angesprochen haben, Frau Bangert –, hat einen Vorschlag gemacht, nach dem bei Ausstellungen der Versicherungswert mit 3 Prozent als Honorar gezahlt wird, wobei im Höchstfall die Grenze bei 5 000 Euro liegt. Nehmen wir einmal ein Beispiel: Das wären in einer kommunalen Galerie für ein ausgestelltes Bild mit einem Versicherungswert von 5 000 praktisch 150 Euro. Unabhängig davon, dass auch ich der Auffassung bin, dass das ein möglicher Weg zur Entlastung der betreffenden Künstler ist, ist es mit Sicherheit – das sagt auch Frau Harant mit dem, was sie ausgeführt hat – nichts existenziell Erhaltendes für die betreffende Künstlerin oder den betreffenden Künstler. Das ist auch in Schweden letztlich nicht anders. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.